28.12.2021 · IWW-Abrufnummer 226610
Sozialgericht Marburg: Urteil vom 01.11.2021 – S 10 SF 22/19 E
1. In der Konstellation, dass vorgerichtlich mehrere Geschäftsgebühren, anschließend aber nur eine Verfahrensgebühr angefallen ist, bestimmt sich der abstrakte Anrechnungsbetrag gemäß § 15a Abs. 1 RVG indem alle entstandenen Geschäftsgebühren in der tatsächlichen Höhe anteilig auf die Verfahrensgebühr angerechnet werden.
2. Die hierzu ergangene Rechtsprechung des BGH (Beschluss v. 28.02.2017 - Az. I ZB 55/16) ist auch bei Betragsrahmengebühren anwendbar.
3. Beratungshilfe kann jedenfalls dann nicht angerechnet werden, wenn der Erinnerungsführer tatsächlich keine Zahlungen erhalten hat.
Tenor
Auf die Erinnerung wird die Vergütungsfestsetzung vom 15.01.2019 dahingehend abgeändert, dass die aus der Staatskasse an den Erinnerungsführer zu gewährende Vergütung für das Verfahren S 9 SO 16/18 antragsgemäß auf insgesamt 518,88 € festgesetzt wird.
Kosten des Erinnerungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die Höhe der dem Erinnerungsführer aus der Staatskasse zu gewährenden Vergütung für das Ausgangsverfahren vor dem Sozialgericht Marburg unter dem Aktenzeichen S 9 SO 16/18. Dabei geht es mittlerweile nur noch um die Frage der Anrechnung zweier Geschäftsgebühren nach Nr. 2302 VV-RVG auf die Verfahrensgebühr.
Der damalige Kläger wurde sowohl im genannten Ausgangsverfahren als auch in den vorangegangenen Widerspruchsverfahren von dem Erinnerungsführer anwaltlich vertreten.
So legte dieser gegen den Bescheid vom 07.07.2017 und gegen den Bescheid vom 24.08.2017 Widerspruch ein. Die beiden Widerspruchsverfahren wurden mit Erlass des Widerspruchsbescheides vom 15.02.2018 beendet. Anschließend erhob der Kläger Klage am Sozialgericht Marburg (Eingangsdatum: 01.03.2018) und beantragte zugleich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Erinnerungsführers. Mit Beschluss des Gerichts vom 28.06.2018 wurde dem Prozesskostenhilfeantrag vollumfänglich stattgegeben.
In der Sache stritten die Beteiligten um eine monatliche Heizkostenvorauszahlung in Höhe von 75,00 €. Das Verfahren erledigte sich durch Vergleichsschluss vom 31.10.2018 im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage, wobei der Beklagte 30 % der außergerichtlichen Kosten des Klägers übernahm.
Anschließend beantragte der Erinnerungsführer mit Schriftsatz vom 07.12.2018 die Gebühren und Auslagen aus der Staatskasse für das Ausgangsverfahren in Höhe von insgesamt 518,88 € festzusetzen.
Dabei stellte er die bereits angefallenen und erstatteten Gebühren sowie die beantragten Kosten wie folgt dar (Auszug aus dem Schriftsatz vom 07.12.20218):
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Der Beklagte des Ausgangsverfahrens erstattete die außergerichtlichen Kosten antragsgemäß und überwies 531,95 €.
Am 15.01.2019 2019 nahm die zuständige Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die Vergütungsfestsetzung für das Ausgangsverfahren vor. Sie wich von dem Festsetzungsantrag des Erinnerungsführers ab und setzte insgesamt einen Vergütungsanspruch in Höhe von 693,48 € fest und zahlte nach Abzug des Vorschusses einen Betrag von 373,48 € aus. Dabei rechnete sie bei der Bestimmung der Verfahrensgebühr die bereits erhaltenen außergerichtlichen Kosten im Vorverfahren in Höhe von 175,00 € an.
Mit Schriftsatz vom 05.03.2019 hat der Erinnerungsführer gegen die PKH-Festsetzung Erinnerung eingelegt. Gegen die Anrechnung der Vorverfahrensgebühren habe er keine Einwände. Allerdings seien die Vorverfahrensgebühren überhöht angerechnet worden. Als angemessene Geschäftsgebühren sei in den beiden Vorverfahren 345,00 € bzw. 200,00 € angesetzt worden. Von diesem Betrag hätte der Beklagte aber nur 30 % gezahlt, was einem Betrag von 162,50 € entspräche. Hiervon sei bei der Kostenberechnung für die Staatskasse 50 % (81,75 €) anzurechnen. 70 % der angefallenen Vorverfahrensgebühren habe er nicht abrechnen können, da sein Mandant beratungshilfeberechtigt gewesen sei und deshalb ein Anspruch gegen diesen nicht bestehen würde. Die abstrakte Beratungshilfeberechtigung führe nicht zu einer Anrechnung nach § 58 RVG, da keine tatsächlichen Zahlungen erfolgt seien. Zu der Festsetzung zweier Geschäftsgebühren nach Ziff. 2302 VV RVG werde darauf hingewiesen, dass zwei Vorverfahren zu unterschiedlichen Sachverhalten durchgeführt worden seien. In jedem der Verfahren sei eine Geschäftsgebühr angefallen, wobei im Verfahren zum Bescheid vom 24.08.2017 wegen Synergieeffekten eine herabgesetzte Geschäftsgebühr geltend gemacht worden sei. Der Beklagte hätte die Gebührenfestsetzung nicht beanstandet.
Die zuständige Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat der Erinnerung nicht abgeholfen.
Der Erinnerungsführer beantragt sinngemäß
die Vergütungsfestsetzung vom 15.01.2019 dahingehend abzuändern, dass die von der Staatskasse an den Erinnerungsführer zu gewährende Vergütung für das Verfahren S 9 SO 16/18 auf insgesamt 518,88 € festgesetzt wird.
Die Erinnerungsgegnerin beantragt,
die Vergütungsfestsetzung der Urkundsbeamtin abzuändern und die aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung auf die beantragten 518,88 € zu begrenzen.
Sie hat auf die Grundsatzentscheidung des Kostensenats des Hessischen Landessozialgerichts (<HLSG>, Beschluss vom 13.05.2019, L 2 AS 241/18 B) hingewiesen. Nach der obergerichtlichen Entscheidung käme im vorliegenden Fall wohl keine Anrechnung mehr in Betracht. Jedoch habe der Anwalt mitgeteilt, dass der Mandant beratungshilfeberechtigt sei. Dies werfe die folgenden Fragen auf:
„Wirkt sich der Umstand, insbesondere bei der Ermittlung des abstrakten Gesamtbetrags gemäß § 15a Abs. 1 RVG, aus?
Mindert die Berechtigung für die Beratungshilfe den Gesamtgebührenanspruch zwischen Rechtsanwalt und Auftraggeber, sodass eine Anrechnung nach § 58 RVG nicht auszuschließen wäre?
Ist die Geltendmachung zweier Geschäftsgebühren im Hinblick auf § 63 SGB X zulässig?“
Im Verfahrensverlauf hat die Erinnerungsgegnerin mitgeteilt, dass sie im Hinblick auf den HLSG-Beschluss vom 14.04.2020 (Az. L 2 AS 255/19 B) die Frage der Auswirkungen der Beratungshilfeberechtigung im vorliegenden Fall für erledigt ansehe. Im Wesentlichen sei nur noch die Anrechnung der Geschäftsgebühren nach Nr. 2302 VV-RVG streitig. Zum Anrechnungsthema habe der Kostensenat mit Beschluss vom 17.06.2019 (Az. L 2 AS 241/16 E, Juris) eine Grundsatzentscheidung getroffen, die sich aber leider nicht zu der Besonderheit der zwei Geschäftsgebühren verhalten würde. Unter Berücksichtigung der Kommentarliteratur und BGH-Rechtsprechung gehe sie davon aus, dass zur Ermittlung des Gesamtanspruchs des Anwalts gemäß § 15a Abs. 1 RVG beide entstandenen Geschäftsgebühren hälftig auf die Verfahrensgebühr anzurechnen seien. Dies ergäbe ihrer Ansicht nach die folgende Berechnung, wobei aber zu berücksichtigen sei, dass nicht mehr als beantragt vergütet werden könne:
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte verwiesen. Darüber hinaus wird die beigezogene Gerichtsakte des Ausgangsverfahrens vor dem Sozialgericht Marburg (Aktenzeichen: S 9 SO 16/18) in Bezug genommen. Beide Akten haben der Entscheidungsfindung zugrunde gelegen.
II.
Die Erinnerung gegen die Vergütungsfestsetzung vom 15.01.2019 ist zulässig. Sie ist nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) statthaft. Der Erinnerungsführer ist dem Kläger des Ausgangsverfahren durch Beschluss des Gerichts vom 28.06.2018 beigeordnet worden und daher zur Erhebung des Rechtsbehelfs berechtigt.
Die Erinnerung ist auch in der Sache begründet.
Streitgegenstand ist der Umfang der Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr.
Die insoweit angegriffene Vergütungsfestsetzung durch die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle ist abzuändern, da sie die Vergütung des Erinnerungsführers zu niedrig festsetzt. Dem Erinnerungsführer steht gegen die Staatskasse für seine Tätigkeit als beigeordneter Rechtsanwalt in dem Verfahren S 9 SO 16/18 vor dem Sozialgericht Marburg ein Vergütungsanspruch in beantragter Höhe von 518,88 € zu.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 RVG entstehen in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist, Betragsrahmengebühren, die dem im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt aus der Landeskasse zu erstatten sind (§ 45 Abs. 1 RVG). Bei dem Ausgangsverfahren handelt es sich um ein Klageverfahren mit einem kostenprivilegierten Beteiligten im Sinne von § 183 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), so dass die Anwendung des GKG gemäß § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG ausscheidet.
Die Höhe der Vergütung errechnet sich nach dem Vergütungsverzeichnis der Anlage 1 zum RVG. Die Höhe der Rahmengebühr bestimmt nach § 14 Abs. 1 RVG der Rechtsanwalt im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen (Satz 1). Bei Rahmengebühren ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen (Satz 3). Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (Satz 4), wobei ihm ein Spielraum bzw. eine Toleranzgrenze von 20 % zusteht (BSG, Urteil vom 01.07.2009, B 4 AS 21/09 R, BSGE 104, 30-41). Unbilligkeit liegt vor, wenn der Rechtsanwalt die Kriterien des § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG unter Beachtung des Beurteilungsspielraums objektiv nicht hinreichend beachtet. Im Fall einer nicht verbindlichen, d.h. nicht der Billigkeit entsprechenden Bestimmung der Gebühr durch den Rechtsanwalt, wird die Gebühr im Kostenfestsetzungsverfahren bestimmt. Der gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 RVG zuständige Urkundsbeamte der Geschäftsstelle (Kostenbeamter), im Fall der Erinnerung das gemäß § 56 Abs. 1 RVG zuständige Gericht und im Fall der Beschwerde das Beschwerdegericht gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG sind befugt und verpflichtet, die von dem Rechtsanwalt bestimmten Gebühren auf ihre Billigkeit hin zu überprüfen und bei Feststellung der Unbilligkeit die Gebühr selbst festzusetzen.
Die vom Erinnerungsführer geltend gemachten Gebühren entsprechen der Billigkeit.
Im Ergebnis ist nicht zu beanstanden, dass der Erinnerungsführer die nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG vorgesehene Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr im Rahmen seiner Gebührenrechnung unterlassen hat.
Zu berücksichtigen sind für die Anrechnung nur tatsächliche Zahlungen (vgl. HLSG, Beschluss vom 03.02.2015, Az. L 2 AS 605/14 B).
Nach § 15a Abs. 1 RVG kann ein Rechtsanwalt, wenn das RVG die Anrechnung einer Gebühr auf eine andere Gebühr vorsieht, beide Gebühren fordern, jedoch nicht mehr als den um den Anrechnungsbetrag verminderten Gesamtbetrag der beiden Gebühren. Ein Dritter kann sich gemäß § 15a Abs. 2 RVG auf die Anrechnung nur berufen, soweit er den Anspruch auf eine der beiden Gebühren erfüllt hat, wegen eines dieser Ansprüche gegen ihn ein Vollstreckungstitel besteht oder beide Gebühren in demselben Verfahren gegen ihn geltend gemacht werden.
Maßgeblich für das Verhältnis der Staatskasse und dem Rechtsanwalt ist § 15a Abs. 1 RVG, was unter anderem bedeutet, dass die Staatskasse keine Zahlungen erbringen muss, die über dem Gesamtbetrag der zu fordernden Gebühren liegen (vgl. HLSG, Beschluss vom 13.05.2019, L 2 AS 241/18 B, Rn. 35 juris). Die Staatskasse kann sich jedoch nicht auf eine direkte Anrechnung gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG berufen, sondern stattdessen greift § 58 Abs. 2 RVG ein. Danach gilt, dass Vorschüsse und Zahlungen, die der Rechtsanwalt vor oder nach der Beiordnung erhalten hat, zunächst auf die Vergütungen anzurechnen sind, für die ein Anspruch gegen die Staatskasse nicht oder nur unter den Voraussetzungen des § 50 RVG besteht. Diese Regelung trägt dem Umstand Rechnung, dass es einen gequotelten Anspruch aus der Prozesskostenhilfe nicht gibt, dieser vielmehr immer voll entsteht. Tatsächliche Zahlungen Dritter auf gleiche Gebühren wie diejenigen, die im Rahmen der Prozesskostenhilfe zu erstatten sind, werden nach dieser Norm angerechnet und somit die schon eingetretene Erfüllung des Gebührenanspruchs durch Dritte im Rahmen der Prozesskostenhilfegewährung berücksichtigt. Dabei sind aber Vorschüsse und Zahlungen, die der Rechtsanwalt erhalten hat, nur nachrangig auf die Vergütung gegenüber der Staatskasse anzurechnen. Vorrangig erfolgt eine Verrechnung auf die Differenzvergütung des Rechtsanwalts, das heißt auf Beträge, für welche ein Anspruch gegen die Staatskasse nicht oder nur im Umfang des § 50 RVG besteht. Die Intention des Gesetzgebers ist hierbei, die Grundansprüche des Rechtsanwalts gegenüber der Staatskasse aus der Beiordnung zunächst nicht zu schmälern. Eine Anrechnung der Geschäftsgebühr Nr. 2300 VV RVG auf die Verfahrensgebühr gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG kommt unter dem Rechtsgedanken des § 58 Abs. 2 RVG im Verhältnis zur Staatskasse nur dann und insoweit in Betracht, wenn ansonsten der Rechtsanwalt mehr als seine vollen Regelanwaltsgebühren erhalten würde (vgl. HLSG, Beschluss vom 13.05.2019, L 2 AS 241/18 B, Rn. 36 juris m.w.N.).
In Übereinstimmung mit dem Kostensenat des HLSG (s. HLSG, Beschluss vom 13.05.2019, L 2 AS 241/18 B, Rn. 38 f. juris) ist der Anrechnungsbetrag wie folgt zu bestimmen:
Summe von ungekürzter Verfahrensgebühr, die von der Staatskasse verlangt werden kann + tatsächlich gezahlte Gebühren anderen Kostenschuldner
abzüglich
des abstrakten Gesamtbetrages gemäß § 15a Abs. 1 RVG
=
Anrechnungsbetrag, der von der Verfahrensgebühr seitens der Staatskasse in Abzug zu bringen ist.
Im vorliegenden Verfahren wurden von dem Beklagten des Ausgangsverfahrens an den Erinnerungsführer von den für die Berechnung des Anrechnungsbetrages maßgeblichen Gebühren tatsächlich ein Betrag in Höhe von 219,00 € bezahlt. Dieser ergibt sich wie folgt:
Geschäftsgebühr bzgl. Vorverfahren zum Bescheid vom 07.07.2017:
345,00 €
Geschäftsgebühr bzgl. Vorverfahren zum Bescheid vom 24.08.2017:
200,00 €
Anerkannte Verfahrensgebühr:
360,00 €
Abzüglich Anrechnung: ./.
175,00 €
Summe:
730,00 €
Gemäß Kostenquote (30 %):
219,00 €
Für die Frage der tatsächlich entstandenen Gebühren kommt es nicht darauf an, ob der Erinnerungsführer gegenüber dem Beklagten zu Recht zwei Geschäftsgebühren abgerechnet hat, sondern entscheidend ist, dass der damalige Beklagte im Verfahren anteilig zwei Geschäftsgebühren erstattet hat. Eine Prüfung der Voraussetzungen des § 63 SGB X findet an dieser Stelle nicht statt. Im Übrigen hat der Erinnerungsführer seinerzeit gegen zwei selbstständige Bescheide zu unterschiedlichen Zeitpunkten Widerspruch eingelegt, sodass davon auszugehen ist, es sich auch um zwei getrennte Widerspruchsverfahren gehandelt hat, die jeweils zum Entstehen einer Geschäftsgebühr geführt haben. Alleine der Umstand, dass der damalige Beklagte beide Widersprüche in einem Widerspruchsbescheid beschieden hat und anschließend nur ein Klageverfahren durchgeführt wurde, bedeutet nicht, dass die Abrechnung zweier Geschäftsgebühren fehlerhaft oder unbillig war. Letzteres auch deshalb nicht, da der Erinnerungsführer bei der Bestimmung der Gebührenhöhe Synergieeffekte berücksichtigt hat.
Eine Anrechnung von Beratungshilfe scheidet hingegen vorliegend aus, da der Erinnerungsführer versichert hat, keine Zahlungen von seinem Mandanten erhalten zu haben. Es kann hier nichts anderes gelten als bei der Frage, ob die Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr anzurechnen ist. In beiden Situationen sind nur tatsächliche Zahlungen zu berücksichtigen, da bei der Kostenfestsetzung grundsätzlich nur geleistete Zahlungen zu berücksichtigen sind (vgl. HLSG, Beschluss vom 14.04.2020, Az. L 2 AS 255/19 B; ebenso Erik Kießling, in: Mayer/Kroiß, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 8. Aufl. 2021, § 58 Rn. 11).
Die Bestimmung des abstrakten Gesamtbetrages nach § 15a Abs. 1 RVG weist hier die Besonderheit auf, dass zwei Geschäftsgebühren entstanden sind, jedoch nur eine Verfahrensgebühr. Nach der eindeutigen Rechtsprechung des BGH sind beide entstandenen Geschäftsgebühren hälftig auf die Verfahrensgebühr anzurechnen (vgl. BGH, Beschluss vom 28.2.2017, Az. I ZB 55/16, in: DStRE 2018, 893; zitiert von Mayer, in: Mayer/Kroiß, RVG, 8. Aufl. 2021, Vorbemerkung 3 Rn. 128b; Müller-Rabe, in: Gerolt/Schmidt, RVG-Kommentar, 24. Aufl. 2019, VV Vorb. 3 Rn. 295). Soweit der Gesetzgeber hierauf im Zuge des Kostenrechtsänderungsgesetzes 2021 (BGBl. I 2020, 3229) reagiert hat und § 15a Abs. 2 RVG neu eingeführt hat, findet dieser vorliegend keine Anwendung, da die Norm erst zum 01.01.2021 in Kraft getreten ist und für den streitgegenständlichen Zeitraum keine Rückwirkung entfaltet.
Maßgeblich bleiben vorliegend die vom BGH aufgestellten Grundsätze, die ohne Weiteres auf Betragsrahmengebühren übertragbar sind.
In Übereinstimmung mit der Erinnerungsgegnerin ergibt sich die folgende Berechnung:
Geschäftsgebühr bzgl. Vorverfahren zum Bescheid vom 07.07.2017:
345,00 €
Geschäftsgebühr bzgl. Vorverfahren zum Bescheid vom 24.08.2017:
200,00 €
Anerkannte Verfahrensgebühr:
360,00 €
Zwischensumme:
905,00 €
abzgl. Hälfte der zuerst entstandenen Geschäftsgebühr: ./. 172,50€ abzgl. Hälfte der zuletzt entstandenen Geschäftsgebühr: ./. 100,00 €
Abstrakter Gesamtbetrag: 632,50 €
Der nach § 58 Abs. 2 RVG anzurechnende Betrag bestimmt sich im nächsten Schritt wie folgt:
Summe von ungekürzter Verfahrensgebühr, die von der Staatskasse verlangt werden kann:
360,00 €
Tatsächlich gezahlte Gebühren anderer Kostenschuldner:
219,00 €
Zwischensumme:
579,00 €
Abzüglich des abstrakten Gesamtbetrages gem.§ 15a Abs. 1 RVG: ./.
632,50 €
Anrechnungsbetrag nach § 58 RVG:
-53,50 €
Der so ermittelte negative Anrechnungsbetrag führt im Ergebnis dazu, dass vorliegend kein Anrechnungsbetrag mehr verbleibt (vgl. BGH, Beschluss vom 28.2.2017, Az. I ZB 55/16, in: BeckRS 2017, 1046642 bzw. DStRE 2018, 893 Rn. 15).
Insgesamt bestimmen sich die erstattungsfähigen PKH-Kosten wie folgt:
Abzgl. Zahlungen Bekl. anhand der Kostenquote von 30 %
Betrag nach Anrechnung
Verfahrensgebühr
360,00 €
./. keine
360,00 €
Terminsgebühr
280,00 €
./. 84,00 €
196,00 €
Einigungsgebühr
360,00 €
./. 108,00 €
252,00 €
Post/Telek.
20,00 €
./. 6,00 €
14,00 €
Doku.-p.
25,00 €
./. 6,15 €
14,35 €
Fahrtkosten
15,00 €
./. 4,50 €
10,50 €
Abw.-geld
25,00 €
./. 7,50 €
17,50 €
Zw.-summe:
864,35 €
Abzgl. gezahlter Vorschuss
./. 320,00 €
Zw.-summe:
544,35 €
Umsatzsteuer 19 %
103,43 €
Gesamtbetrag
647,78 €
Der von Seiten der Kammer ermittelte Betrag übersteigt den vom Erinnerungsführer benannten Gesamtbetrag. Dieser hat im Schriftsatz vom 07.12.2018 beantragt, die Gebühren und Auslagen aus der Staatskasse für das Ausgangsverfahren in Höhe von insgesamt 518,88 € festzusetzen.
Diese Gebührenbestimmung ist für die Kammer maßgeblich. Der Rechtsanwalt ist an sein einmal ausgeübtes Ermessen bei der Bestimmung der angefallenen Gebühr innerhalb des Gebührenrahmens gebunden. Die Bestimmung ist rechtsgestaltender Natur, ihre Abgabe Ausübung des Gestaltungsrechts. Sobald die Erklärung gegenüber dem anderen Teil wirksam geworden ist, kann sie nicht mehr geändert oder widerrufen werden. Sie wird bindend, es sei denn, der Rechtsanwalt hat sich eine Erhöhung vorbehalten, ist über Bemessungsfaktoren getäuscht worden oder hat einen gesetzlichen Gebührentatbestand übersehen (vgl. HLSG, Beschluss vom 28.09.2011, Az. L 2 SF 185/10 E m.w.N.).
Die aufgezählten Ausnahmetatbestände liegen nicht vor.
Insgesamt ist daher die Vergütung für das Verfahren S 9 SO 16/18 antragsgemäß auf 518,88 € festzusetzen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.
Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 3 RVG).
Auf die Erinnerung wird die Vergütungsfestsetzung vom 15.01.2019 dahingehend abgeändert, dass die aus der Staatskasse an den Erinnerungsführer zu gewährende Vergütung für das Verfahren S 9 SO 16/18 antragsgemäß auf insgesamt 518,88 € festgesetzt wird.
Kosten des Erinnerungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die Höhe der dem Erinnerungsführer aus der Staatskasse zu gewährenden Vergütung für das Ausgangsverfahren vor dem Sozialgericht Marburg unter dem Aktenzeichen S 9 SO 16/18. Dabei geht es mittlerweile nur noch um die Frage der Anrechnung zweier Geschäftsgebühren nach Nr. 2302 VV-RVG auf die Verfahrensgebühr.
Der damalige Kläger wurde sowohl im genannten Ausgangsverfahren als auch in den vorangegangenen Widerspruchsverfahren von dem Erinnerungsführer anwaltlich vertreten.
So legte dieser gegen den Bescheid vom 07.07.2017 und gegen den Bescheid vom 24.08.2017 Widerspruch ein. Die beiden Widerspruchsverfahren wurden mit Erlass des Widerspruchsbescheides vom 15.02.2018 beendet. Anschließend erhob der Kläger Klage am Sozialgericht Marburg (Eingangsdatum: 01.03.2018) und beantragte zugleich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Erinnerungsführers. Mit Beschluss des Gerichts vom 28.06.2018 wurde dem Prozesskostenhilfeantrag vollumfänglich stattgegeben.
In der Sache stritten die Beteiligten um eine monatliche Heizkostenvorauszahlung in Höhe von 75,00 €. Das Verfahren erledigte sich durch Vergleichsschluss vom 31.10.2018 im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage, wobei der Beklagte 30 % der außergerichtlichen Kosten des Klägers übernahm.
Anschließend beantragte der Erinnerungsführer mit Schriftsatz vom 07.12.2018 die Gebühren und Auslagen aus der Staatskasse für das Ausgangsverfahren in Höhe von insgesamt 518,88 € festzusetzen.
Dabei stellte er die bereits angefallenen und erstatteten Gebühren sowie die beantragten Kosten wie folgt dar (Auszug aus dem Schriftsatz vom 07.12.20218):
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Der Beklagte des Ausgangsverfahrens erstattete die außergerichtlichen Kosten antragsgemäß und überwies 531,95 €.
Am 15.01.2019 2019 nahm die zuständige Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die Vergütungsfestsetzung für das Ausgangsverfahren vor. Sie wich von dem Festsetzungsantrag des Erinnerungsführers ab und setzte insgesamt einen Vergütungsanspruch in Höhe von 693,48 € fest und zahlte nach Abzug des Vorschusses einen Betrag von 373,48 € aus. Dabei rechnete sie bei der Bestimmung der Verfahrensgebühr die bereits erhaltenen außergerichtlichen Kosten im Vorverfahren in Höhe von 175,00 € an.
Mit Schriftsatz vom 05.03.2019 hat der Erinnerungsführer gegen die PKH-Festsetzung Erinnerung eingelegt. Gegen die Anrechnung der Vorverfahrensgebühren habe er keine Einwände. Allerdings seien die Vorverfahrensgebühren überhöht angerechnet worden. Als angemessene Geschäftsgebühren sei in den beiden Vorverfahren 345,00 € bzw. 200,00 € angesetzt worden. Von diesem Betrag hätte der Beklagte aber nur 30 % gezahlt, was einem Betrag von 162,50 € entspräche. Hiervon sei bei der Kostenberechnung für die Staatskasse 50 % (81,75 €) anzurechnen. 70 % der angefallenen Vorverfahrensgebühren habe er nicht abrechnen können, da sein Mandant beratungshilfeberechtigt gewesen sei und deshalb ein Anspruch gegen diesen nicht bestehen würde. Die abstrakte Beratungshilfeberechtigung führe nicht zu einer Anrechnung nach § 58 RVG, da keine tatsächlichen Zahlungen erfolgt seien. Zu der Festsetzung zweier Geschäftsgebühren nach Ziff. 2302 VV RVG werde darauf hingewiesen, dass zwei Vorverfahren zu unterschiedlichen Sachverhalten durchgeführt worden seien. In jedem der Verfahren sei eine Geschäftsgebühr angefallen, wobei im Verfahren zum Bescheid vom 24.08.2017 wegen Synergieeffekten eine herabgesetzte Geschäftsgebühr geltend gemacht worden sei. Der Beklagte hätte die Gebührenfestsetzung nicht beanstandet.
Die zuständige Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat der Erinnerung nicht abgeholfen.
Der Erinnerungsführer beantragt sinngemäß
die Vergütungsfestsetzung vom 15.01.2019 dahingehend abzuändern, dass die von der Staatskasse an den Erinnerungsführer zu gewährende Vergütung für das Verfahren S 9 SO 16/18 auf insgesamt 518,88 € festgesetzt wird.
Die Erinnerungsgegnerin beantragt,
die Vergütungsfestsetzung der Urkundsbeamtin abzuändern und die aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung auf die beantragten 518,88 € zu begrenzen.
Sie hat auf die Grundsatzentscheidung des Kostensenats des Hessischen Landessozialgerichts (<HLSG>, Beschluss vom 13.05.2019, L 2 AS 241/18 B) hingewiesen. Nach der obergerichtlichen Entscheidung käme im vorliegenden Fall wohl keine Anrechnung mehr in Betracht. Jedoch habe der Anwalt mitgeteilt, dass der Mandant beratungshilfeberechtigt sei. Dies werfe die folgenden Fragen auf:
„Wirkt sich der Umstand, insbesondere bei der Ermittlung des abstrakten Gesamtbetrags gemäß § 15a Abs. 1 RVG, aus?
Mindert die Berechtigung für die Beratungshilfe den Gesamtgebührenanspruch zwischen Rechtsanwalt und Auftraggeber, sodass eine Anrechnung nach § 58 RVG nicht auszuschließen wäre?
Ist die Geltendmachung zweier Geschäftsgebühren im Hinblick auf § 63 SGB X zulässig?“
Im Verfahrensverlauf hat die Erinnerungsgegnerin mitgeteilt, dass sie im Hinblick auf den HLSG-Beschluss vom 14.04.2020 (Az. L 2 AS 255/19 B) die Frage der Auswirkungen der Beratungshilfeberechtigung im vorliegenden Fall für erledigt ansehe. Im Wesentlichen sei nur noch die Anrechnung der Geschäftsgebühren nach Nr. 2302 VV-RVG streitig. Zum Anrechnungsthema habe der Kostensenat mit Beschluss vom 17.06.2019 (Az. L 2 AS 241/16 E, Juris) eine Grundsatzentscheidung getroffen, die sich aber leider nicht zu der Besonderheit der zwei Geschäftsgebühren verhalten würde. Unter Berücksichtigung der Kommentarliteratur und BGH-Rechtsprechung gehe sie davon aus, dass zur Ermittlung des Gesamtanspruchs des Anwalts gemäß § 15a Abs. 1 RVG beide entstandenen Geschäftsgebühren hälftig auf die Verfahrensgebühr anzurechnen seien. Dies ergäbe ihrer Ansicht nach die folgende Berechnung, wobei aber zu berücksichtigen sei, dass nicht mehr als beantragt vergütet werden könne:
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte verwiesen. Darüber hinaus wird die beigezogene Gerichtsakte des Ausgangsverfahrens vor dem Sozialgericht Marburg (Aktenzeichen: S 9 SO 16/18) in Bezug genommen. Beide Akten haben der Entscheidungsfindung zugrunde gelegen.
II.
Die Erinnerung gegen die Vergütungsfestsetzung vom 15.01.2019 ist zulässig. Sie ist nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) statthaft. Der Erinnerungsführer ist dem Kläger des Ausgangsverfahren durch Beschluss des Gerichts vom 28.06.2018 beigeordnet worden und daher zur Erhebung des Rechtsbehelfs berechtigt.
Die Erinnerung ist auch in der Sache begründet.
Streitgegenstand ist der Umfang der Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr.
Die insoweit angegriffene Vergütungsfestsetzung durch die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle ist abzuändern, da sie die Vergütung des Erinnerungsführers zu niedrig festsetzt. Dem Erinnerungsführer steht gegen die Staatskasse für seine Tätigkeit als beigeordneter Rechtsanwalt in dem Verfahren S 9 SO 16/18 vor dem Sozialgericht Marburg ein Vergütungsanspruch in beantragter Höhe von 518,88 € zu.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 RVG entstehen in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist, Betragsrahmengebühren, die dem im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt aus der Landeskasse zu erstatten sind (§ 45 Abs. 1 RVG). Bei dem Ausgangsverfahren handelt es sich um ein Klageverfahren mit einem kostenprivilegierten Beteiligten im Sinne von § 183 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), so dass die Anwendung des GKG gemäß § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG ausscheidet.
Die Höhe der Vergütung errechnet sich nach dem Vergütungsverzeichnis der Anlage 1 zum RVG. Die Höhe der Rahmengebühr bestimmt nach § 14 Abs. 1 RVG der Rechtsanwalt im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen (Satz 1). Bei Rahmengebühren ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen (Satz 3). Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (Satz 4), wobei ihm ein Spielraum bzw. eine Toleranzgrenze von 20 % zusteht (BSG, Urteil vom 01.07.2009, B 4 AS 21/09 R, BSGE 104, 30-41). Unbilligkeit liegt vor, wenn der Rechtsanwalt die Kriterien des § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG unter Beachtung des Beurteilungsspielraums objektiv nicht hinreichend beachtet. Im Fall einer nicht verbindlichen, d.h. nicht der Billigkeit entsprechenden Bestimmung der Gebühr durch den Rechtsanwalt, wird die Gebühr im Kostenfestsetzungsverfahren bestimmt. Der gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 RVG zuständige Urkundsbeamte der Geschäftsstelle (Kostenbeamter), im Fall der Erinnerung das gemäß § 56 Abs. 1 RVG zuständige Gericht und im Fall der Beschwerde das Beschwerdegericht gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG sind befugt und verpflichtet, die von dem Rechtsanwalt bestimmten Gebühren auf ihre Billigkeit hin zu überprüfen und bei Feststellung der Unbilligkeit die Gebühr selbst festzusetzen.
Die vom Erinnerungsführer geltend gemachten Gebühren entsprechen der Billigkeit.
Im Ergebnis ist nicht zu beanstanden, dass der Erinnerungsführer die nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG vorgesehene Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr im Rahmen seiner Gebührenrechnung unterlassen hat.
Zu berücksichtigen sind für die Anrechnung nur tatsächliche Zahlungen (vgl. HLSG, Beschluss vom 03.02.2015, Az. L 2 AS 605/14 B).
Nach § 15a Abs. 1 RVG kann ein Rechtsanwalt, wenn das RVG die Anrechnung einer Gebühr auf eine andere Gebühr vorsieht, beide Gebühren fordern, jedoch nicht mehr als den um den Anrechnungsbetrag verminderten Gesamtbetrag der beiden Gebühren. Ein Dritter kann sich gemäß § 15a Abs. 2 RVG auf die Anrechnung nur berufen, soweit er den Anspruch auf eine der beiden Gebühren erfüllt hat, wegen eines dieser Ansprüche gegen ihn ein Vollstreckungstitel besteht oder beide Gebühren in demselben Verfahren gegen ihn geltend gemacht werden.
Maßgeblich für das Verhältnis der Staatskasse und dem Rechtsanwalt ist § 15a Abs. 1 RVG, was unter anderem bedeutet, dass die Staatskasse keine Zahlungen erbringen muss, die über dem Gesamtbetrag der zu fordernden Gebühren liegen (vgl. HLSG, Beschluss vom 13.05.2019, L 2 AS 241/18 B, Rn. 35 juris). Die Staatskasse kann sich jedoch nicht auf eine direkte Anrechnung gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG berufen, sondern stattdessen greift § 58 Abs. 2 RVG ein. Danach gilt, dass Vorschüsse und Zahlungen, die der Rechtsanwalt vor oder nach der Beiordnung erhalten hat, zunächst auf die Vergütungen anzurechnen sind, für die ein Anspruch gegen die Staatskasse nicht oder nur unter den Voraussetzungen des § 50 RVG besteht. Diese Regelung trägt dem Umstand Rechnung, dass es einen gequotelten Anspruch aus der Prozesskostenhilfe nicht gibt, dieser vielmehr immer voll entsteht. Tatsächliche Zahlungen Dritter auf gleiche Gebühren wie diejenigen, die im Rahmen der Prozesskostenhilfe zu erstatten sind, werden nach dieser Norm angerechnet und somit die schon eingetretene Erfüllung des Gebührenanspruchs durch Dritte im Rahmen der Prozesskostenhilfegewährung berücksichtigt. Dabei sind aber Vorschüsse und Zahlungen, die der Rechtsanwalt erhalten hat, nur nachrangig auf die Vergütung gegenüber der Staatskasse anzurechnen. Vorrangig erfolgt eine Verrechnung auf die Differenzvergütung des Rechtsanwalts, das heißt auf Beträge, für welche ein Anspruch gegen die Staatskasse nicht oder nur im Umfang des § 50 RVG besteht. Die Intention des Gesetzgebers ist hierbei, die Grundansprüche des Rechtsanwalts gegenüber der Staatskasse aus der Beiordnung zunächst nicht zu schmälern. Eine Anrechnung der Geschäftsgebühr Nr. 2300 VV RVG auf die Verfahrensgebühr gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG kommt unter dem Rechtsgedanken des § 58 Abs. 2 RVG im Verhältnis zur Staatskasse nur dann und insoweit in Betracht, wenn ansonsten der Rechtsanwalt mehr als seine vollen Regelanwaltsgebühren erhalten würde (vgl. HLSG, Beschluss vom 13.05.2019, L 2 AS 241/18 B, Rn. 36 juris m.w.N.).
In Übereinstimmung mit dem Kostensenat des HLSG (s. HLSG, Beschluss vom 13.05.2019, L 2 AS 241/18 B, Rn. 38 f. juris) ist der Anrechnungsbetrag wie folgt zu bestimmen:
Summe von ungekürzter Verfahrensgebühr, die von der Staatskasse verlangt werden kann + tatsächlich gezahlte Gebühren anderen Kostenschuldner
abzüglich
des abstrakten Gesamtbetrages gemäß § 15a Abs. 1 RVG
=
Anrechnungsbetrag, der von der Verfahrensgebühr seitens der Staatskasse in Abzug zu bringen ist.
Im vorliegenden Verfahren wurden von dem Beklagten des Ausgangsverfahrens an den Erinnerungsführer von den für die Berechnung des Anrechnungsbetrages maßgeblichen Gebühren tatsächlich ein Betrag in Höhe von 219,00 € bezahlt. Dieser ergibt sich wie folgt:
Geschäftsgebühr bzgl. Vorverfahren zum Bescheid vom 07.07.2017:
345,00 €
Geschäftsgebühr bzgl. Vorverfahren zum Bescheid vom 24.08.2017:
200,00 €
Anerkannte Verfahrensgebühr:
360,00 €
Abzüglich Anrechnung: ./.
175,00 €
Summe:
730,00 €
Gemäß Kostenquote (30 %):
219,00 €
Für die Frage der tatsächlich entstandenen Gebühren kommt es nicht darauf an, ob der Erinnerungsführer gegenüber dem Beklagten zu Recht zwei Geschäftsgebühren abgerechnet hat, sondern entscheidend ist, dass der damalige Beklagte im Verfahren anteilig zwei Geschäftsgebühren erstattet hat. Eine Prüfung der Voraussetzungen des § 63 SGB X findet an dieser Stelle nicht statt. Im Übrigen hat der Erinnerungsführer seinerzeit gegen zwei selbstständige Bescheide zu unterschiedlichen Zeitpunkten Widerspruch eingelegt, sodass davon auszugehen ist, es sich auch um zwei getrennte Widerspruchsverfahren gehandelt hat, die jeweils zum Entstehen einer Geschäftsgebühr geführt haben. Alleine der Umstand, dass der damalige Beklagte beide Widersprüche in einem Widerspruchsbescheid beschieden hat und anschließend nur ein Klageverfahren durchgeführt wurde, bedeutet nicht, dass die Abrechnung zweier Geschäftsgebühren fehlerhaft oder unbillig war. Letzteres auch deshalb nicht, da der Erinnerungsführer bei der Bestimmung der Gebührenhöhe Synergieeffekte berücksichtigt hat.
Eine Anrechnung von Beratungshilfe scheidet hingegen vorliegend aus, da der Erinnerungsführer versichert hat, keine Zahlungen von seinem Mandanten erhalten zu haben. Es kann hier nichts anderes gelten als bei der Frage, ob die Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr anzurechnen ist. In beiden Situationen sind nur tatsächliche Zahlungen zu berücksichtigen, da bei der Kostenfestsetzung grundsätzlich nur geleistete Zahlungen zu berücksichtigen sind (vgl. HLSG, Beschluss vom 14.04.2020, Az. L 2 AS 255/19 B; ebenso Erik Kießling, in: Mayer/Kroiß, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 8. Aufl. 2021, § 58 Rn. 11).
Die Bestimmung des abstrakten Gesamtbetrages nach § 15a Abs. 1 RVG weist hier die Besonderheit auf, dass zwei Geschäftsgebühren entstanden sind, jedoch nur eine Verfahrensgebühr. Nach der eindeutigen Rechtsprechung des BGH sind beide entstandenen Geschäftsgebühren hälftig auf die Verfahrensgebühr anzurechnen (vgl. BGH, Beschluss vom 28.2.2017, Az. I ZB 55/16, in: DStRE 2018, 893; zitiert von Mayer, in: Mayer/Kroiß, RVG, 8. Aufl. 2021, Vorbemerkung 3 Rn. 128b; Müller-Rabe, in: Gerolt/Schmidt, RVG-Kommentar, 24. Aufl. 2019, VV Vorb. 3 Rn. 295). Soweit der Gesetzgeber hierauf im Zuge des Kostenrechtsänderungsgesetzes 2021 (BGBl. I 2020, 3229) reagiert hat und § 15a Abs. 2 RVG neu eingeführt hat, findet dieser vorliegend keine Anwendung, da die Norm erst zum 01.01.2021 in Kraft getreten ist und für den streitgegenständlichen Zeitraum keine Rückwirkung entfaltet.
Maßgeblich bleiben vorliegend die vom BGH aufgestellten Grundsätze, die ohne Weiteres auf Betragsrahmengebühren übertragbar sind.
In Übereinstimmung mit der Erinnerungsgegnerin ergibt sich die folgende Berechnung:
Geschäftsgebühr bzgl. Vorverfahren zum Bescheid vom 07.07.2017:
345,00 €
Geschäftsgebühr bzgl. Vorverfahren zum Bescheid vom 24.08.2017:
200,00 €
Anerkannte Verfahrensgebühr:
360,00 €
Zwischensumme:
905,00 €
abzgl. Hälfte der zuerst entstandenen Geschäftsgebühr: ./. 172,50€ abzgl. Hälfte der zuletzt entstandenen Geschäftsgebühr: ./. 100,00 €
Abstrakter Gesamtbetrag: 632,50 €
Der nach § 58 Abs. 2 RVG anzurechnende Betrag bestimmt sich im nächsten Schritt wie folgt:
Summe von ungekürzter Verfahrensgebühr, die von der Staatskasse verlangt werden kann:
360,00 €
Tatsächlich gezahlte Gebühren anderer Kostenschuldner:
219,00 €
Zwischensumme:
579,00 €
Abzüglich des abstrakten Gesamtbetrages gem.§ 15a Abs. 1 RVG: ./.
632,50 €
Anrechnungsbetrag nach § 58 RVG:
-53,50 €
Der so ermittelte negative Anrechnungsbetrag führt im Ergebnis dazu, dass vorliegend kein Anrechnungsbetrag mehr verbleibt (vgl. BGH, Beschluss vom 28.2.2017, Az. I ZB 55/16, in: BeckRS 2017, 1046642 bzw. DStRE 2018, 893 Rn. 15).
Insgesamt bestimmen sich die erstattungsfähigen PKH-Kosten wie folgt:
Abzgl. Zahlungen Bekl. anhand der Kostenquote von 30 %
Betrag nach Anrechnung
Verfahrensgebühr
360,00 €
./. keine
360,00 €
Terminsgebühr
280,00 €
./. 84,00 €
196,00 €
Einigungsgebühr
360,00 €
./. 108,00 €
252,00 €
Post/Telek.
20,00 €
./. 6,00 €
14,00 €
Doku.-p.
25,00 €
./. 6,15 €
14,35 €
Fahrtkosten
15,00 €
./. 4,50 €
10,50 €
Abw.-geld
25,00 €
./. 7,50 €
17,50 €
Zw.-summe:
864,35 €
Abzgl. gezahlter Vorschuss
./. 320,00 €
Zw.-summe:
544,35 €
Umsatzsteuer 19 %
103,43 €
Gesamtbetrag
647,78 €
Der von Seiten der Kammer ermittelte Betrag übersteigt den vom Erinnerungsführer benannten Gesamtbetrag. Dieser hat im Schriftsatz vom 07.12.2018 beantragt, die Gebühren und Auslagen aus der Staatskasse für das Ausgangsverfahren in Höhe von insgesamt 518,88 € festzusetzen.
Diese Gebührenbestimmung ist für die Kammer maßgeblich. Der Rechtsanwalt ist an sein einmal ausgeübtes Ermessen bei der Bestimmung der angefallenen Gebühr innerhalb des Gebührenrahmens gebunden. Die Bestimmung ist rechtsgestaltender Natur, ihre Abgabe Ausübung des Gestaltungsrechts. Sobald die Erklärung gegenüber dem anderen Teil wirksam geworden ist, kann sie nicht mehr geändert oder widerrufen werden. Sie wird bindend, es sei denn, der Rechtsanwalt hat sich eine Erhöhung vorbehalten, ist über Bemessungsfaktoren getäuscht worden oder hat einen gesetzlichen Gebührentatbestand übersehen (vgl. HLSG, Beschluss vom 28.09.2011, Az. L 2 SF 185/10 E m.w.N.).
Die aufgezählten Ausnahmetatbestände liegen nicht vor.
Insgesamt ist daher die Vergütung für das Verfahren S 9 SO 16/18 antragsgemäß auf 518,88 € festzusetzen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.
Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 3 RVG).