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  • 09.12.2021 · IWW-Abrufnummer 226268

    Oberlandesgericht Düsseldorf: Urteil vom 18.10.2021 – 6 U 418/20

    Bei der Festsetzung des Streitwertes für den Rechtsstreit und den Vergleich bleiben in Darlehenswiderrufsfällen bei verbundenen Geschäften (hier: finanzierter PKW-Kauf) die im Wege einer Hilfsaufrechnung und/oder einer Hilfswiderklage von der beklagten Bank verfolgten Ansprüche auf Ersatz des Wertverlustes des PKW wegen wirtschaftlicher Identität unberücksichtigt.



    Tenor:

    Die als Gegenvorstellung auszulegende Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 25.08.2021 gegen die Streitwertfestsetzung in dem Beschluss vom 05.08.2021 wird zurückgewiesen.
     
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    Gründe:
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    Eine Beschwerde gegen die Streitwertfestsetzung ist unstatthaft, weil nach § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG i. V. m. § 66 Abs. 3 GKG eine Beschwerde an einen obersten Gerichtshof des Bundes nicht stattfindet. Die Streitwertbeschwerde war daher als Gegenvorstellung auszulegen, über die der Senat selbst zu entscheiden hat. Die Gegenvorstellung ist nicht begründet. Der Senat hält auch in Ansehung der Ausführungen in dem Schriftsatz vom 25.08.2021 an seiner Auffassung fest, wonach die Hilfsaufrechnung und die Hilfswiderklage der Beklagten nicht streitwerterhöhend zu berücksichtigen sind.
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    1. Der Senat hat den Streitwert für das Berufungsverfahren und den Vergleich in seinem Beschluss vom 05.08.2021 zutreffend entsprechend der Höhe des Nettodarlehensbetrages auf 23.737,45 € festgesetzt. Dass der Wert des vom Kläger verfolgten Klagebegehrens sich nach der Summe des Nettodarlehensbetrages richtet, wird von dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten auch nicht in Frage gestellt und entspricht der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 19.01.2021 - XI ZR 106/20).
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    2. Eine streitwerterhöhende Berücksichtigung des mit der Hilfsaufrechnung und der Hilfswiderklage für den Fall, dass das Gericht den vom Kläger erklärten Widerruf für wirksam erachten sollte, geltend gemachten Anspruchs der Beklagten gegen den Kläger auf Ersatz des Wertverlustes des Fahrzeugs, welches der Kläger in diesem Fall an die Beklagte herauszugeben hätte, findet nicht statt.
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    a) Gemäß § 45 Abs. 1 GKG werden in einer Klage und in einer Widerklage geltend gemachte Ansprüche zusammengerechnet; ein hilfsweise geltend gemachter Anspruch wird mit dem Hauptanspruch aber nur zusammengerechnet, soweit eine Entscheidung über ihn ergeht. Nach § 45 Abs. 1 S. 3 GKG ist nur der höhere Wert maßgebend, wenn die Ansprüche denselben Gegenstand betreffen. Macht der Beklagte hilfsweise die Aufrechnung mit einer bestrittenen Gegenforderung geltend, erhöht sich gemäß § 45 Abs. 3 GKG der Streitwert um den Wert der Gegenforderung, soweit eine der Rechtskraft fähige Entscheidung über sie ergeht. Gemäß § 45 Abs. 4 GKG sind diese Absätze bei einer Erledigung des Rechtsstreits durch Vergleich entsprechend anzuwenden.
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    b) Ob sich im Falle des Vergleichsabschlusses aufgrund der in § 45 Abs. 4 GKG angeordneten Analogie nur der Gegenstandswert des Vergleichs, oder auch derjenige des Rechtsstreits erhöht, kann dahinstehen. Selbst wenn man mit der - wohl herrschenden Auffassung - davon ausgehen wollte, dass diese Analogie dann zu einer Erhöhung beider Gegenstandswerte führt, wenn die Parteien in ihrer materiell-rechtlichen vergleichsweisen Einigung zugleich Regelungen über die zur Hilfsaufrechnung gestellten Forderungen getroffen, diese also miterledigt haben, und es für eine Werterhöhung nicht darauf ankommt, dass auch im Falle einer gerichtlichen Entscheidung (statt des Vergleichs) eine entsprechende Wertaddition erfolgen müsste, gelangte man vorliegend nicht zu der begehrten Erhöhung der Gegenstandswerte.
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    aa) Es ist bereits fraglich, ob die erstinstanzlich hilfsweise geltend gemachten Gegenansprüche der Beklagten von dem am 05.08.2021 festgestellten Vergleich umfasst sind und von einer entsprechenden Erledigungswirkung der Hilfsbegehren ausgegangen werden kann. Gegen die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche aus einem vermeintlich bestehenden Rückabwicklungsschuldverhältnis nach dem vom Kläger erklärten Widerruf seiner auf den Abschluss des mit der Beklagten geschlossenen Darlehensvertrages gerichteten Willenserklärung hat die Beklagte, die auf die Berufungsbegründung des Klägers vor dem Zustandekommen des Vergleichs nicht erwidert hat, sich in I. Instanz primär damit verteidigt, dass sich das Darlehen nicht in ein Rückgewährschuldverhältnis gewandelt habe, weil das dem Kläger ursprünglich zustehende Widerrufsrecht zum Zeitpunkt seiner Ausübung bereits verfristet gewesen sei. Nur hilfsweise, bedingt für den Fall, dass das Landgericht den vom Kläger erklärten Widerruf für wirksam erachten und infolgedessen von einer Umwandlung des zwischen den Parteien bestehenden Darlehensvertrages in ein Rückgewährschuldverhältnis mit entsprechenden wechselseitigen Ansprüchen ausgehen sollte, hat die Beklagte die ihr nach ihrer Auffassung im Rahmen eines Rückgewährschuldverhältnisses gegen den Kläger zustehenden Ansprüche auf Ersatz des Wertverlustes des vom Kläger zurückzugebenden Fahrzeuges in Höhe eines von ihr im ersten Rechtszug berechneten Betrages von 6.813,50 € hilfsweise zur Aufrechnung gestellt und hinsichtlich weitergehender Ansprüche hilfswiderklagend Feststellung begehrt.
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    Im Vergleich haben sich die Parteien „trotz des Widerrufs“ darauf verständigt, dass der Darlehensvertrag nicht rückabgewickelt und das finanzierte Fahrzeug vom Kläger nicht zurückgegeben wird, sondern bei ihm verbleibt. Der Darlehensvertrag sollte also nicht in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt werden. Die Beklagte hat sich vielmehr dazu verpflichtet, an den Kläger einen Betrag i.H.v. 750,00 € zu leisten. Mit dieser Zahlung sollten allerdings nach der Bestimmung unter Ziffer 3. des Vergleichs die Klageforderungen und die im Rahmen der Hilfswiderklage und Hilfsaufrechnung geltend gemachten Ansprüche sowie alle wechselseitigen Ansprüche zwischen den Parteien aus einem etwaigen Rückabwicklungsschuldverhältnis insgesamt erledigt sein und als erfüllt gelten. Ob durch diese Regelung, bei der es beim verbundenen Vertrag verbleibt, die nur im Fall einer Umwandlung des Darlehensvertrages in ein Rückgewährschuldverhältnis überhaupt entstehenden und daher nur für diesen Fall hilfsweise geltend gemachten Hilfsbegehren allein durch die Regelung, sie seien durch den Zahlbetrag mitabgegolten, vergleichbar einer Entscheidung geregelt wurden (ablehnend bei einer vergleichbaren Fallkonstellation: OLG Frankfurt, Beschluss vom 24.02.2020 - 17 W 37/19, zitiert nach juris Rn. 15) oder ob es, wovon anscheinend die von dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten zitierten Oberlandesgerichte Celle (Beschluss vom 21.04.2021 - 3 U 149/20), Brandenburg (Beschluss vom 22.07.2021 - 4 W 25/21), Stuttgart (Beschluss vom 01.04.2020 - 6 U 316/18) und München (Beschluss vom 26.07.2021 - 19 W 1057/21) ausgehen, ausreicht, dass der Rechtsstreit insgesamt, d.h. einschließlich der Hilfsbegehren, eine vergleichsweise Erledigung findet, braucht nicht entschieden zu werden.
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    bb) Der Berücksichtigung der hilfsweise verfolgten Gegenansprüche der Beklagten steht entgegen, dass ihnen die Qualität eines vom Bestehen der Klageforderung unabhängigen wirtschaftlichen Wertes fehlt, die aber Voraussetzung der Addition der Werte gemäß § 45 Abs. 1 S. 1 GKG ist. Es kann nur eine sekundäre Verteidigung streitwerterhöhend sein, die wirtschaftlich nicht identisch ist (Rohn in Mayer/Kroiß, RVG, 7. Aufl., § 45 GKG Rn. 45; Kurpat in Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 2. Aufl., §§ 45 GKG Rn. 28; OLG Nürnberg, Beschluss vom 18. Juli 2018 - 11 W 1094/18 ‒, Rn. 7 - 10, juris). Schindler (in Beck-OK Kostenrecht § 45 GKG Rn. 25) spricht treffend von einer „eigenständigen wirtschaftlichen Bedeutung“ der Gegenforderung, mit der hilfsweise aufgerechnet wird.
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    Der hilfsweise geltend gemachte Anspruch der Beklagten auf Ersatz des bei Rückgabe des finanzierten Fahrzeuges vorhandenen Wertverlustes ist hingegen zum einen nicht selbständig. Er kommt nur dann zur Entstehung, wenn ihre Einwendungen gegen die Entstehung der Hauptforderung nicht durchgreifen, es also überhaupt zu einem Rückabwicklungsschuldverhältnis mit wechselseitigen Rückgewähransprüchen der Parteien kommt. Der mit der Hilfsaufrechnung und der Hilfswiderklage geltend gemachte Wertersatzanspruch hängt damit unmittelbar von der Begründetheit der Hauptforderung ab. Kommt es dagegen nicht zu einem Rückgewährschuldverhältnis, hat der Kläger das finanzierte Fahrzeug nicht zurückzugeben und es entsteht auch kein Anspruch der Beklagten auf Ersatz des zum Zeitpunkt der Rückgabe bestehenden Wertverlustes. Zum anderen handelt es sich nicht um eine „echte“ Aufrechnung, d.h. um eine solche mit einer eigenständigen Forderung der Beklagten gegen den Kläger, sondern lediglich um eine anderweitige Verteidigung gegen dessen Anspruch. Untechnisch gesprochen handelt es sich bei dem Wertersatzanspruch um eine weitere (rechtsvernichtende) Einwendung gegen den Klageanspruch selbst, der nur deshalb im Wege der Aufrechnung entgegengehalten und nicht automatisch verrechnet wird, weil wechselseitige Ansprüche nach § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB in Verbindung mit §§ 346 ff. BGB keiner automatischen Verrechnung unterliegen.
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    cc) Bei der letztlich identischen Frage, ob sich der Streitwert durch die Erhebung einer Widerklage erhöht oder ob „derselbe Gegenstand“ im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG vorliegt, stellt der Bundesgerichtshof ebenfalls nicht auf den zivilprozessualen Streitgegenstandsbegriff ab, sondern fordert eine wirtschaftliche Betrachtung. Bei dem Begriff des "Gegenstands" in § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG handelt es sich um einen selbständigen kostenrechtlichen Begriff, der eine solche wirtschaftliche Betrachtung erfordert (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2004 - IV ZR 287/03, NJW-RR 2005, 506; Beschluss vom 12. September 2013 - I ZR 61/11, juris Rn. 6). Eine Zusammenrechnung hat nicht zu erfolgen, wenn ein wirtschaftlich identisches Interesse betroffen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 12. April 2010 - II ZR 34/07, juris Rn. 4; Beschluss vom 12. September 2013 - I ZR 61/11, juris Rn. 6). Eine Zusammenrechnung hat grundsätzlich nur dort zu erfolgen, wo durch das Nebeneinander von Klage und Widerklage eine „wirtschaftliche Werthäufung” entsteht, beide also nicht das wirtschaftlich identische Interesse betreffen. Eine solche wirtschaftliche Identität von Klage und Widerklage liegt nach der von der Rechtsprechung entwickelten „Identitätsformel” u.a. dann vor, wenn die Ansprüche aus Klage und Widerklage nicht in der Weise nebeneinander stehen können, dass das Gericht unter Umständen beiden stattgeben kann, sondern die Verurteilung nach dem einen Antrag notwendigerweise die Abweisung des anderen Antrags nach sich zieht (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Februar 2003 - III ZR 115/02, NJW-RR 2003, 713; Beschluss vom 12. April 2010 - II ZR 34/07, juris Rn. 4; Beschluss vom 6. Juni 2013 - I ZR 190/11, juris Rn. 11; Beschluss vom 12. September 2013 - I ZR 61/11, juris Rn. 6). Anders ausgedrückt liegt wirtschaftliche Identität in diesem Sinne dann vor, wenn die in ein Eventualverhältnis gestellten Ansprüche nicht in der Weise nebeneinander bestehen können, dass - die vom Widerkläger gesetzte Bedingung fortgedacht - allen stattgegeben werden könnte, sondern die Verurteilung gemäß dem einen Antrag notwendigerweise die Abweisung des anderen Antrags nach sich zöge (BGH, Beschluss vom 11. April 2019 - I ZR 205/18 -, Rn. 7, juris).
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    Das ist zwar hier nicht der Fall, weil im Falle der Wirksamkeit des Widerrufs beiden Parteien Ansprüche zugestanden hätten und die Verurteilung der Beklagten nicht zur Erfolglosigkeit der Hilfsaufrechnung sowie der Hilfswiderklage geführt hätte. Dies steht aber der Annahme einer die Addition der Werte hindernder wirtschaftlicher Identität nicht entgegen. Vorliegend hätte das Nichtbestehen (oder die Abweisung) der Hauptforderung nämlich zur Folge gehabt, dass die Gegenforderung ebenfalls nicht entstanden wäre. Die von der Beklagten gesetzte prozessuale Bedingung fortgedacht, hätte also nicht sowohl der Klageforderung als auch der Widerklageforderung stattgegeben werden können, sondern wäre die Klage ohne jede Befassung mit dem Gegenanspruch der Beklagten abgewiesen worden. Es handelt sich um einen einheitlichen Lebenssachverhalt, aus dem die Parteien jeweils Ansprüche herleiten, die entweder beide bestehen oder beide nicht bestehen.
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    dd) Anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Identitätsgrundsatz dann nicht eingreift, wenn mit Klage und Widerklage Teilansprüche aus demselben Rechtsverhältnis hergeleitet werden, die sich rechtlich zwar wechselseitig ausschließen, wirtschaftlich aber nicht überschneiden, sondern unterschiedliche Vermögenspositionen betreffen (vgl. BGH, Beschluss vom 11.03.2014 - V ZR 261/12, juris Rz. 5 mit Beispielsfällen). Denn so liegen die Dinge hier nicht. Es fehlt an einem Streit um die Summe zweier wirtschaftlich eigenständiger Forderungen aus einem einheitlichen Rechtsverhältnis, da das Bestehen des Anspruchs der Beklagten vom Bestehen desjenigen des Klägers gerade abhängt. Hinzu tritt: In Fällen finanzierter Kapitalanlagegeschäfte begehrt der Kläger wirtschaftlich betrachtet so gestellt zu werden, als hätte er das Geschäft nicht getätigt. Dann hätte er auch das finanzierte und im Falle der Wirksamkeit seines Widerrufs herauszugebende Fahrzeug nicht nutzen können. Eigentlich hätte der Kläger das Fahrzeug in dem Zustand herauszugeben, welches es bei Abschluss der Verträge gehabt hat. Da dies naturgemäß unmöglich ist, schuldet er der Beklagten Ersatz für den in der Zwischenzeit eingetretenen Wertverlust des Fahrzeugs. Da dieser aber nach oben begrenzt ist durch den ursprünglichen Fahrzeugwert zeigt sich, dass sich die Ansprüche beider Parteien wirtschaftlich gerade überschneiden und keine unterschiedlichen Vermögenspositionen betreffen.
     

    RechtsgebietZivilprozess Vorschriften§ 45 Abs. 1, Abs. 3, Abs. 4 GKG