30.07.2024 · IWW-Abrufnummer 242950
Oberlandesgericht Celle: Beschluss vom 29.04.2024 – 5 W 19/24
Zum Streitwert einer Klage, mit der im Rahmen eines "Massenverfahrens" Ansprüche aus der DSGVO gegen einen international tätigen Musik-Streaming-Dienst geltend gemacht werden, die ihre Grundlage in angeblichen Datenschutzverstößen aus Anlass eines Cyber-/Hackerangriffs auf Kundendaten der Beklagten haben.
Oberlandesgericht Celle
Beschluss vom 29.04.2024
In der Beschwerdesache
pp.
hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht sowie die Richterin am Oberlandesgericht ... am 29. April 2024 beschlossen:
Tenor:
Die erstinstanzliche Wertfestsetzung wird von Amts wegen abgeändert und der Streitwert des Rechtsstreits in erster Instanz auf 5.900 € festgesetzt.
Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin wenden sich mit ihrer Beschwerde gegen die Streitwertfestsetzung des Landgerichts in erster Instanz, die sie als zu niedrig erachten.
In dem dem vorliegenden Beschwerdeverfahren zu Grunde liegenden Hauptsacheverfahren hat die Klägerin gegen die Beklagte Ansprüche aus der DSGVO geltend gemacht. Die Beklagte - die D. - betreibt einen internationalen Musik Streaming-Dienst gleichen Namens, der in über 180 Ländern verfügbar und unter der Internetadresse www.d.com erreichbar ist. Das wesentliche Angebot besteht aus einem Streamingangebot, zusammengesetzt aus Musik, Hörbüchern, Hörspielen und Podcasts. Die Parteien haben über einen sog. Cyberangriff/Hackerangriff auf Kundendaten der Beklagten gestritten, wobei dessen zeitliche Abfolge, die Reaktion der Beklagten sowie das Ausmaß des Angriffs zwischen den Parteien streitig gewesen sind.
Die Klägerin hat mit ihrer Klage als Ausgleich für Datenschutzverstöße die Zahlung eines immateriellen Schadensersatzes in Höhe von 3.000 €, für die Nichterteilung einer den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden außergerichtlichen Datenauskunft i. S. d. Art. 15 DSGVO einen weiteren immateriellen Schadensersatz in Höhe von 2.000 €, einen Feststellungsantrag betreffend die Ersatzpflicht der Beklagten hinsichtlich zukünftiger materieller Schäden, einen Unterlassungsantrag sowie einen Auskunftsantrag geltend gemacht. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Berufung dagegen hat die Klägerin nicht eingelegt.
Unter Ziffer 4 des Tenors seines Urteils hat das Landgericht den Streitwert insgesamt auf 11.500 € festgesetzt. Dabei hat es den Wert der beiden Zahlungsanträge mit 3.000 € und 2.000 € bemessen, den Feststellungsantrag mit 1.000 €, den Unterlassungsantrag mit 5.000 € sowie den Auskunftsantrag mit 500 €.
Dagegen richtet sich die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin, mit der sie begehren, den Streitwert auf 17.600 € festzusetzen.
B.
Die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist nach §§ 68 Abs. 1 GKG, 32 Abs. 2 Satz 1 RVG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Im Ergebnis hat die Beschwerde keinen Erfolg. Im Gegenteil war der Streitwert für den Rechtsstreit in erster Instanz von Amts wegen herabzusetzen.
1. Der Senat ist nicht daran gehindert, den vom Landgericht festgesetzten Streitwert entgegen dem Ziel der Beschwerde, diesen heraufzusetzen, von Amts wegen herabzusetzen. Der im Zivilprozessrecht sonst fast ausnahmslos geltende Grundsatz des Verbots der "reformatio in peius" gilt im Streitwertrecht grundsätzlich nicht (einhellige Auffassung, vgl. z. B. OLG Stuttgart, Beschluss vom 9. Oktober 2019 - 6 W 47/19, juris Rn. 26; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 4. Januar 2018 - 12 W 37/17, juris Rn. 17; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. August 2010 - 24 W 9/10, juris Rn. 10; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19. Mai 2009 - 24 W 13/09, juris Rn. 6).
2. Der Senat setzt den Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren auf 5.900 € fest. Dabei entfallen auf die beiden Zahlungsanträge Werte von 3.000 und 2.000 € sowie auf die restlichen drei Feststellungs-, Unterlassungs- und Auskunftsanträge jeweils Werte von 300 €.
a) Der Senat hat unter dem 4. April 2024 in den Verfahren 5 U 31/23 und 5 U 77/23 (jeweils bei juris) Urteile in Verfahren erlassen, die beide zum Gegenstand hatten, dass die jeweiligen Klageparteien Ansprüche aus der DSGVO auf Schadensersatz, Unterlassung, Feststellung und Auskunft aus Anlass eines sogenannten "Datenscraping-Vorfalls" bei der dortigen Beklagten, die Betreiberin eines weltweit agierenden sozialen Netzwerks ist, zum Gegenstand hatten. Die Prozessbevollmächtigten der dortigen Klageparteien haben bundesweit eine höhere vierstellige Anzahl von Verfahren bei deutschen Gerichten anhängig gemacht. Zu dem Streitwert in diesen Verfahren hat der Senat beispielsweise in dem Verfahren 5 U 31/23 folgende Ausführungen gemacht (a.a.O., juris Rn.):
"Den Streitwert sowohl für das Berufungs- wie für das erstinstanzliche Verfahren setzt der Senat - jeweils unter Abänderung des Senatsbeschlusses vom 23. Januar 2024 - auf 2.100,00 € fest. Davon entfallen auf die einzelnen Klageanträge folgende Werte:
- Klageantrag zu Ziffer 1. (Zahlung): 1.000,00 € EUR
- Klageantrag zu 2. (Feststellung): 300,00 €
- Klageantrag zu Ziffer 3. (Unterlassung): 500,00 € (insoweit meint der Senat, dass hier ein einheitlicher Streitwert zu bilden ist, entsprechend der - aus Sicht des Senats vergleichbaren - Rechtslage bei mehreren ehrkränkenden Äußerungen, bspw. in einem Buch oder einem anderen Schriftstück, deren Unterlassung mit der Klage begehrt wird: vgl. dazu Kurpart in Schneider/Kurpart, Streitwertkommentar, 15. Aufl., Rn. 2.1006, Seite 328)
- Klageantrag zu Ziffer 4. (Auskunft): 300,00 €.
Das begründet sich wie folgt:
1. Der Senat hatte bislang in ständiger Rechtsprechung den Streitwert in Verfahren wie dem vorliegenden auf 7.500,00 € festgesetzt und dabei den Zahlungsantrag nach Ziffer 1. der Klageschrift mit 1.000,00 €, den Feststellungsantrag nach Ziffer 2. der Klageschrift mit 1.000,00 €, den Unterlassungsantrag nach Ziffer 3. der Klageschrift mit 5.000,00 € und den Auskunftsantrag nach Ziffer 4. der Klageschrift mit 500,00 € bemessen. Nachdem der Senat zwischenzeitlich einen "Gesamtüberblick" über die Verfahren der vorliegenden Art bekommen sowie Kenntnis von insbesondere den Entscheidungen des OLG Hamm (Urteil vom 15. August 2023 - 7 U 19/23, juris Rn. 271 ff.) sowie des OLG Köln (Urteil vom 7. Dezember 2023 - 15 U 33/23, juris Rn. 89) erlangt hat, hat der Senat seine bisherige Rechtsprechung überdacht und neu bewertet. Danach ergibt sich Folgendes:
a) Die bisherige Bewertung des Unterlassungsanspruches mit 5.000,00 € durch den Senat in Verfahren wie dem vorliegenden hatte seine Grundlage in den Vorschriften der §§ 48 Abs. 2 GKG, 23 Abs. 3 Satz 2 RVG, 36 Abs. 3 GNotKG. Den Wert des Feststellungs- sowie des Auskunftsanspruchs hatte der Senat nach § 3 ZPO geschätzt.
b) Indes hat sich für den Senat zwischenzeitlich gezeigt, dass von einem eigenen Interesse der jeweiligen Klagepartei (§ 3 ZPO) in Verfahren wie dem vorliegenden an dem Unterlassungs-, dem Auskunfts- sowie dem Feststellunganspruch im Regelfall nicht oder allenfalls in einem geringen Maße ausgegangen werden kann. Das zeigte sich für den Senat instruktiv im Rahmen der Anhörung des Klägers in dem vorliegenden Verfahren. Danach gefragt, welche "Zielrichtung" seine Klageanträge auf Unterlassung, Feststellung und Auskunft haben bzw. welches Interesse für ihn an der Durchsetzung dieser Anträge besteht, war der - ansonsten überaus eloquente - Kläger nicht in der Lage, substanzielle Antworten zu geben, er blieb mit seinen diesbezüglichen Ausführungen vielmehr im Vagen und hat sich auf "Allgemeinplätze" verlegt (wie z.B. in Bezug auf den Unterlassungsantrag: "Ich möchte natürlich nicht, dass das noch mal passiert"). Mindestens zum Teil hatte der Senat von dem Kläger auch den Eindruck, dass diesem noch nicht einmal bewusst war, welchen Inhalt diese Klageanträge haben.
Der Senat hat insgesamt von dem hiesigen Kläger den Eindruck gewonnen, dass ein eigenes Interesse an diesen drei Klageanträgen - also neben dem Zahlungsantrag - für ihn nicht besteht. Im Gegenteil hat der Senat zwischenzeitlich - und zwar ausdrücklich nicht nur aufgrund des persönlichen Eindrucks des Klägers in dem vorliegenden Verfahren, der zwangsläufig nur für die Wertfestsetzung in dem vorliegenden Verfahren von Relevanz sein kann - aufgrund des Gesamteindrucks der Verfahren der vorliegenden Art den Eindruck gewonnen, dass diese jeweiligen drei Klageanträge in den massenhaften Verfahren, die die Prozessbevollmächtigten des hiesigen Klägers zwischenzeitlich in ganz Deutschland anhängig gemacht haben, mindestens in erster Linie der Anreicherung des Prozessstoffs ohne ein wesentliches eigenes materielles Interesse der jeweiligen Klagepartei dienen. Damit im Einklang steht im Übrigen der Umstand, dass die Prozessbevollmächtigten des Klägers in Verfahren wie dem vorliegenden bei dem Senat Streitwertbeschwerden im eigenen Namen (§ 32 Abs. 2 RVG) in einer inzwischen dreistelligen Anzahl erhoben haben, jeweils mit dem Ziel, den Streitwert heraufzusetzen.
Nach Abwägung der vorgenannten sowie aller weiteren Umstände des vorliegenden Falles bewertet der Senat mithin den Feststellungsantrag sowie den Auskunftsantrag jeweils auf der niedrigsten Wertstufe, also jeweils mit 300,00 € und den Unterlassungsantrag mit 500 €. Dies gilt für das vorliegende Verfahren und wird der Senat nunmehr - sofern nicht im Einzelfall konkrete Umstände eine andere Entscheidung bedingen - in Verfahren der vorliegenden Art regelmäßig praktizieren."
b) Diese Grundsätze wendet der Senat entsprechend auch für das vorliegende Verfahren an. Zwar sind bei dem Senat - anders als bei der den Verfahren 5 U 31/23 und 5 U 77/23 zugrunde liegenden Fallgestaltung - noch keine Verfahren in größerer Anzahl gegen die hiesige Beklagte eingegangen. Aus unmittelbarer eigener Anschauung heraus hätte der Senat mithin nicht beurteilen können, ob es sich auch bei dem vorliegenden Verfahrenskomplex um ein sog. "Massenverfahren" handelt. Indes hat die Beklagte in ihrer Klageerwiderungsschrift vom 17. November 2023 in diesem Zusammenhang auszugsweise Folgendes vorgetragen:
Seite 2: "Die an vielen Stellen der Klage zu findenden, generischen und unzutreffenden Behauptungen "ins Blaue hinein" sind Ausdruck des Geschäftsmodells der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Klagepartei. Diese betreibt ein Massengeschäft, indem sie eine Vielzahl nicht individualisierter Anspruchsschreiben und nachfolgend Klagen einzelner Verbraucher an große international operierende Unternehmen richtet, um aus einer kriminellen Handlung Dritter, deren Opfer die Beklagte wurde, Profit in Form der Generierung von Anwaltsgebühren zu schlagen. Zum einen fehlen tatsächliche Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten der Beklagten fehlen dabei jedoch vollständig und werden auch nicht vorgetragen. Zum anderen ist der gesamte Vortrag zu dem behaupteten Schaden der Klagepartei bereits unschlüssig, da dieser offensichtlich aus vorformulierten und vielfach verwendeten Textbausteinen besteht und daher nicht geeignet ist, einen individuellen Schaden der Klagepartei darzulegen. Bezeichnenderweise bezieht sich dieser Vortrag auch offensichtlich auf einen anderen Sachverhalt"
sowie
Seite 17: "Im Übrigen hat der Vortrag der Klagepartei auch keinen individuellen Bezug zu ihrer Person. Der Klagevortrag entspricht zu großen Teilen wortlautidentisch anderen Klagen, welche die Prozessbevollmächtigten der Klagepartei bei anderen deutschen Gerichten eingereicht haben."
Dieses Tatsachenvorbringen der Beklagten ist erstinstanzlich unstreitig geblieben, weil die Klägerin hierauf in der Folgezeit bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz nicht eingegangen ist. Der Senat hat das vorgenannte Tatsachenvorbringen der Beklagten daher seiner Entscheidung in dem vorliegenden Beschwerdeverfahren zugrunde zu legen (§ 138 Abs. 3 ZPO).
In diesen - unbestrittenen - Tatsachenvortrag der Beklagten fügt sich im Übrigen noch der - i.S.v. § 291 ZPO offenkundige (vgl. dazu, dass hierzu auch Informationen aus dem Internet gehören: BGH, Beschluss vom 7. Mai 2020 - IX ZB 84/19, juris Rn. 15) - Umstand ein, dass die Beschwerdeführerin auf der Startseite ihres Internet-Auftritts Kundenakquise in dem hier erörterten tatsächlichen Zusammenhang betreibt ("Datenleck: So gehen sie als Betroffener vor. Jetzt Schadensersatz prüfen. Bis zu 5.000 € Schadensersatz ... ").
Nach dieser Maßgabe aber gilt die Argumentation, die der Senat in seinen beiden Entscheidungen vom 4. April 2024 in den Verfahren 5 U 31/23 und 5 U 77/23 gemacht hat, entsprechend auch in dem vorliegenden Verfahren. Auch hier muss der Senat davon ausgehen, dass die Aufnahme der Feststellungs-, Unterlassungs- und Auskunftsanträge in die Klage in erster Linie der "Anreicherung des Prozessstoffs", ohne ein wesentliches eigenes materielles Interesse der hiesigen Klägerin dient. Demgemäß hat der Senat vorliegend die Feststellungs-, Unterlassungs- und Auskunftsanträge jeweils auf der untersten Wertstufe, nämlich jeweils mit 300 € bemessen. In Bezug auf den Unterlassungsantrag besteht der Unterschied zu der diesbezüglichen Wertfestsetzung in den Verfahren 5 U 31/23 und 5 U 77/23 darin, dass in jenen Verfahren - anders als vorliegend - mit dem jeweiligen Unterlassungsantrag gleich zwei verschiedene Unterlassungsbegehren verfolgt worden sind.
C.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 32 Abs. 2 RVG, 68 Abs. 3 GKG.