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  • 11.01.2024 · IWW-Abrufnummer 239057

    Oberlandesgericht Hamm: Beschluss vom 22.09.2023 – 7 U 77/23

    1. Das Gericht ist bei der Streitwertbemessung nicht an die subjektiven Wertangaben in der Klageschrift gebunden (im Anschluss an BGH Beschluss vom 08.10.2012 – X ZR 110/11, GRUR 2012, 1288 Rn. 4; BGH Beschluss vom 12.06.2012 – X ZR 104/09, MDR 2012, 875 Rn. 5; OLG Hamm Urteil vom 15.08.2023 – 7 U 19/23, GRUR-RS 2023, 22505 Ls. 13b). Insbesondere kommt ihnen keine indizielle Bedeutung zu, wenn sie – wie hier – das tatsächliche Interesse offensichtlich unzutreffend widerspiegeln (im Anschluss an OLG München Beschluss vom 05.02.2018 – 29 W 1855/17, NJW-RR 2018, 575 = juris Rn. 16; OLG Hamm Urteil vom 15.08.2023 – 7 U 19/23, GRUR-RS 2023, 22505 Ls. 13b).

    2. Der Streitwert kann im Rahmen des nach § 3 ZPO bestehenden freien Ermessens – wie hier – entsprechend demjenigen in gleichgelagerten Fällen (OLG Hamm Urteil vom 15.08.2023 – 7 U 19/23, GRUR-RS 2023, 22505) trotz unterschiedlich formulierter Anträge festgesetzt werden.


    Oberlandesgericht Hamm


    Tenor:

    Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen.

    Es ist beabsichtigt, den Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren unter Abänderung der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung im angefochtenen Urteil (eGA I-1268) auf 3.000,00 EUR und denjenigen für das Berufungsverfahren ebenfalls auf 3.000,00 EUR festzusetzen.

    Es wird dem Kläger Gelegenheit gegeben, binnen drei Wochen nach Zugang dieses Beschlusses Stellung zu nehmen.

    1
    G r ü n d e

    2
    I.

    3
    Der Senat ist einstimmig davon überzeugt, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Im Ergebnis zurecht hat das Landgericht die Klage abgewiesen.

    4
    Die Einwendungen des Klägers, bezüglich derer zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Berufungsbegründungsschrift (Bl. 67 ff. der zweitinstanzlichen elektronischen Gerichtsakte, im Folgenden: eGA II-67 ff.) verwiesen wird, greifen nicht durch.

    5
    Insoweit sei zunächst darauf hingewiesen, dass nicht angegeben wird, welche Daten des Klägers namentlich abgegriffen worden sein sollen, sondern nur pauschal behautet wird, dass die Klägerseite von dem Datenschutzvorfall betroffen sei: In der u.a. im Darknet für jedermann abrufbaren Datenbank seien nachfolgende personenbezogene Daten der Klägerseite enthalten: - Telefonnummer - Facebook Nutzer ID - Vorname - Nachname - Land - Geschlecht.

    6
    Die Klage ist aber unabhängig davon im Ergebnis insgesamt ‒ im Wesentlichen entsprechend den Ausführungen des Senats im Urteil vom 15.08.2023 (Senat Urt. v. 15.8.2023 ‒ 7 U 19/23, GRUR-RS 2023, 22505 = juris Rn. 41 ff.; veröffentlicht auch bei nrwe.de) ‒ abzuweisen, auch wenn der Senat von Datenschutzverstößen seitens der Beklagten ausgeht.

    7
    1. Im Hinblick auf den (auch hier klarstellungsfähigen) Klageantrag zu 1 ist auch hier ein auf die Verstöße zurückzuführender immaterieller Schaden weder hinreichend dargelegt ‒ der pauschal vorgetragene Kontrollverlust allein oder die Auflistung generell-abstrakter Gefahren ohne konkrete Darlegung persönlicher / psychologischer Beeinträchtigungen genügen nicht (vgl. Senat Urt. v. 15.8.2023 ‒ 7 U 19/23, GRUR-RS 2023, 22505 = juris Rn. 162-174; veröffentlicht auch bei nrwe.de) ‒ noch nach Anhörung des Klägers durch das Landgericht bewiesen; wie bereits die Gegenseite hat das Landgericht auch auf den unsubstantiierten Vortrag des Klägers hingewiesen. Eine Substantiierung erfolgt auch in der Berufungsbegründung nicht. Es werden erneut nur pauschale Beeinträchtigungen („etwa [sic!] Ängste, Stress, Komfort- und Zeiteinbußen ‒ allesamt wie vorliegend“) vorgetragen. Der Kläger ist hierzu zudem entgegen der Andeutung in der Berufungsbegründung bereits angehört worden. Er hat dabei gerade keinerlei und gar auf den streitgegenständlichen Scraping-Vorfall zurückzuführende persönliche Beeinträchtigung erläutern können (Protokoll vom 18.04.2023 Seite 1 ff., eGA I-1245 f.) und damit auch nicht bewiesen (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Schon in der Klageschrift hat er zudem selbst vorgetragen, dass sich ein Zusammenhang der Phishing-Kontakte mit den streitgegenständlichen Geschehnissen nur vermuten lasse. Den notwendigen Kausalitätsnachweis kann der Kläger damit nicht führen (vgl. Senat Urt. v. 15.8.2023 ‒ 7 U 19/23, GRUR-RS 2023, 22505 = juris Rn. 189-200; veröffentlicht auch bei nrwe.de).

    8
    2. Im Hinblick auf den Klageantrag zu 2 fehlt es auch hier bereits an der Darlegung der Möglichkeit eines (weiteren) Schadenseintritts, wobei hier laut Antrag ausdrücklich nur materielle Zukunftsschäden (ab Klagerhebung) geltend gemacht werden sollen (vgl. Senat Urt. v. 15.8.2023 ‒ 7 U 19/23, GRUR-RS 2023, 22505 = juris Rn. 207-218; veröffentlicht auch bei nrwe.de). Nach Angaben des Klägers im Rahmen seiner persönlichen Anhörung ist bisher kein konkreter materieller Schaden entstanden (Protokoll vom 18.04.2023 Seite 1 ff., eGA I-1245 f.). Es ist im Hinblick auf die Kenntnis des Klägers von drohenden Phishing-Anrufen und -SMS auch nicht mit dem Eintritt eines Schadens zu rechnen, da der Kläger nach seinen eigenen Angaben hinreichend alarmiert ist und sein Handy insoweit Kontaktversuche automatisch überwiegend abblockt (Protokoll vom 18.04.2023 Seite 2 Abs. 1, eGA I-1246).

    9
    3. Der Antrag zu 3 ist unbegründet, da auch hier weder dargelegt noch ersichtlich ist, welcher konkrete (zusätzliche) immaterielle Schaden durch die vermeintlich mangelhafte Auskunft entstanden sein sollte (vgl. Senat Urt. v. 15.8.2023 ‒ 7 U 19/23, GRUR-RS 2023, 22505 = juris Rn. 147; veröffentlicht auch bei nrwe.de). Auch insoweit hat die persönliche Anhörung des Klägers vor dem Landgericht keinerlei Anhaltspunkte für eine persönliche Beeinträchtigung ergeben (Protokoll vom 18.04.2023 Seite 1 ff., eGA I-1245). Die pauschale behauptete Ungewissheit über die Verarbeitung nach der erteilten Auskunft ist nicht nachvollziehbar (siehe zur Erfüllung des Auskunftsersuchens sogleich unter 4.).

    10
    4. Der dem Antrag zu 4 zugrundeliegende Auskunftsanspruch ist auch hier erfüllt (vgl. Senat Urt. v. 15.8.2023 ‒ 7 U 19/23, GRUR-RS 2023, 22505 = juris Rn. 249-254; veröffentlicht auch bei nrwe.de), konkret durch das Schreiben vom 04.05.2022 (eGA I-122 ff. = I-356 ff.). Zudem ist das Auskunftsbegehren des Klägers auch hier exzessiv im Sinne von Art. 12 Abs. 5 Satz 2 lit. b, Satz 3 DSGVO (Senat Urt. v. 15.8.2023 ‒ 7 U 19/23, GRUR-RS 2023, 22505 = juris Rn. 255-258; veröffentlicht auch bei nrwe.de). Der Kläger erkennt insoweit in der Berufungsbegründung doch selbst, dass er gegen den eingetretenen Datenverlust ex-post nichts mehr auszurichten vermag.

    11
    5. Der Antrag zu 5, der hier nach der Begründung der Klage und der Replik, die sich nicht entsprechend im auch deshalb unbestimmten Antrag wiederfindet, darauf gerichtet ist, eine Kontraktimportfunktion ohne die nach dem Stand der Technik möglichen Sicherheitsmaßnahmen zu unterbinden, ist auch hier nicht zuletzt im Hinblick auf § 890 Abs. 2 ZPO und § 259 ZPO unzulässig (vgl. Senat Urt. v. 15.8.2023 ‒ 7 U 19/23, GRUR-RS 2023, 22505 = juris Rn. 219-234; veröffentlicht auch bei nrwe.de). Insoweit legt der Kläger selbst ein Privatgutachten vor, nach dem die Kontaktimportfunktion in der bis zum September 2019 bestehenden Funktionalität nicht mehr verfügbar ist (Anl. KGR3, Seite 35, eGA I-90, und Seite 42, eGA I-97).

    12
    6. Der Antrag zu 6, der hier auf die Unterbindung der Verarbeitung ohne Einwilligung oder sonstigen Rechtfertigungsgrund gerichtet ist, ist auch hier im Hinblick auf das fehlende Rechtsschutzbedürfnis unzulässig (vgl. Senat Urt. v. 15.8.2023 ‒ 7 U 19/23, GRUR-RS 2023, 22505 = juris Rn. 236 f.; veröffentlicht auch bei nrwe.de).

    13
    Soweit der Antrag tatsächlich erneut als Antrag auf zukünftige Leistung gerichtet ist, weil eine Wiederholung befürchtet wird, ist die Klage ebenfalls unzulässig (vgl. Senat Urt. v. 15.8.2023 ‒ 7 U 19/23, GRUR-RS 2023, 22505 = juris Rn. 238-240.; veröffentlicht auch bei nrwe.de).

    14
    7. Bezüglich des Antrags zu 7 ist auch hier im Hinblick auf § 86 VVG die Prozessführungsbefugnis bereits fraglich. Jedenfalls aber ist die Klage auch insoweit unbegründet (vgl. Senat Urt. v. 15.8.2023 ‒ 7 U 19/23, GRUR-RS 2023, 22505 = juris Rn. 260-266; veröffentlicht auch bei nrwe.de).

    15
    II.

    16
    Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Ferner erfordern weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats. Die maßgebenden Fragen sind durch die Rechtsprechung des EuGH und des BGH hinreichend geklärt und im Übrigen solche des Einzelfalls.

    17
    Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung verspricht sich der Senat angesichts dessen, dass es keiner Beweisaufnahme bedarf, keine neuen Erkenntnisse. Auch ansonsten erscheint eine mündliche Verhandlung nach einstimmigem Votum des Senats nicht geboten.

    18
    Der Senat beabsichtigt deshalb, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.

    19
    III.

    20
    Die Bemessung des Streitwerts beruht auf Folgendem:

    21
    1. Der Senat geht bezüglich der vom Kläger für die Anträge zu 1 und zu 3 angesetzten Streitwerte von einer offensichtlich übertriebenen Einschätzung des Streitwerts aus (vgl. dazu BGH Beschl. v. 12.6.2012 ‒ X ZR 104/09, MDR 2012, 875 Rn. 5; siehe auch BGH Beschl. v. 8.10.2012 ‒ X ZR 110/11, GRUR 2012, 1288 Rn. 4) und beabsichtigt daher, den Streitwert gemäß § 3 ZPO ‒ wie in parallel gelagerten Fällen ‒ für die Anträge zu 1 und zu 3 zusammen auf insgesamt 1.000,00 EUR festzusetzen (vgl. Senat Urt. v. 15.8.2023 ‒ 7 U 19/23, GRUR-RS 2023, 22505 = juris Rn. 272; veröffentlicht auch bei nrwe.de).

    22
    2. Der Streitwert für den Antrag zu 2 dürfte gemäß § 3 ZPO auf 500,00 EUR festzusetzen sein (vgl. Senat Urt. v. 15.8.2023 ‒ 7 U 19/23, GRUR-RS 2023, 22505 = juris Rn. 273; veröffentlicht auch bei nrwe.de).

    23
    3. Der Streitwert für den Antrag zu 4 dürfte gemäß § 3 ZPO auf 500,00 EUR festzusetzen sein (vgl. Senat Urt. v. 15.8.2023 ‒ 7 U 19/23, GRUR-RS 2023, 22505 = juris Rn. 283; veröffentlicht auch bei nrwe.de).

    24
    4. Der Streitwert für die Anträge zu 5 und 6 dürfte gemäß § 3 ZPO und § 48 Abs. 2 Satz 1 GKG unter Berücksichtigung von § 23 Abs. 3 Satz 2 Hs. 2 RVG auf jeweils 500,00 EUR festzusetzen sein (vgl. Senat Urt. v. 15.8.2023 ‒ 7 U 19/23, GRUR-RS 2023, 22505 = juris Rn. 274-282; veröffentlicht auch bei nrwe.de).

    25
    5. Der Antrag zu 7 ist nicht streitwertrelevant (§ 4 Abs. 1 Hs. 2 Var. 4 ZPO).

    26
    Die Berufung ist durch Beschluss vom 18.10.2023 zurückgewiesen worden.

    RechtsgebietStreitwertVorschriften§ 3 ZPO