13.04.2023 · IWW-Abrufnummer 234727
Bundesgerichtshof: Urteil vom 24.02.2023 – V ZR 152/22
Wird ein nach Inkrafttreten des Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetzes gefasster Abrechnungsbeschluss gemäß § 28 Abs. 2 WEG mit dem Ziel angefochten, den Beschluss insgesamt für ungültig erklären zu lassen, bemisst sich der Streitwert grundsätzlich nach dem Nennbetrag der Jahresabrechnung. Das für die Berechnung der Grenzen des § 49 Satz 2 GKG maßgebliche Individualinteresse des Klägers entspricht seinem Anteil am Nennbetrag der Abrechnung (Fortführung von Senat, Beschluss vom 9. Februar 2017 - V ZR 188/16 , ZWE 2017, 331 Rn. 8 ff.).
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 24. Februar 2023 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Brückner, die Richter Dr. Göbel und Dr. Malik und die Richterinnen Laube und Dr. Grau
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts München I - 1. Zivilkammer - vom 13. Juli 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Lindau (Bodensee) vom 14. Februar 2022 wird auch insoweit zurückgewiesen.
Die Kosten der Rechtsmittelverfahren trägt die Klägerin.
Der Streitwert wird für die Revisionsinstanz auf 77.638,68 € und in Abänderung der Wertfestsetzung in dem Beschluss des Landgerichts München I - 1. Zivilkammer - vom 13. Juli 2022 für die erste und für die zweite Instanz auf jeweils 110.501,73 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Klägerin ist Mitglied der beklagten Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE). In der Eigentümerversammlung vom 20. Juli 2021 wurden mehrere Beschlüsse gefasst. Unter anderem beschlossen die Wohnungseigentümer, dass die Nachschüsse bzw. Anpassungen der beschlossenen Vorschüsse aus den Einzelabrechnungen für das Jahr 2019 (TOP 2) und für das Jahr 2020 (TOP 3) genehmigt und fällig gestellt werden. Gegen diese und weitere Beschlüsse wendet sich die Klägerin mit ihrer am 12. August 2021 bei Gericht eingegangenen Beschlussmängelklage. In der Klageschrift werden als Beklagte "alle im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit im Grundbuch eingetragenen Wohnungs- und Teileigentümer der Liegenschaft O. Weg , L. bzw. deren Rechtsnachfolger im Wege der Zwangsversteigerung oder im Wege der Gesamtrechtsnachfolge mit Ausnahme der Klägerin" bezeichnet. Der Verwalter wird als "Beteiligter" und "Beizuladender" aufgeführt. Nachdem das Amtsgericht die Klägerin darauf hingewiesen hatte, dass nach neuem Recht die Klage gegen die GdWE zu richten sei, hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 22. September 2021 die Klage erweitert und nunmehr auch gegen die GdWE gerichtet, der die Klage schließlich am 22. Oktober 2021 zugestellt worden ist.
2
Das Amtsgericht hat die Klage wegen Versäumung der Klagefrist des § 45 WEG insgesamt abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landgericht unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen unter anderem die Beschlüsse zu TOP 2 und 3 für ungültig erklärt. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Zurückweisung der Berufung weiter. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe
I.
3
Nach Ansicht des Berufungsgerichts, dessen Entscheidung unter anderem in ZWE 2022, 362 veröffentlicht ist, hat die Klägerin die Klage innerhalb der materiellen Ausschlussfristen des § 45 WEG erhoben und begründet. Dass die am 12. August 2021 und damit fristgerecht bei Gericht eingegangene Klage nicht, wie dies § 44 Abs. 2 WEG nunmehr vorschreibe, ausdrücklich gegen die GdWE gerichtet worden sei, sondern gegen die übrigen Wohnungseigentümer, sei unschädlich. Bei objektiv unrichtiger oder auch mehrdeutiger Bezeichnung sei aufgrund einer Auslegung grundsätzlich diejenige Person als Partei anzusehen, die erkennbar durch die Parteibezeichnung betroffen werden solle. Das sei hier die GdWE. Dies ergebe sich insbesondere daraus, dass die übrigen Wohnungseigentümer nicht namentlich bezeichnet worden seien. Vielmehr sei gemäß § 44 Abs. 1 WEG aF lediglich das gemeinschaftliche Grundstück benannt und der Verwalter als Beizuladender gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 WEG aF aufgeführt worden.
4
In der Sache seien unter anderem die Beschlüsse zu TOP 2 und 3 - insgesamt - für ungültig zu erklären, weil bei der Erstellung der zugrunde liegenden Jahresabrechnungen zu zwei Kostenpositionen unrichtige Umlageschlüssel verwendet worden seien. Die Verteilung der Heizkosten entspreche teilweise nicht den Vorgaben der Heizkostenverordnung; die Verteilung der Position "Wasser/Kanal" sei mit dem gesetzlichen Verteilungsschlüssel nach § 16 Abs. 1 und 2 WEG nicht zu vereinbaren.
II.
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Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat die Beschlussmängelklage der Klägerin in dem noch anhängigen Umfang zu Unrecht als begründet angesehen.
6
1. Die Revision ist insgesamt zulässig. Das Berufungsgericht begründet die Zulassung der Revision damit, dass den Fragen, ob die Klageerhebungsfrist des § 45 WEG von der Klägerin gewahrt worden sei und ob die fehlerhafte Umlegung lediglich einzelner Kosten in der Jahresabrechnung zu einer gesamten Ungültigkeit eines gemäß § 28 Abs. 2 WEG gefassten Beschlusses führe, grundsätzliche Bedeutung zukomme. Ob die Klägerin die Anfechtungsfrist gewahrt hat, ist für sämtliche Beschlüsse erheblich und damit - entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung - auch für die Begründetheit der gegen den zu TOP 8 gefassten Beschluss gerichteten Klage. Wegen der hiernach unbeschränkten Zulassung ist die von der Beklagten vorsorglich eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde gegenstandslos (vgl. Senat, Urteil vom 11. November 2022 - V ZR 213/21 , NJW 2023, 217 Rn. 7).
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2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat die am 12. August 2021 bei Gericht eingegangene Anfechtungsklage die materiellen Ausschlussfristen des § 45 Satz 1 WEG (Einlegungs- und Begründungsfrist) nicht gewahrt. Auf die von dem Berufungsgericht bejahten Anfechtungsgründe lässt sich deshalb die Ungültigerklärung der Beschlüsse nicht stützen.
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a) Wie auch das Berufungsgericht nicht verkennt, sind Beschlussklagen seit dem 1. Dezember 2020 - und damit auch hier - nach § 44 Abs. 2 Satz 1 WEG gegen die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zu richten und nicht mehr gegen die übrigen Wohnungseigentümer, wie dies nach § 46 Abs. 1 Satz 1 WEG aF der Fall war. Deshalb kann die Anfechtungsfrist nur durch Erhebung einer Klage gegen die GdWE gewahrt werden. Entscheidend ist hiernach, ob die am 12. August 2021 und damit innerhalb der ab Beschlussfassung am 20. Juli 2021 laufenden Fristen des § 45 Satz 1 WEG bei Gericht eingegangene und begründete Klage gegen die GdWE gerichtet war, wovon das Berufungsgericht ausgeht. Dass eine Zustellung erst nach Fristablauf am 22. Oktober 2021 erfolgt ist, wäre dann unter den - von dem Berufungsgericht ebenfalls bejahten - Voraussetzungen des § 167 ZPO unschädlich.
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b) Die von dem Berufungsgericht vorgenommene Auslegung der Klageschrift, die der Senat in vollem Umfang nachprüfen kann (vgl. Senat, Urteil vom 17. Juni 2016 - V ZR 272/15 , NJW-RR 2016, 1404 Rn. 10), ist aber unzutreffend.
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aa) Wie zu verfahren ist, wenn in einer - wie hier - nach dem 30. November 2020 bei Gericht eingegangenen Beschlussmängelklage entgegen § 44 Abs. 2 Satz 1 WEG die übrigen Wohnungseigentümer als Beklagte bezeichnet werden, hat der Senat - allerdings nach Verkündung des Berufungsurteils - dahingehend geklärt, dass die Klage nur dann als gegen die GdWE gerichtet zu verstehen sein kann, wenn sich ein entsprechender Wille zweifelsfrei aus dem übrigen Inhalt der Klageschrift ergibt. Für eine solche Annahme genügt nicht bereits die Nennung des Verwalters im Anschluss an die Parteibezeichnung (vgl. Senat, Urteil vom 13. Januar 2023 - V ZR 43/22 , juris Rn. 23).
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bb) Danach ist auch hier bei objektiver Würdigung der Klageschrift auszuschließen, dass die Klage gegen die GdWE gerichtet werden sollte. Wie die Klagebegründung eindeutig belegt, ist der Klägervertreter bei Abfassung der Klage von der Fortgeltung der früheren Rechtslage ausgegangen und hat deshalb nicht versehentlich, sondern bewusst - wenn auch rechtsirrtümlich - die übrigen Wohnungseigentümer als Beklagte bezeichnet. Der Verwalter soll "gemäß § 48 Abs. 2 WEG beizuladen" sein. Hierbei handelt es sich um eine Vorschrift des bisherigen Rechts. Anders als das Berufungsgericht meint, ist eine andere Beurteilung nicht deshalb angezeigt, weil die übrigen Wohnungseigentümer in der Klageschrift nicht namentlich benannt werden, sondern lediglich das gemeinschaftliche Grundstück näher bezeichnet wird. (Auch) dies entspricht der bisherigen Rechtslage, wonach für die nähere Bezeichnung der beklagten Wohnungseigentümer die bestimmte Angabe des gemeinschaftlichen Grundstücks genügt und die namentliche Bezeichnung der Wohnungseigentümer bis spätestens zum Schluss der Verhandlung zu erfolgen hatte ( § 44 Abs. 1 Satz 1 und 2 WEG aF).
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c) Eine Bezeichnung der GdWE als Beklagte ist erstmalig in dem Schriftsatz vom 22. September 2021 erfolgt; zu diesem Zeitpunkt waren die Ausschlussfristen des § 45 Satz 1 WEG bereits abgelaufen. Dass der Schriftsatz demnächst zugestellt worden ist ( § 167 ZPO ), hilft der Klägerin deshalb nichts. Geklärt ist inzwischen auch, dass die bisherige Rechtsprechung des Senats zu § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG aF, wonach die Klagefrist durch eine irrtümlich gegen die Gemeinschaft erhobene Anfechtungsklage gewahrt werden konnte, wenn der Übergang zu einer Klage gegen die damals richtigerweise zu verklagenden übrigen Wohnungseigentümer nach § 44 Abs. 1 Satz 2 WEG aF bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nachgeholt wurde (vgl. Senat, Urteil vom 6. November 2009 - V ZR 73/09 , NJW 2010, 446 Rn. 12 ff.), auf die Rechtslage nach Inkrafttreten des Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetzes nicht übertragbar ist. Ebenso wenig kommt bei einer - wie hier - anwaltlich vertretenen Partei eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 45 Satz 2 WEG i.V.m. §§ 233 ff. ZPO in Betracht (vgl. zum Ganzen Senat, Urteil vom 13. Januar 2023 - V ZR 43/22 , juris Rn. 29 f.).
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2. Die Entscheidung des Berufungsgerichts erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig ( § 561 ZPO ). Die Beschlüsse sind nicht nichtig.
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a) Entschieden ist bereits, dass auch nach Inkrafttreten des Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetzes am 1. Dezember 2020 Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage denselben Streitgegenstand haben; einzelne Beschlussmängel sind nur Teile des einheitlichen Streitgegenstands. Rechtserhebliche Bedeutung kommt der Unterscheidung zwischen Anfechtungs- und Nichtigkeitsgründen weiterhin hauptsächlich dann zu, wenn zumindest eine der Fristen des § 45 Satz 1 WEG versäumt worden ist. Die Klage kann dann nur noch Erfolg haben, wenn der Beschluss nichtig ist. Ob dies der Fall ist, hat grundsätzlich auch das Revisionsgericht zu prüfen (vgl. zum Ganzen Senat, Urteil vom 13. Januar 2023 - V ZR 43/22 , juris Rn. 10 ff.).
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b) Nichtigkeitsgründe (vgl. § 23 Abs. 4 Satz 1 WEG ) sind nicht ersichtlich, und zwar auch nicht hinsichtlich der zu TOP 2 und 3 gefassten Beschlüsse; denn ein Beschluss, mit dem die Wohnungseigentümer im Einzelfall - bezogen auf eine konkrete Jahresabrechnung - von den Vorgaben der Heizkostenverordnung abweichen, ist nicht nichtig, sondern lediglich anfechtbar (Senat, Urteil vom 22. Juni 2018 - V ZR 193/17 , NJW 2018, 3717 Rn. 16). Entsprechendes gilt für einen Beschluss, in dem eine von § 16 Abs. 2 WEG abweichende Kosten- und Lastenverteilung vorgenommen wird (vgl. BGH, Urteil vom 10. März 1994 - IX ZR 98/93 , NJW 1994, 1866, 1867 f.), was das Berufungsgericht im Hinblick auf die Position "Wasser/Kanal" angenommen hat.
III.
16
Das angefochtene Urteil kann daher im Umfang der Anfechtung keinen Bestand haben und ist insoweit aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil weitere Feststellungen nicht zu treffen sind und der Rechtsstreit zur Entscheidung reif ist ( § 563 Abs. 3 ZPO ). Die Berufung ist insgesamt zurückzuweisen mit der Folge, dass es bei dem die Klage abweisenden Urteil des Amtsgerichts verbleibt.
IV.
17
1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO (Berufungsverfahren) und § 91 Abs. 1 ZPO (Revisionsverfahren).
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2. Die Festsetzung des Streitwerts für das Revisionsverfahren auf 77.638,68 € ergibt sich aus § 49 GKG . Hiernach ist in Verfahren über Beschlussklagen gemäß § 44 Abs. 1 WEG der Streitwert auf das Interesse aller Wohnungseigentümer an der Entscheidung festzusetzen, wobei er den siebeneinhalbfachen Wert des Interesses des Klägers und der auf seiner Seite Beigetretenen sowie den Verkehrswert ihres Wohnungseigentums nicht übersteigen darf. Hieraus ergeben sich für die Beschlüsse zu den im Revisionsverfahren noch relevanten Tagesordnungspunkten folgende Werte:
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a) Die Beschlüsse zu TOP 2 und 3 stehen im Zusammenhang mit den Jahresabrechnungen für die Jahre 2019 und 2020. Insoweit beträgt zu TOP 2 der Streitwert 17.008,26 €; betreffend TOP 3 beträgt der Streitwert 19.151,09 €.
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aa) Stützte der klagende Wohnungseigentümer unter der Geltung des bisherigen Rechts die Beschlussmängelklage gegen den Beschluss der Wohnungseigentümer über die Genehmigung der Jahresabrechnung auf Einwendungen gegen die Jahresabrechnung insgesamt, bemaß sich das hälftige ( § 49a Abs. 1 Satz 1 GKG aF) Gesamtinteresse der Wohnungseigentümer nach dem vollen Nennbetrag der Jahresabrechnung (vgl. Senat, Beschluss vom 9. Februar 2017 - V ZR 188/16 , ZWE 2017, 331 Rn. 11; Beschluss vom 6. Dezember 2018 - V ZR 239/17 , BeckRS 2018, 37, 374 Rn. 3). Das für die Grenzen des § 49a Abs. 1 Satz 2 GKG aF maßgebliche Individualinteresse des Klägers entsprach seinem Anteil am Nennbetrag der Abrechnung; dies galt auch dann, wenn der Kläger formale Fehler der Abrechnung bemängelte (vgl. Senat, Beschluss vom 15. Mai 2012 - V ZB 282/11 , ZWE 2012, 336 Rn. 7 f. zu der insoweit gleichgelagerten Frage der Bemessung der Beschwer). Wandte sich der Anfechtungskläger dagegen nur gegen die Einbeziehung einer bestimmten Kostenposition in der Jahresabrechnung, bestimmte deren Betrag den Wert des Interesses der Wohnungseigentümer an der Entscheidung (vgl. Senat, Beschluss vom 9. Februar 2017 - V ZR 188/16 , ZWE 2017, 331 Rn. 11). Das Interesse des Klägers entsprach der streitigen Position in seiner Einzelabrechnung und bildete die Untergrenze für den Gegenstandswert (vgl. Senat, Beschluss vom 9. Juli 2015 - V ZB 198/14 , NJW-RR 2015, 1492 Rn. 17). Diese Berechnungsgrundsätze galten in der Rechtsmittelinstanz entsprechend, und zwar auch dann, wenn Rechtsmittelführer die beklagte Partei war. Der Wert der Anträge des Rechtsmittelführers ( § 47 Abs. 1 GKG ) bestimmte sich nämlich ebenfalls nach § 49a GKG aF (vgl. allgemein Senat, Beschluss vom 18. Januar 2018 - V ZR 71/17 , NJW-RR 2018, 775 Rn. 3).
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bb) An diesen Grundgedanken ist festzuhalten. Wird ein nach Inkrafttreten des Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetzes gefasster Abrechnungsbeschluss gemäß § 28 Abs. 2 WEG mit dem Ziel angefochten, den Beschluss insgesamt für ungültig erklären zu lassen, bemisst sich der Streitwert grundsätzlich nach dem Nennbetrag der Jahresabrechnung. Das für die Berechnung der Grenzen des § 49 Satz 2 GKG maßgebliche Individualinteresse des Klägers entspricht seinem Anteil am Nennbetrag der Abrechnung. Die Frage wird allerdings in Rechtsprechung und Literatur nicht einheitlich beantwortet.
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(1) Zum Teil wird vor dem Hintergrund, dass gemäß § 28 Abs. 2 Satz 1 WEG nicht mehr über die Genehmigung der Jahresabrechnung beschlossen wird, sondern nur noch über die Einforderung von Nachschüssen und/oder eine Anpassung der Vorschüsse, die Auffassung vertreten, dass für die Bemessung des Gesamtinteresses die absoluten Werte der jeweiligen Forderung, d.h. die Beträge der Nachforderungen und die Beträge der Anpassungen zu addieren seien. Das Einzelinteresse des Klägers bestimme sich im Regelfall (lediglich) nach der ihm durch die Jahresabrechnung auferlegten Nachforderung (vgl. LG Lüneburg, ZWE 2022, 460 Rn. 10 ff.; Dötsch/Schultzky/Zschieschack, WEG-Recht 2021, Kap. 14 Rn. 204 ff.; Greiner, Wohnungseigentumsrecht, 5. Aufl., § 13 Rn. 77; Elzer,ZMR 2022, 947, 948).
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(2) Nach der Gegenauffassung gelten die oben dargelegten Grundsätze des Senats aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetzes fort, d.h. maßgeblich ist grundsätzlich der Nennbetrag der Abrechnung bzw. ein Teil dieses Nennbetrags (vgl. LG Frankfurt a.M., WuM 2022, 565; LG Frankfurt a.M.,ZMR 2022, 398; LG Köln,ZMR 2022, 739; LG Düsseldorf,ZMR 2022, 990; Agatsy,ZMR 2022, 449, 452; Bärmann/Göbel, WEG, 15. Aufl., § 49 GKG Rn. 22; Drasdo, NJW-Spezial 2022, 483; Kieß, AnwZert MietR 24/2022 Anm. 1 unter B. II.). Zum Teil wird insoweit einschränkend die Auffassung vertreten, man müsse zwar den gesamten Betrag der Ausgaben bei der Wertbemessung zugrunde legen, das Interesse aller Wohnungseigentümer betrage dann aber nur 20 bis 30 % der Kosten (vgl. Jennißen/Suilmann, WEG, 7. Aufl., § 49 GKG Rn. 17).
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(3) Der Senat hält an den bisherigen Grundsätzen der Wertbemessung bei der Anfechtung von Abrechnungsbeschlüssen auch nach der Neufassung des § 28 Abs. 2 WEG durch das Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetz fest.
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(aa) Richtig ist zwar, dass sich der Beschlussgegenstand geändert hat. Während nach bisherigem Recht die Jahresabrechnung genehmigt wurde ( § 28 Abs. 5 WEG aF), soll die Jahresabrechnung nach neuem Recht nur der Vorbereitung des Beschlusses über die Einforderung von Nachschüssen oder die Anpassung der beschlossenen Vorschüsse dienen (vgl. § 28 Abs. 2 WEG und BT-Drucks. 19/18791, 77). Dies ändert aber nichts daran, dass auch unter der Geltung des neuen Rechts das Interesse der Wohnungseigentümer bei der Beschlussfassung darin besteht, die tatsächlich angefallenen Kosten vollständig auf alle Wohnungseigentümer zu verteilen (so im Ausgangspunkt auch Jennißen/Suilmann, WEG, 7. Aufl., § 49 GKG Rn. 15). Ihnen geht es deshalb nur vordergründig um die Abrechnungsspitze. Diese stellt lediglich das Rechenergebnis aus den einzelnen Abrechnungspositionen dar (vgl. auch Kieß, AnwZert MietR 24/2022 Anm. 1 unter B. II.). Um die Richtigkeit der beschlossenen Zahlungsverpflichtungen beurteilen zu können, muss die Jahresabrechnung inzident geprüft werden. Dies kann bei der Streitwertfestsetzung nicht unberücksichtigt bleiben (vgl. auch LG Frankfurt a.M., WuM 2022, 565 Rn. 14).
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(bb) Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass der auf der Grundlage einer Jahresabrechnung nach § 28 Abs. 2 WEG gefasste Beschluss anspruchsbegründende Wirkung nur im Hinblick auf die Abrechnungsspitze hat. Insoweit ist nämlich keine Änderung gegenüber dem bisherigen Recht erfolgt. Auch wenn die Wohnungseigentümer eine Jahresabrechnung durch Beschluss genehmigt hatten, wirkte ein solcher Beschluss nur hinsichtlich der Abrechnungsspitze anspruchsbegründend, d.h. nur hinsichtlich des auf den einzelnen Wohnungseigentümer entfallenden Betrages, welcher die in dem Wirtschaftsplan für das abgelaufene Jahr beschlossenen Vorschüsse überstieg. Nur deren Berechnung konnte nach Eintritt der Bestandskraft nicht mehr infrage gestellt werden (vgl. Senat, Beschluss vom 13. Februar 2020 - V ZR 29/15 , ZWE 2020, 347 Rn. 7 mwN). Dies hatte jedoch nicht zur Folge, dass sich der Streitwert nur nach den Abrechnungsspitzen richtete. Vielmehr hat der Senat unter Berücksichtigung dieser eingeschränkten Wirkung eines Genehmigungsbeschlusses nach bisherigem Recht den Streitwert nach dem vollen Nennbetrag der Abrechnung bemessen. Hierdurch wurde das Gesamtinteresse der Wohnungseigentümer an dem Genehmigungsbeschluss zutreffend beschrieben. Entsprechendes gilt auch unter der Geltung des § 28 Abs. 2 WEG (vgl. auch LG Frankfurt a.M., WuM 2022, 565 Rn. 15; Jennißen/Suilmann, WEG, 7. Aufl., § 49 GKG Rn. 16).
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cc) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze bemisst sich hier das für § 49 Satz 1 GKG zunächst in den Blick zu nehmende Gesamtinteresse der Wohnungseigentümer an der Beschlussfassung, auf das es auch bei einem Rechtsmittel der - wie hier - beklagten Partei ankommt (vgl. zu § 49a GKG aF allgemein Senat, Beschluss vom 18. Januar 2018 - V ZR 71/17 , NJW-RR 2018, 775 Rn. 3; für das neue Recht Bärmann/Göbel, WEG, 15. Aufl., § 49 GKG Rn. 3), nach dem Nennbetrag der Abrechnung. Das Berufungsgericht hat nämlich die beiden Beschlüsse betreffend die Abrechnungen nicht nur teilweise, sondern insgesamt für ungültig erklärt, so dass das Gesamtinteresse aller Wohnungseigentümer im Revisionsverfahren mit dem Nennbetrag der Abrechnung zu bewerten ist. Dieser beträgt betreffend das Jahr 2019 17.008,26 €. Da der Anteil der Klägerin hiervon 4.810,91 € beträgt und der siebeneinhalbfache Betrag das Gesamtinteresse übersteigt, ist das Gesamtinteresse i.H.v. 17.008,26 € maßgeblich (TOP 2). Im Hinblick auf TOP 3 und die hiermit im Zusammenhang stehende Abrechnung 2020 beträgt die Abrechnungssumme 19.151,09 €. Auch dieser Betrag ist hier maßgeblich, weil der Anteil der Klägerin 5.198,79 € beträgt; das Siebeneinhalbfache dieses Betrages ist wiederum höher als das Gesamtinteresse, auf das es deshalb gemäß § 49 Satz 1 GKG ankommt.
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b) Soweit es um die Anfechtung der übrigen Beschlüsse geht, die noch Gegenstand des Revisionsverfahrens sind, folgt der Senat der Wertfestsetzung des Berufungsgerichts (TOP 4: 500 €, TOP 5: 1.000 € und TOP 8: 39.979,33 €). Zusammen mit der Anfechtung zu den Beschlüssen betreffend TOP 2 (17.008,26 €) und TOP 3 (19.151,09 €) errechnet sich die von dem Senat für das Revisionsverfahren festgesetzte Summe von 77.638,68 €.
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c) § 47 Abs. 2 GKG , wonach der Streitwert im Rechtsmittelverfahren durch den Wert des Streitgegenstandes des ersten Rechtszugs begrenzt ist, steht der Wertfestsetzung des Senats nicht entgegen, weil der Wert des erstinstanzlichen Streitgegenstands nicht anhand des von dem Berufungsgericht auch für die erste Instanz festgesetzten Werts, sondern anhand materieller Kriterien zu bestimmen ist (vgl. Senat, Beschluss vom 26. Januar 2023 - V ZR 205/21 , juris).
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3. Die Abänderung des Streitwerts für das erst- und zweitinstanzliche Verfahren auf einen Betrag von 110.501,73 € beruht auf § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG .
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a) Die Zuständigkeit des Senats als Rechtsmittelgericht für eine solche Änderung ist gegeben, da es ausreicht, dass das Verfahren wegen eines Teils der Hauptsache in der Rechtsmittelinstanz anhängig geworden ist. § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG erlaubt auch die Abänderung eines Streitwertteilbetrages (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 26. Mai 2020 - 11 S 2543/19, juris Rn. 7 mwN; BeckOK KostR/Jäckel [1.10.2022], § 63 GKG Rn. 25). Die Änderungsbefugnis bezieht sich hier auf die Streitwertteilbeträge, die auf die Beschlüsse zu TOP 2, 3, 4, 5 und 8 entfallen.
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b) Das Berufungsgericht bemisst den Streitwert für die Anfechtungsklage gegen die Beschlüsse zu TOP 2 und 3 (Jahresabrechnungen 2019 und 2020) nicht mit dem vollen Nennbetrag der Abrechnungssummen, sondern orientiert sich an den Kosten, die auf die jeweils streitigen Positionen entfallen. Dies kann nicht überzeugen. Die Klägerin hat - wie in der ersten Instanz - die Aufhebung der Beschlüsse insgesamt beantragt. Die Wertfestsetzung betreffend TOP 4, 5 und 8 ist demgegenüber nicht zu beanstanden.
33
c) Damit beläuft sich der Streitwert für die erste und zweite Instanz auf insgesamt 110.501,73 €. Zu den Werten betreffend TOP 2, 3, 4, 5 und 8, die (nur) Gegenstand des Revisionsverfahrens und entsprechend den obigen Ausführungen mit 77.638,68 € zu bewerten sind, kommen die Werte betreffend TOP 7, 9 und 12 hinzu, die das Berufungsgericht mit 4.200 € (TOP 7), 5.863,05 € (TOP 9) und 22.800 € (TOP 12) und damit auf insgesamt 32.863,05 € bemessen hat.
Brückner
Göbel
Malik
Laube
Grau
Von Rechts wegen