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  • 06.04.2022 · IWW-Abrufnummer 228521

    Oberlandesgericht Stuttgart: Beschluss vom 18.11.2021 – 8 W 324/21

    Führt eine Partei einen Rechtsstreit an ihrem eigenen Gerichtsstand, sind die ihr durch Beauftragung eines auswärtigen Anwalts entstehenden Mehrkosten grundsätzlich auch dann nicht erstattungsfähig, wenn die Partei ihre Rechtsangelegenheiten ausschließlich durch eine im Ausland angesiedelte Rechtsabteilung besorgen lässt


    Oberlandesgericht Stuttgart

    Beschluss vom 18.11.2021


    In Sachen
    ... GmbH, vertreten durch d. Geschäftsführer, ..., ...
    - Antragstellerin, Verfügungsklägerin und Beschwerdegegnerin -
    Prozessbevollmächtigte:
    Rechtsanwälte ..., ..., ..., Gz.: ...
    gegen
    ... GmbH, vertreten durch d. Geschäftsführer, ..., ...
    - Antragsgegnerin, Verfügungsbeklagte und Beschwerdeführerin -
    Prozessbevollmächtigte:
    Rechtsanwälte ..., ..., ..., Gz.: ...

    wegen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht
    hier: Kostenfestsetzungsbeschwerde

    hat das Oberlandesgericht Stuttgart - 8. Zivilsenat - durch die Richterin am Oberlandesgericht Hausmann als Einzelrichterin am 18.11.2021 beschlossen:

    Tenor:

    1. Die sofortige Beschwerde der Verfügungsbeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 01.07.2021, Az. 44 O 70/20 KfH, wird zurückgewiesen.
    2. Die Verfügungsbeklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

    Gründe

    I.

    Die Parteien streiten um die Erstattungsfähigkeit von Reisekosten des Prozessbevollmächtigten der Verfügungsbeklagten.

    Am 07.08.2020 hat das Landgericht antragsgemäß eine einstweilige Verfügung gegen die Verfügungsbeklagte, deren ausschließlicher Sitz sich in Stuttgart befindet, erlassen. Aufgrund eines Widerspruchs fand am 11.01.2021 eine mündliche Verhandlung statt, in der sich die Verfügungsbeklagte durch ihren in Berlin ansässigen Prozessbevollmächtigten vertreten ließ. Nachdem das Landgericht durch Urteil vom 08.02.2021 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abgewiesen und der Verfügungsklägerin die Verfahrenskosten auferlegt hat, hat die Verfügungsbeklagte unter dem 16.02.2021 die Festsetzung der ihr entstandenen Kosten beantragt und darin u.a. Reisekosten ihres Prozessbevollmächtigten in Höhe von 927,93 € sowie eine Tage- und Abwesenheitspauschale nach Nr. 7004 VV RVG in Höhe von 70,00 € geltend gemacht.

    Das Landgericht hat in der angefochtenen Entscheidung vom 01.07.2021 insoweit lediglich fiktive Reisekosten für die Entfernung vom Gericht bis zur Gerichtsbezirksgrenze (69 km) in Höhe von 41,40 € sowie ein Abwesenheitsgeld von 25,00 € anerkannt, gestützt auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Erstattungsfähigkeit der Reisekosten eines auswärtigen Anwalts einer inländischen Partei. Auf die ausführliche Begründung des angefochtenen Beschlusses wird Bezug genommen.

    Gegen diese ihr am 04.08.2021 zugestellte Entscheidung wendet sich die Verfügungsklägerin mit ihrer vorab per Fax am 18.08.2021 eingegangenen Beschwerde. Sie vertritt - wie bereits erstinstanzlich - die Ansicht, sie sei "situationsbedingt als ausländische Partei zu behandeln", weil sie zur Zeit der Beauftragung ihres Prozessbevollmächtigten an ihrem Sitz in Stuttgart lediglich eine Postannahmeeinrichtung, nicht aber einen regulären Bürobetrieb unterhalten habe und ihre Rechtsangelegenheiten von einer bei ihrer Muttergesellschaft in Tschechien angesiedelten Rechtsabteilung bearbeiten lasse. Insofern gelte, dass, wenn der Prozessbevollmächtigte weder am Gerichtssitz noch in der Nähe der Partei ansässig ist, die Mehrkosten nach herrschender Meinung bis zur Höhe der fiktiven Reisekosten eines am Geschäftssitz der Partei ansässigen Rechtsanwalts erstattungsfähig sind.

    Sie beantragt daher,

    den angefochtenen Beschluss abzuändern und die Kosten antragsgemäß zur Erstattung festzusetzen.

    Die Verfügungsklägerin ist der Beschwerde entgegengetreten, sie hält die Entscheidung des Landgerichts für zutreffend und erhebt darüber hinaus - wie bereits in erster Instanz - Einwendungen auch gegen die Höhe der geltend gemachten Reisekosten, die auch Kosten für die Umbuchung von der Economy- in die Business-Klasse in Höhe von 23,80 € enthalten.

    Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen - Beschluss vom 01.10.2021 - und sie daher dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

    II.

    Die gemäß §§ 11 Abs. 2 RPflG, 104 Abs. 3 Satz 1, 567 ff ZPO zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde der Verfügungsbeklagten ist unbegründet.

    Der angefochtene Kostenfestsetzungsbeschluss ist entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin nicht zu beanstanden. Denn die über den festgesetzten Betrag hinausgehend geltend gemachten Reisekosten des Prozessbevollmächtigten der Verfügungsbeklagten waren nicht notwendig im Sinne des § 91 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 ZPO:

    1.

    Die Beauftragung eines auswärtigen Rechtsanwalts ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung grundsätzlich nicht notwendig im Sinne des § 91 ZPO, wenn das gerichtliche Verfahren am Gerichtsstand der Partei, die einen auswärtigen Anwalt beauftragt, geführt wird, z.B. Beschlüsse vom 20.12.2011 - XI ZB 13/11, vom 12.12.2002 - I ZB 29/02, vom 22.02.2007 - VII ZB 93/06, vom 22.04.2008 - IX ZB 20/07. In diesem Zusammenhang hat der Bundesgerichtshof zunächst ausdrücklich hervorgehoben, dass eine typisierende Betrachtungsweise geboten und eine übermäßig differenzierende Betrachtungsweise zu vermeiden ist, um dann auf der Grundlage auszuführen, dass in der Regel davon ausgegangen werden kann, dass eine vernünftige, kostenbewusste Partei, die im Anwaltsprozess am eigenen Sitz klagen möchte oder am eigenen Sitz verklagt wird, einen beim Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwalt mit ihrer Vertretung beauftragt (BGH Beschluss vom 12.12.2002 - I ZB 29/02). Ausnahmen von diesem Grundsatz hat der Bundesgerichtshof nur in sehr begrenztem Umfang für zulässig erachtet, so dann, wenn ein spezialisierter Rechtsanwalt beauftragt worden ist, dies als solches notwendig erscheint und ein vergleichbarer ortsansässiger Rechtsanwalt nicht beauftragt werden kann (BGH aaO). Demgegenüber genügt es nicht, wenn geltend gemacht wird, die Partei arbeite ständig mit dem beauftragten auswärtigen Rechtsanwalt zusammen, oder dass der mit der Prozessvertretung beauftragte auswärtige Rechtsanwalt bereits für die Partei in derselben Angelegenheit vorprozessual tätig gewesen ist (BGH aaO). Gleiches gilt auch, soweit ein besonderes Vertrauensverhältnis der Partei zu dem auswärtigen Rechtsanwalt geltend gemacht wird: der Bundesgerichtshof hat diesbezüglich ausdrücklich entschieden, dass eine Prozesspartei nicht ohne kostenrechtliche Nachteile jeden beliebigen Rechtsanwalt in der Bundesrepublik für ihre Prozessvertretung auswählen kann, und dass die unterlegene Partei grundsätzlich nur diejenigen Kosten tragen muss, die aus dem Auseinanderfallen von Gerichtsort einerseits und Geschäfts- oder Wohnort einer Prozesspartei andererseits entstehen (Beschluss vom 22.02.2007 - VII ZB 93/06, JURIS Tz 11).

    2.

    Zur Erstattung der Reisekosten eines auswärtigen Prozessbevollmächtigten einer ausländischen Partei hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass es einer ausländischen Partei unabhängig von ihrer Parteirolle grundsätzlich nicht zuzumuten ist, die Wahl des deutschen Rechtsanwalts am Sitz des Prozessgerichts auszurichten (so z.B. BGH Beschluss vom 04.07.2017 - X ZB 11/15; Beschluss vom 12.09.2013 - I ZB 39/13). Allen in diesem Zusammenhang ergangenen Gerichtsentscheidungen ist gemeinsam, dass jeweils eine Partei geklagt hat oder verklagt worden ist, die ihren Sitz tatsächlich im Ausland hat. Begründet wurde die Entscheidung damit, dass es einer im Ausland ansässigen Partei, die in Deutschland weder einen Sitz noch eine Niederlassung hat, nicht zuzumuten sei, die Wahl des deutschen Rechtsanwalts am Sitz des Prozessgerichts auszurichten.

    3.

    Diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zugrunde gelegt, besteht vorliegend kein Erstattungsanspruch der Beklagten hinsichtlich der über den von der Rechtspflegerin anerkannten und daher festgesetzten Teilbetrag hinausgehend geltend gemachten Reisekosten ihres Prozessbevollmächtigten:

    Die Rechtspflegerin stellt zu Recht darauf ab, dass der ausschließliche Sitz der Beklagten sich in Stuttgart befindet, so dass es nicht um die Beauftragung eines deutschen Anwalts durch eine ausländische Partei geht. Die Beklagte wird auch nicht dadurch zu einer ausländischen Partei, dass sie ihre Rechtsangelegenheiten durch eine von ihr im Ausland angesiedelte Rechtsabteilung besorgen lässt, ebenso wenig dadurch, dass sie an ihrem Sitz in Deutschland nur noch Post verwaltet. Es widerspricht zudem der vom Bundesgerichtshof postulierten typisierenden Betrachtungsweise, die hier geltend gemachten individuellen Merkmale zur Grundlage für eine Übertragung der Maßstäbe für ausländische Parteien auf eine inländische Partei zu machen.

    Da es sich bei der Beklagten um eine inländische Partei handelt, die in ihrem persönlichen allgemeinen Gerichtsstand verklagt worden ist, liegen die oben dargestellten Voraussetzungen für die Erstattungsfähigkeit der Kosten eines auswärtigen Rechtsanwalts einer inländischen Partei ebenfalls nicht vor.

    Daher war die Beschwerde mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen. Auf Nr. 1812 des KV zum GKG wird hingewiesen. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO für die Zulassung einer Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.

    RechtsgebietAuslagen Vorschriften§ 91 ZPO