13.10.2023 · IWW-Abrufnummer 237794
Amtsgericht Köln: Beschluss vom 14.09.2023 – 360 XI 923/23
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Amtsgericht Köln
Tenor:
wird auf die Erinnerung des Antragstellers vom 26.08.2023 die Entscheidung vom 17.08.2023 (Az.: 360 XI 923/23) aufgehoben.
Dem Antragsteller wird Beratungshilfe für die folgende Angelegenheit bewilligt: „Beratung in der Strafsache 712 Ds 151/23“.
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Gründe:
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I.
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Der Antragsteller begehrt Beratungshilfe für die anwaltliche Vertretung in einem bereits am Amtsgericht Köln anhängigen Strafverfahren unter dem Az.: 712 Ds 151/23.
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Mit Beschluss vom 17.08.2023 hat das Amtsgericht Köln in Gestalt der Rechtspflegerin Beratungshilfe versagt. Hierbei stellte sie darauf ab, dass Beratungshilfe nur bei Wahrnehmung von Rechten außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens erteilt werden kann.
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Mit Schreiben vom 26.08.2023 hat der Verfahrensbevollmächtige Erinnerung eingelegt. Mit Beschluss vom 04.09.2023 hat das Amtsgericht Köln der Erinnerung nicht abgeholfen.
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Es wird hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstands auf die o.g. Schreiben, Verfügungen und Beschlüsse Bezug genommen.
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II.
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Die gemäß § 7 BerHG zulässige Erinnerung hat in der Sache Erfolg.
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Die Rechtspflegerin hat den Antrag auf Bewilligung von Beratungshilfe zu Unrecht zurückgewiesen. Die Voraussetzungen des § 1 Abs.1 S. 1 BerHG liegen vor.
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Das Gericht schließt sich vollständig den überzeugenden Ausführungen des AG Bad Segeberg aus dem Beschluss v. 3.3.2020 ‒ 18 UR II 808/19 an. Die Frage, wann in Strafsachen in zeitlicher Hinsicht für eine Beratung des Beschuldigten bzw. Angeklagten Beratungshilfe gewährt werden kann, wird nicht einheitlich beantwortet. In der Literatur wird einerseits vertreten, dass die Zustellung der Anklageschrift bzw. des Strafbefehls den Endpunkt der Bewilligungsmöglichkeit darstellen soll (PollerHärtl/Köpf-Köpf, Gesamtes Kostenhilferecht, § 1 BerHG, Rz. 40, inhaltlich identisch Köpf, Beratungshilfegesetz, § 1, Rz. 40). Auf der anderen Seite besteht auch die Auffassung, dass in entsprechenden Verfahren die Bewilligung der Beratungshilfe so lange möglich sein soll, wie kein Pflichtverteidiger bestellt worden ist (Burhoff/Volpert-Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen Rz. 290). Die Rechtsprechung vertritt, soweit erkennbar, einhellig die letztgenannte Auffassung (AG Augsburg v. 9.9.1988 -1 UR II 1058, iuris; AG Köln v. 13.2.1984 -662 UR II 1514/82, iuris). Diese ist inhaltlich zutreffend. Die in § 1 Abs. 1 BerHG aufgenommenen Schranke der Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch den Passus „außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens“ ist inhaltlich konsequent vor dem Hintergrund, dass in zivil- und familiengerichtlichen Verfahren vor den Gerichten zwei verschiedene Möglichkeiten der Prozess- bzw. Verfahrensführung für bedürftige Personen durch die Institute der Prozesskosten- und Verfahrenskostenhilfe bestehen. Insofern besteht die aus dem Sozialstaatsprinzip abzuleitende Zugangsmöglichkeit bedürftiger Verfahrensbeteiligter zu den Gerichten in nahtloser Abfolge von Beratungs-, Prozesskosten- und Verfahrenskostenhilfe. Diese Systematik besteht für den Beschuldigten bzw. Angeklagten im Strafverfahren nicht. Hier gibt es zwar das Institut der Pflichtverteidigung aus § 141 StPO, welches auf die Regelung zur notwendigen Verteidigung aus § 140 StPO aufbaut. Bei ihm finden allerdings die Kriterien der Bedürftigkeit, des Erfolges der beabsichtigten Rechtsverfolgung sowie der fehlenden Mutwilligkeit keinerlei Berücksichtigung. Ausschlaggebend ist vielmehr allein der Gesichtspunkt der Fürsorge des Staates, wie er auch bei der Verfahrenspflegerbestellung bzw. des Verfahrensbeistandes im Rahmen des Gesetzes zur Regelung des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit aufzufinden ist. Aus diesem Grunde ist die Pflichtverteidigerbestellung auch nicht abhängig von einer willentlichen Handlung seitens des Beschuldigten oder Angeklagten in Gestalt eines Antrages oder der Darlegung von persönlichen bzw. objektiven Voraussetzungen, sondern allein von der rechtlichen Einschätzung des Gerichtes. Damit aber greift der maßgebliche Gesichtspunkt, der zur Aufnahme des in § 1 Abs. 1 BerHG genannten Ausschlusses der Beratungshilfe infolge eines „gerichtlichen Verfahrens“ geführt hat, nicht ein. Denn dieser besteht ja nicht darin, Hilfe generell zu versagen, sondern nur darin, die zugrundeliegenden Systeme der antragsabhängigen Hilfebewilligung zeitlich randscharf abzugrenzen. Und dieser Gesichtspunkt greift in Strafverfahren nicht. Dort besteht gerade kein nahtloser Übergang verschiedener Möglichkeiten bedürftiger Personen, rechtliche Beratung außerhalb oder während eines gerichtlichen Verfahrens in Anspruch zu nehmen. Wollte man nun die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Beratungshilfe nach Zustellung der Anklageschrift oder des Strafbefehles versagen, so würde einem wirtschaftlich Bedürftigen, gegen den die öffentliche Klage erhoben wird und der vom Gericht keinen Pflichtverteidiger bestellt bekommt, gleichsam von einem Tag auf den anderen die Möglichkeit genommen, sich in der rechtlich höchst prekären Situation einer konkreten Strafverfolgung rechtlich kompetenten Rat in Anspruch zu nehmen. Hierfür allerdings besteht durchaus ein Bedürfnis, da die Fragen der Folgen eines Strafverfahrens, einer etwaigen Einlassung in der Hauptverhandlung, des Ablaufes des Gerichtstermines an sich pp. wegen der einschneidenden Folgen eines Strafverfahrens nicht durch anderweitige Erkenntnisquellen mit der notwendigen Sicherheit beantwortet werden können. Diese Folgen aber können nicht in der Intention des aus dem Sozialstaatsgebot ausfließenden Beratungshilfegesetzes gelegen haben (AG Bad Segeberg Beschl. v. 3.3.2020 ‒ 18 UR II 808/19, BeckRS 2020, 2942 Rn. 7). Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die weiteren Voraussetzungen für die Erteilung von Beratungshilfe nicht vorgelegen hätten. Beratungshilfe war daher zu gewähren.
RechtsgebieteStrafprozess, BeratungshilfeVorschriften§ 1 Abs. 1 BerHG