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  • 01.02.2022 · IWW-Abrufnummer 227220

    Landgericht Oldenburg: Beschluss vom 26.10.2021 – 4 Qs 424/21

    § 143 Abs. 1 und Abs. 2 StPO sind im Verfahren nach § 408b StPO grundsätzlich uneingeschränkt anwendbar, so dass sich die Beendigung der Bestellung eines Pflichtverteidigers danach richtet. Danach endet eine Pflichtverteidigerbeiordnung nach § 408b StPO nicht per se mit dem Einlegen des Einspruchs.


    LG Oldenburg

    Beschluss vom 26.10.2021


    Landgericht Oldenburg

    Beschluss

    4 Qs 424/21

    Verteidiger:

    Rechtsanwalt

    wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis

    hat das Landgericht - 4. Große Strafkammer - Oldenburg durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht pp, den Richter am Landgericht pp. und den Richter pp. am 26.10.2021 beschlossen:

    1. Die Verfügung des Amtsgerichts Wildeshausen vom 13.07.2021 wird insoweit aufgehoben, als darauf hingewiesen wird, dass die Pflichtverteidigerbestellung gemäß § 408b StPO nur die Einspruchseinlegung umfasst.
    2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Staatskasse.

    Gründe

    I.

    Mit Strafbefehl vom 13.07.2021 hat das Amtsgericht Wildeshausen gegen den Angeklagten wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis eine Freiheitsstrafe von drei Monaten verhängt und deren Vollstreckung für die Dauer von zwei Jahren zur Bewährung ausgesetzt. Mit Beschluss vom 08.06.2021 hatte es zuvor dem Angeklagten zudem Rechtsanwalt Böhrnsen gemäß § 408b StPO als Pflichtverteidiger beigeordnet.

    Mit der Verfügung zur Zustellung des Strafbefehls vom 13.07.2021 wies das Amtsgericht den Angeklagten darauf hin, dass es davon ausgehe, dass die Pflichtverteidigerbestellung gemäß § 408b StPO nur die Einspruchseinlegung umfasse. Am 16.07.2021 hat der Angeklagte gegen den Strafbefehl Einspruch eingelegt. Am 27.08.2021 hat der Angeklagte dem Amtsgericht mitgeteilt, dass er die Ansicht, dass die notwendige Verteidigung nicht für eine mündliche Verhandlung fortwirke nicht teile und hat gegen die Entscheidung hinsichtlich der notwendigen Verteidigung „Beschwerde“ eingelegt.

    II.

    Die als sofortige Beschwerde auszulegende Eingabe des Beschuldigten ist zulässig und begründet.

    1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig.

    a) Die Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde folgt aus § 304 Abs. 1 StPO, danach sind auch Verfügungen des Vorsitzenden mit der (sofortigen) Beschwerde angreifbar. Da mit der angefochtenen Verfügung gleichsam die Beendigung einer Pflichtverteidigerbestellung ausgesprochen wird, ist allerdings in entsprechender Anwendung des § 143 Abs. 3 StPO die sofortige und nicht die einfache Beschwerde statthaft.

    b) Die sofortige Beschwerde ist nicht wegen Versäumung der Beschwerdefrist unzulässig. Die Beschwerdefrist von einer Woche (§ 311 Abs. 2 StPO) wurde zwar nicht eingehalten, dem Angeklagten war jedoch auch ohne einen entsprechenden Antrag eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand nach §§ 44 S. 1, 45 Abs. 2 S. 3 StPO zu gewähren.

    Die Übermittlung der Verfügung vom 13.07.2021 war nicht mit der nach § 35a StPO erforderlichen Rechtsmittelbelehrung versehen. Eine unterlassene Rechtsmittelbelehrung hindert zwar den Lauf der Rechtsmittelfrist nicht, eröffnet jedoch eine Wiedereinsetzung nach § 44 S. 2 StPO durch die unwiderlegbare Vermutung einer schuldlosen Säumnis (MüKo-Valerius § 44 StPO, Rn. 71). Die Versäumung der Beschwerdefrist durch den Angeklagten war daher als schuldlos anzusehen.

    Die Wiedereinsetzung konnte zudem ohne Antrag gemäß § 45 Abs. 2 S. 3 StPO erfolgen, die versäumte Handlung ist nachgeholt worden. Die Wiedereinsetzung entspricht zudem auch dem erkennbaren Willen des Angeklagten.

    2. Die sofortige Beschwerde ist begründet. Die Verfügung war rechtsfehlerhaft und daher aufzuheben. Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts endet eine Pflichtverteidigerbeiordnung nach § 408b StPO nicht per se mit dem Einlegen des Einspruchs.

    Die Strafprozessordnung enthält keine Spezialregelung über die Dauer der Pflichtverteidigerbeiordnung im Strafbefehlsverfahren. Daher sind im Verfahren nach § 408b StPO grundsätzlich die allgemeinen Regeln über die notwendige Verteidigung anzuwenden. Dies hat der Gesetzgeber nunmehr auch bewusst dadurch deutlich gemacht, dass er die Verweisung in § 408b S. 2 StPO a. F., welche lediglich auf § 141 Abs. 3 StPO verwiesen hatte, mit dem Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung gestrichen hat. Hiermit sollte klar zum Ausdruck gebracht werden, dass die gesamten Regelungen der §§ 141 ff. StPO auch im Rahmen der Pflichtverteidigerbeiordnung nach § 408b StPO anwendbar sein sollen (vgl. BR-Drucks. 364/19, S. 53). Die früher streitige Frage über die Reichweite der notwendigen Verteidigung nach § 408b StPO ist damit durch den Gesetzgeber beantwortet worden. Aus der Neuregelung folgt, dass auch § 143 Abs. 1 und Abs. 2 StPO im Verfahren nach § 408b StPO grundsätzlich uneingeschränkt anwendbar ist und sich die Beendigung der Bestellung nach diesen Normen richtet. Danach endet die Bestellung eines Pflichtverteidigers entweder mit der Einstellung oder dem rechtskräftigen Abschluss eines Verfahrens oder mit der Aufhebung der Beiordnung durch das Gericht. Das Gericht kann die Bestellung dann nach § 143 Abs. 2 S. 1 StPO aufheben, wenn die Voraussetzungen der notwendigen Verteidigung nicht mehr vorliegen. Ein automatisches Ende für den Fall, dass die Voraussetzungen der Beiordnung nicht mehr vorliegen, sieht die Strafprozessordnung dagegen nicht vor.

    Dies bedeutet für das Strafbefehlsverfahren, dass die Bestellung zweifellos endet, wenn der Strafbefehl in Rechtskraft erwächst. Legt der Angeschuldigte hingegen Einspruch ein, ist zu differenzieren. Ist eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr zu erwarten, hat die Bestellung schon nach § 140 Abs. 2 StPO fortzudauern. Ist hingegen, wie in diesem Fall, eine darunterliegende Freiheitsstrafe zu erwarten, so kann die Bestellung im Einzelfall nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts nach § 143 Abs. 2 S. 1 StPO aufgehoben werden (vgl. Meyer/Goßner, § 408b, Rn. 10). § 143 Abs. 2 S. 1 StPO ist aufgrund der bereits dargestellten Grundsätze ebenfalls im Verfahren nach § 408b StPO anwendbar. Eine besondere Regelung für die Beendigung der Beiordnung nach § 408b StPO existiert nicht, es bleibt daher bei der allgemeinen Regelung.

    Eine solche Regelung erschein auch sachgerecht. Zwar ergeht die Entscheidung nicht mehr im schriftlichen Strafbefehlsverfahren, es können jedoch dennoch Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes für eine Fortwirkung der notwendigen Verteidigung sprechen. Diesen Gesichtspunkten kann das Gericht im Rahmen seiner Ermessensentscheidung nach § 143 Abs. 2 S. 1 StPO angemessen Rechnung tragen (so auch BR Drucks 364/19 S. 53). Auf diese Weise kann auch eine unangemessene Benachteiligung eines Angeklagten im Anklageverfahren verhindert werden, da das Amtsgericht nach Einlegung des Einspruches noch einmal prüfen kann, ob Gründe vorliegen, welche die Fortwirkung der Pflichtverteidigerbestellung rechtfertigen. Eine automatische Beendigung der Beiordnung, für den Fall das deren Voraussetzungen nicht mehr vorliegen, ist jedoch weder im Anklageverfahren, noch im Strafbefehlsverfahren vorgesehen.

    Der Gesetzgeber hat sich daher in der Gesetzbegründung zum Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung klar positioniert; die Beiordnung soll bei Abschluss des Verfahrens oder aufgrund einer Ermessensentscheidung des Gerichts enden. Eine solche Ermessensentscheidung ist hier jedoch vom Amtsgericht nicht getroffen worden. Ausweislich der Verfügung vom 13.06.2021 und dem Beschluss vom 21.09.2021 ging das Amtsgericht davon aus, dass die Pflichtverteidigerbestellung nach § 408b StPO automatisch mit Einspruchseinlegung endet und es daher gar keine eigene Ermessensentscheidung mehr zu treffen habe.

    3. Dem Amtsgericht bleibt es unbenommen über eine mögliche Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung nach pflichtgemäßem Ermessen durch Beschluss zu entscheiden. Im Rahmen dieser Entscheidung hat es dann insbesondere den Grundsatz des Vertrauensschutzes zu Gunsten des Angeklagten zu berücksichtigen.

    III.

    Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung von § 467 Abs. 1 StPO.

    RechtsgebietePflichtverteidigung, StrafbefehlsverfahrenVorschriften§ 143 Abs. 2 S. 1 § 408b StPO