12.05.2023 · IWW-Abrufnummer 235246
Oberlandesgericht Naumburg: Beschluss vom 29.09.2022 – 2 W 26/22
Der Kostenwert eines unbezifferten Leistungsantrages in der Klageschrift ist vom Gericht nach § 48 Abs. 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO freiem Ermessen im Hinblick auf das Interesse des Klägers am Streitgegenstand zu bestimmen. Hierfür sind nach § 40 GKG zwar Wertänderungen, die nach Erhebung der Klage eingetreten sind, grundsätzlich unerheblich, zu berücksichtigen sind aber Erkenntnisquellen, welche zwar erst nach dem maßgeblichen Stichtag zutage getreten sind, aber ein neues Licht auf die Wertverhältnisse an diesem Tage werfen.
Oberlandesgericht Naumburg
In dem Rechtsstreit
Auf die Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Einzelrichters der 9. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg vom 4. März 2022 unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Kostenwert des Verfahrens in erster Instanz wird auf eine Gebührenstufe bis zu 260.000 Euro festgesetzt.
Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Auslagen werden nicht erstattet.
A.
Der Kläger macht gegen die Beklagte im Wege der Stufenklage erbrechtliche Pflichtteilsansprüche geltend. Das Landgericht hat der Klage mit seinem am 29.10.2020 verkündeten Teilurteil hinsichtlich der sog. Auskunftsstufe stattgegeben. Die gegen dieses Teilurteil gerichtete Berufung hat die Beklagte nach Hinweisen des Senats (Beschluss v. 12.05.2021 (2 U 178/20) zurückgenommen.
Mit Beschluss vom 04.03.2022 hat das Landgericht den Streitwert für die Gebührenberechnung in erster Instanz auf 290.000 Euro festgesetzt.
Gegen diesen, ihr am 17.03.2022 zugestellten Beschluss wendet sich die Beklagte mit ihrer Beschwerde vom 30.03.2022. Sie meint, dass der Kostenwert unangemessen hoch festgesetzt worden sei. Er sei entsprechend der vorläufigen Streitwertangabe in der Klageschrift auf 50.000 Euro zu bemessen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beschwerdeschrift Bezug genommen.
Das Landgericht hat mit seinem Hinweis vom 16.05.2022 seine Erwägungen zur Streitwertfestsetzung dargestellt und, nachdem das Rechtsmittel aufrechterhalten worden ist, mit seinem Beschluss vom 03.06.2022 diesem Rechtsmittel nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht Naumburg zur Entscheidung vorgelegt.
Der Kläger hat hierzu ergänzend Stellung genommen.
B.
Die Beschwerde des Klägers ist nach § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG zulässig, sie hat in der Sache aber nur teilweise Erfolg.
I. Abweichend vom Grundsatz des § 39 Abs. 1 GKG ist nach § 44 GKG bei einer Stufenklage als einem Sonderfall der objektiven Klagehäufung für die Berechnung des Streitwerts für die Gebührenberechnung (Kostenwert) nur der werthöchste von mehreren Einzelstreitwerten der Anträge maßgeblich; eine Zusammenrechnung erfolgt nicht. Von im Wege der Stufenklage miteinander verbundenen Anträgen ist dies regelmäßig der Leistungsantrag. Hiervon ist das Landgericht - vom Kläger nicht beanstandet - ausgegangen.
II. Der Kläger hat seinen Leistungsantrag nicht beziffert. In der Klageschrift hat er - zulässigerweise - einen unbezifferten Leistungsantrag angekündigt. Im Termin vom 12.03.2020 hat er lediglich den Antrag der ersten Klagestufe, den Auskunftsantrag, gestellt.
III. Ist der Leistungsantrag unbeziffert und hat der jeweilige Kläger, wie hier, auch keinen Mindestbetrag genannt, so ist der Streitwert in freier Schätzung nach § 48 Abs. 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO festzusetzen, wobei er grundsätzlich nach dem Betrag zu bemessen ist, welchen das Gericht auf Grund des bisherigen Sachvorbringens des Klägers als angemessen erachtet (vgl. nur BGH, Beschluss v. 12.06.2012, X ZR 104/09, MDR 2012, 875, in juris Rz. 5). Das ist hier ein Betrag, welcher über 230.000 Euro und unter 260.000 Euro liegt.
1. Im rechtlichen Ausgangspunkt ist festzustellen, dass sich aus § 40 GKG entgegen dem Beschwerdevorbringen des Klägers nicht etwa ergibt, dass die vorläufige Streitwertangabe des Klägers in seiner Klageschrift für die gerichtliche Schätzung bindend sei. In § 40 GKG wird bestimmt, dass der Kostenwert sich nach der den jeweiligen Rechtszug einleitenden Antragstellung - hier also nach dem Streitgegenstand des unbezifferten Leistungsantrages - richtet.
Was Streitgegenstand ist, ist - gerade bei unbestimmten Leistungsanträgen - nach dem zur Begründung des (gleichbleibenden) Antrages Vorgetragenen zu bewerten. Hierfür ist das Gericht keineswegs auf das Vorbringen in der Klageschrift beschränkt, sondern hat auch den weiteren Vortrag des Klägers in nachfolgenden Schriftsätzen zu berücksichtigen. Für die Festsetzung des Kostenwerts sind zwar Wertänderungen, die nach Erhebung der Klage eingetreten sind, grundsätzlich unerheblich (z.B. der Umrechnungskurs eines Betrages in ausländischer Währung, vgl. BGH, Beschluss v. 13.01.2010, XII ZB 12/05, JurBüro 2010, 201, in juris Rz. 2), zu berücksichtigen sind aber Erkenntnisquellen, die zwar erst nach dem maßgeblichen Stichtag zutage getreten sind, aber ein neues Licht auf die Wertverhältnisse an diesem Tage werfen (vgl. BGH, Beschluss v. 14.12.2021, X ZR 26/20 "Nichtigkeitsstreitwert IV", JurBüro 2022, 140, in juris Rz. 10).
2. Im Rahmen seiner Schätzung hat das Gericht deswegen zwar auch die vorläufige Streitwertangabe in der Klageschrift als Sachvortrag des Klägers zu berücksichtigen. Im vorliegenden Fall ist aber offenkundig, dass die Angabe von 50.000 Euro "gegriffen" und durch keinerlei konkrete Angaben untersetzt gewesen ist. Ihr kam daher für die gerichtliche Schätzung des wirtschaftlichen Interesses des Klägers an der Rechtsverfolgung nur eine sehr untergeordnete Bedeutung zu.
3. Sehr viel konkreter war das Vorbringen des Klägers im Schriftsatz vom 19.11.2019. Dort legte der Kläger einen Berechnungsstand zum 12.05.2018 dar und kündigte einen bezifferten Leistungsantrag in Höhe von 232.602,38 € an. Mit anderen Worten: Das Vorbringen in diesem Schriftsatz stellte nicht etwa eine seit Klageerhebung eingetretene Wertsteigerung des von Anfang geltend gemachten Pflichtteilsanspruchs dar, sondern eine Konkretisierung des Leistungsantrages zur Zeit der Klageeinreichung. Dieses Vorbringen durfte und musste das Landgericht bei seiner Wertfestsetzung berücksichtigen.
4. Der Senat folgt allerdings der Ansicht des Klägers, dass der Ausgang des Rechtsstreits, hier in Gestalt einer einvernehmlichen Lösung und anschließender Klagerücknahme, für die Wertfestsetzung grundsätzlich und so auch hier nicht maßgeblich ist. Welche Erwägungen zur Vereinbarung des Vergleichsbetrages geführt haben, ist schon nicht ersichtlich. Jedenfalls haben andere Erwägungen, als die vom Kläger mit dem o.a. Schriftsatz in den Prozess eingeführten Berechnungen für den ursprünglichen (unbezifferten) Leistungsantrag keinen Niederschlag in der gerichtlichen Auseinandersetzung gefunden.
IV. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 68 Abs. 3 GKG.
Beschluss vom 29.09.2022
In dem Rechtsstreit
...
wegen der Festsetzung des Kostenwerts in der I. Instanz
hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Richter am Oberlandesgericht xxx als originärer Einzelrichter gemäß §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 1 Satz 1 GKG am 29. September 2022 beschlossen:
Tenor:
Der Kostenwert des Verfahrens in erster Instanz wird auf eine Gebührenstufe bis zu 260.000 Euro festgesetzt.
Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Auslagen werden nicht erstattet.
Gründe
Der Kläger macht gegen die Beklagte im Wege der Stufenklage erbrechtliche Pflichtteilsansprüche geltend. Das Landgericht hat der Klage mit seinem am 29.10.2020 verkündeten Teilurteil hinsichtlich der sog. Auskunftsstufe stattgegeben. Die gegen dieses Teilurteil gerichtete Berufung hat die Beklagte nach Hinweisen des Senats (Beschluss v. 12.05.2021 (2 U 178/20) zurückgenommen.
Mit Beschluss vom 04.03.2022 hat das Landgericht den Streitwert für die Gebührenberechnung in erster Instanz auf 290.000 Euro festgesetzt.
Gegen diesen, ihr am 17.03.2022 zugestellten Beschluss wendet sich die Beklagte mit ihrer Beschwerde vom 30.03.2022. Sie meint, dass der Kostenwert unangemessen hoch festgesetzt worden sei. Er sei entsprechend der vorläufigen Streitwertangabe in der Klageschrift auf 50.000 Euro zu bemessen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beschwerdeschrift Bezug genommen.
Das Landgericht hat mit seinem Hinweis vom 16.05.2022 seine Erwägungen zur Streitwertfestsetzung dargestellt und, nachdem das Rechtsmittel aufrechterhalten worden ist, mit seinem Beschluss vom 03.06.2022 diesem Rechtsmittel nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht Naumburg zur Entscheidung vorgelegt.
Der Kläger hat hierzu ergänzend Stellung genommen.
B.
Die Beschwerde des Klägers ist nach § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG zulässig, sie hat in der Sache aber nur teilweise Erfolg.
I. Abweichend vom Grundsatz des § 39 Abs. 1 GKG ist nach § 44 GKG bei einer Stufenklage als einem Sonderfall der objektiven Klagehäufung für die Berechnung des Streitwerts für die Gebührenberechnung (Kostenwert) nur der werthöchste von mehreren Einzelstreitwerten der Anträge maßgeblich; eine Zusammenrechnung erfolgt nicht. Von im Wege der Stufenklage miteinander verbundenen Anträgen ist dies regelmäßig der Leistungsantrag. Hiervon ist das Landgericht - vom Kläger nicht beanstandet - ausgegangen.
II. Der Kläger hat seinen Leistungsantrag nicht beziffert. In der Klageschrift hat er - zulässigerweise - einen unbezifferten Leistungsantrag angekündigt. Im Termin vom 12.03.2020 hat er lediglich den Antrag der ersten Klagestufe, den Auskunftsantrag, gestellt.
III. Ist der Leistungsantrag unbeziffert und hat der jeweilige Kläger, wie hier, auch keinen Mindestbetrag genannt, so ist der Streitwert in freier Schätzung nach § 48 Abs. 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO festzusetzen, wobei er grundsätzlich nach dem Betrag zu bemessen ist, welchen das Gericht auf Grund des bisherigen Sachvorbringens des Klägers als angemessen erachtet (vgl. nur BGH, Beschluss v. 12.06.2012, X ZR 104/09, MDR 2012, 875, in juris Rz. 5). Das ist hier ein Betrag, welcher über 230.000 Euro und unter 260.000 Euro liegt.
1. Im rechtlichen Ausgangspunkt ist festzustellen, dass sich aus § 40 GKG entgegen dem Beschwerdevorbringen des Klägers nicht etwa ergibt, dass die vorläufige Streitwertangabe des Klägers in seiner Klageschrift für die gerichtliche Schätzung bindend sei. In § 40 GKG wird bestimmt, dass der Kostenwert sich nach der den jeweiligen Rechtszug einleitenden Antragstellung - hier also nach dem Streitgegenstand des unbezifferten Leistungsantrages - richtet.
Was Streitgegenstand ist, ist - gerade bei unbestimmten Leistungsanträgen - nach dem zur Begründung des (gleichbleibenden) Antrages Vorgetragenen zu bewerten. Hierfür ist das Gericht keineswegs auf das Vorbringen in der Klageschrift beschränkt, sondern hat auch den weiteren Vortrag des Klägers in nachfolgenden Schriftsätzen zu berücksichtigen. Für die Festsetzung des Kostenwerts sind zwar Wertänderungen, die nach Erhebung der Klage eingetreten sind, grundsätzlich unerheblich (z.B. der Umrechnungskurs eines Betrages in ausländischer Währung, vgl. BGH, Beschluss v. 13.01.2010, XII ZB 12/05, JurBüro 2010, 201, in juris Rz. 2), zu berücksichtigen sind aber Erkenntnisquellen, die zwar erst nach dem maßgeblichen Stichtag zutage getreten sind, aber ein neues Licht auf die Wertverhältnisse an diesem Tage werfen (vgl. BGH, Beschluss v. 14.12.2021, X ZR 26/20 "Nichtigkeitsstreitwert IV", JurBüro 2022, 140, in juris Rz. 10).
2. Im Rahmen seiner Schätzung hat das Gericht deswegen zwar auch die vorläufige Streitwertangabe in der Klageschrift als Sachvortrag des Klägers zu berücksichtigen. Im vorliegenden Fall ist aber offenkundig, dass die Angabe von 50.000 Euro "gegriffen" und durch keinerlei konkrete Angaben untersetzt gewesen ist. Ihr kam daher für die gerichtliche Schätzung des wirtschaftlichen Interesses des Klägers an der Rechtsverfolgung nur eine sehr untergeordnete Bedeutung zu.
3. Sehr viel konkreter war das Vorbringen des Klägers im Schriftsatz vom 19.11.2019. Dort legte der Kläger einen Berechnungsstand zum 12.05.2018 dar und kündigte einen bezifferten Leistungsantrag in Höhe von 232.602,38 € an. Mit anderen Worten: Das Vorbringen in diesem Schriftsatz stellte nicht etwa eine seit Klageerhebung eingetretene Wertsteigerung des von Anfang geltend gemachten Pflichtteilsanspruchs dar, sondern eine Konkretisierung des Leistungsantrages zur Zeit der Klageeinreichung. Dieses Vorbringen durfte und musste das Landgericht bei seiner Wertfestsetzung berücksichtigen.
4. Der Senat folgt allerdings der Ansicht des Klägers, dass der Ausgang des Rechtsstreits, hier in Gestalt einer einvernehmlichen Lösung und anschließender Klagerücknahme, für die Wertfestsetzung grundsätzlich und so auch hier nicht maßgeblich ist. Welche Erwägungen zur Vereinbarung des Vergleichsbetrages geführt haben, ist schon nicht ersichtlich. Jedenfalls haben andere Erwägungen, als die vom Kläger mit dem o.a. Schriftsatz in den Prozess eingeführten Berechnungen für den ursprünglichen (unbezifferten) Leistungsantrag keinen Niederschlag in der gerichtlichen Auseinandersetzung gefunden.
IV. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 68 Abs. 3 GKG.