03.09.2024 · IWW-Abrufnummer 243591
Sozialgericht Ulm: Beschluss vom 12.07.2024 – S 13 SF 2602/23 E
1.
Der Ausdruck der elektronisch überlassenen Verwaltungsakte, die vorliegend als PDF-Datei mit Inhaltsverzeichnis überlassen wurde, ist, nachdem die elektronische Aktenbearbeitung zum Standard geworden ist, zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache auch unter Berücksichtigung des Kostenminimierungspflicht nicht geboten. Deshalb ist der Ausdruck auch nur von Teilen der Verwaltungsakte nicht nach Nr. 7000 Nr. 1a) VV RVG zu entschädigen.
2.
Was zur "Bearbeitung" einer Sache sachgemäß ist, bestimmt sich nicht nach der subjektiven Auffassung des Rechtsanwalts, sondern nach dem objektiven Standpunkt eines vernünftigen, sachkundigen Dritten.
Beschluss
in dem Verfahren
R
- Erinnerungsführer -
Proz.-Bev.: Rechtsanwälte
gegen
Land Baden-Württemberg
vertreten durch das Regierungspräsidium Stuttgart - Landesversorgungsamt -
Ruppmannstraße 21, 70565 Stuttgart
- Erinnerungsgegner -
Die 13. Kammer des Sozialgerichts Ulm
hat am 12.07.2024 in Ulm durch die
Richterin am Sozialgericht (weitere aufsichtführende Richterin) Seywald-Rewitz
ohne mündliche Verhandlung beschlossen:
Tenor:
Die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 03.11.2023 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Erinnerungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Höhe der dem Erinnerungsführer zu erstattenden außergerichtlichen Kosten eines Klageverfahrens hinsichtlich gefertigter Kopien aus einer elektronischen Verwaltungsakte.
Im zugrundeliegenden Klageverfahren begehrte der Erinnerungsführer, der im Vorverfahren ab 23.02.2022 anwaltlich vertreten war, wobei der Bevollmächtigte nur um Entscheidung über den Widerspruch unter Androhung der Erhebung einer Untätigkeitsklage gebeten hatte, die Feststellung eines GdB von 50, während der Erinnerungsgegner mit Bescheid vom 11.05.2021 den GdB mit 30 und mit Teilabhilfebescheid vom 03.08.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.03.2023 mit 40 bewertet hatte. Im Klageverfahren nahm der Bevollmächtigte des Erinnerungsführers Akteneinsicht in die ihm elektronisch zur Verfügung gestellte Verwaltungsakte des Erinnerungsgegners (PDF-Dokument mit 115 Seiten, dabei Seite 1 mit Inhaltsverzeichnis, das explizit Befundunterlagen erwähnt) und wurden sechs sachverständige Zeugenauskünfte eingeholt, woraufhin der Erinnerungsgegner mit Anerkenntnis vom 06.06.2023 einen GdB von 50 seit 05.03.2021 feststellte und ein Kostenanerkenntnis abgab. Die Anerkenntnisse nahm der Erinnerungsführer zur Erledigung des Rechtsstreits an.
Am 21.06.2023 beantragte der Bevollmächtigte des Erinnerungsführers, Kosten nach dem Vergütungsverzeichnis zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (VV RVG) in Höhe von 870,01 Euro (Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG in Höhe von 360 Euro, (fiktive) Terminsgebühr nach Nr. 3106 Satz 2 Nr. 3 VV RVG in Höhe von 324 Euro, Auslagenpauschale in Höhe von 20 Euro, Dokumentenpauschale nach Nr. 7000 Nr. 1 VV RVG in Höhe von 27,10 Euro für 64 Kopien und 19% Umsatzsteuer) festzusetzen.
Der Erinnerungsgegner teilte mit, 837,76 Euro angewiesen zu haben. Die Dokumentenpauschale sei nicht angefallen. Kosten für Ausdrucke aus der elektronischen Verwaltungsakte seien nur dann zu erstatten, wenn ein Ausdruck der Dokumente für eine sachgerechte Bearbeitung des Mandats notwendig gewesen sei. Dies müsse vom Prozessbevollmächtigten plausibel begründet werden. Es müsse sich hier allerdings um einen Ausnahmefall handeln. Seit Einführung des elektronischen Anwaltspostfaches 2018 müssten die Dokumente in elektronischer Form entgegengenommen werden. Das rechtliche Gehör werde auf diesem Weg grundsätzlich mit der Übersendung der elektronischen Verwaltungsakte gewährt. Der Rechtsanwalt habe eine technische Ausstattung bereitzustellen, mit welcher der Inhalt der übersandten Dokumente zur Kenntnis genommen werden könne. Es sei deshalb zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache im Sinne von Nr. 7000 VV RVG nicht geboten, die elektronische Akte, die dem Rechtsanwalt zur dauerhaften Nutzung überlassen worden sei, auszudrucken.
Der Erinnerungsführer erwiderte, er habe die medizinischen Befundunterlagen für die Handakte ausgedruckt. Denn in der elektronischen Akte sei die Erfassung des medizinischen Sachverhalts unübersichtlich. Auch entspreche die Seitenzahl in der Akte des Erinnerungsgegners nicht dem elektronischen Dokument, auch, da ein Teil der Akte vorwärts paginiert sei, die Altakte aber rückwärts. Damit könne nicht vernünftig gearbeitet werden. Es bestehe keine Pflicht, die Handakte elektronisch zu führen.
Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle wies den Kostenfestsetzungsantrag mit Beschluss vom 03.11.2023 zurück. Die Erstattung von Kopien scheide aus, da das Ausdrucken aus elektronisch geführten Akten zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache nicht geboten sei. Der Erinnerungsführer erhalte mit der Einsichtnahme in die elektronisch geführten Gerichts- und Verwaltungsakten auch die Möglichkeit, die Datei im PDF-Format abzuspeichern. Durch die Speicherung der Datei sei es dem Erinnerungsführer jederzeit - auch ohne Internetzugang - möglich, die Dokumente zu sichten; deshalb sei die Vornahme von Kopien nicht notwendig, sondern erleichtere nur die Arbeit.
Hiergegen hat der Erinnerungsführer am 04.12.2023 Erinnerung eingelegt mit der Begründung, maßgeblich sei die Sicht eines verständigen und durchschnittlich erfahrenen Anwalts. Der bloße Umstand, dass die Beklagte die Akte elektronisch zur Verfügung stelle, könne nicht alleiniger Maßstab sein, ob die auszugsweise Herstellung von Kopien zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten gewesen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten der Hauptsache sowie des Erinnerungsverfahrens Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der vorliegenden Entscheidung.
II.
Die gemäß § 197 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und form- und fristgerecht erhobene Erinnerung ist zulässig, aber unbegründet.
Auf Antrag der Beteiligten oder ihrer Bevollmächtigten setzt der Urkundsbeamte des Gerichts des ersten Rechtszugs gemäß § 197 Abs. 1 Satz 1 SGG den Betrag der zu erstattenden Kosten fest. Gegen die Entscheidung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle kann gemäß § 197 Abs. 2 SGG binnen eines Monats nach Bekanntgabe das Gericht angerufen werden, das endgültig entscheidet.
Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwaltes oder Rechtsbeistandes ist gemäß § 193 Abs. 3 SGG stets erstattungsfähig. Die Vergütung (Gebühren und Auslagen) für anwaltliche Tätigkeiten bemisst sich nach dem Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (RVG); hier bezüglich der streitigen Vorschriften in der Fassung ab 01.01.2021, da der unbedingte Auftrag zur Erledigung der Angelegenheit gemäß § 60 Abs. 1 RVG nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Justizkosten- und des Rechtsanwaltsvergütungsrechts und zur Änderung des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht (Kostenrechtsänderungsgesetz <KostRÄG> 2021 vom 21.12.2020 (BGBl. I 2020, 3229 ff. - hier Art. 7 und 13 KostRÄG) erteilt worden ist.
In Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen - wie vorliegend - das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist, entstehen gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 RVG Betragsrahmengebühren. Die Höhe der Vergütung und auch der Betragsrahmen bestimmt sich gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG nach dem Vergütungsverzeichnis der Anlage 1 zum RVG (VV RVG).
Streitig ist allein die Dokumentenpauschale nach Nr. 7000 Nr. 1a) VV RVG. Zunächst stellt dabei Vorbemerkung 7 Abs. 1 Satz 1 VV RVG klar, dass mit den Gebühren auch die allgemeinen Geschäftskosten entgolten sind. Die Pauschale für die Herstellung und Überlassung von Dokumenten beträgt nach Nr. 7000 Nr. 1a) VV RVG für Kopien und Ausdrucke aus Behörden- und Gerichtsakten, soweit deren Herstellung zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten war, für die ersten 50 abzurechnenden Seiten je Seite 0,50 Euro.
Der Gesetzgeber hat mit den Tatbeständen in den Nummern 7000 ff. VV RVG abschließende Regelungen dazu getroffen, wann in den dort aufgeführten Fällen Auslagen für Kopien erstattungsfähig sind. Dies stellt eine auch in Vorbemerkung 7 Abs. 1 Satz 1 VV RVG festgehaltene Ausnahme des Grundsatzes dar, dass die allgemeinen Geschäftskosten einer Rechtsanwältin oder eines Rechtsanwalts durch die Gebühren als abgegolten gelten. Wollte man Auslagen für Mehrfertigungen als erstattungsfähig ansehen, die nicht unter die gesondert geregelten Tatbestände der Nummer 7000 VV RVG fallen, wäre dies eine Durchbrechung dieser gesetzlichen Systematik (BVerfG, Beschluss vom 28.09.2023 - 2 BvR 739/17 -, BVerfGE 166, 347-358, Rn. 19 m.w.N.). Darüber hinaus entspricht eine nur auf "notwendige", das heißt für die Rechtsverfolgung zweckdienliche Maßnahmen beschränkte Kostenerstattung dem allen Prozessordnungen innewohnenden Gebot der Kostenschonung. Aus diesem Gedanken folgt, dass jeder Verfahrensbeteiligte verpflichtet ist, die Kosten seiner Prozessführung, die er im Falle seines Sieges vom Erstattungspflichtigen erstattet verlangen will, so niedrig zu halten, wie sich dies mit der Wahrung seiner berechtigten Belange vereinbaren lässt (BVerfG a.a.O. Rn. 20 m.w.N.).
Ein Ausdruck aus der elektronische Akte des Erinnerungsgegners war nicht zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache unter Berücksichtigung der Kostenminimierungspflicht geboten. Denn dem Bevollmächtigten des Erinnerungsführers ist die 115-seitige Verwaltungsakte per elektronischem Rechtsverkehr dauerhaft als PDF-Datei überlassen worden. Diese ist strukturiert und mit einem Inhaltsverzeichnis versehen, das die zeitliche Anordnung der Akte erkennen lässt und das schnelle Auffinden insbesondere von medizinischen Unterlagen ermöglicht. Mit 115 Seiten ist die Akte von unterdurchschnittlichem Umfang im Vergleich zu sonstigen Verwaltungsakten, die in sozialgerichtlichen Verfahren üblich sind. Auch der angehängte "Altaktenteil" ist bezeichnet und fortlaufend nummeriert, wenn auch selbstverständlich die damalige handschriftliche Paginierung nicht mehr mit der Paginierung des PDF-Dokuments übereinstimmt. Jedenfalls unter diesen Bedingungen besteht für einen Aktenausdruck, auch nur in Teilen, kein Anlass.
Was zur "Bearbeitung" einer Sache sachgemäß ist, bestimmt sich nicht nach der subjektiven Auffassung des Rechtsanwalts, sondern nach dem objektiven Standpunkt eines vernünftigen, sachkundigen Dritten (ausführlich Müller-Rabe in: Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar, 26. Auflage 2023, RVG VV 7000 Rn. 62 ff. m.w.N.). Ein solcher Dritter hätte an Stelle des Bevollmächtigten des Erinnerungsführers von einem Ausdruck auch unter Berücksichtig eines bestehenden Ermessensspielraums abgesehen.
Denn die elektronische Aktenbearbeitung ist mittlerweile der Standard (a.A. noch SG Lüneburg, Beschluss vom 29.12.2022 - S 12 SF 33/22 E -, juris, nunmehr aber auch Müller-Rabe a.a.O. Rn. 63b). Jeder Rechtsanwalt ist verpflichtet, ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach zu unterhalten. Damit werden nicht nur einzelne Schriftsätze, sondern seit der Einführung der elektronischen Gerichtsakte am hiesigen Gericht seit nunmehr mehr als vier Jahren auch die Verwaltungsakten (diese sukzessive seit jeweiliger Umstellung der Versicherungsträger und Behörden) standardmäßig in Dateiform elektronisch übermittelt. Es muss also jeder Rechtsanwalt mit elektronischen Akten arbeiten können (VG Hamburg, Beschluss vom 08.01.2024 - 10 KO 5115/23 -, Rn. 13 - 15, juris m.w.N.).
Im Einzelnen ist es dem bearbeitenden Anwalt deshalb überlassen, ob er bei einer - aus seiner subjektiven Sicht unübersichtlichen - Verwaltungsakte mit elektronischen Mitteln (z.B. entsprechender Software zur Ermöglichung elektronischer Annotationen, Kommentare oder farblicher Hervorhebungen) oder einem einfachen handschriftlichen oder digital erstellten Aktenauszug die Übersichtlichkeit der Akte nach eigenen Maßstäben herstellt. Geboten ist jedoch bei der vorliegenden nach objektiven Maßstäben übersichtlichen PDF-Datei weder das Ausdrucken der vollständigen Akte noch der wesentlichen Unterlagen aus der Akte.
Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.
Diese Entscheidung ist - sowohl seit dem 2. KostRModG (§ 197 Abs. 2 SGG; z.B. Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 26.03.2018 - L 1 SF 610/17 B -, Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 16.08.2016 - L 4 AS 217/16 B -, beide juris m.w.N.) als auch nach dem KostRÄG 2021- unanfechtbar.
in dem Verfahren
R
- Erinnerungsführer -
Proz.-Bev.: Rechtsanwälte
gegen
Land Baden-Württemberg
vertreten durch das Regierungspräsidium Stuttgart - Landesversorgungsamt -
Ruppmannstraße 21, 70565 Stuttgart
- Erinnerungsgegner -
Die 13. Kammer des Sozialgerichts Ulm
hat am 12.07.2024 in Ulm durch die
Richterin am Sozialgericht (weitere aufsichtführende Richterin) Seywald-Rewitz
ohne mündliche Verhandlung beschlossen:
Tenor:
Die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 03.11.2023 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Erinnerungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Höhe der dem Erinnerungsführer zu erstattenden außergerichtlichen Kosten eines Klageverfahrens hinsichtlich gefertigter Kopien aus einer elektronischen Verwaltungsakte.
Im zugrundeliegenden Klageverfahren begehrte der Erinnerungsführer, der im Vorverfahren ab 23.02.2022 anwaltlich vertreten war, wobei der Bevollmächtigte nur um Entscheidung über den Widerspruch unter Androhung der Erhebung einer Untätigkeitsklage gebeten hatte, die Feststellung eines GdB von 50, während der Erinnerungsgegner mit Bescheid vom 11.05.2021 den GdB mit 30 und mit Teilabhilfebescheid vom 03.08.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.03.2023 mit 40 bewertet hatte. Im Klageverfahren nahm der Bevollmächtigte des Erinnerungsführers Akteneinsicht in die ihm elektronisch zur Verfügung gestellte Verwaltungsakte des Erinnerungsgegners (PDF-Dokument mit 115 Seiten, dabei Seite 1 mit Inhaltsverzeichnis, das explizit Befundunterlagen erwähnt) und wurden sechs sachverständige Zeugenauskünfte eingeholt, woraufhin der Erinnerungsgegner mit Anerkenntnis vom 06.06.2023 einen GdB von 50 seit 05.03.2021 feststellte und ein Kostenanerkenntnis abgab. Die Anerkenntnisse nahm der Erinnerungsführer zur Erledigung des Rechtsstreits an.
Am 21.06.2023 beantragte der Bevollmächtigte des Erinnerungsführers, Kosten nach dem Vergütungsverzeichnis zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (VV RVG) in Höhe von 870,01 Euro (Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG in Höhe von 360 Euro, (fiktive) Terminsgebühr nach Nr. 3106 Satz 2 Nr. 3 VV RVG in Höhe von 324 Euro, Auslagenpauschale in Höhe von 20 Euro, Dokumentenpauschale nach Nr. 7000 Nr. 1 VV RVG in Höhe von 27,10 Euro für 64 Kopien und 19% Umsatzsteuer) festzusetzen.
Der Erinnerungsgegner teilte mit, 837,76 Euro angewiesen zu haben. Die Dokumentenpauschale sei nicht angefallen. Kosten für Ausdrucke aus der elektronischen Verwaltungsakte seien nur dann zu erstatten, wenn ein Ausdruck der Dokumente für eine sachgerechte Bearbeitung des Mandats notwendig gewesen sei. Dies müsse vom Prozessbevollmächtigten plausibel begründet werden. Es müsse sich hier allerdings um einen Ausnahmefall handeln. Seit Einführung des elektronischen Anwaltspostfaches 2018 müssten die Dokumente in elektronischer Form entgegengenommen werden. Das rechtliche Gehör werde auf diesem Weg grundsätzlich mit der Übersendung der elektronischen Verwaltungsakte gewährt. Der Rechtsanwalt habe eine technische Ausstattung bereitzustellen, mit welcher der Inhalt der übersandten Dokumente zur Kenntnis genommen werden könne. Es sei deshalb zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache im Sinne von Nr. 7000 VV RVG nicht geboten, die elektronische Akte, die dem Rechtsanwalt zur dauerhaften Nutzung überlassen worden sei, auszudrucken.
Der Erinnerungsführer erwiderte, er habe die medizinischen Befundunterlagen für die Handakte ausgedruckt. Denn in der elektronischen Akte sei die Erfassung des medizinischen Sachverhalts unübersichtlich. Auch entspreche die Seitenzahl in der Akte des Erinnerungsgegners nicht dem elektronischen Dokument, auch, da ein Teil der Akte vorwärts paginiert sei, die Altakte aber rückwärts. Damit könne nicht vernünftig gearbeitet werden. Es bestehe keine Pflicht, die Handakte elektronisch zu führen.
Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle wies den Kostenfestsetzungsantrag mit Beschluss vom 03.11.2023 zurück. Die Erstattung von Kopien scheide aus, da das Ausdrucken aus elektronisch geführten Akten zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache nicht geboten sei. Der Erinnerungsführer erhalte mit der Einsichtnahme in die elektronisch geführten Gerichts- und Verwaltungsakten auch die Möglichkeit, die Datei im PDF-Format abzuspeichern. Durch die Speicherung der Datei sei es dem Erinnerungsführer jederzeit - auch ohne Internetzugang - möglich, die Dokumente zu sichten; deshalb sei die Vornahme von Kopien nicht notwendig, sondern erleichtere nur die Arbeit.
Hiergegen hat der Erinnerungsführer am 04.12.2023 Erinnerung eingelegt mit der Begründung, maßgeblich sei die Sicht eines verständigen und durchschnittlich erfahrenen Anwalts. Der bloße Umstand, dass die Beklagte die Akte elektronisch zur Verfügung stelle, könne nicht alleiniger Maßstab sein, ob die auszugsweise Herstellung von Kopien zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten gewesen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten der Hauptsache sowie des Erinnerungsverfahrens Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der vorliegenden Entscheidung.
II.
Die gemäß § 197 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und form- und fristgerecht erhobene Erinnerung ist zulässig, aber unbegründet.
Auf Antrag der Beteiligten oder ihrer Bevollmächtigten setzt der Urkundsbeamte des Gerichts des ersten Rechtszugs gemäß § 197 Abs. 1 Satz 1 SGG den Betrag der zu erstattenden Kosten fest. Gegen die Entscheidung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle kann gemäß § 197 Abs. 2 SGG binnen eines Monats nach Bekanntgabe das Gericht angerufen werden, das endgültig entscheidet.
Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwaltes oder Rechtsbeistandes ist gemäß § 193 Abs. 3 SGG stets erstattungsfähig. Die Vergütung (Gebühren und Auslagen) für anwaltliche Tätigkeiten bemisst sich nach dem Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (RVG); hier bezüglich der streitigen Vorschriften in der Fassung ab 01.01.2021, da der unbedingte Auftrag zur Erledigung der Angelegenheit gemäß § 60 Abs. 1 RVG nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Justizkosten- und des Rechtsanwaltsvergütungsrechts und zur Änderung des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht (Kostenrechtsänderungsgesetz <KostRÄG> 2021 vom 21.12.2020 (BGBl. I 2020, 3229 ff. - hier Art. 7 und 13 KostRÄG) erteilt worden ist.
In Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen - wie vorliegend - das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist, entstehen gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 RVG Betragsrahmengebühren. Die Höhe der Vergütung und auch der Betragsrahmen bestimmt sich gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG nach dem Vergütungsverzeichnis der Anlage 1 zum RVG (VV RVG).
Streitig ist allein die Dokumentenpauschale nach Nr. 7000 Nr. 1a) VV RVG. Zunächst stellt dabei Vorbemerkung 7 Abs. 1 Satz 1 VV RVG klar, dass mit den Gebühren auch die allgemeinen Geschäftskosten entgolten sind. Die Pauschale für die Herstellung und Überlassung von Dokumenten beträgt nach Nr. 7000 Nr. 1a) VV RVG für Kopien und Ausdrucke aus Behörden- und Gerichtsakten, soweit deren Herstellung zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten war, für die ersten 50 abzurechnenden Seiten je Seite 0,50 Euro.
Der Gesetzgeber hat mit den Tatbeständen in den Nummern 7000 ff. VV RVG abschließende Regelungen dazu getroffen, wann in den dort aufgeführten Fällen Auslagen für Kopien erstattungsfähig sind. Dies stellt eine auch in Vorbemerkung 7 Abs. 1 Satz 1 VV RVG festgehaltene Ausnahme des Grundsatzes dar, dass die allgemeinen Geschäftskosten einer Rechtsanwältin oder eines Rechtsanwalts durch die Gebühren als abgegolten gelten. Wollte man Auslagen für Mehrfertigungen als erstattungsfähig ansehen, die nicht unter die gesondert geregelten Tatbestände der Nummer 7000 VV RVG fallen, wäre dies eine Durchbrechung dieser gesetzlichen Systematik (BVerfG, Beschluss vom 28.09.2023 - 2 BvR 739/17 -, BVerfGE 166, 347-358, Rn. 19 m.w.N.). Darüber hinaus entspricht eine nur auf "notwendige", das heißt für die Rechtsverfolgung zweckdienliche Maßnahmen beschränkte Kostenerstattung dem allen Prozessordnungen innewohnenden Gebot der Kostenschonung. Aus diesem Gedanken folgt, dass jeder Verfahrensbeteiligte verpflichtet ist, die Kosten seiner Prozessführung, die er im Falle seines Sieges vom Erstattungspflichtigen erstattet verlangen will, so niedrig zu halten, wie sich dies mit der Wahrung seiner berechtigten Belange vereinbaren lässt (BVerfG a.a.O. Rn. 20 m.w.N.).
Ein Ausdruck aus der elektronische Akte des Erinnerungsgegners war nicht zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache unter Berücksichtigung der Kostenminimierungspflicht geboten. Denn dem Bevollmächtigten des Erinnerungsführers ist die 115-seitige Verwaltungsakte per elektronischem Rechtsverkehr dauerhaft als PDF-Datei überlassen worden. Diese ist strukturiert und mit einem Inhaltsverzeichnis versehen, das die zeitliche Anordnung der Akte erkennen lässt und das schnelle Auffinden insbesondere von medizinischen Unterlagen ermöglicht. Mit 115 Seiten ist die Akte von unterdurchschnittlichem Umfang im Vergleich zu sonstigen Verwaltungsakten, die in sozialgerichtlichen Verfahren üblich sind. Auch der angehängte "Altaktenteil" ist bezeichnet und fortlaufend nummeriert, wenn auch selbstverständlich die damalige handschriftliche Paginierung nicht mehr mit der Paginierung des PDF-Dokuments übereinstimmt. Jedenfalls unter diesen Bedingungen besteht für einen Aktenausdruck, auch nur in Teilen, kein Anlass.
Was zur "Bearbeitung" einer Sache sachgemäß ist, bestimmt sich nicht nach der subjektiven Auffassung des Rechtsanwalts, sondern nach dem objektiven Standpunkt eines vernünftigen, sachkundigen Dritten (ausführlich Müller-Rabe in: Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar, 26. Auflage 2023, RVG VV 7000 Rn. 62 ff. m.w.N.). Ein solcher Dritter hätte an Stelle des Bevollmächtigten des Erinnerungsführers von einem Ausdruck auch unter Berücksichtig eines bestehenden Ermessensspielraums abgesehen.
Denn die elektronische Aktenbearbeitung ist mittlerweile der Standard (a.A. noch SG Lüneburg, Beschluss vom 29.12.2022 - S 12 SF 33/22 E -, juris, nunmehr aber auch Müller-Rabe a.a.O. Rn. 63b). Jeder Rechtsanwalt ist verpflichtet, ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach zu unterhalten. Damit werden nicht nur einzelne Schriftsätze, sondern seit der Einführung der elektronischen Gerichtsakte am hiesigen Gericht seit nunmehr mehr als vier Jahren auch die Verwaltungsakten (diese sukzessive seit jeweiliger Umstellung der Versicherungsträger und Behörden) standardmäßig in Dateiform elektronisch übermittelt. Es muss also jeder Rechtsanwalt mit elektronischen Akten arbeiten können (VG Hamburg, Beschluss vom 08.01.2024 - 10 KO 5115/23 -, Rn. 13 - 15, juris m.w.N.).
Im Einzelnen ist es dem bearbeitenden Anwalt deshalb überlassen, ob er bei einer - aus seiner subjektiven Sicht unübersichtlichen - Verwaltungsakte mit elektronischen Mitteln (z.B. entsprechender Software zur Ermöglichung elektronischer Annotationen, Kommentare oder farblicher Hervorhebungen) oder einem einfachen handschriftlichen oder digital erstellten Aktenauszug die Übersichtlichkeit der Akte nach eigenen Maßstäben herstellt. Geboten ist jedoch bei der vorliegenden nach objektiven Maßstäben übersichtlichen PDF-Datei weder das Ausdrucken der vollständigen Akte noch der wesentlichen Unterlagen aus der Akte.
Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.
Diese Entscheidung ist - sowohl seit dem 2. KostRModG (§ 197 Abs. 2 SGG; z.B. Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 26.03.2018 - L 1 SF 610/17 B -, Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 16.08.2016 - L 4 AS 217/16 B -, beide juris m.w.N.) als auch nach dem KostRÄG 2021- unanfechtbar.
RechtsgebieteVerwaltungsprozess, Auslagen, elektronische AkteVorschriftenNr. 7000 Nr. 1a) VV RVG