23.01.2024 · IWW-Abrufnummer 239278
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen: Beschluss vom 13.10.2023 – 1 E 645/23
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberverwaltungsgericht NRW
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
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G r ü n d e
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Die im Namen des Klägers erhobene Beschwerde, über die der Senat in der Besetzung mit drei Richtern entscheidet,
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vgl. die Senatsbeschlüsse vom 25. Januar 2011‒ 1 E 32/11 ‒, juris, Rn. 1 ff., m. w. N., vom 10. Oktober 2011 ‒ 1 E 300/11 ‒, juris, Rn. 1, vom 4. September 2013 ‒ 1 E 876/13 ‒, juris, Rn. 1, vom 8. Oktober 2014 ‒ 1 E 197/14 ‒, juris, Rn. 1, und vom 2. Juni 2022 ‒ 1 E 372/22 ‒, juris, Rn. 1,
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ist zwar gemäß §§ 146 Abs. 1 und 3, 147 Abs. 1 VwGO zulässig, aber unbegründet.
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Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass vorliegend keine Terminsgebühr gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes in der aktuellen Fassung (RVG) i. V. m. Nr. 3104 und der Vorbemerkung 3 Abs. 3 der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG (Vergütungsverzeichnis ‒ VV RVG) nebst anteiliger Umsatzsteuer (Nr. 7008 VV RVG) entstanden ist.
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Die Regelung der Nr. 3104 Satz 1 (vor Abs. 1 bis 4) VV RVG gewährt eine erstinstanzliche Terminsgebühr, soweit ‒ wie hier ‒ in Nr. 3106 VV RVG nichts anderes bestimmt ist, in der Höhe des von der Vorschrift festgelegten Gebührensatzes. Die Voraussetzungen, unter denen diese Gebühr entsteht, ergeben sich dabei bereits aus Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV RVG (Vorb. 3 Abs. 3 VV RVG).
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Vgl. insoweit Toussaint, in: Toussaint, Kostenrecht, 53. Aufl. 2023, RVG VV3103, 3104, Rn. 1, Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 26. Aufl. 2023, RVG VV 3103, 3104 Rn. 9, und Schons, in: Hartung/Schons/Enders, RVG, 3. Aufl. 2017, RVG VV 3104 Rn. 5.
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Gemäß der hier nur in Betracht kommenden Regelung nach Vorb. 3 Abs. 3 Satz 1 VV RVG entsteht die Terminsgebühr sowohl für die Wahrnehmung von gerichtlichen Terminen als auch ‒ vorliegend nicht einschlägig ‒ für die Wahrnehmung von außergerichtlichen Terminen und Besprechungen, wenn ‒ wie hier ‒ nichts anderes bestimmt ist. Für die Annahme, dass ein Rechtsanwalt im Sinne dieser Vorschrift einen gerichtlichen Termin wahrgenommen hat, ist es ausreichend, aber auch erforderlich, dass er in einem solchen Termin vertretungsbereit anwesend gewesen ist.
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Vgl. BGH, Beschluss vom 31. August 2010‒ X ZB 3/09 ‒, juris, Rn. 9, m. w. N., BVerwG, Beschluss vom 11. Februar 2010 ‒ 9 KSt 3.10 ‒, juris, Rn. 3, OVG NRW, Beschluss vom 10. September 2021 ‒ 14 E 410/21 ‒, juris, Rn. 3; ferner Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 26. Aufl. 2023, Vorb. 3 VV RVG Rn. 108 und Schons, in: Hartung/Schons/Enders, RVG, 3. Aufl. 2017, Vorb. 3 VV RVG Rn. 43: „eine Art Anwesenheitsgebühr“.
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Der Rechtsanwalt verdient diese Gebühr dafür, dass er an dem Termin teilnimmt und willens ist, im Interesse seines Mandanten das Geschehen im Termin zu verfolgen, um ‒ falls erforderlich ‒ einzugreifen.
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Vgl. Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 26. Aufl. 2023, Vorb. 3 VV RVG Rn. 108; ferner Toussaint, in: Toussaint, Kostenrecht, 53. Aufl. 2023, RVG VV3103, 3104, Rn. 9, der ein (abgesehen von dem Fall des § 102a VwGO nicht ohne körperliche Anwesenheit mögliches) „Mitdenken“ des Rechtsanwalts im Termin für ausreichend hält, aber auch die Gegenauffassung wiedergibt, nach der ein Austausch von Rede und Gegenrede erforderlich sein soll.
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Gemessen hieran ist eine Terminsgebühr hier nicht angefallen. Die Prozessbevollmächtigten des Klägers haben, wie diese auch nicht in Abrede stellen, erkrankungsbedingt nicht an der mündlichen Verhandlung vom 19. Dezember 2022 teilgenommen, die in ihrem Einverständnis (vgl. den Telefonvermerk der Einzelrichterin vom 16. Dezember 2022) gleichwohl stattgefunden hat. Sie waren in dem Termin also entgegen den Anforderungen des Gebührentatbestandes schon nicht (körperlich) anwesend. Der Vortrag aus dem Schriftsatz vom 24. April 2023, nach dem Herr Rechtsanwalt Y. der Einzelrichterin gegenüber telefonisch seine Erreichbarkeit „zur Terminstunde auf allen möglichen Kommunikationskanälen“ zugesichert hatte und daher insoweit vertretungsfähig und ‒bereit war, führt nicht weiter. Er betrifft nämlich nur das (in der mündlichen Verhandlung zu erfüllende) Tatbestandsmerkmal der Vertretungsbereitschaft, aber nicht das daneben zu erfüllende Tatbestandsmerkmal der (körperlichen) Anwesenheit.
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Vgl. insoweit auch Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 26. Aufl. 2023, Vorb. 3 VV RVG Rn. 121, unter Verweis auf den Beschluss des Schl.-H. OLG vom 1. August 2001 ‒ 15 WF 165/01 ‒, juris, Rn. 5 f. (dieses noch zur Erörterungsgebühr gemäß § 31 Abs. 1 Nr. 4 BRAGO): Keine Wahrnehmung eines Termins durch den Rechtsanwalt, wenn dessen Mandant, der Vorsitzende des Gerichts oder der gegnerische Rechtsanwalt aus der Sitzung heraus mit ihm telefonieren.
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Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt, soweit es sich nicht ohnehin in einer Bezugnahme auf das bisherige, aber bereits zutreffend durch das Verwaltungsgericht und erneut mit den vorstehenden Ausführungen des Senats gewürdigte Vorbringen erschöpft, keine abweichende Bewertung. Der Kläger hält es nun für unbillig, dass die Terminsgebühr „aufgrund einer Bitte des Gerichts, einen Termin auch ohne Anwesenheit“ seines Prozessbevollmächtigten „an Gerichtsstelle durchführen zu können“, versagt werde, während sie bei einer im Einverständnis der Beteiligten erfolgten Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, wie sie das Verwaltungsgericht (wegen der Corona-Situation ursprünglich, aber ohne Erfolg) angeregt hatte, nach Nr. 3104 Abs. 1 Ziffer 1 Fall 1 VV RVG angefallen wäre.
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Das greift nicht durch. Findet eine mündliche Verhandlung statt, so wird nach Nr. 3104 Satz 1 (vor Abs. 1 bis 4) VV RVG i. V. m. Vorb. 3 Abs. 3 VV RVG der Aufwand des Rechtsanwalts vergütet, der diesem durch seine (aufmerksame) Teilnahme an dem Termin und das damit verbundene Mitdenken und ggf. Eingreifen entsteht (s. o.), wobei eine solche Tätigkeit regelmäßig eine entsprechende Vorbereitung voraussetzen wird. Kommt es aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten hingegen zu einer Entscheidung des Gerichts ohne die an sich vorgeschriebene mündliche Verhandlung, stellt Nr. 3104 Abs. 1 Ziffer 1 Fall 1 VV RVG sicher, dass dem Rechtsanwalt, der in einem solchen Fall nur schriftsätzlich vortragen kann, im Hinblick auf die Entstehung der Terminsgebühr kein Nachteil gegenüber dem Gebührenanfall bei Durchführung der eigentlich vorgeschriebenen mündlichen Verhandlung entsteht,
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vgl. Reckin, in: Schneider/Volpert, AnwK RVG, 9. Aufl. 2021, VV 3104 Rn. 8,
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bzw. dass der besondere Aufwand des Rechtsanwalts honoriert wird, den dieser gleichwohl für die (schriftsätzliche) Vorbereitung der eigentlich zu verhandelnden Sache hatte.
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Vgl. BGH, Beschluss vom 9. März 2006‒ V ZB 164/05 ‒, juris, Rn. 5.
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Dass in einer Situation, in der eine mündliche Verhandlung mit dem Einverständnis des an einer Teilnahme an dieser Verhandlung verhinderten Rechtsanwalts ohne dessen Anwesenheit durchgeführt wird, typischerweise ein vergleichbarer Aufwand entsteht und zu vergüten ist, ist nicht erkennbar. Außerdem hat es der Rechtsanwalt bei einer solchen Verhinderung selbst in der Hand, dass eine mündliche Verhandlung in seiner Anwesenheit durchgeführt wird und folglich eine Terminsgebühr anfällt. Ist er in einem Verfahren, für das ‒ wie hier nach § 101 Abs. 1 Satz 1 VwGO ‒ mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist und in dem eine solche (etwa, wie hier, wegen mangelnden Einverständnisses der Gegenseite mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung) auch stattfinden muss, an der Wahrnehmung des Termins z. B. erkrankungsbedingt gehindert, so steht es ihm nämlich frei, die Verlegung des Termins zu beantragen und, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür vorliegen, auch zu bewirken. Dieser Möglichkeit haben sich die Prozessbevollmächtigten des Klägers hier begeben, indem sie ‒ durchaus anerkennenswert ‒ der Bitte des Gerichts entsprochen haben, mit Blick auf die Dauer des Verfahrens, den bisherigen Sach- und Streitstand sowie die Auslastung der Kammer nicht an ihrem Terminverlegungsantrag festzuhalten.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Wertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil für das Verfahren eine Festgebühr vorgesehen ist (vgl. Kostenverzeichnis Nr. 5502 der Anlage zu § 3 Abs. 2 GKG).
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Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
RechtsgebietGebührenrechtVorschriftenNr. 3104 Abs. 1 Ziff. 1 Fall 1 VV RVG