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  • 11.07.2022 · IWW-Abrufnummer 230168

    Oberlandesgericht Braunschweig: Urteil vom 13.06.2022 – 4 W 16/22

    1.

    § 32 Abs. 2 RVG eröffnet dem Rechtsanwalt nicht die Möglichkeit, einen vom Gericht nur vorläufig festgesetzten Streitwert - erst recht nicht eine Festsetzung des Zuständigkeitsstreitwerts - mit der Beschwerde anzufechten.
    2.

    Die in § 68 Abs. 3 GKG gesetzlich bestimmte Gebührenfreiheit gilt nur für statthafte Verfahren.



    Tenor:

        1.

        Die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Kläger vom 9. März 2022 gegen den Streitwertbeschluss vom 23. Februar 2022 wird als unzulässig verworfen.
        2.

        Die Prozessbevollmächtigten der Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

    Gründe

    I.

    Die Kläger nehmen die Beklagte nach Widerruf auf Rückabwicklung eines mit einem Kraftfahrzeug-Kaufvertrag verbundenen Verbraucherdarlehensvertrages in Anspruch und verlangen Rückzahlung von 30.073,91 Euro nebst Zinsen nach Herausgabe und Übereignung des finanzierten Fahrzeuges sowie Freistellung von vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten.

    Das ursprünglich angerufene Landgericht Itzehoe hat die Entscheidung des Rechtsstreits durch Beschluss vom 12. November 2021 dem Einzelrichter übertragen.

    Sodann hat sich das Landgericht Itzehoe durch Beschluss vom 23. Februar 2022 gemäß § 281 Abs. 1 ZPO für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit auf Antrag der Kläger an das Landgericht Braunschweig verwiesen. In diesem Zuge hat es den Streitwert auf 27.897,13 Euro festgesetzt.

    Gegen den Streitwertbeschluss haben die Prozessbevollmächtigten der Kläger mit Schriftsatz vom 9. März 2022 Beschwerde eingelegt und beantragen, den Streitwert auf 30.073,91 Euro festzusetzen. Zwar sei es zutreffend, dass sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes der Streitwert bei verbundenen Verträgen nach der Höhe des Nettodarlehensbetrages zuzüglich einer eventuellen Anzahlung bemesse. Der vorliegende Fall sei nach ihrer Ansicht jedoch anders zu bewerten, weil das streitgegenständliche Darlehen bereits abgelöst worden sei. In dieser Konstellation gehörten die zurückgeforderten Zinsen zur Hauptforderung, sodass § 43 Abs. 1 GKG nicht anwendbar sei und der Streitwert durch sämtliche geleisteten Zahlungen bestimmt werde.

    Das Landgericht Braunschweig - der Einzelrichter - hat der Beschwerde durch Beschluss vom 15. März 2022 nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

    Der Senat hat mit Verfügung vom 11. Mai 2022 darauf hingewiesen, dass die Beschwerde unzulässig sein dürfte. Von der Gelegenheit zur Stellungnahme haben die Prozessbevollmächtigten der Kläger keinen Gebrauch gemacht.

    II.

    Die Beschwerde ist unzulässig.

    1.

    Zwar ist die örtliche Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Braunschweig gegeben.

    Nach der Verweisung des Rechtsstreits gemäß § 281 ZPO ist die Festsetzung als eine solche des Landgerichts Braunschweig anzusehen, obwohl der angegriffene Beschluss von dem Landgericht Itzehoe erlassen wurde, welches außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Oberlandesgerichts Braunschweig liegt. Denn nach Verweisung gemäß § 281 ZPO ist über Rechtsbehelfe so zu entscheiden, als stamme die angefochtene Entscheidung vom angewiesenen Gericht (Zöller/Greger, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 281 Rn. 15a m.w.N.; vgl. für den Fall der Verweisung vom Amtsgericht an das Landgericht: Gerold/Schmidt/Mayer, 25. Aufl. 2021, RVG § 32 Rn. 90).

    2.

    Die Beschwerde ist jedoch unstatthaft.

    Bei der Wertfestsetzung in dem angefochtenen Beschluss vom 23. Februar 2022 handelt es sich um eine vorläufige, die der Anfechtung durch Beschwerde entzogen ist.

    a)

    Durch den angefochtenen Beschluss hat das Landgericht den Streitwert lediglich vorläufig zur Information der Parteien über die sachliche Zuständigkeit festgesetzt.

    Rechtsgrundlage für den Beschluss ist ausdrücklich § 281 Abs. 1 ZPO. Für diesen Fall statuiert das Gesetz keine Verpflichtung des Gerichts zur Wertfestsetzung. Allerdings hat sich mancherorts eine Übung herausgebildet, in dem Verweisungsbeschluss gemäß § 281 Abs. 1 ZPO zugleich zum Streitwert auszuführen. Dies dient jedoch allein der Information der Parteien über die Grundlage der sachlichen Zuständigkeit des jeweiligen Gerichts und hat keinen endgültig bindenden Charakter. Mit anderen Worten: Es handelt sich um die Festsetzung des "Zuständigkeitsstreitwerts", nicht aber um die Festsetzung des "Gebührenstreitwerts" (in diesem Sinne auch: OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16. Mai 2006 - 15 W 21/06 -, Rn. 9 m.w.N., juris; OLG Celle, Beschluss vom 6. August 2012 - 2 W 206/12 -, Rn. 6, juris; vgl. auch Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 1. Februar 2007 - 2 W 80/06 -, Rn. 4, juris; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10. Juni 2008 - I-24 W 40/08 -, Rn. 4, juris).

    An der Unverbindlichkeit der Festsetzung im Hinblick auf den Gebührenstreitwert ändert auch die Regelung in § 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO nichts, nach der der Beschluss über die Verweisung bei Unzuständigkeit unanfechtbar ist.

    Denn Sinn und Zweck dieser Anordnung ist es, die Verweisung - und nur diese - der Anfechtbarkeit zu entziehen, um die Entscheidung in der Sache nicht durch Streitigkeiten um die Zuständigkeit zu belasten und zu verzögern (vgl. Musielak/Voit/Foerste, 19. Aufl. 2022, ZPO § 281 Rn. 14).

    Die Bindung an den im Verweisungsbeschluss festgesetzten Streitwert besteht nur insoweit, als er die sachliche Zuständigkeit berührt bzw. er sich auf die Zuständigkeitsschwelle bezieht (OLG München, Beschluss vom 29. Februar 1988 - 5 W 956/88 -, MDR 1988, 973; MüKoZPO/Prütting, 6. Aufl. 2020, ZPO § 281 Rn. 50; Musielak/Voit/Foerste, 19. Aufl. 2022, ZPO § 281 Rn. 16).

    b)

    Die vorläufige Wertfestsetzung ist nicht anfechtbar.

    § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG bestimmt, dass die Beschwerde gegen einen solchen Beschluss stattfindet, "durch den der Wert für die Gerichtsgebühren festgesetzt worden ist (§ 63 Absatz 2)". Indem die in § 63 Abs. 1 GKG geregelte vorläufige Wertfestsetzung keine Erwähnung findet und demgegenüber allein auf § 63 Abs. 2 GKG verwiesen wird, stellt das Gesetz klar, dass damit nur die endgültige Wertfestsetzung gemeint ist.

    Die Partei selbst kann daher die vorläufige Streitwertfestsetzung grundsätzlich nicht im Wege der Beschwerde überprüfen lassen (vgl. nur Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 26. Januar 2021 - 11 W 2/21 -, Rn. 3 m.w.N., juris).

    § 32 Abs. 2 RVG räumt dem Rechtsanwalt kein im Vergleich zur Partei weitergehendes Beschwerderecht ein. Nach dieser Vorschrift kann der Rechtsanwalt aus eigenem Recht die Festsetzung des Werts beantragen und Rechtsmittel gegen die Festsetzung einlegen.

    Es verbleibt jedoch bei dem Grundsatz, dass der Anwalt im Wertfestsetzungsverfahren keine weitergehenden Beschwerdemöglichkeiten haben darf als die von ihm vertretene Partei (Mayer/Kroiß/Kießling, 8. Aufl. 2021, RVG § 32 Rn. 56; Riedel/Sußbauer/Potthoff, 10. Aufl. 2015, RVG § 32 Rn. 95; Schneider/Volpert/Fölsch/H. Schneider, 3. Aufl. 2021, RVG § 32 Rn. 24; OLG Hamm, Beschluss vom 11. März 2005 - 2 WF 49/05 -, Rn. 7, juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 4. Januar 2006 - 4 W 72/05 -, Rn. 4, juris).

    Zwar wird in der Literatur vereinzelt vertreten, dass § 32 Abs. 2 RVG dem Rechtsanwalt auch ein Rechtsmittel gegen die nur vorläufige Festsetzung an die Hand gebe (Hartung/Schons/Enders, 3. Aufl. 2017, RVG § 32 Rn. 9 m.w.N.; Toussaint/Toussaint, 52. Aufl. 2022, RVG § 32 Rn. 14; weitere Nachweise bei: OLG Köln, Beschluss vom 17. Juli 2019 - I-13 W 25/19, 13 W 25/19 -, Rn. 25, juris).

    Diese Position wird damit begründet, dass auch der nur vorläufigen Wertfestsetzung für den Rechtsanwalt elementare Bedeutung zukomme: Sie berühre seinen Gebührenanspruch, da er die vorläufige Festsetzung für die Bestimmung seines Vorschusses beachten müsse. Ein wegen einer verfehlten vorläufigen Wertfestsetzung zu niedrig bemessener Vorschuss führe dazu, dass der Rechtsanwalt dazu gezwungen werde, den Prozess für seinen Mandanten vorzufinanzieren. Das Insolvenzrisiko seines Mandanten gehe voll zu seinen Lasten; "[d]ies kann nicht angehen" (Hartung/Schons/Enders, 3. Aufl. 2017, RVG § 32 Rn. 9; vgl. auch Egon Schneider, MDR 2000, 380 [381]).

    Abgesehen davon, dass die Tragfähigkeit einer Begründung unter Rekurs auf die Behauptung, "dass nicht sein kann, was nicht sein darf", schon für sich genommen brüchig ist, verfangen auch die Argumente in der Sache nicht.

    Zum einen kann sich der Rechtsanwalt gegen das Risiko zu niedrig bemessener Vorschüsse dadurch schützen, dass er bereits vor der vorläufigen Wertfestsetzung durch das Gericht einen Vorschuss nach der nach seiner Auffassung zutreffenden Wertbestimmung erhebt, der auch bei abweichender nachträglicher vorläufiger Festsetzung durch das Gericht zunächst Bestand hat (OLG Dresden, Beschluss vom 6. Oktober 2020 - 4 W 678/20 -, Rn. 3, juris).

    Zum anderen trägt über den dann auch zu niedrig angesetzten Gerichtskostenvorschuss die Staatskasse dasselbe Risiko (OLG Hamm, Beschluss vom 11. März 2005 - 2 WF 49/05 -, Rn. 9, juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 4. Januar 2006 - 4 W 72/05 -, Rn. 4, juris; OLG Köln, Beschluss vom 17. Juli 2019 - I-13 W 25/19 -, Rn. 28, juris).

    Schließlich steht der Rechtsanwalt auch deshalb nicht rechtsschutzlos da, weil es ihm unbenommen bleibt, gegen die vorläufige Wertfestsetzung eine Gegenvorstellung zu erheben, hinsichtlich derer eine Amtspflicht eines jeden Gerichts besteht, sich mit den Einwendungen zu befassen und die Wertfestsetzung gegebenenfalls zu korrigieren (Mayer/Kroiß/Kießling, 8. Aufl. 2021, RVG § 32 Rn. 57).

    Der Senat schließt sich nach alledem der ganz herrschenden Auffassung an, nach der § 32 Abs. 2 RVG nicht die Möglichkeit eröffnet, einen vom Gericht nur vorläufig festgesetzten Streitwert - erst recht nicht eine Festsetzung des Zuständigkeitsstreitwerts - mit der Beschwerde anzufechten (OLG Köln, Beschluss vom 17. Juli 2019 - I-13 W 25/19, 13 W 25/19 -, Rn. 27 m.w.N. in Rn. 29, juris; OLG Dresden, Beschluss vom 6. Oktober 2020 - 4 W 678/20 -, Rn. 3, juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 28. Dezember 2018 - 12 W 661/18 -, Rn. 4, juris; BeckOK KostR/Laube, 37. Ed. 1.4.2022, GKG § 68 Rn. 38.1; Gerold/Schmidt/Mayer, 25. Aufl. 2021, RVG § 32 Rn. 81; Mayer/Kroiß/Kießling, 8. Aufl. 2021, RVG § 32 Rn. 56).

    III.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die in § 68 Abs. 3 GKG gesetzlich bestimmte Gebührenfreiheit gilt nur für statthafte Verfahren (BGH, Beschluss vom 3. März 2014 - IV ZB 4/14 -, Rn. 2, juris).

    Der allgemeine Grundsatz der Kostentragungspflicht bei erfolglos eingelegtem Rechtsmittel lebt nicht nur bei ausdrücklich von Gesetzes wegen ausgeschlossenen Beschwerden wieder auf (so in BGH, Beschluss vom 3. März 2014 - IV ZB 4/14 -, Rn. 1, juris, wegen § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG), sondern gilt auch dann, wenn sich - wie hier - die Unstatthaftigkeit aus der Gesetzessystematik ergibt (im Ergebnis ebenso OLG Köln, Beschluss vom 17. Juli 2019 - I-13 W 25/19 -, Rn. 30, juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 28. Oktober 2015 - 9 W 65/15 -, Rn. 12, juris; a.A. OLG Koblenz, Beschluss vom 23. August 2012 - 5 W 466/12 -, Rn. 10, juris).

    RechtsgebietKostenrecht Vorschriften§ 68 Abs. 1, 3 GKG, § 32 Abs. 2 RVG