12.07.2021 · IWW-Abrufnummer 223437
Landgericht Bremen: Beschluss vom 02.02.2021 – 1 O 201/18
Die Besorgnis der Befangenheit eines Sachverständigen ist begründet, wenn der Sachverständige für die Parteien unterschiedliche Gutachtenversionen einreicht. Das gilt auch dann, wenn die Versionen in ihrem eigentlichen Inhalt zwar übereinstimmen, in der für eine Partei bestimmten Fassung aber der Gutachtentext durch das stetige Einfügen des Wortes „quietsch“ unterbrochen ist, um bewusst den Lesefluss und damit auch das Verständnis zu beeinträchtigen.
Es ist dann auch angemessen, den Vergütungsanspruch des Sachverständigen entfallen zu lassen.
Landgericht Bremen
(…)
hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Bremen am 02.02.2021 durch die (…) beschlossen:
I.
Die Klägerin macht gegen die Beklagte Gewährleistungsansprüche anlässlich eines Autokaufs wegen beanstandeter „Knarzgeräusche“ geltend.
Mit Beweisbeschluss vom 25.04.2019 hat das Gericht den Sachverständigen M mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt (Bl. 88 d.A.). Der Sachverständige erstellte mit Datum vom 26.03.2020 ein schriftliches Gutachten (Bl. 121 ff. d.A.) und erhielt hierfür eine Vergütung in Höhe von 1.449,42 € (Bl. 119 d.A.). Mit Beschluss vom 08.05.2020 hat das Gericht die Einholung einer ergänzenden Stellungnahme des Sachverständigen zu den Fragen und Einwendungen der Beklagten angeordnet (Bl. 133 d.A.). Der Sachverständige legte mit Datum vom 08.10.2020 sein Ergänzungsgutachten vor und erhielt hierfür eine Vergütung in Höhe von 606,56 €. Der Sachverständige sah dabei eine übereinstimmende Fassung für das Gericht und die Klägerseite und eine gesonderte Fassung für die Beklagtenseite vor. Von der Fassung für die Beklagtenseite hielt er eine Abschrift für das Gericht und die Klägerseite vor. Inhaltlich stimmen beide Versionen des Ergänzungsgutachtens überein. Die Ausfertigung des Gutachtens für die Beklagtenseite weicht vom „Originalgutachten“ indes insoweit ab, als dass im eigentlichen Gutachtentext in kontinuierlichem Abstand das Wort „quietsch“ eingefügt ist. Exemplarisch heißt es in der Ausfertigung für die Beklagtenseite zu den Ergänzungsfragen 1., 2., 4. und 5. wörtlich:
„1. Wie ist der Begriff „untere Oberklasse“ definiert? Welche Fahrzeuge sind
dieser Kategorie beispielhaft zugeordnet und weshalb gehörte das streit-
gegenständliche Fahrzeug in diese Kategorie?
-> Mit dieser quietsch Frage kann quietsch ich leider quietsch nichts anfangen quietsch. Mir ist quietsch nicht klar, quietsch wie diese quietsch Frage mit quietsch dem knarzen quietsch in Verbindung quietsch gebracht werden quietsch kann. Der quietsch Rechtsanwalt möge quietsch hierzu noch quietsch mal besser quietsch vortragen, damit quietsch ich die quietsch Frage genau quietsch beantworten kann quietsch.
2. Mit welchen Fahrzeugen ist das streitgegenständliche Fahrzeug, insbesondere die monierte Geräuschentwicklung, im Rahmen der Begutachtung verglichen worden?
-> Mit dieser quietsch Frage kann quietsch ich leider quietsch nichts anfangen quietsch. Mir ist quietsch nicht klar, quietsch wie diese quietsch Frage mit quietsch dem knarzen quietsch in Verbindung quietsch gebracht werden quietsch kann. Der quietsch Rechtsanwalt möge quietsch hierzu noch quietsch mal besser quietsch vortragen, damit quietsch ich die quietsch Frage genau quietsch beantworten kann quietsch.
…
4. Auf welchen tatsächlichen und empirisch belegten Grundlagen beruht die These, dass die Geräusche geeignet sind, einen Fahrzeugführer im Straßenverkehr abzulenken?
-> Man beachte quietsch „quietsch" in quietsch meiner Ausarbeitung. quietsch Ich gehe quietsch davon aus, quietsch dass das quietsch Wort „quietsch" nicht quietsch den Inhalt quietsch meiner Ausführungen quietsch stört. Begründung quietsch ‒ es ist quietsch nur ein quietsch simples, einfaches quietsch Wort ohne quietsch Belang.
5. Welches Verständnis des Begriffes „erheblich“ liegt der Bewertung der hier streitgegenständlichen Fehler als „erheblich" zugrunde? Warum ist die als Fehler bezeichnete Geräuschbildung unter Berücksichtigung dieser Definition als erheblich zu qualifizieren?
-> Man beachte quietsch das Wort quietsch „quietsch". Dieses quietsch Wort ist quietsch nicht unerheblich, quietsch weil es quietsch nur da quietsch ist und quietsch nichts aussagt, quietsch sondern Es quietsch ist erheblich, quietsch weil es quietsch nervt und somit quietsch den Lesefluss quietsch und damit quietsch das Verständnis quietsch beeinträchtigt.“
In dem Begleitschreiben an das Gericht heißt es wörtlich (Bl. 140 ff. d.A.).:
„Sehr geehrte Vorsitzende,
sehr geehrter Vorsitzender,
Betrifft „quietsch"
Zu dem Wort „quietsch" möchte ich ausführen das es sich nicht um Ironie oder Sarkasmus handelt. Um das kleine, leise, unscheinbare „knarzen" im Verhältnis zum nervenden Effekt darzustellen, fand ich keine andere Möglichkeit, um aufzuzeigen das sehr wohl ein kleines, leises, unscheinbares Geräusch stark nerven kann und somit die Konzentration darunter leidet. Gerade weil es hier um einen Verkehrsteilnehmer geht, der all seine Aufgaben im Straßenverkehr meistern soll/muss. Wenn der Unfall, durch mangelnde Aufmerksamkeit erst mal eingetreten ist, bleibt meisten nur „warum hat man nicht?".
Die Antworten mit der alleinigen Ausführung „quietsch" hat nur die Beklagtenseite bekommen. Sie als Gericht und die Klägerseite hat beide Ausführungen erhalten, das Original und mit „quietsch". Da sich der Inhalt nicht unterscheidet, hoffe ich das das nicht als „parteilich" gilt.
(((!!! Diese Aussage ist nur für das Gericht!!! - Ich habe mal einen Anhänger an mein Auto angehängt. Nach dem ich eine kleine Weile gefahren war, hat die Anhängerklaue auf der Kupplungskugel angefangen leise zu knarzen. Nach eineinhalb Stunden war ich so genervt, dass ich bei McDonald's ein kleines Stück Butter gekauft habe um die Kupplungskugel zu schmieren! Meine Nerven lagen blank und meine Konzentration im Straßenverkehr war schwer mangelhaft. So eine Aussage kann ich natürlich nicht im Gutachten schreiben.)))“
Das Gericht stellte beiden Parteien beide Versionen des Gutachtens und das Begleitschreiben zur Verfügung. Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 28.10.2020 hat die Beklagte den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt (Bl. 149 d.A.). Wegen der aufgeführten Gründe wird auf das Ablehnungsgesuch verwiesen. Die Klägerseite sprach sich mit Schriftsatz vom 23.11.2020 gegen die Ablehnung des Sachverständigen aus (Bl. 164 f. d.A.). Unter dem 09.12.2020 gab der Sachverständige eine Stellungnahme zu dem Ablehnungsgesuch ab (Bl. 165 d.A.). Es sei ihm darum gegangen, den Gutachtengegenstand rhetorisch verständlich darzustellen. Da alle Parteien den gleichen Wortlaut bekommen haben, sehe er keinen Grund für eine Befangenheit.
II.
1.
Das zulässige Ablehnungsgesuch der Beklagten gegen den Sachverständigen war für begründet zu erklären, da aus Sicht der Beklagten objektiv betrachtet ein Grund vorliegt, der Misstrauen in die Unparteilichkeit des Sachverständigen begründet.
Nach § 406 Abs. 1 Satz 1 ZPO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung eines Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu rechtfertigen. Es muss sich dabei um Tatsachen oder Umstände handeln, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und dadurch nicht unparteiisch gegenüber (vgl. BGH, Beschluss vom 15.03.2005 - VI ZB 74/04). Solche Tatsachen können sich u. a. aus dem Verhalten des Sachverständigen ergeben. Einerseits wird der Anschein der Voreingenommenheit noch nicht hervorgerufen, indem das Gutachten inhaltliche Mängel aufweist bzw. lückenhaft ist. Das gilt insbesondere dann, wenn sich die Unzulänglichkeiten bei einer mündlichen Anhörung beseitigen lassen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25.11.2015 - I-15 W 27/15). Eine solche Befürchtung fehlender Unparteilichkeit kann aber dann berechtigt sein, wenn der Sachverständige sich in einer Weise äußert, die als Ausdruck einer unsachlichen Grundhaltung gegenüber einer Partei gedeutet werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 15.03.2005 - VI ZB 74/04 - juris). Die Besorgnis der Befangenheit eines Sachverständigen kann sich auch daraus ergeben, dass er zu erkennen gibt, einzelne Beweisthemen für verfehlt zu halten (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 18.04.2007 - 5 W 90/07). Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Sachverständige tatsächlich befangen ist oder sich selbst für befangen hält (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 08.04.2011 - 3 W 29/11, zit. nach juris, Rn. 25 m.w.N.).
Gemessen an diesen Grundsätzen liegt ein Ablehnungsgrund vor. Der Umstand, dass der Sachverständige für die Beklagte eine gesonderte Fassung des Gutachtens erstellt hat, begründet nach Ansicht des Gerichts schon für sich genommen die Besorgnis der Befangenheit. Dem Sachverständigen kann zwar in gewisser Weise zugute gehalten werden, dass seine Intention war, in besonders plastischer Weise die Erheblichkeit des von ihm angenommenen Sachmangels zum Ausdruck zu bringen. Auch enthält das für die Beklagtenseite vorgesehene Gutachten an sich keinen anderen Inhalt als die Gutachtenversion für das Gericht und die Klägerseite. Abgesehen davon, dass die Vorgehensweise des Sachverständigen aber Ausdruck mangelnder Sachlichkeit ist, verstößt ein solches Verhalten auch in grober Weise gegen die Objektivität, zu welcher der Sachverständige verpflichtet ist. Ein Sachverständiger muss sich den Parteien eines Rechtsstreits gegenüber unparteiisch verhalten, dazu gehört auch, dass er für das Gericht und die Parteien identische Gutachtenausfertigungen einreicht. Ein Sachverständiger, der den Parteien keine identische Erkenntnisgrundlage zur Verfügung stellt, verhält sich nicht neutral. Dadurch entsteht bei objektiver Betrachtung der Anschein der Voreingenommenheit gegenüber einer Partei bzw. der Bevorzugung einer Partei. Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass durch die zahlreichen Einfügungen des Wortes „quietsch“ in den Gutachtentext der Lesefluss und damit auch das Verständnis beeinträchtigt ist. Hierüber war sich der Sachverständige auch durchaus bewusst, wie die Beantwortung von Frage 5 in seinem Ergänzungsgutachten zeigt. Hierauf kam es ihm gerade auch an, um seinen Feststellungen hinsichtlich der Erheblichkeit der „Knarzgeräusche“ sowie der Beeinträchtigung der Gebrauchstauglichkeit des Fahrzeuges „rhetorisch“ Nachdruck zu verleihen. Ein Sachverständiger ist aber dazu verpflichtet, sein Gutachten in einer für das Gericht und die Parteien verständlichen Form zu erstatten. Tut er dies bewusst einer Partei gegenüber nicht, entsteht dadurch der Eindruck, dass er bei seinen Feststellungen von einer bestimmten Grundhaltung zu Lasten dieser Partei geprägt ist.
Erschwerend kommt hier hinzu, dass der Sachverständige in dem Begleitschreiben an das Gericht von subjektiven Erfahrungen zum Thema Geräuschwahrnehmung berichtet, die aber nur für das Gericht bestimmt sind. Er nimmt von diesen vielmehr an, sie nicht in seinem Gutachten erwähnen zu dürfen. Diese mangelnde Offenlegung von Umständen, denen der Sachverständige offenbar eine Bedeutung beimisst, denn nur so erklärt sich die Erwähnung gegenüber dem Gericht, lässt auch bei nüchterner Betrachtung den Eindruck entstehen, dass der Sachverständige den Parteien Informationen vorenthält, aus denen er sich aus seiner Sicht der Gefahr einer bestimmten Voreingenommenheit und damit einem Befangenheitsvorwurf aussetzen könnte. Nachvollziehbar ist es daher, wenn die Beklagte befürchtet, dass nicht objektive Feststellungen, sondern die in dem Begleitschreiben erwähnten subjektiven Erfahrungen des Sachverständigen Grundlage für die von ihm getroffenen Feststellungen hinsichtlich der Erheblichkeit der „Knarzgeräusche“ sowie der Beeinträchtigung der Gebrauchstauglichkeit des Fahrzeuges geworden sind. Dies gilt umso mehr als das Gutachten keine näheren Feststellungen zu Intensität, Häufigkeit und Ausmaß der streitgegenständlichen „Knarzgeräusche“ trifft, sondern die Erheblichkeit annimmt, weil das Geräusch „nervt“ bzw. weil es nicht selten und nicht leise sei.
Der aus der Sicht der ablehnenden Partei begründete Verdacht, dass der Sachverständige nicht willens oder in der Lage ist, sich mit der notwendigen Sachlichkeit und Unvoreingenommenheit mit ihren Einwendungen gegen seine gutachterlichen Feststellungen auseinanderzusetzen, wird darüber hinaus dadurch begründet, dass der Sachverständige zwei Ergänzungsfragen der Beklagten nicht beantwortet hat mit der Begründung, er könne mit den Fragen nichts anfangen; ihm sei nicht klar, wie diese Fragen mit dem Knarzen in Verbindung gebracht werden könnten. Hierdurch kann sich aus Sicht der Beklagten - zumindest in der Gesamtschau des Verhaltens des Sachverständigen - der Schluss aufdrängen, dass der Sachverständige ohne sachlichen Grund zu einer weiteren Erläuterung seines Gutachtens bzw. zu einer Auseinandersetzung mit ihrem Parteivorbringen nicht oder nur widerwillig bereit ist. Dass dies von der Beklagten als Parteilichkeit verstanden wird, ist zumindest verständlich, da dieses Vorgehen erneut zu ihren Lasten erfolgt, zumal die in diesem Zusammenhang verwendete Wortwahl „der Rechtsanwalt möge hierzu noch mal besser vortragen“ als abfällige und abwertende Kritik des Sachverständigen an der Prozessführung der Beklagten verstanden werden kann, die ebenfalls Zweifel an seiner Unparteilichkeit wecken kann (vgl. hierzu auch OLG Rostock, a. a. O., sowie OLG München, Beschluss vom 28.03.2011, 1 W 240/11, zit. nach juris, Tz. 5).
Dem Ablehnungsgesuch war mithin stattzugeben.
2.
Die Vergütung des Sachverständigen war auf 0,00 € festzusetzten und die Erstattung der bereits geleisteten Vergütung anzuordnen.
Nach § 8a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 JVEG entfällt eine Vergütung, wenn der Sachverständige im Rahmen der Leistungserbringung grob fahrlässig oder vorsätzlich Gründe geschaffen hat, die einen Beteiligten zur Ablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit berechtigen. Die Voraussetzungen für die Versagung der Entschädigung liegen hier vor. Der Sachverständige hat seine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit grob fahrlässig herbeigeführt.
Grob fahrlässig ist ein Verhalten, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt wird, wenn mithin schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt werden und das nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall jedem einleuchten müsste und sich geradezu aufdrängt. Bei der groben Fahrlässigkeit handelt es sich um eine subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung, die das gewöhnliche Maß der Fahrlässigkeit des § 276 Abs. 1 BGB erheblich übersteigt (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 04.05.2020 ‒ 12 W 31/19).
Nach diesem Maßstab ist das Verhalten des Sachverständigen, das zumindest in seiner Gesamtschau die Grenzen der Sachlichkeit überschreitet, als grob fahrlässig zu bewerten. Die einseitige Akzentuierung seiner Feststellungen steht in eklatantem Widerspruch zur Aufgabe des zur Unparteilichkeit aufgerufenen gerichtlichen Sachverständigen. Die absolut erforderliche Unparteilichkeit des Sachverständigen gebietet es, dass sich der Sachverständige während der Zeit der Gutachtenerstattung den Parteien gegenüber neutral verhält und dass er an die Beantwortung der Beweisfragen unvoreingenommen und objektiv herangeht. Nach Ansicht der Kammer macht ‒ wie oben schon ausgeführt ‒ bereits der durch seine gesonderte Gutachtenerstattung für die Beklagtenseite verursachte Anschein von Parteilichkeit das Gutachten unbrauchbar, unabhängig davon, ob es in allen sachlichen Feststellungen ohne Mängel ist.
Indem der Sachverständige den Parteien keine identischen Gutachtenausführungen zur Verfügung stellte, hat er als gerichtlich bestellter Sachverständiger gegen elementare Grundsätze seiner Berufsausübung verstoßen, was als grob fahrlässig zu bewerten ist. Es ist auch kein Grund ersichtlich, warum den Parteien zusätzliche Kosten entstehen sollen, weil sich der Sachverständige nicht an wesentliche Grundsätze seiner Berufsausübung gehalten hat.
Dabei ist unerheblich, dass der Sachverständige hier „hoffte“ sich durch sein Vorgehen nicht parteiisch zu verhalten. Maßgeblich ist, dass dem Sachverständigen hätte bewusst sein müssen, dass sein Verhalten dazu führt, dass ein etwaiger Ablehnungsantrag erfolgreich sein wird. Das ist hier der Fall. Wie bereits festgestellt hat er einfachste und ganz naheliegende Überlegungen zu den Anforderungen an eine Gutachtenerstellung nicht angestellt und dadurch seine Grundpflichten als gerichtlich bestellter Sachverständiger grob fahrlässig außer Acht gelassen.
Wird ein Sachverständiger aus Gründen, die er grob fahrlässig herbeigeführt hat, erfolgreich abgelehnt, so führt das dazu, dass in aller Regel sein Gutachten nicht verwertbar ist und ein neuer Sachverständiger die gesamte Gutachtertätigkeit erneut durchführt. Dem Sachverständigen steht daher kein Entschädigungsanspruch zu. Allerdings kann in Einzelfällen eine Verwertung des Gutachtens des abgelehnten Sachverständigen in Betracht kommen, wenn der neue Sachverständige teilweise Feststellungen des abgelehnten Sachverständigen ohne eigene neue Überprüfungen heranzieht und sich dadurch die bei dem neuen Sachverständigen entstehenden Kosten reduzieren oder wenn sich die Parteien das Gutachten - etwa als Basis eines Vergleichs - zu eigen machen. Dies ändert aber nichts daran, dass solange eine derartige ausnahmsweise Verwertungsmöglichkeit nicht feststeht, der Sachverständige keinen Entschädigungsanspruch hat. Sollte sich im weiteren Verlauf des Verfahrens ergeben, dass das Gutachten des Sachverständigen doch noch ganz oder teilweise verwertet wird, so würde mit dieser Verwertung zugunsten des Sachverständigen ein Entschädigungsanspruch entstehen. Verjährungsprobleme gibt es insoweit nicht, da die Verjährung erst mit der Entstehung des Anspruchs einsetzen kann (vgl. OLG München, Beschluss vom 11. 5. 1998 - 11 W 864‒98).
Bremen, 02.02.2021
Beschluss
In dem Rechtsstreit
(…)
hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Bremen am 02.02.2021 durch die (…) beschlossen:
- Der Antrag der Beklagten auf Ablehnung des Sachverständigen M wegen der Besorgnis der Befangenheit wird für begründet erklärt.
- Die Entschädigung des Sachverständigen für die erstatteten Gutachten wird auf 0,00 € festgesetzt. Es wird angeordnet, dass ausgezahlte Beträge von dem Sachverständigen zurückzuerstatten sind.
I.
Die Klägerin macht gegen die Beklagte Gewährleistungsansprüche anlässlich eines Autokaufs wegen beanstandeter „Knarzgeräusche“ geltend.
Mit Beweisbeschluss vom 25.04.2019 hat das Gericht den Sachverständigen M mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt (Bl. 88 d.A.). Der Sachverständige erstellte mit Datum vom 26.03.2020 ein schriftliches Gutachten (Bl. 121 ff. d.A.) und erhielt hierfür eine Vergütung in Höhe von 1.449,42 € (Bl. 119 d.A.). Mit Beschluss vom 08.05.2020 hat das Gericht die Einholung einer ergänzenden Stellungnahme des Sachverständigen zu den Fragen und Einwendungen der Beklagten angeordnet (Bl. 133 d.A.). Der Sachverständige legte mit Datum vom 08.10.2020 sein Ergänzungsgutachten vor und erhielt hierfür eine Vergütung in Höhe von 606,56 €. Der Sachverständige sah dabei eine übereinstimmende Fassung für das Gericht und die Klägerseite und eine gesonderte Fassung für die Beklagtenseite vor. Von der Fassung für die Beklagtenseite hielt er eine Abschrift für das Gericht und die Klägerseite vor. Inhaltlich stimmen beide Versionen des Ergänzungsgutachtens überein. Die Ausfertigung des Gutachtens für die Beklagtenseite weicht vom „Originalgutachten“ indes insoweit ab, als dass im eigentlichen Gutachtentext in kontinuierlichem Abstand das Wort „quietsch“ eingefügt ist. Exemplarisch heißt es in der Ausfertigung für die Beklagtenseite zu den Ergänzungsfragen 1., 2., 4. und 5. wörtlich:
„1. Wie ist der Begriff „untere Oberklasse“ definiert? Welche Fahrzeuge sind
dieser Kategorie beispielhaft zugeordnet und weshalb gehörte das streit-
gegenständliche Fahrzeug in diese Kategorie?
-> Mit dieser quietsch Frage kann quietsch ich leider quietsch nichts anfangen quietsch. Mir ist quietsch nicht klar, quietsch wie diese quietsch Frage mit quietsch dem knarzen quietsch in Verbindung quietsch gebracht werden quietsch kann. Der quietsch Rechtsanwalt möge quietsch hierzu noch quietsch mal besser quietsch vortragen, damit quietsch ich die quietsch Frage genau quietsch beantworten kann quietsch.
2. Mit welchen Fahrzeugen ist das streitgegenständliche Fahrzeug, insbesondere die monierte Geräuschentwicklung, im Rahmen der Begutachtung verglichen worden?
-> Mit dieser quietsch Frage kann quietsch ich leider quietsch nichts anfangen quietsch. Mir ist quietsch nicht klar, quietsch wie diese quietsch Frage mit quietsch dem knarzen quietsch in Verbindung quietsch gebracht werden quietsch kann. Der quietsch Rechtsanwalt möge quietsch hierzu noch quietsch mal besser quietsch vortragen, damit quietsch ich die quietsch Frage genau quietsch beantworten kann quietsch.
…
4. Auf welchen tatsächlichen und empirisch belegten Grundlagen beruht die These, dass die Geräusche geeignet sind, einen Fahrzeugführer im Straßenverkehr abzulenken?
-> Man beachte quietsch „quietsch" in quietsch meiner Ausarbeitung. quietsch Ich gehe quietsch davon aus, quietsch dass das quietsch Wort „quietsch" nicht quietsch den Inhalt quietsch meiner Ausführungen quietsch stört. Begründung quietsch ‒ es ist quietsch nur ein quietsch simples, einfaches quietsch Wort ohne quietsch Belang.
5. Welches Verständnis des Begriffes „erheblich“ liegt der Bewertung der hier streitgegenständlichen Fehler als „erheblich" zugrunde? Warum ist die als Fehler bezeichnete Geräuschbildung unter Berücksichtigung dieser Definition als erheblich zu qualifizieren?
-> Man beachte quietsch das Wort quietsch „quietsch". Dieses quietsch Wort ist quietsch nicht unerheblich, quietsch weil es quietsch nur da quietsch ist und quietsch nichts aussagt, quietsch sondern Es quietsch ist erheblich, quietsch weil es quietsch nervt und somit quietsch den Lesefluss quietsch und damit quietsch das Verständnis quietsch beeinträchtigt.“
In dem Begleitschreiben an das Gericht heißt es wörtlich (Bl. 140 ff. d.A.).:
„Sehr geehrte Vorsitzende,
sehr geehrter Vorsitzender,
Betrifft „quietsch"
Zu dem Wort „quietsch" möchte ich ausführen das es sich nicht um Ironie oder Sarkasmus handelt. Um das kleine, leise, unscheinbare „knarzen" im Verhältnis zum nervenden Effekt darzustellen, fand ich keine andere Möglichkeit, um aufzuzeigen das sehr wohl ein kleines, leises, unscheinbares Geräusch stark nerven kann und somit die Konzentration darunter leidet. Gerade weil es hier um einen Verkehrsteilnehmer geht, der all seine Aufgaben im Straßenverkehr meistern soll/muss. Wenn der Unfall, durch mangelnde Aufmerksamkeit erst mal eingetreten ist, bleibt meisten nur „warum hat man nicht?".
Die Antworten mit der alleinigen Ausführung „quietsch" hat nur die Beklagtenseite bekommen. Sie als Gericht und die Klägerseite hat beide Ausführungen erhalten, das Original und mit „quietsch". Da sich der Inhalt nicht unterscheidet, hoffe ich das das nicht als „parteilich" gilt.
(((!!! Diese Aussage ist nur für das Gericht!!! - Ich habe mal einen Anhänger an mein Auto angehängt. Nach dem ich eine kleine Weile gefahren war, hat die Anhängerklaue auf der Kupplungskugel angefangen leise zu knarzen. Nach eineinhalb Stunden war ich so genervt, dass ich bei McDonald's ein kleines Stück Butter gekauft habe um die Kupplungskugel zu schmieren! Meine Nerven lagen blank und meine Konzentration im Straßenverkehr war schwer mangelhaft. So eine Aussage kann ich natürlich nicht im Gutachten schreiben.)))“
Das Gericht stellte beiden Parteien beide Versionen des Gutachtens und das Begleitschreiben zur Verfügung. Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 28.10.2020 hat die Beklagte den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt (Bl. 149 d.A.). Wegen der aufgeführten Gründe wird auf das Ablehnungsgesuch verwiesen. Die Klägerseite sprach sich mit Schriftsatz vom 23.11.2020 gegen die Ablehnung des Sachverständigen aus (Bl. 164 f. d.A.). Unter dem 09.12.2020 gab der Sachverständige eine Stellungnahme zu dem Ablehnungsgesuch ab (Bl. 165 d.A.). Es sei ihm darum gegangen, den Gutachtengegenstand rhetorisch verständlich darzustellen. Da alle Parteien den gleichen Wortlaut bekommen haben, sehe er keinen Grund für eine Befangenheit.
II.
1.
Das zulässige Ablehnungsgesuch der Beklagten gegen den Sachverständigen war für begründet zu erklären, da aus Sicht der Beklagten objektiv betrachtet ein Grund vorliegt, der Misstrauen in die Unparteilichkeit des Sachverständigen begründet.
Nach § 406 Abs. 1 Satz 1 ZPO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung eines Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu rechtfertigen. Es muss sich dabei um Tatsachen oder Umstände handeln, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und dadurch nicht unparteiisch gegenüber (vgl. BGH, Beschluss vom 15.03.2005 - VI ZB 74/04). Solche Tatsachen können sich u. a. aus dem Verhalten des Sachverständigen ergeben. Einerseits wird der Anschein der Voreingenommenheit noch nicht hervorgerufen, indem das Gutachten inhaltliche Mängel aufweist bzw. lückenhaft ist. Das gilt insbesondere dann, wenn sich die Unzulänglichkeiten bei einer mündlichen Anhörung beseitigen lassen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25.11.2015 - I-15 W 27/15). Eine solche Befürchtung fehlender Unparteilichkeit kann aber dann berechtigt sein, wenn der Sachverständige sich in einer Weise äußert, die als Ausdruck einer unsachlichen Grundhaltung gegenüber einer Partei gedeutet werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 15.03.2005 - VI ZB 74/04 - juris). Die Besorgnis der Befangenheit eines Sachverständigen kann sich auch daraus ergeben, dass er zu erkennen gibt, einzelne Beweisthemen für verfehlt zu halten (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 18.04.2007 - 5 W 90/07). Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Sachverständige tatsächlich befangen ist oder sich selbst für befangen hält (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 08.04.2011 - 3 W 29/11, zit. nach juris, Rn. 25 m.w.N.).
Gemessen an diesen Grundsätzen liegt ein Ablehnungsgrund vor. Der Umstand, dass der Sachverständige für die Beklagte eine gesonderte Fassung des Gutachtens erstellt hat, begründet nach Ansicht des Gerichts schon für sich genommen die Besorgnis der Befangenheit. Dem Sachverständigen kann zwar in gewisser Weise zugute gehalten werden, dass seine Intention war, in besonders plastischer Weise die Erheblichkeit des von ihm angenommenen Sachmangels zum Ausdruck zu bringen. Auch enthält das für die Beklagtenseite vorgesehene Gutachten an sich keinen anderen Inhalt als die Gutachtenversion für das Gericht und die Klägerseite. Abgesehen davon, dass die Vorgehensweise des Sachverständigen aber Ausdruck mangelnder Sachlichkeit ist, verstößt ein solches Verhalten auch in grober Weise gegen die Objektivität, zu welcher der Sachverständige verpflichtet ist. Ein Sachverständiger muss sich den Parteien eines Rechtsstreits gegenüber unparteiisch verhalten, dazu gehört auch, dass er für das Gericht und die Parteien identische Gutachtenausfertigungen einreicht. Ein Sachverständiger, der den Parteien keine identische Erkenntnisgrundlage zur Verfügung stellt, verhält sich nicht neutral. Dadurch entsteht bei objektiver Betrachtung der Anschein der Voreingenommenheit gegenüber einer Partei bzw. der Bevorzugung einer Partei. Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass durch die zahlreichen Einfügungen des Wortes „quietsch“ in den Gutachtentext der Lesefluss und damit auch das Verständnis beeinträchtigt ist. Hierüber war sich der Sachverständige auch durchaus bewusst, wie die Beantwortung von Frage 5 in seinem Ergänzungsgutachten zeigt. Hierauf kam es ihm gerade auch an, um seinen Feststellungen hinsichtlich der Erheblichkeit der „Knarzgeräusche“ sowie der Beeinträchtigung der Gebrauchstauglichkeit des Fahrzeuges „rhetorisch“ Nachdruck zu verleihen. Ein Sachverständiger ist aber dazu verpflichtet, sein Gutachten in einer für das Gericht und die Parteien verständlichen Form zu erstatten. Tut er dies bewusst einer Partei gegenüber nicht, entsteht dadurch der Eindruck, dass er bei seinen Feststellungen von einer bestimmten Grundhaltung zu Lasten dieser Partei geprägt ist.
Erschwerend kommt hier hinzu, dass der Sachverständige in dem Begleitschreiben an das Gericht von subjektiven Erfahrungen zum Thema Geräuschwahrnehmung berichtet, die aber nur für das Gericht bestimmt sind. Er nimmt von diesen vielmehr an, sie nicht in seinem Gutachten erwähnen zu dürfen. Diese mangelnde Offenlegung von Umständen, denen der Sachverständige offenbar eine Bedeutung beimisst, denn nur so erklärt sich die Erwähnung gegenüber dem Gericht, lässt auch bei nüchterner Betrachtung den Eindruck entstehen, dass der Sachverständige den Parteien Informationen vorenthält, aus denen er sich aus seiner Sicht der Gefahr einer bestimmten Voreingenommenheit und damit einem Befangenheitsvorwurf aussetzen könnte. Nachvollziehbar ist es daher, wenn die Beklagte befürchtet, dass nicht objektive Feststellungen, sondern die in dem Begleitschreiben erwähnten subjektiven Erfahrungen des Sachverständigen Grundlage für die von ihm getroffenen Feststellungen hinsichtlich der Erheblichkeit der „Knarzgeräusche“ sowie der Beeinträchtigung der Gebrauchstauglichkeit des Fahrzeuges geworden sind. Dies gilt umso mehr als das Gutachten keine näheren Feststellungen zu Intensität, Häufigkeit und Ausmaß der streitgegenständlichen „Knarzgeräusche“ trifft, sondern die Erheblichkeit annimmt, weil das Geräusch „nervt“ bzw. weil es nicht selten und nicht leise sei.
Der aus der Sicht der ablehnenden Partei begründete Verdacht, dass der Sachverständige nicht willens oder in der Lage ist, sich mit der notwendigen Sachlichkeit und Unvoreingenommenheit mit ihren Einwendungen gegen seine gutachterlichen Feststellungen auseinanderzusetzen, wird darüber hinaus dadurch begründet, dass der Sachverständige zwei Ergänzungsfragen der Beklagten nicht beantwortet hat mit der Begründung, er könne mit den Fragen nichts anfangen; ihm sei nicht klar, wie diese Fragen mit dem Knarzen in Verbindung gebracht werden könnten. Hierdurch kann sich aus Sicht der Beklagten - zumindest in der Gesamtschau des Verhaltens des Sachverständigen - der Schluss aufdrängen, dass der Sachverständige ohne sachlichen Grund zu einer weiteren Erläuterung seines Gutachtens bzw. zu einer Auseinandersetzung mit ihrem Parteivorbringen nicht oder nur widerwillig bereit ist. Dass dies von der Beklagten als Parteilichkeit verstanden wird, ist zumindest verständlich, da dieses Vorgehen erneut zu ihren Lasten erfolgt, zumal die in diesem Zusammenhang verwendete Wortwahl „der Rechtsanwalt möge hierzu noch mal besser vortragen“ als abfällige und abwertende Kritik des Sachverständigen an der Prozessführung der Beklagten verstanden werden kann, die ebenfalls Zweifel an seiner Unparteilichkeit wecken kann (vgl. hierzu auch OLG Rostock, a. a. O., sowie OLG München, Beschluss vom 28.03.2011, 1 W 240/11, zit. nach juris, Tz. 5).
Dem Ablehnungsgesuch war mithin stattzugeben.
2.
Die Vergütung des Sachverständigen war auf 0,00 € festzusetzten und die Erstattung der bereits geleisteten Vergütung anzuordnen.
Nach § 8a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 JVEG entfällt eine Vergütung, wenn der Sachverständige im Rahmen der Leistungserbringung grob fahrlässig oder vorsätzlich Gründe geschaffen hat, die einen Beteiligten zur Ablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit berechtigen. Die Voraussetzungen für die Versagung der Entschädigung liegen hier vor. Der Sachverständige hat seine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit grob fahrlässig herbeigeführt.
Grob fahrlässig ist ein Verhalten, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt wird, wenn mithin schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt werden und das nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall jedem einleuchten müsste und sich geradezu aufdrängt. Bei der groben Fahrlässigkeit handelt es sich um eine subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung, die das gewöhnliche Maß der Fahrlässigkeit des § 276 Abs. 1 BGB erheblich übersteigt (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 04.05.2020 ‒ 12 W 31/19).
Nach diesem Maßstab ist das Verhalten des Sachverständigen, das zumindest in seiner Gesamtschau die Grenzen der Sachlichkeit überschreitet, als grob fahrlässig zu bewerten. Die einseitige Akzentuierung seiner Feststellungen steht in eklatantem Widerspruch zur Aufgabe des zur Unparteilichkeit aufgerufenen gerichtlichen Sachverständigen. Die absolut erforderliche Unparteilichkeit des Sachverständigen gebietet es, dass sich der Sachverständige während der Zeit der Gutachtenerstattung den Parteien gegenüber neutral verhält und dass er an die Beantwortung der Beweisfragen unvoreingenommen und objektiv herangeht. Nach Ansicht der Kammer macht ‒ wie oben schon ausgeführt ‒ bereits der durch seine gesonderte Gutachtenerstattung für die Beklagtenseite verursachte Anschein von Parteilichkeit das Gutachten unbrauchbar, unabhängig davon, ob es in allen sachlichen Feststellungen ohne Mängel ist.
Indem der Sachverständige den Parteien keine identischen Gutachtenausführungen zur Verfügung stellte, hat er als gerichtlich bestellter Sachverständiger gegen elementare Grundsätze seiner Berufsausübung verstoßen, was als grob fahrlässig zu bewerten ist. Es ist auch kein Grund ersichtlich, warum den Parteien zusätzliche Kosten entstehen sollen, weil sich der Sachverständige nicht an wesentliche Grundsätze seiner Berufsausübung gehalten hat.
Dabei ist unerheblich, dass der Sachverständige hier „hoffte“ sich durch sein Vorgehen nicht parteiisch zu verhalten. Maßgeblich ist, dass dem Sachverständigen hätte bewusst sein müssen, dass sein Verhalten dazu führt, dass ein etwaiger Ablehnungsantrag erfolgreich sein wird. Das ist hier der Fall. Wie bereits festgestellt hat er einfachste und ganz naheliegende Überlegungen zu den Anforderungen an eine Gutachtenerstellung nicht angestellt und dadurch seine Grundpflichten als gerichtlich bestellter Sachverständiger grob fahrlässig außer Acht gelassen.
Wird ein Sachverständiger aus Gründen, die er grob fahrlässig herbeigeführt hat, erfolgreich abgelehnt, so führt das dazu, dass in aller Regel sein Gutachten nicht verwertbar ist und ein neuer Sachverständiger die gesamte Gutachtertätigkeit erneut durchführt. Dem Sachverständigen steht daher kein Entschädigungsanspruch zu. Allerdings kann in Einzelfällen eine Verwertung des Gutachtens des abgelehnten Sachverständigen in Betracht kommen, wenn der neue Sachverständige teilweise Feststellungen des abgelehnten Sachverständigen ohne eigene neue Überprüfungen heranzieht und sich dadurch die bei dem neuen Sachverständigen entstehenden Kosten reduzieren oder wenn sich die Parteien das Gutachten - etwa als Basis eines Vergleichs - zu eigen machen. Dies ändert aber nichts daran, dass solange eine derartige ausnahmsweise Verwertungsmöglichkeit nicht feststeht, der Sachverständige keinen Entschädigungsanspruch hat. Sollte sich im weiteren Verlauf des Verfahrens ergeben, dass das Gutachten des Sachverständigen doch noch ganz oder teilweise verwertet wird, so würde mit dieser Verwertung zugunsten des Sachverständigen ein Entschädigungsanspruch entstehen. Verjährungsprobleme gibt es insoweit nicht, da die Verjährung erst mit der Entstehung des Anspruchs einsetzen kann (vgl. OLG München, Beschluss vom 11. 5. 1998 - 11 W 864‒98).