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  • 24.04.2024 · IWW-Abrufnummer 241164

    Landgericht Nürnberg-Fürth: Beschluss vom 15.01.2024 – 12 Qs 80/23

    Ist die allein von der Staatsanwaltschaft geführte und begründete Berufung auf die Rechtsfolgen beschränkt und wird sie kurz vor der Berufungshauptverhandlung zurückgenommen, rechtfertigt das nicht ohne Weiteres den Nichtansatz der Mittelgebühr nach Nr. 4124 VV RVG.


    Landgericht Nürnberg-Fürth
        
    12 Qs 80/23
    7 Ds 902 Js 141519/22 AG Erlangen

    In dem Strafverfahren gegen



    wegen Betruges

    erlässt das Landgericht Nürnberg-Fürth durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht …, die Richterin am Landgericht … und den Richter am Landgericht … am 15. Januar 2024 folgenden Beschluss

    1. Auf die sofortige Beschwerde der Verteidigerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Erlangen vom 11.09.2023 aufgehoben.
    2. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

    Gründe:

    I.

    Das Amtsgericht Erlangen verurteilte den Angeklagten am 09.11.2022 wegen Betrugs, den er in laufender Bewährung beging, zu einer ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr 10 Monaten. Im Bewährungsbeschluss machte es ihm unter anderem eine stationäre Suchttherapie zur Auflage. Die Staatsanwaltschaft legte hiergegen Berufung ein, die sie begründete und auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte.

    Das Landgericht Nürnberg-Fürth bestimmte Termin zur Berufungshauptverhandlung auf den 25.05.2023. Mit Schreiben vom 11.05.2023 berichtete die Bewährungshilfe dem Landgericht, dass der Verurteilte seit 01.01.2023 versicherungspflichtig beschäftigt sei, eine zweimonatige stationäre Therapie vollständig absolviert habe und seitdem von der Suchtberatung X betreut werde. Zur Bewährungshilfe habe er zuverlässig Kontakt gehalten. Die Bewährungshilfe stellte ihm nunmehr eine günstige Sozialprognose. Die Staatsanwaltschaft nahm deshalb am 23.05.2023 die Berufung zurück.

    Tags darauf hob das Landgericht den Hauptverhandlungstermin auf und erlegte der Staatskasse die Kosten der Berufung, einschließlich der dem Beschwerdeführer entstandenen notwendigen Auslagen auf. Sodann stellte die Pflichtverteidigerin einen Kostenfestsetzungsantrag. Dabei machte sie auch eine mittlere Verfahrensgebühr für das Berufungsverfahren in Höhe von 352 € nach § 14 RVG, Nr. 4124 VV RVG geltend.

    Hierzu nahm der Bezirksrevisor Stellung und beantragte die Mittelgebühr um 30 % auf 246,40 € zu reduzieren. Der Ansatz der Mittelgebühr sei unbillig hoch. Die Berufung der Staatsanwaltschaft sei auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt und eine Auseinandersetzung mit den rechtlichen oder tatsächlichen Feststellungen im Urteil sei daher nicht mehr erforderlich gewesen. Der Verurteilte habe die Taten erstinstanzlich eingeräumt und auf die Berufung sei keine Reaktion der Verteidigerin erfolgt. Insgesamt könne nicht von einem durchschnittlichen Verfahren ausgegangen werden. Es habe zwar die Möglichkeit bestanden, dass das Berufungsurteil die Bewährungsaussetzung versagt. Im Vergleich zu anderen Berufungsverfahren mit deutlich höherem Strafansatz sei vergütungsrechtlich nicht von einem durchschnittlichen Verfahren auszugehen.

    Die Verteidigerin widersprach dem. Die Mittelgebühr sei gerechtfertigt, da die Berufung erst am 23.05.2023 zurückgenommen und daraufhin der Termin vom 25.05.2023 aufgehoben wurde. Das Verfahren und die Verteidigungsstrategie bezüglich des Rechtsfolgenausspruchs seien daher bereits umfassend mit dem Verurteilten besprochen und vorbereitet worden.

    Mit Beschluss vom 11.09.2023 wies das Amtsgericht Erlangen den Kostenfestsetzungsantrag mit der Begründung insgesamt zurück, dass die Verteidigerin keine für die Antragstellung nach § 464b StPO erforderliche Vollmacht vorgelegt habe.

    Im Schreiben vom 25.09.2023 trat die Verteidigerin erneut den Ausführungen des Bezirksrevisors entgegen - ohne sich explizit gegen den Beschluss vom 11.09.2023 zu wenden - und legte zugleich eine Vollmacht vor, die sie dazu berechtigte, für den Verurteilten Kostenerstattungsansprüche geltend zu machen.
    In seiner weiteren Stellungnahme verwies der Bezirksrevisor in Wesentlichen auf seine früheren Ausführungen und regte an, dass die Verteidigerin ihre Pflichtverteidigervergütung geltend mache oder aber auf diese verzichte, um eine Doppelzahlung der Staatskasse zu vermeiden. Danach erklärte die Verteidigerin, auf die Pflichtverteidigergebühren zu verzichten. Sodann legte die Rechtspflegerin die Akte der Kammer vor.

    II.

    Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

    1. Das Schreiben der Verteidigerin vom 25.09.2023 ist als sofortige Beschwerde gegen den Beschluss der Rechtspflegerin vom 11.09.2023 auszulegen. Als solche ist sie statthaft (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 464b Rn. 1, 5 f.) und auch im Übrigen zulässig.

    2. Das Rechtsmittel hat in der Sache insoweit Erfolg, als die beantragte Mittelgebühr festzusetzen ist.

    a) Der Pflichtverteidiger darf bei gegebener Bevollmächtigung im Namen seines Mandanten eine Kostenfestsetzung nach § 464b Satz 1 StPO beantragen. Der Antrag zielt dabei im Ergebnis auf die Wahlverteidigergebühren, die er nach § 52 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 RVG von seinem Mandanten beanspruchen kann, sofern dem Mandanten seinerseits ein Erstattungsanspruch gegen die Staatskasse zusteht (OLG Nürnberg, Beschluss vom 20.05.2014 - 2 Ws 225/14, juris Rn. 20 f. m.w.N.). Einer Doppelbelastung der Staatskasse kann dadurch begegnet werden, dass der Verteidiger - wie geschehen - seinen Verzicht auf die Pflichtverteidigervergütung erklärt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 04.05.2009 - 1 BvR 2252/08, juris Rn. 23).

    b) Die Verfahrensgebühr für das Berufungsverfahren bestimmt sich nach Nr. 4124 VV RVG. Mit ihr wird das Betreiben des Geschäfts vergütet (Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., Nr. 4124 VV Rn. 12). Bei einem Wahlverteidiger gilt der Gebührenrahmen von 88 € bis 616 €. Der Ansatz einer Mittelgebühr von 352 € ist zutreffend.

    aa) Bei der Rahmengebühr bestimmt im Ausgangspunkt der Rechtsanwalt die Höhe der Gebühr; dies geschieht nach billigem Ermessen anhand der Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG. Dazu gehören der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie die Bedeutung der Angelegenheit. Auch ist zu berücksichtigten, ob die Berufung beschränkt und mit welchem Aufwand die Verhandlung vorzubereiten war (Burhoff in Gerold/Schmidt, RVG, 26. Aufl., VV 4124 Rn. 10). Eine Mittelgebühr wird in der Praxis angesetzt, wenn es sich um einen sogenannten Normalfall handelt, also die Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG einem durchschnittlichen Fall entsprechen (Mayer in Gerold/Schmidt, aaO, § 14 Rn. 10).

    bb) Demnach entspricht der Ansatz einer Mittelgebühr dem billigen Ermessen.

    Bei einer auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Berufung ist das Berufungsgericht nicht nur nicht daran gehindert ist, eigene Feststellungen zu Umständen zu treffen, die den für die Rechtsfolgenentscheidung maßgebenden Schuldumfang näher bestimmen (vgl. BGH, Beschluss vom 27.04.2017 - 4 StR 547/16, juris Rn. 22; LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 10.08.2023 - 12 NBs 502 Js 2528/18, juris Rn. 11), sondern nach Lage des Falles sogar dazu verpflichtet. Nichts anderes gilt für Feststellungen, die auf der Rechtsfolgenseite für eine Strafaussetzung zur Bewährung erforderlich sind.

    Der Verurteilte stand bei Tatbegehung unter laufender und einschlägiger Bewährung. Die Bewährungszeit war im Zeitpunkt des Urteils des Amtsgerichts Erlangen noch nicht abgelaufen. Es hat absoluten Ausnahmecharakter, in laufender Bewährung eine weitere Bewährungschance einzuräumen (BayObLG, Urteil vom 27.07.2020 - 203 StRR 210/20, juris Rn. 6). Die Verteidigung konnte also nur erfolgversprechend sein, wenn belegbare und gewichtige Umstände für eine trotzdem günstige Sozialprognose vorgebracht werden konnten. Die Berufungskammer hat ausweislich der Akte der Bewährungsfrage Bedeutung beigemessen. Gemäß der Terminverfügung vom 20.04.2023 wurde der Bewährungshelfer um Terminteilnahme oder Übersendung eines schriftlichen Berichts gebeten. Es war bei der anwaltlichen Terminvorbereitung daher nicht mit einer Verhandlung zu rechnen, die sich lediglich mit der Höhe der zu verhängenden Strafe befassen würde. Die anwaltliche Tätigkeit war danach als zumindest durchschnittlich schwierig einzuschätzen. Unerheblich ist, dass die Verteidigerin auf die eingelegte Berufung nicht schriftsätzlich reagierte. Die Verteidigertätigkeit kann auch darin bestehen, dass mit dem Mandanten ohne Kenntnis des Gerichts daran gearbeitet wird, vor der Hauptverhandlung eine Bewährung rechtfertigende Umstände zu schaffen (z.B. Therapie- oder Arbeitsaufnahme). Diese anwaltlichen Tätigkeiten waren vorliegend auch nicht von vornherein entbehrlich, da die Hauptverhandlung erst einen Tag vor dem Termin aufgehoben wurde.

    Ferner war die Angelegenheit für den Verurteilten offenkundig von erheblicher Bedeutung. Er musste damit rechnen, dass die Berufungskammer nicht nur die gegen ihn verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr 10 Monaten bestätigt, sondern dass die erstinstanzlich gewährte Bewährung wegfällt. Dies hätte weiter gerechtfertigt, die Bewährung aus seiner vorangegangenen Verurteilung zu widerrufen. Es drohte ihm also insgesamt ein beträchtlicher Freiheitsentzug.

    3. Bislang liegt kein positiver Kostenfestsetzungsbeschluss vor. Der Kammer liegen nicht sämtliche dort einzubeziehenden Posten vor. Daher sah die Kammer davon ab, in der Sache selbst zu entscheiden (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 309 Rn. 5). Das wird das Erstgericht - zweckmäßigerweise im Lichte dieser Beschwerdeentscheidung (Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, Rn. 10; SSW-StPO/Hoch, 5. Aufl., § 309 Rn. 28 ff.) - tun müssen.

    III.

    Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 467 StPO analog.

    RechtsgebieteBerufung, Bewährung, MittelgebührVorschriftenNr. 4124 VV RVG