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  • 17.01.2023 · IWW-Abrufnummer 233273

    Oberlandesgericht Hamm: Beschluss vom 11.08.2022 – 18 W 24/22

    Für die Wertfestsetzung für einen gerichtlichen Vergleich kommt es darauf an, über welchen Anspruch in welcher Höhe die Parteien (oder die Parteien und Dritte) außergerichtlich gestritten haben bzw. über welchen Anspruch ein Streit der Parteien (oder ein Streit mit Dritten) abzusehen war oder in Betracht gekommen wäre, im Regelfall also darauf, worüber vor dem Vergleichsschluss zwischen den Parteien noch Streit bestand (so bereits OLG Hamm, Beschl. v. 25. 6. 1995, Az. 20 U 339/94; OLG Koblenz, Beschl. vom 5.9.2014, Az. 13 WF 799/14).


    Oberlandesgericht Hamm


    Tenor:

    Die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 9.6.2022 ist erledigt; die Beschwerde vom 20.7.2022 wird zurückgewiesen;

    das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 33 Abs. 9 RVG).

    1
    Gründe:

    2
    A.

    3
    Der Kläger nahm die Beklagte auf Schadensersatz aus einem Ende 2016 abgeschlossenen Maklervertrag wegen angeblich von ihr übernommener unzulänglicher Bonitätsprüfung eines Kaufinteressenten zunächst auf Schadensersatz in Höhe von 35.179,46 € in Anspruch. Die Klage nahm er mit Schriftsatz vom 5.5.2021 ‒ vor Eintritt in eine mündliche Verhandlung, zu der es in der Folge auch nicht mehr kam - in Höhe von 31.504,92 € zurück; von diesem Zeitpunkt an verfolgte er nur noch die aus dem ‒ später rückabgewickelten - Kaufvertrag mit dem Kaufinteressenten sich ergebenden Notargebühren (3.674,54 €) weiter.

    4
    Auf die Mitteilung der Beklagten im Schriftsatz vom 31.1.2022, wonach eine außergerichtliche Einigung gefunden worden sei, und nach Bestätigung durch den Kläger erließ das Landgericht am 14.2.2022 einen Beschluss gem. § 278 Abs. 6 ZPO und setzte den „Streitwert für den Rechtsstreit und den Vergleich“ auf 35.179,46 € fest.

    5
    Gegen diesen Beschluss hat der Kläger Beschwerde eingelegt, mit der er die Herabsetzung des Streitwerts und des Gegenstandswerts für den Vergleich auf (jeweils) 3.674,54 € beantragt hat.

    6
    Die Beklagte ist der Beschwerde entgegengetreten, indem sie darauf verwiesen hat, der Kläger habe im Umfang der Klagerücknahme nicht auf die davon erfassten Forderungen verzichtet, auch eine etwa zwischenzeitlich eingetretene, ohnehin zweifelhafte Verjährung der nicht weiter verfolgten Ansprüche ändere daran nichts.

    7
    Mit Beschluss vom 31.5.2022 hat das Landgericht der Beschwerde des Klägers zunächst teilweise abgeholfen und den „Gegenstandswert gem. § 33 RVG“ für die Zeit bis zum 5.5.2021 auf 35.179,46 € und für die Zeit ab dem 6.5.2021 auf 3.674,54 € festgesetzt und es bei dem Gegenstandswert für den Vergleich (35.179,46 €) belassen.

    8
    Gegen diesen Beschluss haben die Prozessbevollmächtigten der Beklagten unter dem 9.6.2022 aus eigenem Recht Beschwerde eingelegt und beantragt, den Gegenstandswert „in Ansehung des geschlossenen Vergleichs auch für den Zeitraum ab dem 6.5.2021 auf 35.179,46 €“ festzusetzen. Sie führen unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Az. I ZB 1/17) aus, die Terminsgebühr sei auch im vorliegenden Fall nach dem höheren Gegenstandswert des Vergleichs zu bemessen. Es ergebe sich auch aus der Kostenquote im Vergleich, dass sämtliche ursprünglich geltend gemachten Forderungen als streitig in den Vergleich einbezogen worden seien.

    9
    Der Kläger verweist darauf, die Ansprüche, auf die sich die Klagerücknahme bezogen habe, seien nicht mehr Gegenstand der dem Vergleichsvorschlag vorangegangenen telefonischen Erörterungen unter den Prozessbevollmächtigten gewesen; die Prozessbevollmächtigten der Beklagten hätten lediglich konstatiert, gegen Zahlung einer „Lästigkeitsprämie“ zur Beendigung des Prozesses bereit zu sein.

    10
    Mit Beschlüssen vom 14.7.2022 hat das Landgericht den Gegenstandswert für den Vergleich auf bis zu 4.000,00 € festgesetzt, der Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 9.6.2022 nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht vorgelegt.

    11
    Mit Schriftsatz vom 20.7.2022 haben die Prozessbevollmächtigten der Beklagten sodann aus eigenem Recht gem. § 32 Abs. 2 S. 1 RVG Beschwerde gegen den Beschluss vom 14.7.2022 zur Festsetzung des Gegenstandswerts eingelegt. Auf die Begründung wird Bezug genommen.

    12
    B.

    13
    I.

    14
    Die gem. § 33 Abs. 3 RVG statthafte sowie fristgerecht eingelegte Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 9.6.2022 gegen den Beschluss des Landgerichts vom 31.5.2022 ist mit der Festsetzung des Gegenstandswert für den Vergleich mit Beschluss vom 14.7.2022 gegenstandslos geworden, weil damit die Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 RVG für eine gesonderte Feststellung des Gegenstandswerts entfallen sind.

    15
    II.

    16
    Ob der Rechtsbehelf in einem solchen Fall nicht ohnehin nunmehr als Beschwerde gem. § 32 Abs. 2 S. 1 RVG gegen die mit Beschluss vom 14.7.2022 erfolgte Festsetzung des Gegenstandswerts für den Vergleich aufzufassen ist, bedarf keiner Entscheidung, weil die Prozessbevollmächtigten unter dem 20.7.2022 auch ausdrücklich eine solche Beschwerde eingelegt haben.

    17
    Die Beschwerde vom 20.7.2022 ist ihrerseits statthaft (§§ 32 Abs. 2 S. 1 RVG, 68 Abs. 1 S. 1 GKG) sowie fristgerecht (§§ 68 Abs. 1 S. 3, 63 Abs. 3 S. 2 GKG) eingelegt worden, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

    18
    1.

    19
    Zu Recht hat das Landgericht mit dem Beschluss vom 14.7.2022 den Gegenstandswert für den Vergleich auf (lediglich) bis zu 4.000,00 € festgesetzt, womit ‒ wie bereits dargelegt - der Beschluss vom 31.5.2022, mit dem der Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit für die Zeit ab dem 6.5.2021 auf 3.674,54 € festgesetzt worden ist, gegenstandslos geworden ist.

    20
    2.

    21
    Wie das Landgericht bereits ausgeführt hat, ist für die Festsetzung des Gegenstandswerts auf (lediglich) bis zu 4.000,00 € maßgeblich, dass im Umfang der seitens des Klägers erklärten Klagerücknahme eine Inanspruchnahme der Beklagten nicht mehr zu erwarten stand, als sich die Prozessbevollmächtigten auf den Vergleich verständigten.

    22
    a)

    23
    Für die Wertfestsetzung kommt es darauf an, über welchen Anspruch in welcher Höhe die Parteien (oder die Parteien und Dritte) außergerichtlich gestritten haben bzw. über welchen Anspruch ein Streit der Parteien (oder ein Streit mit Dritten) abzusehen war oder in Betracht gekommen wäre (OLG Bremen BeckRS 2021, 4409 Rn. 10; OLG Karlsruhe NJOZ 2020, 1407 Rn. 11), im Regelfall also danach, worüber vor dem Vergleichsschluss zwischen den Parteien noch Streit bestand (OLG Hamm, Beschl. v. 25. 6. 1995, Az. 20 U 339/94; OLG Koblenz, Beschl. vom 5.9.2014, Az. 13 WF 799/14). Denn dann erledigt der Abfindungsvergleich nicht lediglich den Streitgegenstand, sondern geht darüber hinaus, weil eine Regelung im Vergleich getroffen wird, die wirtschaftlich und rechtlich betrachtet weitergehend als der nach dem Klageantrag bestimmte ursprüngliche Streitgegenstand ist (Toussaint/Elzer, 52. Aufl. 2022, GKG § 45 Rn. 57, 58; Hervorheb. d. Verf.).

    24
    Dem steht die von den Beschwerdeführern zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Az. I ZB 1/17) nicht entgegen; sie verhält sich nicht über die Frage, wann nichtstreitgegenständliche Ansprüche, über die ‒ wie hier ‒ seitens der Prozessbevollmächtigten keine Erörterungen mehr geführt wurden, den Gegenstandswert eines sodann abgeschlossenen Vergleichs erhöhen.

    25
    b)

    26
    Hier lässt sich nicht feststellen, dass mit dem Vergleich eine wirtschaftlich über den noch rechtshängigen Streitgegenstand (Schadensersatz wegen der Notarkosten) hinausgehende Regelung getroffen worden ist. Denn der Kläger hatte ‒ wie auch die Beschwerdeführer nicht in Abrede stellen - keine Absicht mehr, die Beklagte im Umfang der zurückgenommenen Klage (nochmals) in Anspruch zu nehmen; nach dem Akteninhalt ist davon auszugehen, dass dies auch der Beklagten erkennbar war. Hinzu kommt, dass (jedenfalls) die im Rahmen der zurückgenommenen KIage verfolgten Ansprüche aus den von der Beklagten in ihrer Klageerwiderung ausgeführten Gründen nicht bestanden, also wirtschaftlich schlicht wertlos waren.

    27
    Eine solche faktische und einer entsprechenden Erhöhung des Gegenstandswerts für den Vergleich entgegenstehende Aufgabe der Rechtspositionen seitens des Klägers (im Umfang der teilweisen Klagerücknahme) setzte indes keinen „Verzicht“ voraus, den das materielle Recht ohnehin nicht kennt und dessen prozessuale Voraussetzungen (§ 306 ZPO) ohnehin nie vorlagen (es hätte einer mündlichen Verhandlung bedurft, zu der es nicht gekommen ist und nicht mehr kommen sollte). Ferner bedurfte es dazu keines „Erlasses“ (bzw. Erlassvertrags) gem. § 397 Abs. 1 BGB (oder eines neg. Schuldanerkenntnisses gem. § 397 Abs. 2 BGB).

    28
    Die Formulierung im Vergleichstext („sämtliche wechselseitigen Ansprüche der Parteien, seien sie rechtshängig oder nicht, bekannt oder unbekannt, vertraglicher oder gesetzlicher Natur, abschließend und endgültig erledigt") stellt sich vor diesem Hintergrund als lediglich deklaratorisch dar.

    29
    Die Einigung auf die Kostenquote im Vergleich, die in der Tat das Verhältnis zwischen den anfänglich eingeklagten Forderungen und dem Vergleichsbetrag widerspiegelt, lässt nicht den Rückschluss zu, dass die Forderungen, wegen derer die (teilweise) Klagerücknahme erklärt worden war, (auch) aus Sicht des Klägers nunmehr wieder in irgendeiner Weise „zur Debatte“ standen. Ein solcher Rückschluss liegt schon deshalb fern, weil die Kostenquote von den Prozessbevollmächtigten der Beklagten ermittelt worden war und ihre „Berechtigung“ angesichts der zwischenzeitlich erfolgten teilweisen Klagerücknahme nicht ohne Weiteres zu überblicken war.

    30
    3.

    31
    Im Übrigen ist der Streitwert für den Rechtsstreit zutreffend auf 35.179,46 € festgesetzt worden; diese Festsetzung betrifft sämtliche bis zum Zeitpunkt der (Teil-)Rücknahme erfüllten Gebührentatbestände.

    RechtsgebieteStreitwert, VergleichVorschriften§ 3 Abs. 2 GKG, Nr. 1900 KV GKG, § 2 Abs. 2 RVG, Nr. 100 VV RVG