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  • 12.05.2023 · IWW-Abrufnummer 235244

    Oberlandesgericht Karlsruhe: Beschluss vom 30.11.2022 – 18 WF 179/22

    In Verfahren wegen Meinungsverschiedenheiten der gemeinsam sorgeberechtigten Eltern über die Impfung ihres Kindes ist grundsätzlich der Regelverfahrenswert nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG festzusetzen, es sei denn dieser Wert ist nach den besonderen Umständen des Einzelfalls unbillig, § 45 Abs. 3 FamGKG. Bei der Prüfung der Unbilligkeit sind als Vergleichsmaßstab andere Verfahren nach § 1628 BGB, nicht solche nach § 1666 BGB und § 1671 BGB heranzuziehen.


    Oberlandesgericht Karlsruhe

    Beschluss vom 30.11.2022


    Tenor:

    1. Auf die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Konstanz vom 17.10.2022 (G 2 F 92/22) dahingehend abgeändert, dass der Verfahrenswert auf 4.000 € festgesetzt wird.
    2. Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

    Gründe

    I.

    Die Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin wendet sich gegen den erstinstanzlich festgesetzten Verfahrenswert in einem Verfahren nach § 1628 BGB wegen Meinungsverschiedenheiten der Eltern bezüglich der Impfung ihrer Kinder gegen COVID-19.

    Die getrennt lebenden Eltern der Kinder ..., geb. am ..., und ..., geb. am ..., sind sich uneinig, ob ihre Kinder entsprechend der Empfehlung der Ständigen Impfkommission beim Robert-Koch-Institut (STIKO) gegen COVID-19 geimpft werden sollen. Während die Antragstellerin eine Impfung durchführen lassen will, ist der Antragsgegner der Auffassung, dass die vorgesehene Impfung nicht zu verantworten sei, weil es sich bei dem von der STIKO empfohlenen Impfstoff um einen Wirkstoff handele, der zu wenig untersucht sei.

    Durch Beschluss des Amtsgerichts Konstanz vom 17.10.2022 wurde der Antragstellerin das Alleinentscheidungsrecht für die COVID-19-Impfung gemäß der Empfehlung der STIKO für die Kinder ..., geb. am ..., und ..., geb. am ..., übertragen und die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufgehoben.

    Durch weiteren Beschluss vom 17.10.2022 setzte das Amtsgericht Konstanz den Verfahrenswert gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 FamGKG auf 2.000 € fest. Zur Begründung wird ausgeführt, dass das Verfahren einen geringeren tatsächlichen und rechtlichen Aufwand erfordert habe als ein umfassendes Sorgerechtsverfahren.

    Gegen den formlos übersandten Beschluss legte die Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin am 17.10.2022 Beschwerde ein und beantragt, für das Verfahren den Regelverfahrenswert in Höhe von 4.000 € festzusetzen. Zur Begründung führt sie aus, dass das Verfahren keinen geringeren tatsächlichen und rechtlichen Aufwand als ein umfassendes Sorgerechtsverfahren verursacht habe. Die Eltern seien sich schon im Vorfeld des Gerichtsverfahrens erheblich uneinig über eine Impfung der Kinder gegen COVID gewesen. Es sei dann die umfangreiche Rechtsprechung hierzu geprüft und der Antragstellerin, die eine Impfung befürwortete, anschließend empfohlen worden, den Antrag auf Übertragung der Alleinentscheidungsbefugnis zu stellen. Der Antragsgegner sei auch in der mündlichen Verhandlung nicht einsichtig gewesen, habe gegen eine COVID-Impfung der Kinder argumentiert und an die Antragstellerin appelliert, die Kinder nicht impfen zu lassen. Auch die Kinder seien gerichtlich angehört worden. Es sei daher gemessen am Arbeitsaufwand und auch hinsichtlich der Rechtslage nicht unbillig, den Verfahrenswert auf den Regelwert von 4.000 € festzusetzen.

    Durch weiteren Beschluss des Amtsgerichts Konstanz vom 18.10.2022 wurde der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt.

    Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

    II.

    Die zulässige Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin ist begründet.

    1. Die Beschwerde wurde von der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin im eigenen Namen frist- und formgerecht erhoben. Der Beschwerdewert von 200 € gemäß §§ 32 Abs. 2 Satz 1 RVG, 59 Abs. 1 Satz 1 FamGKG ist überschritten. Bei dem festgesetzten Verfahrenswert von 2.000 € betrügen die Anwaltsgebühren unter Berücksichtigung der angefallenen Verfahrens- und Terminsgebühr zuzüglich Auslagenpauschale und Umsatzsteuer 517,65 €, während sich die Anwaltsgebühren bei dem angestrebten Verfahrenswert von 4.000 € auf 850,85 € beliefen.

    2. Der Verfahrenswert ist auf den Regelwert von 4.000 € festzusetzen.

    a) Gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG beträgt der Verfahrenswert in einer Kindschaftssache, die die Übertragung der elterlichen Sorge oder eines Teils der elterlichen Sorge betrifft, 4.000 €. Ein Teil der elterlichen Sorge ist auch bei einem Verfahren nach § 1628 BGB betroffen (OLG Brandenburg vom 06.10.2014 - 10 WF 55/14, juris Rn. 11; Musielak/Borth/Frank, FamFG, 7. Auflage 2022, § 45 FamGKG Rn. 1; BeckOK Kostenrecht/Neumann, Stand 01.10.2022, § 45 FamGKG Rn. 13).

    b) Ist der nach § 45 Abs. 1 FamGKG bestimmte Wert nach den besonderen Umständen des Einzelfalls unbillig, kann das Gericht auf der Grundlage von § 45 Abs. 3 FamGKG einen höheren oder niedrigeren Wert festsetzten. § 45 Abs. 3 FamGKG enthält eine von den Umständen des Einzelfalls abhängige Billigkeitsklausel, die angesichts des gesetzlichen Regelwertes Ausnahmecharakter hat (OLG Frankfurt vom 10.08.2020 - 5 WF 118/20, juris Rn. 12). Daher begründet nicht jede Abweichung vom Durchschnittsfall, sondern erst eine solche von erheblichem Gewicht eine Unbilligkeit (OLG Frankfurt vom 17.05.2021 - 6 WF 58/21, juris Rn. 7; OLG Brandenburg vom 19.08.2020 - 13 WF 134/20, juris Rn. 5; BeckOK Kostenrecht/Neumann, a.a.O., § 45 FamGKG Rn. 38). Eine Absenkung des Verfahrenswerts auf einen Betrag unterhalb des Regelverfahrenswerts bedarf daher im Einzelfall besonderer, ins Auge fallender Gründe (OLG Celle vom 24.01.2012 - 10 WF 11/12, juris Rn.8), wobei es für die Beurteilung des Umfangs und der Schwierigkeit der Sache als Bewertungskriterium entgegen der Auffassung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin allein auf den gerichtlichen Aufwand und nicht denjenigen der Beteiligten oder ihrer Verfahrensbevollmächtigten ankommt (OLG Brandenburg vom 19.08.2020 - 13 WF 134/20, juris Rn. 6). Ein niedrigerer Wert kann danach insbesondere festgesetzt werden, wenn die Regelung eine recht kurze Laufzeit hat, etwa wenn das Kind bald volljährig wird oder ein Umgangsverfahren nur den Umgang an einem bestimmten Feiertag betrifft (Schneider/Volpert/Fölsch/Türck-Brocker, FamGKG, 3. Auflage 2019, § 45 Rn. 25). Ferner kann eine Minderung des Wertes wegen außerordentlich geringen Umfangs in solchen Fällen in Betracht kommen, in denen Sorgerechtsanträge nach Antragstellung zurückgenommen werden und aufgrund der Rücknahme oder aus sonstigen Gründen keine weiteren Verfahrenshandlungen, insbesondere keine Anhörung der Beteiligten, erfolgt sind (OLG Karlsruhe vom 20.03.1998 - 2 WF 23/98, juris Rn. 12; BeckOK Kostenrecht/Neumann a.a.O., § 45 Rn. 44).

    c) Nach diesen Maßstäben ist die Festsetzung des Verfahrenswerts in Höhe des Regelwerts von 4.000 € nicht unbillig. Die Umstände des vorliegenden Verfahrens rechtfertigen es nicht, den Verfahrenswert auf die Hälfte des Regelwerts herabzusetzen.

    Da gerichtliche Entscheidungen bei Meinungsverschiedenheiten der Eltern gemäß § 1628 BGB von § 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG erfasst werden, kann nicht maßgeblich auf ein Sorgerechtsverfahren nach § 1671 BGB und/oder § 1666 BGB als Vergleichsmaßstab abgestellt werden, da ansonsten regelmäßig bei Meinungsverschiedenheiten der Eltern in einzelnen Angelegenheiten statt des Regelverfahrenswerts ein niedrigerer Verfahrenswert angesetzt werden müsste.

    Zwar war das vorliegende Verfahren vom rechtlichen Ausgangspunkt angesichts der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht von erhöhter Komplexität. Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 03.05.2017 - XII ZB 157/16 - kann bei Uneinigkeit der Eltern über die Durchführung einer Impfung die Entscheidungsbefugnis dem Elternteil, der die Impfung des Kindes entsprechend den Empfehlungen der STIKO befürwortet, jedenfalls dann übertragen werden, wenn bei dem Kind keine besonderen Impfrisiken vorhanden sind. Davon gehen beide Elternteile ausweislich des Vermerks über die Anhörung vor dem Amtsgericht aus. Hier ist jedoch zu berücksichtigen, dass das Verfahren sowohl eine Anhörung der Kinder als auch der Eltern und einer Vertreterin des Jugendamts erforderte. Auch in diesem Rahmen ließ sich kein Einvernehmen der Eltern erzielen, so dass eine gerichtliche Entscheidung erfolgen musste. Besondere ins Auge fallende Gründe für eine Herabsetzung des Regelverfahrenswerts sind darüber hinaus nicht ersichtlich.

    III.

    Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 32 Abs. 2 Satz 1 RVG, 59 Abs. 3 FamGKG.

    RechtsgebieteKindschaftssache, elterliche SorgeVorschriften§ 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG, § 45 Abs. 3 GKG, § 1628 BGB