11.10.2022 · IWW-Abrufnummer 231712
Oberlandesgericht Frankfurt a. M.: Beschluss vom 08.07.2022 – 10 W 10/22
Hat ein Beklagter durch sein Verhalten zunächst Anlass zur Klageerhebung i.S.v. § 93 ZPO gegeben, dieses Verhalten aber noch vor Einreichung der Klage geändert, so dass der Klager davon ausgehen musste auch ohne Anrufung des Gerichts zu seinem Recht zu kommen, hat der Kläger bei sofortigem Anerkenntnis die Prozesskosten nach § 93 ZPO zu tragen.
OLG Frankfurt 10. Zivilsenat
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird die Kostenentscheidung im Urteil des Landgerichts Gießen vom 9.2.2022 abgeändert.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 98 % und die Beklagte 2 % zu tragen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen der Klägerin zur Last.
Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis zu 19.000,00 € festgesetzt.
Gründe
Die gem. §§ 99 Abs. 2, 567 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 569 ZPO zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
Zu Unrecht hat das Landgericht der Beklagten die volle Kostenlast für den Rechtsstreit auferlegt. Vielmehr sind die Voraussetzungen des § 93 ZPO für die anerkannten Ansprüche erfüllt.
Eine Partei gibt Anlass zur Erhebung einer (Stufen-)klage, wenn ihr vorprozessuales Verhalten aus Sicht des Klägers bei vernünftiger Betrachtung hinreichenden Anlass zu der Annahme bietet, er werde ohne Inanspruchnahme der Gerichte nicht zu seinem Recht kommen (Flockenhaus in Musielak/Voit, ZPO, 19. Aufl., § 93 Rnr. 2, 25 m.w.N.; s. zum entscheidenden Zeitpunkt bei der Stufenklage z.B. OLG Bamberg, NJW 2020, 2649; Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 24. November 2021 - 5 W 37/21 -, juris). Bei fälligen Forderungen genügt dafür in der Regel, dass der Beklagte vor dem Prozess in Verzug geraten ist (Flockenhaus, a.a.O., Rnr. 2; OLG Köln Beschl. v. 7.5.2018 - 24 W 1/18, BeckRS 2018, 8675 Rnr. 9). Von dieser Regel gibt es aber Ausnahmen, so z.B. wenn der Beklagte redlicherweise davon ausgehen durfte, dass eine von ihm erbetene Fristverlängerung stillschweigend gewährt wurde (MüKoZPO/Schulz ZPO § 93 Rn. 22; vgl. OLG Hamburg MDR 2010, 1211).
Zwar befand sich hier die Beklagte mit der Erfüllung des Auskunftsanspruchs in Verzug. Denn die Klägerin hatte die Beklagte mit anwaltlichem Schreiben vom 19.3.2019 zur Erteilung eines notariellen Nachlassverzeichnisses aufgefordert und hierzu Frist bis zum 30.4.2019 gesetzt. Dem entsprach die Beklagte zunächst nicht; vielmehr teilte sie durch ihren Ergänzungspfleger mit Schreiben vom 9.5.2019 dem Anwalt der Klägerin mit, sie (die Beklagte) habe den Testamentsvollstrecker zur Erstellung eines Nachlassverzeichnisses aufgefordert (Anl. B11, Bl. 220 d.A.). Nachdem die Klägerin daraufhin mit anwaltlichem Schreiben vom 12.5.2019 erklärte, auf einem notariellen Nachlassverzeichnis zu bestehen, und an eine gesetzte Frist zum 31.5.2019 erinnerte (Anl. K5, Bl. 12 d.A.), erwiderte die Beklagte erst mit Schreiben vom 21.6.2019 (Anl. K6 Bl. 13). In diesem Zeitpunkt hatte die Beklagte mithin durchaus Anlass zur Klageerhebung gegeben.
Dieser Anlass entfiel jedoch, nachdem die Beklagte mit dem genannten Schreiben, dem Anwalt der Klägerin zugegangen am 24.6.2019, mitteilte, umgehend einen Stadt1er Notarkollegen mit der Erstellung eines notariellen Nachlassverzeichnisses zu beauftragen. Jedenfalls aber entfiel der Anlass zur Klageerhebung mit Zugang des Schreibens vom 4.7.2019 (Anl. K7 Bl. 14), in welchem die Beklagte der Klägerin mitteilen ließ, dass sie den Notar X, Stadt1, beauftragt habe; dieser werde sich mit allen Beteiligten in Verbindung setzen. Dem Schreiben „vorab“ beigefügt war ein vom Anwalt des Testamentsvollstreckers erstelltes Nachlassverzeichnis. Zudem teilte der Notar X mit Schreiben vom 16.7.2019 mit, dass er einen Ortstermin für den 31.7.2019 angesetzt habe.
Die Einreichung der Klage nebst Prozesskostenhilfeantrag vom 19.7.2019 am 23.7.2019 war vor diesem Hintergrund verfrüht. Vielmehr konnte die Klägerin bei vernünftiger Betrachtung spätestens aus dem Schreiben des Beklagtenvertreters vom 4.7.2019 entnehmen, dass sie auch ohne Anrufung der Gerichte zu ihrem Recht kommen werde. Der Anlass „zur Erhebung der Klage” muss in diesem Zeitpunkt vorhanden sein (BGH NJW 1979, 2040, 2041). Ebenso wie dieser Anlass nicht später rückwirkend eintreten kann (BGH, a.a.O.), muss umgekehrt berücksichtigt werden, wenn der Anlass im Zeitpunkt der Klageeinreichung wieder entfallen ist.
Dabei ist es nicht erheblich, dass der Auskunftsanspruch der Klägerin in diesem Zeitpunkt noch nicht erfüllt war (s. Flockenhaus, a.a.O., Rnr. 19; BGH, a.a.O.).
Das in der Klageerwiderung erteilte Anerkenntnis des Auskunftsanspruchs war ein sofortiges i.S.v. § 93 ZPO.
Zu Unrecht meint die Klägerin, bei dem Anerkenntnis des Pflichtteilsanspruchs handele es sich hingegen nicht um ein sofortiges i.S.v. § 93 ZPO; die Beklagte hätte den Leistungsanspruch schon zuvor zumindest dem Grunde nach anerkennen müssen. Das trifft nicht zu. Denn „Anerkenntnis“ i.S.v. § 93 ZPO meint ein Anerkenntnis i.S.v. § 307 ZPO, welches nicht „dem Grunde nach“ abgegeben werden kann (s. Musielak in Musielak/Voit, a.a.O., § 307 Rnr. 7). Vielmehr kann nur anerkannt werden, was auch zum Gegenstand eines Teilurteils gemacht werden kann (Musielak a.a.O.); das sind aber nur die einzelnen Stufen der Stufenklage.
Ebenso schadet es nicht, dass es sich bei dem Anerkenntnis in der Leistungsstufe nur um ein Teilanerkenntnis gehandelt hat. Denn der noch offene Teil war so geringfügig (2 % der Klagesumme), dass die Klägerin abweichend von § 266 BGBN nach § 242 BGB gehalten gewesen wäre, auch eine Teilleistung entgegenzunehmen (s. hierzu MüKoZPO/Schulz, § 93, Rnr. 10 m.w.N.).
Die Beklagte hat die Berechtigung des Pflichtteilsanspruchs vorprozessual auch nicht in Abrede gestellt, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt eine Veranlassung zur Klageerhebung nicht gegeben war.
Damit ist die Kostenlast gem. §§ 93, 92 Abs. 1 ZPO zu quoteln. Da im Hinblick auf den nicht anerkannten Teil eine Beweisaufnahme erforderlich war, kommt eine Anwendung der Vorschrift des § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nicht in Betracht.
08.07.2022
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird die Kostenentscheidung im Urteil des Landgerichts Gießen vom 9.2.2022 abgeändert.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 98 % und die Beklagte 2 % zu tragen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen der Klägerin zur Last.
Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis zu 19.000,00 € festgesetzt.
Gründe
Die gem. §§ 99 Abs. 2, 567 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 569 ZPO zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
Zu Unrecht hat das Landgericht der Beklagten die volle Kostenlast für den Rechtsstreit auferlegt. Vielmehr sind die Voraussetzungen des § 93 ZPO für die anerkannten Ansprüche erfüllt.
Eine Partei gibt Anlass zur Erhebung einer (Stufen-)klage, wenn ihr vorprozessuales Verhalten aus Sicht des Klägers bei vernünftiger Betrachtung hinreichenden Anlass zu der Annahme bietet, er werde ohne Inanspruchnahme der Gerichte nicht zu seinem Recht kommen (Flockenhaus in Musielak/Voit, ZPO, 19. Aufl., § 93 Rnr. 2, 25 m.w.N.; s. zum entscheidenden Zeitpunkt bei der Stufenklage z.B. OLG Bamberg, NJW 2020, 2649; Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 24. November 2021 - 5 W 37/21 -, juris). Bei fälligen Forderungen genügt dafür in der Regel, dass der Beklagte vor dem Prozess in Verzug geraten ist (Flockenhaus, a.a.O., Rnr. 2; OLG Köln Beschl. v. 7.5.2018 - 24 W 1/18, BeckRS 2018, 8675 Rnr. 9). Von dieser Regel gibt es aber Ausnahmen, so z.B. wenn der Beklagte redlicherweise davon ausgehen durfte, dass eine von ihm erbetene Fristverlängerung stillschweigend gewährt wurde (MüKoZPO/Schulz ZPO § 93 Rn. 22; vgl. OLG Hamburg MDR 2010, 1211).
Zwar befand sich hier die Beklagte mit der Erfüllung des Auskunftsanspruchs in Verzug. Denn die Klägerin hatte die Beklagte mit anwaltlichem Schreiben vom 19.3.2019 zur Erteilung eines notariellen Nachlassverzeichnisses aufgefordert und hierzu Frist bis zum 30.4.2019 gesetzt. Dem entsprach die Beklagte zunächst nicht; vielmehr teilte sie durch ihren Ergänzungspfleger mit Schreiben vom 9.5.2019 dem Anwalt der Klägerin mit, sie (die Beklagte) habe den Testamentsvollstrecker zur Erstellung eines Nachlassverzeichnisses aufgefordert (Anl. B11, Bl. 220 d.A.). Nachdem die Klägerin daraufhin mit anwaltlichem Schreiben vom 12.5.2019 erklärte, auf einem notariellen Nachlassverzeichnis zu bestehen, und an eine gesetzte Frist zum 31.5.2019 erinnerte (Anl. K5, Bl. 12 d.A.), erwiderte die Beklagte erst mit Schreiben vom 21.6.2019 (Anl. K6 Bl. 13). In diesem Zeitpunkt hatte die Beklagte mithin durchaus Anlass zur Klageerhebung gegeben.
Dieser Anlass entfiel jedoch, nachdem die Beklagte mit dem genannten Schreiben, dem Anwalt der Klägerin zugegangen am 24.6.2019, mitteilte, umgehend einen Stadt1er Notarkollegen mit der Erstellung eines notariellen Nachlassverzeichnisses zu beauftragen. Jedenfalls aber entfiel der Anlass zur Klageerhebung mit Zugang des Schreibens vom 4.7.2019 (Anl. K7 Bl. 14), in welchem die Beklagte der Klägerin mitteilen ließ, dass sie den Notar X, Stadt1, beauftragt habe; dieser werde sich mit allen Beteiligten in Verbindung setzen. Dem Schreiben „vorab“ beigefügt war ein vom Anwalt des Testamentsvollstreckers erstelltes Nachlassverzeichnis. Zudem teilte der Notar X mit Schreiben vom 16.7.2019 mit, dass er einen Ortstermin für den 31.7.2019 angesetzt habe.
Die Einreichung der Klage nebst Prozesskostenhilfeantrag vom 19.7.2019 am 23.7.2019 war vor diesem Hintergrund verfrüht. Vielmehr konnte die Klägerin bei vernünftiger Betrachtung spätestens aus dem Schreiben des Beklagtenvertreters vom 4.7.2019 entnehmen, dass sie auch ohne Anrufung der Gerichte zu ihrem Recht kommen werde. Der Anlass „zur Erhebung der Klage” muss in diesem Zeitpunkt vorhanden sein (BGH NJW 1979, 2040, 2041). Ebenso wie dieser Anlass nicht später rückwirkend eintreten kann (BGH, a.a.O.), muss umgekehrt berücksichtigt werden, wenn der Anlass im Zeitpunkt der Klageeinreichung wieder entfallen ist.
Dabei ist es nicht erheblich, dass der Auskunftsanspruch der Klägerin in diesem Zeitpunkt noch nicht erfüllt war (s. Flockenhaus, a.a.O., Rnr. 19; BGH, a.a.O.).
Das in der Klageerwiderung erteilte Anerkenntnis des Auskunftsanspruchs war ein sofortiges i.S.v. § 93 ZPO.
Zu Unrecht meint die Klägerin, bei dem Anerkenntnis des Pflichtteilsanspruchs handele es sich hingegen nicht um ein sofortiges i.S.v. § 93 ZPO; die Beklagte hätte den Leistungsanspruch schon zuvor zumindest dem Grunde nach anerkennen müssen. Das trifft nicht zu. Denn „Anerkenntnis“ i.S.v. § 93 ZPO meint ein Anerkenntnis i.S.v. § 307 ZPO, welches nicht „dem Grunde nach“ abgegeben werden kann (s. Musielak in Musielak/Voit, a.a.O., § 307 Rnr. 7). Vielmehr kann nur anerkannt werden, was auch zum Gegenstand eines Teilurteils gemacht werden kann (Musielak a.a.O.); das sind aber nur die einzelnen Stufen der Stufenklage.
Ebenso schadet es nicht, dass es sich bei dem Anerkenntnis in der Leistungsstufe nur um ein Teilanerkenntnis gehandelt hat. Denn der noch offene Teil war so geringfügig (2 % der Klagesumme), dass die Klägerin abweichend von § 266 BGBN nach § 242 BGB gehalten gewesen wäre, auch eine Teilleistung entgegenzunehmen (s. hierzu MüKoZPO/Schulz, § 93, Rnr. 10 m.w.N.).
Die Beklagte hat die Berechtigung des Pflichtteilsanspruchs vorprozessual auch nicht in Abrede gestellt, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt eine Veranlassung zur Klageerhebung nicht gegeben war.
Damit ist die Kostenlast gem. §§ 93, 92 Abs. 1 ZPO zu quoteln. Da im Hinblick auf den nicht anerkannten Teil eine Beweisaufnahme erforderlich war, kommt eine Anwendung der Vorschrift des § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nicht in Betracht.
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