16.07.2024 · IWW-Abrufnummer 242648
Oberlandesgericht Hamburg: Beschluss vom 04.03.2024 – 4 W 20/24
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Hamburg
Beschluss vom 04.03.2024
Tenor:
- Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Hamburg vom 16.01.2024, Az. 307 O 89/23, wird zurückgewiesen.
- Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens nach einem Wert von 407,40 €.
- Die Rechtsbeschwerde gegen diese Entscheidung wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin betreibt die Kostenfestsetzung aus einem Versäumnisurteil.
Nachdem die Beklagte Widerspruch gegen einen gleichlautenden Mahnantrag eingelegt hatte, hat die Klägerin mit der Anspruchsbegründung vom 06.04.2023 ein Honorar für ihre Dienste als Personalvermittlerin in Höhe von 11.424,00 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf den genannten Betrag seit dem 03.02.2023 geltend gemacht. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 22.05.2023 durch ihre hiesigen Bevollmächtigten ihre Verteidigungsanzeige angezeigt.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 01.11.2023 ist für die Beklagte niemand erschienen; die Klägerin ist durch ihren Prozessbevollmächtigten vertreten gewesen. Das Gericht hat im Termin darauf hingewiesen, dass die Klagforderung in Bezug auf die Nebenforderung noch nicht schlüssig vorgetragen sei, da von der Klägerin eine Fälligkeit der gesamten Hauptforderung erst ab dem 01.04.2023 vorgetragen werde, aber bereits ab dem 02.02.2023 auf den gesamten Hauptforderungsbetrag Zinsen verlangt würden. Der Klägervertreter hat daraufhin den Antrag aus der Anspruchsbegründung vom 06.04.2024 mit der Maßgabe gestellt, dass Zinsen auf einen Betrag von 5.712,00 € seit dem 03.02.2023 und auf einen Betrag von weiteren 5.712,00 € seit dem 01.04.2023 verlangt würden. Außerdem hat der Klägervertreter den Erlass eines Versäumnisurteils beantragt, welches im Termin vom 01.11.2023 vom Landgericht antragsgemäß erlassen worden ist. Die Kosten des Rechtsstreits sind der Beklagten auferlegt worden. Das Versäumnisurteil vom 01.11.2023 ist rechtskräftig geworden.
Die Klägerin hat mit Kostenfestsetzungsantrag vom 05.12.2023 (Bl. 47 f. d.A.) nach einem Gegenstandswert von 11.424,00 € die Festsetzung einer 1,3-Verfahrensgebühr (865,80 €) sowie einer 1,2-Terminsgebühr i.H.v. 799,20 € sowie einer Post- und Telekommunikationspauschale i.H.v. 40,00 € beantragt. Nach Gewährung rechtlichen Gehörs für die Beklagte hat die Rechts- pflegerin den von der Beklagten zu erstattenden Betrag mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 16.01.2024 (Bl. 57 ff. d.A.) auf 2.182,60 € festgesetzt, wovon 885,00 € auf die Gerichtskosten, 865.80 € auf die anwaltlichen Verfahrensgebühr, 40,00 € auf die Post- und Telekommunikationspauschale und 391,80 € auf die anwaltliche Terminsgebühr entfallen. Der letztgenannte Betrag wiederum setzt sich zusammen aus einer 0,5-Gebühr nach dem Hauptsachestreitwert von 11.424,00 € sowie einer 1,2-Gebühr, entsprechend 58,80 €, auf den Mindestgebührenbetrag wegen der Zinsen.
Die Beklagte hat gegen diese Festsetzung mit Schriftsatz vom 18.01.2024 Erinnerung eingelegt. Die Klägerin hat gegen den ihr am 23.01.2024 zugestellten Beschluss mit am selben Tag bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom 06.02.2024 sofortige Beschwerde eingelegt und begehrt die Festsetzung der Terminsgebühr in voller Höhe von 799,20 €. Sie macht insoweit geltend, die engen Voraussetzungen der Nr. 3105 VV RVG für die Reduzierung einer Terminsgebühr lägen nicht vor. Weder der Wortlaut noch die Kommentierung der einschlägigen Regelungen (Nr. 3104 VV RVG sowie Nr. 3105 VV RVG) sähen im Übrigen eine Differenzierung vor, ob im Gespräch zwischen dem anwesenden Prozessbevollmächtigten und dem Gericht Nebenforderungen oder Hauptforderungen thematisiert worden seien. Lebensfremd sei insoweit die Annahme, es hätte zwischen dem Gericht und dem Bevollmächtigten der Klägerin nach dem im Protokoll enthaltenen Hinweis des Gerichts im Verhandlungstermin am 01.11.2023 kein weiterführendes Gespräch gegeben, während die Anwesenden vergeblich auf die Beklagte warteten. Richtig sei vielmehr, dass dieses Gespräch nicht protokolliert worden sei, da ein Protokoll lediglich die wesentlichen Inhalte einer Gerichtsverhandlung wiedergebe. Schließlich sehe das RVG eine Anwendbarkeit der vollen Terminsgebühr lediglich im Hinblick auf den Wert der Nebenforderungen bei zeitgleicher Anwendbarkeit der reduzierten Terminsgebühr im Hinblick auf den Wert der Hauptforderung nicht vor. Das Landgericht hat am 08.02.2024 beschlossen, der sofortigen Beschwerde der Klägerin nicht abzuhelfen.
II.
Die gemäß §§ 104 Abs.3 Satz 1, 567, 569 ZPO zulässige sofortige Beschwerde der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht hat die Rechtspflegerin im Rahmen der Kostenfestsetzung eine Terminsgebühr der Klägervertreter nur in Höhe von 391,80 € und nicht - wie von der Klägerin begehrt - in Höhe von 799,20 € berücksichtigt.
Zwar hat der Klägervertreter am 01.11.2023 im vorliegenden Verfahren einen gerichtlichen Termin wahrgenommen, so dass gemäß Vorbemerkung 3 Abs.3 VV RVG eine Terminsgebühr entsteht. Allerdings ist gegenüber Nr. 3104 VV RVG, wonach die Terminsgebühr als 1,2-Gebühr anfällt, hier Nr. 3105 VV RVG vorrangig anwendbar. Bei dieser Ziffer handelt es sich um eine gegenüber Nr. 3104 VV RVG vorrangige Sonderschrift (Toussaint, in: ders., 52. Aufl., 2022, Nr. 3105 VV RVG, Rn. 1). Da die Voraussetzungen dieser Sonderschrift gegeben sind, ist der Klägerin der Rückgriff auf Nr. 3104 VV RVG verwehrt.
Im Termin vom 01.11.2023 war - wie Nr. 3105 VV RVG voraussetzt - lediglich eine Partei erschienen. Für die Beklagte ist in dem Termin niemand aufgetreten.
Der Klägervertreter hat ferner auch - wie es weitere Voraussetzung für die Reduzierung der Terminsgebühr nach Nr. 3105 VV RVG ist - lediglich einen Antrag auf den Erlass eines Versäumnisurteils nach § 331 Abs.1 Satz 1 ZPO gestellt.
Der Senat verkennt dabei nicht, dass der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 24.01.2007 (Az. IV ZB 21/06, NJW 2007, 1692) insbesondere unter Berufung auf die Gesetzgebungsmaterialien entschieden hat, dass die in Nr. 3105 VV RVG vorgesehene Gebührenreduzierung nur dann gelten soll, wenn der Rechtsanwalt im Termin neben der Stellung der Anträge auf Erlass eines Versäumnisurteils tatsächlich keine weiteren Tätigkeiten entfaltet. Dem Anwalt soll auch in einem Termin, in dem eine Säumnislage eintritt, ein beachtlicher, höher zu vergütender Mehraufwand entstehen, wenn er seine Klaganträge nach Erörterung mit dem Gericht angepasst hat (BGH, a.a.O, Rn. 10).
Der Senat hält es indessen jedenfalls für den hier vorliegenden Sonderfall, dass sich die Erörterungen der im Termin allein anwesenden Partei mit dem Gericht nicht auf die Hauptforderung, sondern ausschließlich auf eine Nebenforderung - nämlich den Anspruch auf Verzugszinsen, konkret den Beginn der Verzinsungspflicht - bezogen hat und die Klagepartei auf einen erst im Termin erfolgenden Hinweis des Gerichts hin die Klage hinsichtlich der Nebenforderung teilweise zurücknimmt, für geboten, von dem genannten Grundsatz abzuweichen, dass im Säumnistermin doch eine volle 1,2-Terminsgebühr auf den vollen Gegenstandswert entsteht.
In dem vom Bundesgerichtshof zu entscheidenden Fall war von der Erörterung und nachfolgenden Anpassung des Klagantrags die Hauptsache betroffen. Gleiches gilt für die Entscheidung des LAG Hessen vom 14.12.2005 (Az. 13 Ta 481/05, NZA-RR 2006, 436, 437 [LAG Köln 28.12.2005 - 9 Ta 361/05]). Ohne Differenzierung bejaht auch ein Teil der Literatur den Anfall der vollen Terminsgebühr mit einem Satz von 1,2 auf den vollen Hauptsachewert (Mayer, in: Mayer/Kroiß, 8. Aufl., 2021, RVG VV 3105, Rn. 13; v. Seltmann, in: BeckOKRVG, 62. Ed., 2021, RVG VV 3105, Rn. 1; Ahlmann, in: Riedel/Sußbauer, RVG, 10. Aufl., 2015, RVG VV 3105, Rn. 15). Ein anderer Teil der Literatur hält hingegen eine Differenzierung hinsichtlich des Gegenstandes der Erörterung im Termin für möglich, so dass nur auf den Teil der Klagansprüche, zu dem die Erörterungen stattgefunden haben, eine Vergütung mit einem Satz von 1,2 anfällt (Toussaint, a.a.O., Rn. 9; Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, 26. Aufl., 2023, RVG VV 3105, Rn. 31 - explizit für den Zinsanspruch).
Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an. Für den hier vorliegenden Spezialfall bedeutet die vom Bundesgerichtshof vorgegebene Auslegung von Nr. 3105 VV RVG eine unangemessene Privilegierung des anwaltlichen Vertreters der Klägerseite. Für die Frage des Bestehens eines Zinszahlungsanspruchs ist - entgegen Rn. 10 der o.g. BGH-Entscheidung - nicht ersichtlich, wie die Einreichung einer teilweise unschlüssigen Zinsklage nicht auf einer nachlässigen Vorbereitung durch den klägerischen Anwalt beruhen soll. Dem klägerischen Anwalt würde mit dem Ansatz der vollen Terminsgebühr auf den Hauptsachewert eine Vergütung zufließen, die er - wegen eines entgegenstehenden Schadensersatzanspruchs seines Mandanten aus dem Anwaltsvertrag - gegen seinen eigenen Mandanten nicht durchsetzen könnte, da er eine von vornherein für ihn erkennbar unschlüssige Klage gar nichts erst einreichen darf.
Anders als bei einer teilweisen Abweisung der Klage in der Hauptsache, die regelhaft zu einer Kostenquote führen wird, werden die berechtigten Interessen des Prozessgegners bei einer teilweisen Klagrücknahme hinsichtlich der Nebenforderung auch nicht etwa auf der vorgelagerten Ebene der Kostengrundentscheidung geschützt. Die teilweise Klagrücknahme hinsichtlich der Zinsforderung führt nach dem Rechtsgedanken des § 92 Abs.2 Nr.1 ZPO nämlich in aller Regel nicht zu einer auch nur teilweisen Kostenbeteiligung des nachlässigen Klägers, da die Höhe der Zinsforderung wegen § 4 ZPO nicht streitwertrelevant ist und daher nicht zu einem sog. "Gebührensprung" führt.
Ferner würde eine Anwendung der o.g. Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf die Konstellation der Zuvielforderung von Zinsen in Widerspruch zu § 139 Abs.2 ZPO stehen. Wenn der Gesetzgeber zur Beschleunigung der Verfahren die richterliche Hinweispflicht für Nebenforderungen reduziert, dann aber das Gericht im Termin - zur Erleichterung der eigenen Arbeit, da bei erfolgender Klagrücknahme die Erleichterung des § 313b Abs.1 Satz 1 ZPO greift und kein Teil-Endurteil (im Sinne eines teilweisen Versäumnisurteils) erforderlich ist - doch diesen Hinweis erteilt, müsste ein auch für die Kosteninteressen der Beklagtenseite achtendes Gericht den entsprechenden Hinweis richtigerweise bereits vorterminlich geben, damit die teilweise Klagrücknahme noch vor dem Termin ausgesprochen werden kann. Dies wiederum führt doch wieder zu einer Ausweitung der vorterminlichen richterlichen Befassung des Gerichts mit den Nebenforderungen.
Schließlich erscheint der Mehraufwand für den Klägervertreter der dadurch entsteht, dass der Klägervertreter die eindeutige Rechtslage hinsichtlich der zunächst fehlenden Fälligkeit der zweiten Rate der Hauptforderung anhand des richterlichen Hinweises nachvollzieht, dem Senat so gering zu sein, dass eine Mehrvergütung von nahezu 400,00 € eindeutig unangemessen ist.
Ob die von der Rechtspflegerin gewählte Vorgehensweise der Zubilligung einer 1,2-Gebühr auf den Zinswert mit den Wertungen des § 4 ZPO vereinbar ist oder ob vielleicht noch überzeugender insgesamt nur eine 0,5-Gebühr auf den Hauptsachewert anzusetzen ist, muss im Verfahren über die Beschwerde der Klägerin nicht entschieden werden, da diese Gebühr nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist, sondern Gegenstand eines separaten Erinnerungsverfahrens nach § 11 Abs.2 RPflG ist. Eine Auslegung des Rechtsbehelfs der Beklagten vom 18.01.2024 als Anschlussbeschwerde i.S.v. § 567 Abs.3 ZPO kommt nicht in Betracht. Die Beklagte hat ihr Rechtsmittel zuerst eingelegt und war sich ausweislich der Formulierung des Rechtsbehelfs auch bewusst, dass ihr Abänderungsbegehren ggf. nur im Wege der Erinnerung Berücksichtigung finden kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs.1 ZPO. Die Entscheidung über die Zulassung der Rechtsbeschwerde ergeht gemäß § 574 Abs.1 Satz 1 Nr.2, Abs.3 Satz 1, Abs.2 Nr.1 und 2 ZPO. Die vorliegende Konstellation tritt in der erstinstanzlichen Tätigkeit der Amts- und Landgerichte sehr häufig auf. Die Klarstellung der Reichweite der Kostenreduzierung nach Nr. 3105 VV RVG erfordert eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs.
RechtsgebieteGebührenrecht, VersäumnisurteilVorschriftenNr. 3104 VV RVG; Nr. 3105 VV RVG; § 15 Abs. 3 RVG