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  • 25.07.2022 · IWW-Abrufnummer 230412

    Amtsgericht Paderborn: Urteil vom 07.12.2021 – 51a C 113/21

    Diese Entscheidung enhält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.




    Freistellung eines Versicherten von anwaltlichen Kosten gegenüber seinem Prozessbevollmächtigten i.R.e. Rechtsschutzversicherungsvertrags
    Tenor:

    Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger gegenüber seinem Prozessbevollmächtigten, Rechtsanwalt I, durch unmittelbare Zahlung an diesen von anwaltlichen Kosten in Höhe von 256,45 € freizustellen.

    Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
    [Tatbestand]

    Ohne Tatbestand (gemäß § 313a Abs. 1 ZPO).
    Entscheidungsgründe

    Die zulässige Klage ist begründet.

    I.

    Dem Kläger steht gegenüber der Beklagten ein Anspruch auf Freistellung von anwaltlichen Kosten gegenüber seinem Prozessbevollmächtigten in Höhe von 256,45 € aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Rechtsschutzversicherungsvertrag zu.

    1.

    Zwischen den Parteien ist dem Grunde nach unstreitig, dass die Beklagte aus dem bestehenden Rechtsschutzversicherungsvertrag zur Übernahme der dem Kläger im Zusammenhang mit dem geführten Bußgeldverfahren entstandenen Rechtsanwaltskosten verpflichtet ist.

    2.

    Dem Kläger steht - unter Berücksichtigung der von Seiten der Beklagten bereits erfolgten Zahlungen in Höhe von insgesamt 743,75 € - weiterhin die Freistellung von einer Grundgebühr gemäß Nr. 5100 RVG-VV in Höhe von noch 25,00 €, einer Verfahrensgebühr gemäß Nr. 5103 RVG-VV in Höhe von noch 75,00 €, einer Verfahrensgebühr gemäß Nr. 5109 RVG-VV in Höhe von noch 45,00 €, einer Terminsgebühr gem. Nr. 5110 RVG-VV in Höhe von noch 70,50 € und Steueranteilen in Höhe von weiteren 40,95 € zu. Soweit der Kläger weiter eine Auslagenpauschale in Höhe von 40,00 €, Kopierkosten in Höhe von 8,00 € und eine Aktenversendungspauschale in Höhe von 12,00 € erstattet verlangt hat, ist bereits vorprozessual Erfüllung eingetreten.

    a)

    Die Rahmengebühr nach § 14 RVG - wie sie hier mit Rücksicht auf die Gebührentatbestände im Streit steht - ist unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen zu bestimmen (vgl. AG Hamburg-Harburg, Beschluss vom 03. Juni 2021 - 621 OWi 128/21 -, Rn. 12, juris).

    Hiernach war im vorliegenden Fall jeweils die Mittelgebühr festzusetzen. Nach zutreffender Ansicht ist bei straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren grundsätzlich der Ansatz der Mittelgebühr als Ausgangspunkt gerechtfertigt (vgl. AG München, Urteil vom 02. Dezember 2019 - 213 C 16136/19 -, Rn. 4, juris).

    Unter der Geltung der BRAGO war streitig, ob in Bußgeldverfahren wegen alltäglicher Verkehrsordnungswidrigkeiten die Mittelgebühr oder lediglich nur im unteren Bereich des jeweiligen Rahmens liegende Gebühren als angemessen angesehen werden können. Unter der Geltung des RVG ist jedoch nach weit überwiegender Rechtsprechung bei straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren grundsätzlich der Ansatz der Mittelgebühr als Ausgangspunkt gerechtfertigt (vgl. AG München Endurteil v. 2.12.2019 - 213 C 16136/19; AG Landstuhl Beschl. v. 8.4.2020 - 2 OWi 186/20; AG Trier Beschl. v. 8.12.2020 - 35a OWi 58/20). Insbesondere wird die Mittelgebühr in der Regel als gerechtfertigt angesehen, wenn ein Fahrverbot in Frage steht oder Eintragungen in das Verkehrszentralregister (vgl. AG Frankenthal AGS 2005, 293 f [AG Frankenthal 29.04.2005 - 5189 Js 16685/04 1 OWi], AG Viechtach AGS 2007, 83f, AG Pinneberg AGS 2005, 552 f; AG Trier Beschl. v. 8.12.2020 - 35a OWi 58/20; AG Hamburg-Harburg, Beschluss vom 03. Juni 2021 - 621 OWi 128/21 -, Rn. 13, juris). Dies ist hier der Fall. In dem Bußgeldbescheid wurde gegen den Betroffenen ein Bußgeld in Höhe von 90,00 € festgesetzt. Diese Festsetzung zieht die Eintragung von einem Punkt im Fahreignungsregister nach sich.

    b)

    Die gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG zu berücksichtigenden Umstände waren sämtlich durchschnittlicher Art - mithin die Bedeutung der Angelegenheit war üblich, Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit waren durchschnittlich und auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers haben keine andere Bewertung gefordert. Vorliegend war lediglich ein Bußgeld von 90,00 Euro (samt Eintragung eines Punktes) Gegenstand des Bußgeldbescheides. Diese drohende Rechtsfolge entspricht jedoch durchaus dem Durchschnitt bei Verkehrsordnungswidrigkeiten.

    aa)

    Die Bedeutung der Angelegenheit war üblich.

    Dieses Merkmal bestimmt sich nach der tatsächlichen, wirtschaftlichen, rechtlichen und persönlichen Bedeutung für den Auftraggeber. Maßstab ist sein persönliches, ideelles oder wirtschaftliches Interesse am Ausgang der Angelegenheit im Hinblick auf den von ihm erhofften Erfolg. Deshalb sind insbesondere Auswirkungen auf die berufliche oder persönliche Stellung des Auftraggebers, die grundsätzliche Bedeutung der Angelegenheit für ihn über den Einzelfall hinaus oder eine sonstige vom Auftraggeber zum Ausdruck gebrachte Bedeutung in der Bewertung zu berücksichtigen.

    Hierbei erachtet das Gericht neben dem wirtschaftlichen Interesse des Auftraggebers auch dessen ideelles Interesse als besonders maßgeblich. Der Vorwurf des Begehens einer Ordnungswidrigkeit muss - sofern der Betroffene meint, die Ordnungswidrigkeit nicht begangen zu haben - angreifbar sein. Der Rechtsanwalt, welcher insoweit eingehend mit dem Kläger beraten hat, kennt die Umstände der Mandatsbearbeitung, die nicht sämtlich aktenkundig sein müssen, besser als ein Außenstehender, weshalb das Gericht die Angaben des Prozessbevollmächtigten, dass die Angelegenheit für den Kläger von Interesse war, zugrunde legt.

    Darüber hinaus wurde dem Kläger mit dem Bußgeldbescheid eine Buße von 90,00 € auferlegt, welche die Eintragung eines Punktes im Register zur Folge hatte. Das Gericht geht mit der Vorlage des Schreibens vom 13.01.2021 davon aus, dass der Anwalt die Auskunft aus dem Fahreignungsregister eingeholt hat und diese für den Kläger einen Gesamtpunktestand von einem 1 Punkt auswies. Auch wenn der Kläger in diesem Falle bereits Voreintragungen hatte, so gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass ein Entzug der Fahrerlaubnis drohte und die Entscheidung noch weiter reichende Konsequenzen privater und beruflicher Natur für den Kläger gehabt hätte. Daher ist die Bedeutung der Angelegenheit zumindest auch durchschnittlich.

    bb)

    Der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit waren durchschnittlich.

    Bei der dem Vorfall rechtlich zugrunde liegenden Materie - der Vorwurf eines Rotlichtverstoßes nach der StVO - handelt es sich um eine durchschnittliche, keinen hervorgehobenen rechtlichen Anforderungen entsprechende Angelegenheit, wie sie in einem derartigen Tätigkeitsgebiet aufgrund der Häufigkeit und Alltäglichkeit gehäuft vorkommt. Auch ist die Auseinandersetzung mit diesem Verstoß, welcher auf eingehenden und auch für den Laien verständlichen tatsächlichen Sachverhalten beruht, keiner gesonderten höherwertigen technischen Beurteilung zugänglich, so wie z.B. anderweitig die Durchdringung sachverständiger Messgutachten.

    Auch der vorliegende Umfang der Tätigkeit war durchschnittlich. Der Umfang bezeichnet den zeitlichen Aufwand, den der Rechtsanwalt bei sorgfältiger Führung des Mandates verwenden muss und tatsächlich aufgewandt hat. Maßgeblich sind z. B. die Dauer von Besprechungen und der Umfang der zu erarbeitenden Unterlagen, aber auch der Zeitraum, über den das Mandat geführt worden ist. Maßstab für die Bewertung sind vergleichbare Mandate.

    So erfolgte nach Erlass des Bußgeldbescheids lediglich die standardisierte Einlegung des Einspruchs. Eine rechtlich fundierte Einlassung erfolgte schriftlich weder im Bußgeldverfahren noch im gerichtlichen Verfahren. Die Anforderung der Akte und die Einholung einer Auskunft aus dem Fahreignungsregister sind Standard in jeglichen Bußgeldverfahren. Dies gilt ebenso für die Besprechung des Verfahrens mit der Mandantschaft und daraus erfolgende fernmündliche Anfragen und Gespräche.

    Das Gericht geht anhand der von der Klägerseite eingereichten Fotos davon aus, dass eine Ortsbesichtigung durch den Prozessbevollmächtigten mit dem Kläger stattgefunden hat, bei welchen Fotos angefertigt wurden. Die Dauer des Ortstermins wurde weiterhin von der Beklagtenseite bestritten. Die Feststellung der Dauer ist jedoch nicht entscheidungserheblich. Denn auch die Durchführung eines Ortstermins in diesem Verfahren ändert nichts an dem als durchschnittlich zu bewertenden Umfang der Tätigkeit. Überdies war die Durchführung eines Ortstermins, soweit der Kläger selbst auch Lichtbilder gefertigt hat, für den Prozessbevollmächtigten nicht erforderlich. Denn die Entscheidung wird letztlich auch aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung und der dieser lediglich zugrunde liegenden Fotos und den sich daraus ergebenden Winkeln und Lichtverhältnissen gebildet. Insoweit wäre es ausreichend und angemessen gewesen, wenn auch die anwaltliche Tätigkeit sich auf die von dem Kläger bereits gefertigten Fotos erstreckt hätte.

    Auch Dauer und Umfang der Hauptverhandlung sowie die rechtliche Schwierigkeit dessen waren durchschnittlich. Die genaue Dauer des Hauptverhandlungstermins war zwischen den Parteien weiter streitig. Jedoch wurde durch die Klägerseite eingeräumt, dass diese ggf. auch unter einer Stunde gedauert haben könnte. Jedenfalls sofern sich die Dauer etwa in diesem zwischen den Parteien zumindest unstreitigen und darüber hinaus streitigen Rahmen befindet, ist eine genaue Feststellung der Dauer, da eine erheblich über diesen Umfang bestehende Dauer seitens des Klägers nicht behauptet wurde, nicht erforderlich. Denn das Gericht stuft diesen Zeitraum in den vorgetragenen Varianten in jedem Fall als durchschnittlich ein. Die Vernehmung der - üblicherweise bei einem solchen Verstoß vorliegenden - zwei Polizeibeamten als Zeugen entspricht dem grundsätzlichen Ablauf einer Hauptverhandlung in einem derartigen Verfahren. Nachfragen und Vorhalte - auch unter Zuhilfenahme von Fotos und Skizzen - sind übliche Verhandlungsmethodik und weder nach dem Umfang noch der rechtlichen Komplexität an höheren Maßstäben zu messen.

    cc)

    Auch die Berücksichtigung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers rechtfertigen vorliegend keine anderweitige Beurteilung.

    Konkrete Anhaltspunkte für die Vermögensverhältnisse des Betroffenen sind der Akte nicht zu entnehmen. Hierzu macht der Prozessbevollmächtigte keine konkreten Angaben. Die Beklagtenseite geht von einem unterdurchschnittlichen Einkommen des Klägers aus. Jedoch selbst bei Zugrundelegung eines unterdurchschnittlichen Einkommens rechtfertigt dies nicht, im Sinne des § 14 RVG von der Mittelgebühr abzuweichen. Denn bei der vorliegenden Buße von 90,00 € und einem Punkt, welcher ohne unmittelbare führerscheinrechtliche Konsequenzen verbunden ist, stellt die Sache auch an ein unter dem Durchschnitt liegendes Einkommen keine besonderen Anforderungen wirtschaftlicher, beruflicher oder privater Natur.

    c)

    Nach alledem sind als Grundgebühr gem. Nr. 5100 VV eine Mittelgebühr von 110,00 €, eine Verfahrensgebühr gem. Nr. 5103 VV in Höhe von 176,00 €, eine Verfahrensgebühr gem. Nr. 5109 VV in Höhe von 176,00 € und eine Terminsgebühr gem. Nr. 5110 VV in Höhe von 280,50 € zuzüglich Nebenkosten (40,00 € Auslagenpauschale, 8,00 € Kopierkosten, 12,00 € Aktenversendungspauschale und hierauf entsprechende Steueranteile) als billig zu bewerten.

    d)

    Soweit der Kläger jedoch in Teilen über diese Mittelgebühr hinausgehende Beträge verlangt, so kann er eine Freistellung hierfür aufgrund der dem Anwalt hier insoweit zuzubilligenden Toleranzgrenze von 20 % fordern.

    Übt der Rechtsanwalt sein Ermessen pflichtgemäß aus, billigt ihm die Rechtsprechung einen Toleranzspielraum von bis zu 20 % zu (Hartung/Schons/Enders Rn. 23; Gerold/Schmidt/Mayer Rn. 12 f.). Liegt die von dem Rechtsanwalt bestimmte Gebühr noch innerhalb des Toleranzrahmens, ist sie nach der Rechtsprechung noch nicht unbillig (OLG Düsseldorf Rpfleger 2002, 330 [OLG Düsseldorf 10.12.2001 - 4 Ws 523/01]; OLG Hamm Rpfleger 1999, 565 [OLG Hamm 07.07.1999 - 2 Ws 179/99]; OLG Koblenz NJW 2005, 918; OLG Köln JurBüro 1994, 30; OLG München AnwBl 1992, 455 [OLG München 25.06.1991 - 11 WF 795/91]; OLG Zweibrücken MDR 1992, 196; SG Freiburg MDR 1999). Bei der Prüfung, ob ein Gebührenansatz innerhalb des Toleranzrahmens liegt, sind die gesamten Gebühren für einen Verfahrensabschnitt heranzuziehen (OLG Koblenz NJW 2005, 918 [OLG Karlsruhe 25.10.2004 - 1 Ws 374/04][OLG Karlsruhe 25.10.2004 - 1 Ws 374/04]) (vgl. BeckOK RVG/v. Seltmann, 53. Ed. 1.9.2021, RVG § 14 Rn. 13).

    Demnach waren die für die jeweiligen Verfahrensabschnitte unter der Toleranzgrenze von 20 % liegenden Überschreitungen nicht als unbillig zu bemessen.

    II.

    Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 11, 713 ZPO.

    III.

    Der Streitwert wird auf bis 300,00 € festgesetzt.
    Hinweis:

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    RechtsgebietOrdnungswidrigkeitenVorschriften§ 14 RVG