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  • 11.04.2022 · IWW-Abrufnummer 228613

    Landgericht Coburg: Beschluss vom 22.02.2022 – 3 Qs 10/21

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    LG Coburg

    Beschluss vom 22.02.2022


    Tenor

    1. Die Beschwerde des Bezirksrevisors des Landgerichts Coburg gegen den Beschluss des Amtsgerichts Coburg vom 03.02.2021 wird als unbegründet verworfen.
    2. Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
    3. Die weitere Beschwerde zum Oberlandesgericht Bamberg wird zugelassen.

    Gründe

    I.

    1
    Gegen den Angeschuldigten hat die Staatsanwaltschaft Coburg ein Ermittlungsverfahren wegen Diebstahls geführt. Mit Beschluss vom 07.10.2019 ist ihm Rechtsanwalt E. als Pflichtverteidiger bestellt worden.

    2
    Am 09.12.2019 hat die Staatsanwaltschaft Anklage zum Strafrichter erhoben. Auf richterlichen Hinweis vom 20.12.2019 hin hat die Staatsanwaltschaft die Anklage durch Verfügung vom 14.02.2020 zurückgenommen und das Verfahren mit Verfügung vom 18.02.2020 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.

    3
    Mit Schriftsatz vom 12.03.2020 hat der Verteidiger beantragt, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen. Das Gericht ist dem Antrag mit Beschluss vom 15.04.2020 nachgekommen.

    4
    Mit Schriftsatz vom 28.04.2020 hat der Pflichtverteidiger beantragt, die Gesamtsumme der angefallenen Kosten auf 1.431,75 Euro und den Streitwert auf 120.000,00 Euro festzusetzen. Hierbei hat er eine 1,0 Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4142 VV RVG, § 49 RVG in Höhe von 447,00 Euro geltend gemacht. Der Bezirksrevisor hat sich mit Verfügung vom 15.07.2020 gegen eine Erstattung der Gebühr Nr. 4142 ausgesprochen. Nach ergänzenden Stellungnahmen des Bezirksrevisors vom 07.08.2020 und des Pflichtverteidigers vom 28.08.2020 hat die Rechtspflegerin mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 01.09.2020 den zu zahlenden Betrag auf 899,82 Euro festgesetzt und eine Erstattung der Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG abgelehnt.

    5
    Der Pflichtverteidiger hat gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss am 06.09.2020 Erinnerung eingelegt. Die Rechtspflegerin hat der Erinnerung nicht abgeholfen. Mit Beschluss des Amtsgerichts Coburg vom 03.02.2021 ist der Verfahrenswert auf 120.000,00 Euro festgesetzt und eine weitergehende Vergütung in Höhe von 447,00 Euro nebst 19 % Umsatzsteuer festgesetzt worden.

    6
    Gegen diesen Beschluss hat der Bezirksrevisor des Landgerichts Coburg am 04.02.2021 Beschwerde eingelegt, die mit Schreiben vom 17.02.2021 begründet worden ist. Mit Schriftsatz des Verteidigers vom 03.06.2021 hat dieser beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

    II.

    7
    Die Beschwerde ist zulässig aber unbegründet.

    8
    Gemäß § 464 a Abs. 2 Nr. 2 StPO gehören zu den notwendigen Auslagen eines Beteiligten die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwaltes, soweit sie nach § 91 Abs. 2 ZPO zu erstatten sind. Zu den erstattenden Gebühren gehört auch grundsätzlich die Wertgebühr nach Nr. 4142 VV RVG. Die Gebühr entsteht für eine Tätigkeit für den Beschuldigten, die sich auf die Einziehung, dieser gleichstehende Rechtsfolgen (§ 439 StPO), die Abführung des Mehrerlöses oder auf eine diesen Zwecken dienende Beschlagnahme bezieht.

    9
    Die Gebühr fällt bereits dann für die beratende Tätigkeit des Rechtsanwaltes an, wenn eine Einziehung in Betracht kommt (BeckOK RVG, 50. Edition, Stand: 01.12.2020, VV 4142 Rn. 9-10).

    10
    Die VV 4142 RVG setzt keine gerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwaltes voraus. Die Einziehung muss auch nicht im Verfahren beantragt worden sein. Es ist bereits ausreichend, wenn eine Einziehung in Betracht kommt oder nach Aktenlage geboten ist (OLG Dresden - Strafsenat, Beschluss vom 14.02.2020 - 1 Ws 40/20). Dies ist vorliegend der Fall. Aus dem Ermittlungsbericht der Kriminalpolizei Coburg vom 13.09.2019 (Bl. 161 d.A.) ergibt sich, dass die ersten Ermittlungen für eine Vermögensabschöpfung aufgenommen wurden. Der Angeschuldigte bzw. der Verteidiger, welcher am 25.10.2019 Akteneinsicht hatte, konnte folglich mit einer vermögensabschöpfenden Maßnahme rechnen, sodass eine Beratung diesbezüglich sachgerecht war. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Angeschuldigte aufgrund des Testamentes seines, nach der Entnahme des Geldes zwischen dem 20.03.2019 und 21.04.2019 verstorbenen Vaters, Erbe geworden ist. Das Testament wurde durch die Polizei sichergestellt. Dennoch hat die Polizei trotz Kenntnis des Testaments Finanzermittlungen im Hinblick auf eine eventuelle Vermögensabschöpfung vorgenommen, sodass eine Beratung diesbezüglich durch den Verteidiger nicht völlig fernliegend war. Zwar vermerkte die Staatsanwaltschaft am 06.06.2019 in der Akte, dass vorerst keine weiteren Maßnahmen zur Vermögensabschöpfung veranlasst sind. Jedoch wurde erst mit Anklageerhebung vom 09.12.2019 endgültig von Vermögensabschöpfung abgesehen. Bis zur Erhebung der Anklage waren weitere vermögensabschöpfende Maßnahmen nicht ausgeschlossen bzw. zumindest jedoch nicht derart fernliegend, dass eine anwaltliche Beratung hierzu nicht sachgerecht gewesen wäre. Zumal auch eine Beratung zu den bereits vorgenommenen Maßnahmen sowie zu den etwaigen Auswirkungen des Todes des Vaters und des Testamentes auf die weiteren Ermittlungen und vermögensabschöpfenden Maßnahmen bereits eine Beratung, die sich auf eine mögliche Einziehung bezieht, darstellt.

    11
    Vor der am 01.07.2017 in Kraft getretenen Neuregelung der Vermögensabschöpfung wurde die Ansicht vertreten, dass es sich bei Nr. 4142 VV RVG um eine Maßnahme handeln musste, die dem Betroffenem den Gegenstand endgültig entzieht und es dadurch zu einem endgültigen Vermögensverlust kommen musste. Maßnahmen der Rückgewinnungshilfe waren daher nach herrschender Meinung nicht erfasst.

    12
    Das am 01.07.2017 in Kraft getretene Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung hat das Recht der Vermögensabschöpfung grundlegend neu geregelt. Das Rechtsinstitut des Verfalls wurde abgeschafft und durch das Rechtsinstitut der Einziehung von Taterträgen ersetzt. Ebenso wurden die Regelungen zur Rückgewinnungshilfe abgeschafft. Nach den Neuregelungen werden alle Anordnungen nach § 73 ff. StGB als Einziehung bezeichnet. Nach dem Wortlaut der Nr. 4142 VV RVG fällt die Gebühr u.a. für alle Tätigkeiten an, die sich auf die Einziehung beziehen. Durch die neuen Vorschriften zur Vermögensabschöpfung kann der Verletzte mit Rechtskraft der Einziehungsanordnung nunmehr die Rückübertragung und Herausgabe der eingezogenen Gegenstände bzw. seine Befriedigung aus dem eingezogenen Wertersatz verlangen. Die Einziehungsentscheidung wird daher nach neuem Recht bereits endgültig zu Lasten des Angeschuldigten getroffen. Damit stellt die Einziehung stets eine auf den endgültigen Verlust des Gegenstandes oder des Vermögens gerichtete Maßnahme dar (LG Cottbus, Beschluss vom 22.01.2018 - 22 Wi Qs 16/17). Dies hat zur Folge, dass die Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG für alle Tätigkeiten des Verteidigers entsteht, die sich auf die Einziehung oder einer ihr gleichstehenden Rechtsfolge bezieht, unabhängig davon, ob die Vermögensabschöpfung auch der Entschädigung des Verletzten dient (KG Berlin, 1. Strafsenat, Beschluss vom 06.03.2019 - 1 Ws 31/18).

    13
    Bei der Gebühr Nr. 4142 VV RVG handelt es sich um eine besondere, als Wertgebühr ausgestaltete Verfahrensgebühr. Besondere Tätigkeiten des Rechtsanwaltes sind dabei nicht erforderlich, da ihm die Gebühr als reine Wertgebühr unabhängig vom Umfang der Tätigkeit zusteht. Damit genügt es, wenn der Verteidiger beratend im Zusammenhang mit der möglichen Einziehung tätig wird. (LG Chemnitz, 4. große Strafkammer, Beschluss vom 09.01.2020 - 4KLs 310 Js 40553/18; OLG Dresden (Strafsenat), Beschluss vom 14.02.2020 - 1 Ws 40/20). Dem Pflichtverteidiger war daher eine 1,0 Verfahrensgebühr gemäß VV RVG Nr. 4142 zu erstatten.

    14
    Auch der Verfahrenswert wurde vom Amtsgericht Coburg ordnungsgemäß festgesetzt.

    15
    Der Gegenstandswert richtet sich nach § 2 Abs. 1 RVG. Danach ist Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit der Anspruch auf Einziehung, auf den sich die Tätigkeit des Rechtsanwaltes bezieht. Gegenstandswert ist der objektive Geldwert des Gegenstandes. Die für die Wertgebühr maßgebende Höhe richtet sich nach den zum Zeitpunkt der Beratung erkennbaren Anhaltspunkten. Ob sich später Anhaltspunkte für einen niedrigeren Wert ergeben, ist insoweit unerheblich (OLG Oldenburg, Beschluss vom 6.7.2011 - 1 Ws 351/11). Für die Bestimmung des Gegenstandswertes ist somit nicht maßgeblich darauf abzustellen, ob und in welcher Höhe eine Einziehung im Urteil letztlich angeordnet worden ist, sondern vielmehr darauf, in welcher Höhe dem Angeschuldigten eine Einziehung drohte (LG Berlin, Beschluss vom 13.04.2018 - 511 KLs 255 Js 739/14 - 11/17; LG Essen - XXIV. große Strafkammer - Jugendkammer, Beschluss vom 04.12.2018 - 64 Qs-68 Js 1180/16-23/18). Hier wurde dem Angeschuldigten ein Diebstahl von Bargeld in Höhe 120.000,00 Euro vorgeworfen. Zum Zeitpunkt der anwaltlichen Beratung drohte dem Angeschuldigten eine Einziehung in dieser Höhe. Dieser Wert war somit maßgeblich für die Festsetzung des Verfahrenswertes.

    III.

    16
    Das Beschwerdeverfahren ergeht gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 33 Abs. 9 RVG).

    IV.

    17
    Die Zulassung der weiteren Beschwerde beruht auf § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 6 RVG.

    RechtsgebieteStrafrecht, Einziehung VorschriftenNr. 4142 VV RVG, §§ 73 ff. StGB