31.01.2023 · IWW-Abrufnummer 233528
Landgericht Osnabrück: Beschluss vom 05.09.2022 – 18 KLs 5/22
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landgericht Osnabrück
18 KLs 5/22
120 Js 52816/20 StA Osnabrück
In der Strafsache
gegen
#### ####,
geboren am #### in ####,
derzeit aufhältig ####,
Staatsangehörigkeit: ####,
Verteidiger:
Rechtsanwalt ####, ####,
-Erinnerungsführer-
wegen besonders schweren Raubes u.a.
hier: Erinnerung gegen Kostenfestsetzung
hat die 18. große Strafkammer des Landgerichts Osnabrück durch die Richterin am Landgericht #### als Einzelrichterin am 05.09.2022 beschlossen:
Die Erinnerung des Rechtsanwalts #### gegen den Beschluss der
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 07.07.2022,
mit dem die Pflichtverteidigervergütung des Erinnerungsführers auf 4.146,66 Euro festgesetzt wurde,
wird als unbegründet zurückgewiesen.
Gründe
I.
Rechtsanwalt #### wurde dem Verurteilten in diesem Verfahren als Pflichtverteidiger beigeordnet. Mit Schreiben vom 15.02.2020 beantragte der Geschädigte #### den Angeklagten im Wege des Adhäsionsverfahrens zur Zahlung eines Schmerzensgeldes zu verurteilen. In dem Hauptverhandlungstermin vom 15.07.2021 schlossen der Angeklagte und der Geschädigte #### einen entsprechenden Vergleich. Der Angeklagte stellte weder einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zur Verteidigung gegen die Schmerzensgeldanklage noch beantragte er, die Verteidigerbestellung auf das Adhäsionsverfahren zu erstrecken. Auch von Amts wegen erfolgte keine Erweiterung der bereits erfolgten Pflichtverteidigerbestellung auf das Adhäsionsverfahren.
Mit Schriftsatz vom 27.07.2021 beantragte der Erinnerungsführer die Festsetzung und Anweisung der Vergütung als Pflichtverteidiger in Höhe von 4.321,59 Euro. Mit Beschluss vom 07.07.2022 setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die Vergütung in Höhe von 4.146,66 Euro fest. Dabei setzte sie die Verfahrensgebühr für das Adhäsionsverfahren in Höhe von 98,- Euro nebst Umsatzsteuer und für die Vergleichsgebühr in Höhe von 49,- Euro nebst Umsatzsteuer ab und begründete dies damit, dass keine Beiordnung des Pflichtverteidigers für das Adhäsionsverfahren erfolgt ist.
Gegen die Absetzung richtet sich die Erinnerung des Rechtsanwalts #### vom 14.07.2022. Er begehrt eine Festsetzung auch in Höhe der Absetzung, unter Hinweis darauf, dass es nach einer Entscheidung des 6. Senats des Bundesgerichtshofs vom 27.07.2021 (BGH NJW 2021, 2901) keiner gesonderten Beiordnung des Pflichtverteidigers für das Adhäsionsverfahren bedürfe. Der Bezirksrevisor bei dem Landgericht Osnabrück ist dieser Ansicht unter Hinweis auf eine jüngere Entscheidung des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 08.12.2021, 5 StR 162/21; BeckRS 2021, 40545) entgegengetreten Die Urkundsbeamtin hat der Erinnerung nicht abgeholfen.
II.
Die gemäß § 56 Abs. 1 RVG zulässige Erinnerung hat keinen Erfolg.
Die Zuständigkeit der Kammer folgt aus § 56 Abs. 1 Satz 1 RVG. Mangels besonderer Schwierigkeit tatsächlicher oder rechtlicher Art und mangels grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache obliegt die Entscheidung nach § 56 Abs. 2 Satz 1, § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG dem Einzelrichter.
Die Erinnerung ist in der Sache nicht begründet. Zwar ist für die Teilnahme am Adhäsionsverfahren eine Gebühr angefallen. Der Beschwerdeführer kann deren Erstattung indessen nicht aus der Landeskasse beanspruchen. Prozesskostenhilfe gemäß § 404 Abs. 5 StPO, § 114 ZPO ist dem Angeklagten mangels entsprechender Antragstellung nicht bewilligt worden, so dass ein Gebührenanspruch des Verteidigers gegen die Landeskasse hieraus ausscheidet. Ein Erstattungsanspruch ergibt sich auch nicht daraus, dass der Erinnerungsführer dem Angeklagten als Verteidiger bestellt worden war.
Die Frage, ob bei bereits bestehender Pflichtverteidigung ‒ automatisch - Prozesskostenhilfe für das Adhäsionsverfahren gewährt und der Verteidiger insoweit beigeordnet wird, ist umstritten. Während einerseits angenommen wird, die Pflichtverteidigung umfasse auch die Vertretung im Adhäsionsverfahren (vgl. u.a. OLG Rostock Beschluss vom 15.6.2011 ‒ I Ws 166/11, BeckRS 2011, 18598; OLG Köln Beschluss vom 29.6.2005 ‒ 2 Ws 254/05, BeckRS 2005, 7953; OLG Hamm Beschluss vom 31.5.2001 ‒ 2 [s] Sbd. 6-87/01, BeckRS 2001, 5826; OLG Schleswig NStZ 1998, 101; KK-StPO/Willnow, 8. Aufl., § 140 Rn. 4; jeweils m.w.N.), wird andererseits eine gesonderte Beiordnung für erforderlich gehalten (vgl. OLG Dresden Beschluss vom 27.3.2013 ‒ 3 Ws 2/13, BeckRS 2013, 22042; KG Beschluss vom 24.6.2010 ‒ 1 Ws 22/09, BeckRS 2011, 2650; OLG Bamberg NStZ-RR 2009, 114 Ls.; MüKoStPO/Grau, 2019, § 404 Rn. 8; v. Heintschel-Heinegg/Bockemühl in Kleinknecht/Müller/Reitberger, StPO, 2020, § 404 Rn. 29; Schöch in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, 4. Aufl., § 404 Rn. 19; Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 2. Aufl., VV RVG Nr. 4141 ‒ 4147 Rn. 41, jeweils m.w.N.).
Der Bundesgerichtshof hat diese Frage bislang nicht einheitlich entschieden: Während der 6. Strafsenat die Auffassung vertritt, dass die Bestellung eines Pflichtverteidigers auch die Vertretung im Adhäsionsverfahren umfasst (BGH NJW 2021, 2901), hat der 5. Strafsenat in seinem Beschluss vom 08.12.2021 ‒ 5 StR 162/21 (BeckRS 2021, 40545) dargelegt, dass die Beiordnung des Verteidigers für das Adhäsionsverfahren nach § 404 Abs. 5 Satz 2 StPO die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und damit einen entsprechenden Antrag unter Beifügung einer Erklärung über die wirtschaftlichen Verhältnisse voraussetzt (§ 405 Abs. 5 Satz 1 StPO i. V. mit § 117 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, § 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Letzterer Ansicht schließt sich die Kammer ‒ im Einklang mit der Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts Oldenburg (vgl. Beschluss vom 22.04.2010 ‒ 1 Ws 178/10, BeckRS 2010, 11888) ‒ an. Danach wird die Vertretung im Adhäsionsverfahren von der Pflichtverteidigerbestellung nicht erfasst.
Nach § 404 Abs. 5 StPO kann dem Angeschuldigten nur auf Antrag und nur unter den Voraussetzungen der §§ 114 ff. ZPO - und zwar unabhängig vom Antragsteller - Prozesskostenhilfe gewährt werden. Dass dies nur dann gelten soll, wenn der Angeschuldigte keinen beigeordneten Verteidiger hat, kann weder dem Wortlaut der Vorschrift noch ihrer Entstehungsgeschichte entnommen werden. Vielmehr stellt § 404 Abs. 5 Satz 2 StPO klar, dass einem Angeschuldigten, der (bereits) einen Verteidiger hat, nach entsprechender Antragstellung und nur unter den Voraussetzungen der §§ 114 ff. ZPO dieser dann auch zur Abwehr des Adhäsionsantrages und nicht nach § 121 Abs. 2 ZPO zusätzlich ein anderer Rechtsanwalt seiner Wahl beigeordnet werden soll. Falls § 404 Abs. 5 Satz 1 StPO - wie von der oben dargestellten Gegenmeinung angenommen wird - nur in Fällen gelte, in denen die Voraussetzungen einer Pflichtverteidigerbestellung nach § 140 StPO nicht vorliegen, wäre die Vorschrift des § 404 Abs. 5 Satz 2 StPO überflüssig. Denn einem Angeschuldigten, dem ein Pflichtverteidiger beigeordnet wurde, müsste darüber hinaus ein Rechtsanwalt als Vertreter im Adhäsionsverfahren überhaupt nicht mehr beigeordnet werden.
Darüber hinaus erfolgt die Beiordnung nach § 404 Abs. 5 Satz 1 StPO unter anderen Voraussetzungen und mit anderen Zielen als die Verteidigerbestellung nach §§ 140 ff. StPO. Während nämlich Letztere sich - ohne Rücksicht auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeschuldigten - am strafrechtlichen Vorwurf ausrichtet und allein dem im öffentlichen Interesse liegenden Zweck dient, in schwerwiegenden Fällen eine ordnungsgemäße Verteidigung und einen ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, dient das Adhäsionsverfahren nicht der Gewährleistung des staatlichen Strafanspruchs, sondern dem individuellen zivilrechtlichen Interesse des Verletzten, der seinen aus der Tat erwachsenen Schadensersatzanspruch aus prozessökonomischen Gründen als Annex des Strafverfahrens geltend machen kann. Daher soll die Beiordnung im Adhäsionsverfahren nur erfolgen, wenn der Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die entstehenden Kosten ganz oder teilweise nicht aufbringen kann und wenn die beabsichtigte Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint, § 114 Abs. 1 ZPO. Gerade die unterschiedlichen Zielsetzungen und Beiordnungsvoraussetzungen der §§ 140 ff. StPO einerseits und der § 404 Abs. 5 Satz 1 StPO; §§ 114 ff. ZPO andererseits sprechen nach Ansicht des Senats gegen eine „automatische“ Erstreckung der Bestellung gemäß § 140 StPO auch auf das Adhäsionsverfahren.
Da der Erinnerungsführer für die Angelegenheiten nicht ausdrücklich beigeordnet wurde, erhält er mithin in dieser Angelegenheiten nicht die ihm nach § 48 Abs. 4 Satz 1 RVG zustehende Vergütung aus der Staatskasse, weshalb die Urkundsbeamtin eine Kostenerstattung aus der Landeskasse für die Teilnahme am Adhäsionsverfahren zu Recht abgelehnt hat.
Die Erinnerung des Verteidigers war daher zurückzuweisen.
III.