30.07.2024 · IWW-Abrufnummer 242947
Oberlandesgericht Dresden: Beschluss vom 29.04.2024 – 4 W 272/24
Für den Streitwert eines Feststellungsantrags für Zukunftsschäden in einer Arzthaftungssache sind nur diejenigen Schadenspositionen maßgeblich, auf die der Anspruchsteller sich in der Anspruchsbegründung selbst bezieht. Die Vorstellungen der Gegenseite zum Umfang dieses Anspruches sind für den Streitwert nicht maßgeblich.
Oberlandesgericht Dresden
Beschluss vom 29.04.2024
Der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden hat in dem Verfahren 4 W 272/24 am 29. April 2024 beschlossen:
Tenor:
Gründe
I.
Die am 13.1.2017 geborene Klägerin hat die Beklagten als Gesamtschuldner wegen eines Geburtsschadens im Klinikum der Beklagten zu 1) auf Teilschmerzensgeld und Feststellung der Ersatzpflicht für künftige - ab dem Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung entstehende sowie alle vergangenen und künftigen materiellen Schäden in Anspruch genommen. Mit Grund- und Teilendurteil vom 9.11.2023 hat das Landgericht die Klage gegenüber den Beklagten zu 1) und 2) dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und insofern antragsgemäß ein Feststellungsurteil erlassen; die Klage gegenüber den Beklagten zu 3) und 4) hat es abgewiesen, den Streitwert im Verhältnis zu letzteren hat es auf 1,2 Millionen Euro entsprechend den Angaben in der Klageschrift festgesetzt. Mit der Streitwertbeschwerde vom 26.3.2024 begehrt der Prozessbevollmächtigte der Beklagten zu 4) die Heraufsetzung des Streitwerts auf 4,7 Mio €. Zur Begründung vertritt er die Ansicht, bei der Bemessung des Feststellungsantrags sei abweichend von den Angaben in der Klageschrift für den pflegerischen Mehrbedarf unter Orientierung an den Tarifverträgen für Pflegeberufe ein höherer Betrag als 10 €/Stunde anzusetzen. Zudem sei für die Bemessung ein künftiger Verdienstausfallschaden in Höhe von 3.234.068,77 € einzubeziehen. Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
II.
1. Die sofortige Beschwerde des Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 4) ist zulässig, auch wenn sie auf eine Heraufsetzung des Streitwerts gerichtet und nicht ausdrücklich in dessen eigenem Namen erhoben ist. Eine Beschwerde aus eigenem Recht des Rechtsanwalts folgt auch nicht aus dem in der Beschwerdeschrift enthaltenen Bezug auf § 33 Abs. 3 RVG, der lediglich pauschal auf das Beschwerderecht der Antragsberechtigten verweist. Allerdings ist eine mit dem Ziel der Erhöhung des Streitwerts eingelegte Beschwerde im Zweifel als aus eigenem Recht des Rechtsanwalts eingelegt anzusehen (Senat, Beschluss vom 15. August 2022 - 4 W 423/22 -, Rn. 3, juris). Auch vorliegend ergibt sich aus dem Gesamtkontext, dass der Prozessbevollmächtigte die Heraufsetzung des Streitwerts im eigenen Namen gem. § 32 Abs. 2 S. 1 RVG begehrt.
2. Die als solche zulässige Beschwerde ist aber nicht begründet. Zu Recht hat das Landgericht den Streitwert für den Feststellungsantrag entsprechend den Wertangaben in der Klageschrift auf 500.000 € festgesetzt und ist so zu einem Gesamtstreitwert von 1,2 Mio € gelangt.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 48 Abs. 1 GKG i. V. m. § 3 ZPO. Das dem Gericht nach § 3 ZPO obliegende Ermessen hat das Landgericht zutreffend ausgeübt. Entscheidend im Rahmen von § 3 ZPO ist das wirtschaftliche Interesse des Klägers, das er mit seiner Klage verfolgt. Denn es ist grundsätzlich allein der Kläger, der durch einen bestimmten Antrag und durch die Begründung des Antrags den Gegenstand des Rechtstreits bestimmt. Es kommt daher für den Streitwert auch nur auf die Angaben des Klägers an, mit denen er seine Klage begründet. Ohne Einfluss auf den Streitwert sind demgegenüber die Vorstellungen des Gegners oder sein Interesse an einer Klageabweisung (so ausdrücklich Zöller-Herget, ZPO, 35. Auflage, § 3 ZPO, Rn 2).
Der Streitwert einer Feststellungsklage bestimmt sich daher im Ausgangspunkt danach, welche Ansprüche aus der Sicht des Klägers möglicherweise von dem Feststellungsantrag umfasst werden (vgl. Zöller-Herget a. a. O., § 3 ZPO, Rn 16.76 "Feststellungsklagen"; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 11. Juli 2012 - 9 W 15/12 -, Rn. 6 - 9, juris; KG Berlin, Beschluss vom 15. März 2010 - 12 W 9/10 -, Rn. 19, juris). Schon aus diesem Grund kommt eine Einbeziehung eines möglichen Verdienstausfallschadens, den die Klägerin selbst in der Klageschrift an keiner Stelle zur Grundlage für ein Feststellungsbegehren gemacht hat, nicht in Betracht. Gleiches gilt im Ausgangspunkt auch für den pflegerischen Mehrbedarf. Dem in der Klageschrift in Bezug genommen Schreiben an den KSA vom 29.2.2021, das eine Berechnung der Mehrbedarfsleistungen auch für die Zukunft enthält, lässt sich bereits nicht entnehmen, ob nach den Vorstellungen der Klägerin diese Pflege durch Angehörige oder durch eine Pflegekraft abgedeckt werden soll. Bei der finanziellen Bewertung des Marktwertes eines pflegenden Angehörigen kommt es nach der Rechtsprechung des Senats auf die Vergütungssätze in einem Tarifvertrag nicht an (vgl. Senat, Urteil vom 23. Juni 2011 - 4 U 1409/10 -, juris). Die Vergütungssätze bei Beauftragung einer professionellen Pflegekraft hatte der Senat zwar bereits im Urteil vom 18. August 2020 (4 U 1242/18 -, Rn. 30, juris) für das Jahr 2014 auf 10,50 € netto angesetzt, wobei er auch darauf abgestellt hatte, dass der Bundesverband der Behinderten bereits im Jahre 2014 mitgeteilt hatte, dass der so genannte familienentlastende Dienst Unterstützung für die Betreuung behinderter Kinder für 18,00 € brutto die Stunde anbietet (Quelle: Broschüre des Bundesverbandes für Körper- und mehrfach behinderte Menschen e. V. aus dem Jahre 2014 www.bvbk.de) und ein Vergleichsportal für privat erhältliche Pflegedienste (www.24h-pflege-check.de) durchschnittlich 24,00 € brutto für häusliche Betreuung für angemessen gehalten hatte. Vor diesem Hintergrund wäre bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt bei Klageerhebung 7.1.2022 bei Vergabe der häuslichen Pflege an eine professionelle Pflegekraft der Betrag von 10 €/Stunde sicherlich erheblich zu niedrig angesetzt. Den Angaben der Klägerin lässt sich jedoch - wie ausgeführt - nicht entnehmen, dass eine solche Betreuung beabsichtigt ist, vielmehr bleibt neben der Angehörigenbetreuung auch noch die Betreuung durch eine ungelernte Kraft denkbar. Angesichts dessen geht der Senat für die Streitwertbemessung davon aus, dass für die Bemessung des pflegerischen Mehrbedarfs im Rahmen eines Feststellungsantrags von den Angaben im Rahmen der Klageschrift ausgegangen werden kann, wenn diese den im Antragszeitpunkt geltenden Mindestlohn nicht unterschreiten. Anderenfalls bildet dieser Mindestlohn die Untergrenze der Bemessung. Dieser betrug bis zum bis zum 30.06.2022: 9,82 Euro / Stunde, ab dem 01.07. bis 30.09.2022: 10,45 Euro / Stunde und vom 01.10.2022 bis 31.12.2023: 12 Euro /Stunde, seit dem 1.1.2024 liegt er bei 12,41 € Stunde. Ausgehend von dem Grundsatz, dass maßgeblicher Bewertungszeitpunkt grundsätzlich die Instanzeinleitung ist, Umstände, die im Beschwerdeverfahren bekannt werden, aber auch nachträglich berücksichtigt werden können (§ 4 ZPO, vgl. Zöller-Herget aaO.), ergibt sich ausgehend von diesen Beträgen ein anzusetzender Verdienstausfallschaden für 42 Monate von 295.014 €, abzüglich Pflegegeld von 257.172 €. Unter Berücksichtigung des Feststellungsabschlags von 20% wäre damit ein Betrag von 205.737,60 € für den pflegerischen Mehrbedarf bei der Streitwertfestsetzung zu berücksichtigen.
Angesichts des Umstandes, dass die Klägerin weitere Kosten in der Klageschrift lediglich pauschal unter "behindertengerechte Mobilität" berücksichtigt und diese Kosten im Schreiben vom 29.2.2021 (K13) mit lediglich 50.000,- € angesetzt hat, erscheint jedenfalls der Ansatz von mehr als 500.000,- € für den Feststellungsantrag insgesamt nicht gerechtfertigt.
III.
Eine Kostenentscheidung ist nicht geboten. Die Streitwertbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei, außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.