Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 09.05.2023 · IWW-Abrufnummer 235187

    Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg: Beschluss vom 29.03.2023 – 12 S 2479/22

    Bei Streitigkeiten in der Hauptsache, in denen es um die Zurverfügungstellung eines Betreuungsplatzes in einer Tageseinrichtung oder Kindertagespflege geht, ist als Gegenstandswert der Auffangwert (§ 52 Abs. 2 GKG) zugrunde zu legen.

    Dieser Wert ist in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, in denen der vorläufige Nachweis eines Betreuungsplatzes begehrt wird, zu halbieren.


    Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg

    Beschluss vom 29.03.2023


    In der Verwaltungsrechtssache
    - Antragsteller -
    - Beschwerdeführer -
    prozessbevollmächtigt:
    gegen
    Landkreis Reutlingen,
    vertreten durch den Landrat,
    Bismarckstraße 14, 72764 Reutlingen, Az:
    - Antragsgegner -
    - Beschwerdegegner -
    beigeladen:
    Gemeinde Eningen,
    vertreten durch den Bürgermeister,
    Rathausplatz 1 + 2, 72800 Eningen
    prozessbevollmächtigt:

    wegen Zuweisung eines Kindergartenplatzes
    hier: Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz
    hier: Gegenstandswert

    hat der 12. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg am 29. März 2023 beschlossen:

    Tenor:

    Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 3. November 2022 - 2 K 1366/22 - geändert.

    Der Gegenstandswert wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.

    Gründe

    Über die Beschwerde entscheidet, weil der angefochtene Gegenstandswertbeschluss durch die Berichterstatterin erlassen wurde, nach § 33 Abs. 8 Satz 1 Halbs. 2 RVG die Berichterstatterin als Einzelrichterin.

    Der Antragsteller wendet sich mit seiner Beschwerde gegen den am 07.11.2022 zugestellten Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen, mit dem dieses den Gegenstandswert des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens mit dem Hauptantrag, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem im April 2019 geborenen Antragsteller einen Betreuungsplatz in der Tageseinrichtung J. mit einem Betreuungsumfang von 41 Wochenstunden mit den Vollzeittagen Montag und Mittwoch bereitzustellen, und den Hilfsanträgen, ihm einen Betreuungsplatz in der Tageseinrichtung J. mit einem Betreuungsumfang von 41 Wochenstunden mit zwei Vollzeittagen (Hilfsantrag 1) bzw. von 41 Wochenstunden, wenigstens jedoch 32 Wochenstunden (Hilfsantrag 2), oder in der Tageseinrichtung S. mit einem Betreuungsumfang von 41 Wochenstunden bereitzustellen (Hilfsantrag 3), auf 5.000,00 Euro festgesetzt hat. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, der im Hauptsacheverfahren anzusetzende Auffangwert sei nicht zu halbieren, da der Antrag auf eine Vorwegnahme der Hauptsache ziele.

    Der Antragsteller beantragt,

    den Gegenstandswert für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auf 2.500,00 Euro herabzusetzen.

    Er ist der Auffassung, es sei entgegen der Ansicht des Gerichts nicht zwingend, dass bei einer Vorwegnahme der Hauptsache stets von einer Halbierung des in der Hauptsache festzusetzenden Werts abzusehen sei. Anhaltspunkte dafür, dass der Gegenstandswert mit dem Wert des Hauptsacheverfahrens gleichzusetzen sei, seien nicht dargetan und auch nicht gegeben.

    Der Prozessbevollmächtigte der beigeladenen Gemeinde bringt dagegen vor, bei Erlass der begehrten Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren wären vollendete Tatsachen geschaffen worden, welche in tatsächlicher Hinsicht die Entscheidung im Hauptsacheverfahren ersetzt hätten, weshalb kein Grund für die begehrte Herabsetzung des Gegenstandswerts bestehe.

    Die Beschwerde hat Erfolg.

    1. Die Beschwerde gegen den Gegenstandswertbeschluss ist gemäß § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG statthaft und auch im Übrigen zulässig.

    Die Beschwerde ist als von den Prozessbevollmächtigten im Namen des Antragstellers eingelegt anzusehen.

    Zwar enthält die Beschwerdeschrift vom 21.11.2022 keine ausdrückliche Erklärung dazu, wer als Beschwerdeführer auftritt. Nicht eindeutige Prozess- und Verfahrenshandlungen sind aber - analog den im materiellen Recht entwickelten Grundsätzen - auslegungsfähig, wobei auf den für das Gericht und die Gegenpartei als Empfänger - erforderlichenfalls im Rahmen einer Gesamtbetrachtung - vernünftigerweise erkennbaren Sinn abzustellen und im Zweifel anzunehmen ist, dass angestrebt wird, was sich nach den Maßstäben der Rechtsordnung als vernünftig erweist und mit den wohlverstandenen Interessen der Beteiligten in Einklang steht (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 17.01.2023 - 5 OA 136/22 -, juris Rn. 4, m.w.N.; OLG Dresden, Beschluss vom 15.08.2022 - 4 W 422/22 -, juris Rn. 3, m.w.N.; OLG Brandenburg, Beschluss vom 27.07.2022 - 11 W 20/22 -, juris Rn. 3). Dabei ist einzustellen, dass ein Rechtsanwalt zwar gemäß § 33 Abs. 2 Satz 2 RVG aus eigenem Recht Beschwerde gegen die Festsetzung des Gegenstandswerts einlegen kann. Allerdings muss der Beschwerdeführer nach den allgemeinen Grundsätzen des Rechtsmittelrechts durch die angegriffene Entscheidung auch beschwert sein. Ein Rechtsanwalt ist regelmäßig nur durch einen zu geringen Wert beschwert, da er dann seine Vergütung nur nach dem geringeren Wert abrechnen kann (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 17.01.2023 - 5 OA 136/22 -, juris Rn. 4; Bayerischer VGH, Beschluss vom 30.10.2013 - 9 C 12.2431 -, juris Rn. 12; Laube in: Dörndorfer/Wendtland/Gerlach/Diehn, BeckOK Kostenrecht, GKG § 68 Rn. 43, 49, m.w.N. <Stand: 01.01.2023>; Schneider in: Schneider/Volbert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 3. Aufl. 2021, § 68 GKG Rn. 35; K. Sommerfeldt/M. Sommerfeldt in: v. Seltmann, BeckOK RVG/K, § 33 Rn. 17a <Stand: 01.03.2023>).

    In Anwendung dieser Maßstäbe ist vorliegend davon auszugehen, dass die Prozessbevollmächtigten im Namen des Antragstellers die Beschwerde, die auf eine Herabsetzung des Gegenstandswert gerichtet ist, eingelegt haben. Hierfür spricht zwar noch nicht ohne weiteres die in der Beschwerde gewählte Formulierung ("legen wir hiermit ... Beschwerde ein" statt "legt der Antragsteller" oder "legen wir namens des Antragstellers Beschwerde ein"). Vorliegend ist jedoch die Besonderheit zu berücksichtigen, dass die Prozessbevollmächtigten zugleich die Eltern und gesetzlichen Vertreter des minderjährigen Antragstellers sind. Zudem haben sie auch in der Antragsschrift im vorläufigen Rechtsschutzverfahren vor dem Verwaltungsgericht die Formulierung "beantragen wir" (mit dem Zusatz "als gesetzliche Vertreter des Antragstellers") verwendet (vgl. zur Verwendung des Pronomens "wir": OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 06.05.2020 - 10 E 1079/19 -, juris Rn. 5). Für die Einlegung der Beschwerde im Namen des Antragstellers, der die Kosten des Verfahrens zu tragen hat, spricht maßgebend die Interessenlage, da nur dieser als kostenbelasteter Beteiligter durch einen zu hoch angesetzten Gegenstandswert beschwert sein kann (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 17.01.2023 - 5 OA 136/22 -, juris Rn. 4).

    Die so verstandene Beschwerde, der vom Verwaltungsgericht nicht abgeholfen wurde (Beschluss vom 22.11.2022, vgl. § 33 Abs. 4 Satz 1 RVG), ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere übersteigt sie den nach § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG erforderlichen Wert des Beschwerdegegenstands von 200,00 Euro. Dieser berechnet sich nicht nach der Differenz zwischen festgesetztem und begehrtem Gegenstandswert, sondern aus dem Unterschied der Gebühren, die sich für den Beschwerdeführer unter Zugrundelegung des angefochtenen und des erstrebten Gegenstandswerts ergeben (vgl. Sächsisches OVG, Beschluss vom 30.07.2020 - 3 E 42/20 -, juris Rn. 4; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11.07.2018 - 12 E 967/17 -, juris Rn. 2; zur vergleichbaren Regelung des § 68 Abs. 1 Satz 1 RVG: OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 28.03.2022 - 2 O 27/22 -, juris Rn. 3; Bayerischer VGH, Beschlüsse vom 10.09.2020 - 9 C 20.1534 -, juris Rn. 9, und vom 19.11.2018 - 10 C 18.2059 -, juris Rn. 4). Entscheidend ist mithin, in welchem Umfang sich die Position des Beschwerdeführers in kostenmäßiger Hinsicht durch die erfolgte Gegenstandswertfestsetzung gegenüber der Position bei einer Gegenstandswertfestsetzung der von ihm gewünschten Höhe verschlechtert (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 01.07.2010 - 8 OA 117/10 -, juris Rn. 3; Laube in: Dörndorfer/Wendtland/Gerlach/Diehn, BeckOK Kostenrecht, GKG § 68 Rn. 70, m.w.N. <Stand: 01.01.2023>; jew. zu § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG).

    Das Erreichen der so zu ermittelnden Mindestbeschwer ergibt sich entgegen der Ansicht des Antragstellers indes nicht daraus, dass dem vorläufigen Rechtsschutzverfahren sich ein Beschwerdeverfahren beim Verwaltungsgerichtshof angeschlossen hatte und je nach der Kostenentscheidung grundsätzlich Kostenfestsetzungsanträge beim Verwaltungsgericht (§ 164 VwGO) für beide Instanzen eingereicht werden können. Denn der Wertbestimmung nach § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG ist nur der Vergütungsanspruch für die Instanz zugrunde zu legen, für die der Gegenstandswert festgesetzt wurde, da die Wertfestsetzung nur für diese Instanz gilt (vgl. Laube in: Dörndorfer/Wendtland/Gerlach/Diehn, BeckOK Kostenrecht, GKG § 68 Rn. 72). Da das Verwaltungsgericht mit dem Beschluss vom 03.11.2022 den Gegenstandswert für das erstinstanzliche vorläufige Rechtsschutzverfahren festgesetzt hat, ist nur die daraus resultierende Kostenbelastung des Antragstellers maßgeblich.

    Bei der Bestimmung des kostenmäßigen Nachteils für den Antragsteller durch die erfolgte Gegenstandswertfestsetzung sind neben den Kosten für die eigenen Prozessbevollmächtigten und der Auslagenpauschale des Antragsgegners für das erstinstanzliche - gerichtskostenfreie - vorläufige Rechtsschutzverfahren die Kosten für die Vergütung des Rechtsanwalts der Beigeladenen zu berücksichtigen, da diese - anders als der Antragsgegner - erstinstanzlich anwaltlich vertreten war und dem Antragsteller im Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 21.07.2022 (2 K 1366/22) die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen auferlegt worden sind. Aus dem festgesetzten Gegenstandswert ergibt sich eine Vergütung der Rechtsanwälte des Antragstellers und des Rechtsanwalts der Beigeladenen in Höhe von jeweils 540,50 Euro, insgesamt von 1.081,00 Euro (jeweils 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG, Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV RVG und 19 % Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV RVG) zuzüglich einer Auslagenpauschale des Antragsgegners von 20,00 Euro. Aus dem angestrebten Gegenstandswert ergäbe sich eine Anwaltsvergütung von je 367,23 Euro. Die Differenz beträgt somit 346,54 Euro und übersteigt die Mindestbeschwer des § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG.

    2. Die Beschwerde ist auch begründet. Der Gegenstandswert ist entsprechend der vom Antragsteller begehrten Herabsetzung auf 2.500,00 Euro festzusetzen.

    Die Festsetzung des Wertes des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit richtet sich nach den § 2 Abs. 1, § 23 Abs. 1, § 33 Abs. 1 RVG i.V.m. mit § 52 Abs. 2 und § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Der Senat legt in seiner Rechtsprechung bei Streitigkeiten in der Hauptsache, in denen es um die Zurverfügungstellung eines Betreuungsplatzes in einer Tageseinrichtung oder Kindertagespflege geht, als Gegenstandswert den Auffangwert zugrunde (vgl. etwa VGH Baden-Württemberg vom 01.12.2021 - 12 S 1725/21 -, n.v., vom 14.11.2018 - 12 S 2131/18 -, n.v., und vom 07.12.2016 - 12 S 1887/16 -, n.v., m.w.N.; ebenso OVG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 05.11.2019 - 12 E 743/19 -, juris Rn. 5, und vom 14.05.2019 - 12 E 894/18 -, juris Rn. 3; Sächsisches OVG, Beschluss vom 12.09.2018 - 4 E 98/18 -, juris Rn. 7; so auch Bayerischer VGH, Beschluss vom 10.11.2022 - 4 CE 22.2038 -, juris, zu einem kommunalrechtlich begründeten Anspruch auf einen Platz in einer gemeindlichen Tageseinrichtung).

    Auch in den Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bestimmt sich nach § 53 Abs. 2 Nr. 1 und 2 GKG der Wert nach § 52 Abs. 1 und 2 GKG. Aus dieser Verweisung lässt sich aber nicht ableiten, dass das Interesse des Antragstellers am Ausgang eines Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes stets mit demjenigen des Hauptsacheverfahrens gleichzusetzen wäre. Vielmehr ist die jeweilige Bedeutung der Sache auch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes maßgeblich, wobei grundsätzlich die Annahme gerechtfertigt ist, dass die Bedeutung der Sache in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren regelmäßig hinter der der Hauptsache zurückbleibt, weil die Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutz nach ihrer Funktion und Rechtsnatur im allgemeinen nur vorläufigen Charakter hat, weshalb der Streitwert in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes in der Regel auf die Hälfte des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts festgesetzt wird (vgl. etwa Happ in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 123 Rn. 70; siehe auch Ziffer 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit). So liegt es auch im vorliegenden Verfahren, in dem der vorläufige Nachweis eines Betreuungsplatzes begehrt wird (vgl. zum halben Auffangwert VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 01.12.2021 - 12 S 1725/21 -, n.v., und vom 14.11.2018 - 12 S 2131/18 -, n.v.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 16.07.2020 - 12 B 469/20 -, juris, und vom 28.02.2019 - 12 E 857/18 -, juris Rn. 5; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29.08.2018 - OVG 6 L 47.18 -, juris; Sächsisches OVG, Beschlüsse vom 20.12.2017 - 4 B 294/17 -, juris Rn. 9, und vom 22.09.2017 - 4 B 268/17 -, juris Rn. 17; VG Köln, Beschluss vom 20.12.2013 - 19 L 1846/13 -, juris Rn. 19; Schoch in: Schoch/Schneider, VwGO § 123 Rn. 146c <Stand: 2/2022>; a.A. OVG Bremen, Beschluss vom 25.01.2017 - 1 S 2/17 -, juris Rn. 7). Allein die Tatsache, dass der vorläufige Nachweis eines Betreuungsplatzes nachträglich nicht rückgängig gemacht werden kann, gebietet nicht die Zugrundelegung des vollen Auffangwerts. Denn damit erlangt der Antragsteller noch nicht den in der Hauptsache begehrten endgültigen Nachweis eines Betreuungsplatzes auch für die Zukunft (vgl. Schoch in: Schoch/Schneider, VwGO § 123 Rn. 146b ff. <Stand: 2/2022>). Soweit die Beigeladene einwendet, bei Erlass der begehrten Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren wären vollendete Tatsachen geschaffen worden, welche in tatsächlicher Hinsicht die Entscheidung im Hauptsacheverfahren ersetzt hätten, stellt dies die Vorläufigkeit der gerichtlichen Entscheidung nicht durchgreifend in Frage. Durch eine solche gerichtliche Anordnung werden keine für die Zukunft rechtlich irreversiblen Zustände geschaffen (Schoch in: Schoch/Schneider, VwGO § 123 Rn. 146c <Stand: 2/2022>). Die einstweilige Anordnung regelt den Interimszeitraum zwar endgültig, steht für die Zukunft jedoch unter dem Vorbehalt der Hauptsacheentscheidung (vgl. Sächsisches OVG, Beschluss vom 07.06.2017 - 4 B 112/17 -, juris Rn. 18). Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass ein vorläufig zugewiesener Platz faktisch einer endgültigen Zuweisung gleichkäme, sind weder schlüssig dargetan noch ersichtlich.

    Auch eine Erhöhung des Gegenstandswerts durch Zusammenrechnung der Werte für den Hauptantrag und die Hilfsansprüche kommt - wovon auch die Beteiligten ausgehen - weder nach § 39 Abs. 1 GKG noch § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG in Betracht. Nach § 39 Abs. 1 GKG werden in demselben Verfahren und in demselben Rechtszug die Werte mehrerer Streitgegenstände zusammengerechnet, soweit nichts anderes bestimmt ist. Von mehreren Streitgegenständen im Sinne dieser Vorschrift kann nur dann ausgegangen werden, wenn die den Sachanträgen zu Grunde liegenden Ansprüche jeweils einen selbständigen wirtschaftlichen Wert oder - im Fall nichtvermögensrechtlicher Streitigkeiten - einen selbständigen materiellen Gehalt aufweisen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 16.08.2022 - 10 S 2829/21 -, juris Rn. 32, und vom 01.07.2022 - 1 S 1113/22 -, juris Rn. 4; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15.09.2022 - 4 B 388/22 -, juris Rn. 11; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 11.03.2020 - 1 OA 7/20 -, juris Rn. 9). Das ist vorliegend nicht der Fall. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der von dem Antragsteller mit dem Hauptantrag geltend gemachte Anspruch, ihm einen Betreuungsplatz in einer bestimmten, von seinen Eltern ausgewählten Tageseinrichtung mit konkreten Betreuungszeiten zuzuweisen, sowie die jeweils hilfsweise geltend gemachten Ansprüche, ihm einen Betreuungsplatz mit anderen Betreuungszeiten oder in einer weiteren, von seinen Eltern ausgewählten Tageseinrichtung zuzuweisen, denselben Streitgegenstand betreffen. Der Antragsteller begehrt von dem Antragsgegner die Erfüllung seines gesetzlichen Anspruchs - hier: aus § 24 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII - auf einen (zumutbaren) Betreuungsplatz, der allen vier Sachanträgen des vorläufigen Rechtsschutzantrags zu Grunde liegt. Der Antragsteller hat zwar durch die Stellung seiner Anträge zu erkennen gegeben, dass er einen Platz in der im Hauptantrag bezeichneten Einrichtung zu den konkret bezeichneten Betreuungszeiten einem Platz in der Einrichtung zu anderen Betreuungszeiten bzw. mit einem geringen Betreuungsumfang und einem Platz in der nachrangig bezeichneten Einrichtung vorzieht, aus diesem ideellen Interesse ergibt sich jedoch weder ein Anhaltspunkt für einen selbständigen wirtschaftlichen Wert noch für einen selbständigen materiellen Gehalt. Denn auch im Rahmen des Wunsch- und Wahlrechts (vgl. § 5 SGB VIII) ist von einer grundsätzlichen Gleichwertigkeit aller Betreuungsplätze auszugehen, die geeignet sind, den gesetzlichen Anspruch zu erfüllen (vgl. Sächsisches OVG, Beschluss vom 16.06.2015 - 1 E 44/15 -, juris Rn. 6).

    Aus § 45 Abs. 1 GKG ergibt sich nichts anderes. Die Hilfsanträge des Antragstellers sind zwar grundsätzlich gemäß § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG bei der Gegenstandswertfestsetzung zu berücksichtigen, da ein hilfsweise geltend gemachter Anspruch mit dem Hauptanspruch zusammengerechnet wird, soweit eine Entscheidung über ihn ergeht. Betreffen die Ansprüche allerdings denselben Gegenstand, ist nur der Wert des höheren Anspruchs maßgebend (§ 45 Abs. 1 Satz 3 GKG). Die Voraussetzung "derselbe Gegenstand" bezieht sich dabei auf einen eigenständigen kostenrechtlichen Begriff, der sich an der wirtschaftlichen Betrachtung der Streitgegenstände orientiert. Eine solche Identität liegt vor, wenn die Ansprüche nicht in der Weise nebeneinanderstehen können, dass das Gericht beiden stattgeben könnte, sondern die Verurteilung nach dem einen Antrag notwendigerweise die Abweisung des anderen Antrags nach sich ziehen müsste (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.04.2020 - 12 S 670/20 -, juris Rn. 21; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14.05.2019 - 12 E 894/18 -, juris Rn. 6; Rohn in: Mayer/Kroiß, RVG, 8. Aufl. 2021, I. Streitwerte im gerichtlichen Verfahren im Allgemeinen Rn. 73, 75). Letzteres ist hier der Fall. Sofern dem Anspruch des Antragstellers auf Nachweis eines Platzes in der Tageseinrichtung J. im Umfang des Hauptantrags stattgegeben würde, würden die hilfsweise begehrten Ansprüche auf Nachweis eines Platzes in einem anderen Betreuungsumfang oder in einer anderen Tageseinrichtung notwendigerweise entfallen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14.05.2019 - 12 E 894/18 -, juris Rn. 8; Sächsisches OVG, Beschluss vom 16.06.2015 - 1 E 44/15 -, juris Rn. 7).

    Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, da das Verfahren gebührenfrei ist und Kosten nicht erstattet werden (§ 33 Abs. 9 RVG).

    Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).

    RechtsgebietStreitwertVorschriften§ 39 Abs. 1, § 45 Abs. 1 S. 2, § 52 Abs. 1, 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und 2 GKG