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  • 09.03.2023 · IWW-Abrufnummer 234136

    Bundesgerichtshof: Beschluss vom 17.01.2023 – VI ZB 114/21


    Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. Januar 2023 durch den Vorsitzenden Richter Seiters, die Richterin von Pentz, die Richter Dr. Allgayer und Böhm sowie die Richterin Dr. Linder
    beschlossen:

    Tenor:

    Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Bayreuth vom 4. November 2021 wird als unzulässig verworfen.

    Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens.

    Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 500 €.



    Gründe



    I.

    1


    Die Parteien streiten um äußerungsrechtliche Ansprüche.


    2


    Gegen die Beklagte, Mutter des Klägers, war wegen Verleumdung des Klägers ein Strafbefehl erlassen worden. Sie hatte zunächst Einspruch eingelegt und diesen dann im Rahmen der Hauptverhandlung wieder zurückgenommen. Noch am Tage der Hauptverhandlung erhob sie mit handschriftlichem Schreiben an das Amtsgericht "Widerspruch". Der Kläger hält verschiedene in diesem Schreiben verwendete Formulierungen für ehrverletzend und hat in erster Instanz beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihre Äußerungen zu widerrufen und es ab sofort zu unterlassen zu behaupten.


    • "Hier wird ein Täter (Herr A. S. ) mit Familie als Zeugegegen mich gehört, was eine Farce ist."

    • "Diese Familie, gemeint ist die Familie des Herrn A.S. (sic!), insbesondere er selbst, betreibt seit dreieinhalb Jahren wegen Enterbung Psychoterror vom Feinsten gegen mich."

    • "Ich habe schriftlich, dass er, A. S. , mich hasst bisauf den Tod."

    • "Die Alte macht er, -A. S. -, platt."

    • "Die Alte fährt er, -A. S. -, an die Wand."

    3


    Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen und den Streitwert mit Beschluss vom selben Tage auf 500 € festgesetzt. Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers hat das Landgericht - nach einem entsprechenden Hinweis - durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Rechtsbeschwerde.




    II.

    4


    Die statthafte ( § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 , § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO ) Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist unzulässig. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ( § 574 Abs. 2 ZPO ). Insbesondere ist der Kläger nicht in seinem Anspruch auf Gewährleistung wirkungsvollen Rechtsschutzes ( Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt.


    5


    1. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, die Berufung sei unstatthaft, weil der Wert des Beschwerdegegenstands 600 € nicht übersteige ( § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ) und das Amtsgericht die Berufung auch nicht zugelassen habe ( § 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ). Der durch den Kläger behauptete Anspruch sei mit nicht mehr als insgesamt 500 € zu bewerten. Was die Bedeutung der Sache angehe, sei auf die verständigerweise zu besorgende Beeinträchtigung abzustellen, die von den beanstandeten Äußerungen ausgehe und sich auf den sozialen Geltungsanspruch des Klägers auswirken könne. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die behaupteten Äußerungen nicht in öffentlichen Medien oder auch sonst einer unbegrenzten Öffentlichkeit gegenüber kundgetan worden seien, sondern schriftsätzlich in einem Strafverfahren gegenüber dem Gericht. Die Bedeutung der Sache für den Kläger richte sich allerdings nicht allein nach der Breitenwirkung der behaupteten Äußerungen, sondern auch nach der verständigerweise anzunehmenden Wirkung der aus Sicht des Klägers unzutreffenden Vorwürfe seiner Mutter. Zu den zu berücksichtigenden Umständen des Einzelfalls gehöre aber auch die Frage, unter welchen Umständen und aus welchem Anlass die beanstandeten Äußerungen nach dem insoweit maßgeblichen Vortrag des Klägers getätigt worden seien. Vorliegend seien die beanstandeten Äußerungen zur Verteidigung der Beklagten in einem sie betreffenden Strafverfahren vorgebracht worden.


    6


    2. Der angefochtene Beschluss hält rechtlicher Überprüfung stand.


    7


    a) Der angefochtene Beschluss ist nicht bereits deshalb aufzuheben, weil er keine Darstellung des Sachverhalts enthält. Zwar müssen Beschlüsse, die der Rechtsbeschwerde unterliegen, den maßgeblichen Sachverhalt, über den entschieden wird, wiedergeben. Denn das Rechtsbeschwerdegericht hat grundsätzlich von demjenigen Sachverhalt auszugehen, den das Berufungs- oder Beschwerdegericht festgestellt hat. Enthält der angefochtene Beschluss keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen, so ist das Rechtsbeschwerdegericht zu einer rechtlichen Überprüfung nicht in der Lage und der Beschluss deshalb wegen eines von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensmangels aufzuheben. Das Fehlen einer Sachdarstellung bleibt allerdings dann folgenlos, wenn sich der für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Beschlusses erforderliche (hier: prozessuale) Sachverhalt mit hinreichender Deutlichkeit aus den Beschlussgründen und den dortigen Bezugnahmen ergibt (vgl. Senatsbeschluss vom 16. November 2021 - VI ZB 58/20 ,VersR 2022, 456Rn. 6, mwN). Letzteres ist vorliegend der Fall.


    8


    b) Die Annahme des Berufungsgerichts, der Wert des Beschwerdegegenstandes betrage 500 € und liege deshalb unter der Wertgrenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO , ist rechtlich nicht zu beanstanden.


    9


    aa) Die Bewertung des Rechtsmittelinteresses kann vom Beschwerdegericht nur beschränkt daraufhin überprüft werden, ob das Berufungsgericht bei der seinem freien Ermessen unterliegenden Wertfestsetzung die Grenzen des Ermessens überschritten oder von diesem in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise, mithin fehlerhaft, Gebrauch gemacht hat. Das kann insbesondere der Fall sein, wenn das Berufungsgericht bei der Ausübung seines Ermessens die in Betracht zu ziehenden Umstände nicht umfassend berücksichtigt (vgl. nur Senatsbeschluss vom 16. November 2021 - VI ZB 58/20 ,VersR 2022, 456Rn. 9).


    10


    bb) Solche Fehler bei der Ausübung seines Ermessens sind dem Berufungsgericht nicht unterlaufen. Es hat ausweislich des von ihm im angefochtenen Beschluss in Bezug genommenen Hinweisbeschlusses vom 11. Oktober 2021 zutreffend erkannt, dass sich der Wert der Beschwer nach dem Interesse des Klägers an der beantragten Unterlassung und dem beantragten Widerruf richtet, und im Ausgangspunkt ebenfalls zutreffend auf die verständigerweise zu besorgende Beeinträchtigung abgestellt, die von den beanstandeten Äußerungen ausgeht und sich auf den sozialen Geltungsanspruch des Klägers auswirken kann (vgl. dazu Senatsbeschlüsse vom 16. November 2021 - VI ZB 58/20 ,VersR 2022, 456Rn. 10; vom 16. August 2016 - VI ZB 17/16 , NJW 2016, 3380 Rn. 10). Es hat zu Recht die geringe Breitenwirkung der streitgegenständlichen Äußerungen in den Blick genommen, dabei aber auch erkannt, dass sich die Bedeutung der Sache nicht allein nach der Breitenwirkung der behaupteten Äußerungen, sondern auch nach deren verständigerweise anzunehmenden Wirkung auf den Kläger richtet (vgl. dazu Senatsbeschlüsse vom 16. November 2021 - VI ZB 58/20 ,VersR 2022, 456Rn. 11, vom 16. August 2016 - VI ZB 17/16 , NJW 2016, 338 Rn. 11). Soweit das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang auch den Umstand in den Blick genommen hat, dass die Beklagte die Äußerungen (subjektiv) zu ihrer Verteidigung in einem sie betreffenden Strafverfahren tätigte, ist dies rechtlich nicht zu beanstanden. Dem steht nicht entscheidend entgegen, dass die Beklagte im Zeitpunkt, als sie das Schreiben mit den streitgegenständlichen Äußerungen an das Gericht sandte, den Einspruch gegen den Strafbefehl bereits zurückgenommen hatte und das Strafverfahren damit bereits beendet war, so dass die Verteidigung objektiv ins Leere lief.


    11


    Sonstige Umstände, aufgrund derer sich die Bewertung des Rechtsmittelinteresses durch das Berufungsgericht mit nur 500 € als ermessensfehlerhaft darstellte, sind nicht ersichtlich. Selbst wenn - wie die Rechtsbeschwerde geltend macht - bei Ehrverletzungen unter Rückgriff auf § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG oder § 52 Abs. 2 GKG regelmäßig von einem Wert von 5.000 € auszugehen sein sollte (so etwa Musielak/Voit/Heinrich, 19. Aufl., ZPO § 3 Rn. 26 "Ehrverletzungen" mwN), kann hiervon im Einzelfall erheblich - auch nach unten - abgewichen werden (vgl. Senat, Beschluss vom 25. April 2006 - VI ZB 73/04 , juris Rn. 2; Musielak/Voit/Heinrich, 19. Aufl., ZPO § 3 Rn. 26 "Ehrverletzungen"). Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei begründet, warum es die von den streitgegen-ständlichen Äußerungen der Beklagten ausgehende, verständigerweise zu besorgende Beeinträchtigung für gering hält. Soweit die Rechtsbeschwerde schließlich die Auffassung vertritt, die Beklagte habe den Kläger mit den - wohl als angebliches (indirektes) Zitat des Klägers verstandenen - Sätzen"Die Altefährt er gegen die Wand"und"Die Alte macht er platt"einer gegen sie gerichteten Gewalttat bezichtigt, was im Rahmen der Wertbemessung zu berücksichtigen sei, vermag der erkennende Senat den genannten Sätzen auf der Grundlage des im Rechtsbeschwerdeverfahren maßgeblichen Sachverhalts diesen Aussagegehalt schon nicht zu entnehmen. Dass der Kläger selbst und - seinem Schlichtungsantrag folgend - die Schlichtungsstelle den Wert mit 5.000 € bemessen hat, ist vor diesem Hintergrund unerheblich.


    Seiters
    von Pentz
    Allgayer
    Böhm
    Linder

    Vorschriften§ 522 Abs. 1 ZPO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO, § 574 Abs. 2 ZPO, Art. 2 Abs. 1 GG, § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, § 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG, § 52 Abs. 2 GKG