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  • 03.08.2023 · IWW-Abrufnummer 236588

    Oberlandesgericht Zweibrücken: Beschluss vom 07.06.2023 – 1 Ws 105/23

    Dem ausschließlich für die Eröffnung des Haftbefehls beigeordneten Pflichtverteidiger steht der volle Gebührenanspruch zu.


    Oberlandesgericht Zweibrücken

    Beschluss vom 07.06.2023

    1 Ws 105/23

    In dem Strafverfahren gegen
    xxx
    wegen Verbrechens nach § 29a BtMG
    hier: Festsetzung der Pflichtverteidigergebühren

    hat der 1. Strafsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht xxx, den Richter am Oberlandesgericht Dr. xxx und den Richter am Landgericht xxx  am 07.06.2023 beschlossen:

    Tenor:

    Auf die weitere Beschwerde des Pflichtverteidigers Rechtsanwalt Y wird der Be-schluss der 5. Strafkammer des Landgerichts Kaiserslautern vom 02.03.2023 auf-gehoben und die dem Pflichtverteidiger aus der Staatskasse zu zahlenden Gebüh-ren und Auslagen auf 709,24 € festgesetzt.

    Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

    Gründe
    I.
    Der Angeklagte ist am 17.03.2022 vorläufig festgenommen worden. Das Amtsge-richt hat gegen ihn am 18.03.2022 Haftbefehl (2a Gs 664/22) erlassen, der am selben Tag eröffnet worden ist. In dem Termin ist der Beschwerdeführer anwesend gewesen. Der Angeklagte hat von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft hat beantragt, den Haftbefehl aufrechtzuerhalten und in Vollzug zu setzen. Der Beschwerdeführer hat beantragt, den Haftbefehl außer Vollzug zu setzen. Das Amtsgericht hat daraufhin den Haftbefehl aufrecht-erhalten und in Vollzug gesetzt. Weiterhin hat es folgenden Beschluss erlassen:

    1. Dem Beschuldigten wird Rechtsanwalt Y, Kaiserslautern, als Pflichtverteidiger für den heutigen Haftbefehlseröffnungstermin gem. §§ 140 Abs. 1 Nr. 4, 141 Abs. 4 StPO beigeordnet.

    2. Dem Beschuldigten wird Rechtsanwalt Z, Darmstadt, gem. §§ 140 Abs. 1 Nr. 4, 141 Abs. 4 StPO beigeordnet.

    3. Dem Pflichtverteidiger Rechtsanwalt Z werden zwei Besuchsfahrten in die Justiz-vollzugsanstalt unter Hinzuziehung eines Dolmetschers genehmigt.

    Der Beschwerdeführer hat für seine Tätigkeit Gebühren und Auslagen in Höhe von 866,32 € abgerechnet (Grundgebühr, Verfahrensgebühr sowie Terminsgebühr <Nr. 4109 RVG-VV> jeweils mit Zuschlag und eine Pauschale für Post und Tele-kommunikation zuzüglich Umsatzsteuer). Mit Beschluss vom 02.05.2022 ist die Pflichtverteidigervergütung auf 217,77 € festgesetzt worden (Terminsgebühr <Nr. 4103 RVG-VV> zuzüglich Umsatzsteuer). Der dagegen gerichteten Erinnerung des Beschwerdeführers hat die Rechtspflegerin beim Amtsgericht nicht abgehol-fen. Der Richter beim Amtsgericht hat mit Beschluss vom 04.11.2022 die Pflicht-verteidigervergütung auf 655,69 € festgesetzt (Grundgebühr sowie Terminsgebühr <Nr. 4109 RVG-VV> jeweils mit Zuschlag und eine Pauschale für Post und Tele-kommunikation zuzüglich Umsatzsteuer). Dagegen hat sowohl die Landeskasse als auch der Beschwerdeführer Rechtsmittel eingelegt. Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Kammerbeschluss das Rechtsmittel des Beschwerdeführers ver-worfen, auf die Beschwerde der Landeskasse die Pflichtverteidigervergütung auf 498,61 € festgesetzt (Grundgebühr sowie Terminsgebühr <Nr. 4103 RVG-VV> je-weils mit Zuschlag und eine Pauschale für Post und Telekommunikation <20 €> zuzüglich Umsatzsteuer) und die weitere Beschwerde gegen seine Entscheidung zugelassen. Gegen die am 13.03.2023 zugestellte Beschwerdeentscheidung hat der Beschwerdeführer mit dem am 14.03.2023 bei dem Landgericht eingegange-nen Schriftsatz weitere Beschwerde eingelegt, soweit die Verfahrensgebühr abge-setzt worden ist. Das Landgericht hat dem Rechtsmittel mit Beschluss vom 20.03.2023 nicht abgeholfen.

    Die Vertreterin der Landekasse ist gehört worden. Sie ist der Entscheidung des Landgerichts beigetreten.

    II.
    Über das Rechtsmittel hat gem. § 33 Abs. 8 Satz 1 Halbs. 2 RVG der Senat zu ent-scheiden.

    Die weitere Beschwerde ist gem. § 33 Abs. 6 Satz 1 RVG zulässig. Auf den Be-schwerdewert kommt es nicht an, soweit das Rechtsmittel - wie hier - zugelassen worden ist (OLG Stuttgart, Beschluss vom 04.10.2006 - 8 W 360/06 -, Juris). Das Rechtsmittel ist gem. § 33 Abs. 6 Satz 4, Abs. 3 Satz 3 RVG fristgemäß eingelegt worden.

    Der Senat hat den angefochtenen Beschluss umfassend rechtlich zu überprüfen. Ein Verschlechterungsverbot gilt nicht; denn weder die Strafprozessordnung noch das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz sehen ein solches für das Beschwerdeverfah-ren vor (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23.05.1990 - 1 Ws 300/90 -, Juris; Han-seatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 02.08.2010 - 2 Ws 95/10 -, Juris; Landgericht Zweibrücken, Beschluss vom 02.12.2020 - 1 Qs 33/20 -, Juris).

    Die auf die weitere Beschwerde gem. § 33 Abs. 6 Satz 2 Halbs. 1 RVG veranlasste rechtliche Überprüfung führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, soweit die Verfahrensgebühr (4105 RVG-VV) abgesetzt worden ist.

    Zu Recht ist das Landgericht allerdings davon ausgegangen, dass der Beschwerde-führer seine Tätigkeit nach Anlage 1 Teil 4 Abschnitt 1 VV abrechnen kann. Diese Gebührentatbestände - und nicht diejenigen in Anlagen Teil 4 Abschnitt 3 VV - gelten nach ganz überwiegender Auffassung, der sich der Senat anschließt, auch für den Verteidiger, dessen Beistandsleistung sich auf einen einzelnen Termin be-schränkt (a. A. im Falle eines Hauptverhandlungstermins unter bestimmten Um-ständen: OLG Rostock, Beschluss vom 15.09.2011, 1 Ws 201/11, juris).

    Die Zulässigkeit der Vertretung des Pflichtverteidigers und die Frage, welche Ge-bührentatbestände des Abschnitts 1 der Verteidiger, der für den verhinderten Pflichtverteidiger einen Termin wahrnimmt, abrechnen kann, sind umstritten (OLG Bamberg, Beschluss vom 21.12.2010 - 1 Ws 700/10 -, Juris; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 25.08.2009 - 2 Ws 111/09 -, Juris; KG Berlin, Beschluss vom 29.06.2005 - 5 Ws 164/05 -, Juris <zum Beistand>; OLG Celle, Be-schluss vom 19.12.2008 - 2 Ws 365/08 -, Juris; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29.10.2008 - III-1 Ws 318/08 -, Juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.07.2008 - 3 Ws 281/08 -, Juris; OLG Köln, Beschluss vom 26.03.2010 - 2 Ws 129/10 -, Juris; OLG München, Beschluss vom 27.02.2014 - 4c Ws 2/14 -, Juris; Thüringer Ober-landesgericht, Beschluss vom 8.12. 2010 - 1 Ws 318/10 -, Juris). Diese Fragen können nach Auffassung des Senats allerdings für den vorliegenden Fall dahinste-hen. Der Beschwerdeführer ist in dem Termin zur Eröffnung des Haftbefehls nicht als Vertreter des Pflichtverteidigers Rechtsanwalt Z tätig geworden.

    Hier ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Verfügung des Amtsgerichts, dass Rechtsanwalt Y für den Vorführungstermin als weiterer Pflichtverteidiger beige-ordnet und nicht zum Vertreter des für das weitere Verfahren beigeordneten Ver-teidigers bestellt werden sollte. Eine bloße Vertretung des Pflichtverteidigers wür-de auch der Bedeutung des Termins nicht gerecht. Im Übrigen lässt sich die vorlie-gende Fallkonstellation auch nicht mit dem Fall der Vertretung eines Pflichtverteidi-gers in einem Termin einer aus mehreren Terminen bestehenden Hauptverhand-lung vergleichen. Zu Recht verweist das Landgericht in diesem Zusammenhang schließlich auf § 141 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StPO; diese Vorschrift zeigt, dass der Ge-setzgeber der Verteidigung des Beschuldigten in einem Termin, in dem er zur Ent-scheidung über Haft vorgeführt werden soll, besonderes Gewicht beigemessen hat.

    Welche Gebühren entstehen, ist vom Umfang der Tätigkeit des Rechtsanwaltes als Pflichtverteidiger abhängig.

    Die Verfahrensgebühr entsteht für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information (Vorbem. 4 Abs. 2 RVG VV). Durch die Verfahrensgebühr ist die ge-samte Tätigkeit eines Rechtsanwaltes im jeweiligen Verfahrensabschnitt abgegol-ten, soweit hierfür keine besonderen Gebühren vorgesehen sind. Die Verfahrens-gebühr entsteht aber nicht erst dann, wenn der Abgeltungsbereich der Grundge-bühr überschritten ist (so noch zum früheren Rechtszustand: OLG Bamberg a.a.O.; KG Berlin, Beschluss vom 20. Januar 2009 - 1 Ws 361/08 -, a.a.O.; OLG Karlsruhe a.a.O.; OLG Köln, Beschluss vom 17.01.2007 - 2 Ws 8/07 -, Juris und Beschluss vom 26.03.2010 - 2 Ws 129/10 -, a.a.O.). Mit der Änderung des Gebührentatbe-stands durch das Zweite Kostenrechtsmodernisierungsgesetz vom 23.07.2013 (BGBl. I 2013, 2586) wurde bestimmt, dass die Grundgebühr grundsätzlich nicht allein anfällt, sondern regelmäßig neben einer Verfahrensgebühr (Burhoff in Ge-rold-Schmidt, RVG VV 4100, Rn. 9; Enders RVG, Straf- und Bußgeldsachen, Rn. 67; Knaudt in BeckOK RVG VV 4104, Rn. 8). Eine Verfahrensgebühr als Ausgangsge-bühr entsteht für die Tätigkeit in jedem gerichtlichen Verfahren, so auch in Strafsa-chen. Die Grundgebühr soll lediglich den zusätzlichen Aufwand entgelten, der für die erstmalige Einarbeitung anfällt. Sie hat daher den Charakter einer Zusatzge-bühr, die den Rahmen der Verfahrensgebühr erweitert (BT-Drucks. 17/11471, S. 281). Von der Verfahrensgebühr nicht erfasst wird die Teil-nahme an gerichtlichen Terminen. Dafür sieht das RVG die Terminsgebühr vor. Die Terminsgebühr erhält der Rechtsanwalt für die Teilnahme an gerichtlichen Termi-nen. Das Entstehen der Terminsgebühr bei Haftbefehlseröffnungen setzt allerdings voraus, dass in dem Termin mehr geschehen ist als eine reine Verkündung des Haftbefehls (BT-Drucks. 15/1971, S. 223). Es reicht aus, wenn der Verteidiger ge-genüber dem Gericht für den Beschuldigten in der Weise tätig geworden ist, dass er Erklärungen oder Stellungnahmen abgegeben oder Anträge gestellt hat, die da-zu bestimmt waren, die Fortdauer der Untersuchungshaft abzuwenden (KG Berlin, Beschluss vom 23.06.2006 - 4 Ws 62/06 -, Juris).

    Danach hat das Landgericht die Erfüllung der Gebührentatbestände der Grund- und der Terminsgebühr zu Recht angenommen. Die Annahme, die Verfahrensge-bühr sei (noch) nicht angefallen, geht allerdings fehl (vgl. zur Beurteilung einer ent-sprechenden Fallgestaltung nach neuem Recht: LG Magdeburg, Beschluss vom 19.03.2018 - 25 Qs 14/18 -, Juris). Die Überlegungen des Landgerichts zum Abgel-tungsbereich der Grundgebühr einerseits und der Verfahrensgebühr anderseits treffen zwar zu, betreffen aber nur die Bemesssung der beiden Gebühren; bemes-sen werden die Gebühren aber nur beim Wahlverteidiger, während für den Pflicht-verteidiger eine Festgebühr gilt.

    Der Gebührenanspruch des Verteidigers berechnet sich danach wie folgt:

    Grundgebühr mit Zuschlag (Nr. 4101 RVG-VV)
    216,00 € Terminsgebühr mit Zuschlag (Nr. 4103 RVG-VV)
    183,00 € Verfahrensgebühr mit Zuschlag (Nr. 4105 RVG-VV)
    177,00 € Pauschale für Post und Telekommunikation (Nr. 7002 RVG)
    20,00 € Umsatzsteuer113,24 €Endsumme709,24 €

    RechtsgebieteStrafprozess, Gebührenrecht PflichtverteidigerVorschriften§§ 140, 141 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO