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  • 14.10.2024 · IWW-Abrufnummer 244238

    Landgericht Karlsruhe: Beschluss vom 06.12.2023 – 16 Qs 57/23

    1. Ein freigesprochener Angeklagter kann Reisekosten von einem anderen Ort als seiner Meldeadresse nach dem Sinn und Zweck des § 5 Abs. 5 JVEG grundsätzlich selbst dann fordern, wenn er die weitere Anreise nicht zuvor angezeigt hat. Eine Ausnahme kann nur dann gelten, wenn die Anwesenheit des Angeklagten entgegen § 230 Abs. 1 StPO ausnahmsweise zur Disposition des erkennenden Gerichts gestanden hätte.

    2. Die Rahmengebühr eines Strafverteidigers i.S.d. § 14 Abs. 1 RVG ist nicht zu mindern, wenn die Staatsanwaltschaft auf Freispruch plädiert. Die Staatsanwaltschaft stellt ihren Antrag erst am Ende der Hauptverhandlung und dieser bindet das erkennende Gericht nicht. Deswegen hat ein gewissenhafter Strafverteidiger die Hauptverhandlung einschließlich seines eigenen Schlussvortrags mit demselben Aufwand vorzubereiten und zu halten wie bei jedem anderen Antrag der Staatsanwaltschaft auch.


    Landgericht Karlsruhe 

    Beschluss vom 06.12.2023


    In dem Strafverfahren gegen
    wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen u.a.

    hat das Landgericht Karlsruhe - 16. große Strafkammer (auswärtige Strafkammer Pforzheim) - durch die unterzeichnenden Richter am 06.12.2023 beschlossen:

    Tenor:
    1. Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Pforzheim vom 16.06.2023 dahingehend abgeändert, dass dem Beschwerdeführer nach dem freisprechenden Urteil des Amtsgerichts Pforzheim vom 22.03.2022 aus der Staatskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen auf insgesamt 2.257,19 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 31.03.2023 festgesetzt werden.
    2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die dadurch entstandenen notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers trägt die Staatskasse.

    Gründe

    I.

    Die sofortige Beschwerde greift die Höhe der festgesetzten Erstattung notwendiger Auslagen nach einem freisprechenden Urteil zugunsten des Beschwerdeführers an.

    1. Ursprünglich hatte die Staatsanwaltschaft Duisburg gegen den Beschwerdeführer ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und wegen Volksverhetzung gem. §§ 86a Abs. 1 Nr. 4, 86a Abs. 1 Nr. 1, 130 Abs. 3, 52 StGB geführt. Hintergrund der Ermittlungen waren sogenannte Memes entsprechenden Inhalts gewesen, die eine dem Beschwerdeführer zugeordnete Mobilfunknummer über WhatsApp in einer Chatgruppe geteilt hatte. Am 22.09.2021 übernahm die Staatsanwaltschaft Karlsruhe - Zweigstelle Pforzheim - das Ermittlungsverfahren.

    2. Der Beschwerdeführer ist mit seiner Wohnanschrift in Pforzheim in der Bundesrepublik Deutschland gemeldet. Unter dieser Meldeadresse wurde der Beschwerdeführer am 13.07.2022 von Beamten des Polizeipräsidiums Pforzheim schriftlich vorgeladen. Daraufhin meldete sich der Beschwerdeführer und vereinbarte einen Termin vor Ort, zu dem es aber nicht kam. Stattdessen legitimierte sich der Verteidiger des Beschwerdeführers als Wahlverteidiger im Ermittlungsverfahren durch Schreiben vom 20.07.2022. Als Anlage war die auf ihn ausgestellte und unterschriebene Vollmacht des Beschwerdeführers vom 19.07.2022 enthalten, auf der sich ebenfalls die Adressdaten der deutschen Meldeadresse des Beschwerdeführers fand. Mit Schreiben vom 27.09.2022 nahm der Beschwerdeführer über seinen Verteidiger Stellung und beantragte die Einstellung des Ermittlungsverfahrens. Dies begründete er unter anderem mit einem Verwertungsverbot der aufgefundenen Memes, die bei Ermittlungen gegen Dritte wegen Betäubungsmitteldelikten aufgefunden wurden.

    3. Am 22.10.2022 beantragte die Staatsanwaltschaft gegen den Beschwerdeführer wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und wegen Volksverhetzung einen Strafbefehl mit einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu einer Tagessatzhöhe von jeweils 50,- € zu erlassen. Am 26.10.2022 erließ das Amtsgericht den Strafbefehl wie beantragt. Auf den Einspruch des Verteidigers vom 09.11.2022 führte das Amtsgericht Pforzheim die Hauptverhandlung zunächst am 01.03.2023 von 11:02 Uhr bis 11:16 Uhr durch. In der Hauptverhandlung erwähnte der Beschwerdeführer ausweislich des Protokolls erstmals, dass er aus geschäftlichen Gründen eine österreichische Nummer habe. Die Hauptverhandlung wurde am 22.03.2023 von 14:52 Uhr bis 15:00 Uhr fortgesetzt. Das persönliche Erscheinen des Beschwerdeführers war an beiden Hauptverhandlungstagen angeordnet. Der Beschwerdeführer und sein Verteidiger waren auch an beiden Hauptverhandlungstagen anwesend.

    4. Der Beschwerdeführer bestritt vor dem Amtsgericht Pforzheim, der Urheber der versandten Memes gewesen zu sein. Die SIM-Karte für die zugehörige Mobiltelefonnummer habe er selbst beantragt, dann aber unmittelbar einem Bekannten überlassen. Er selbst habe ein österreichisches Geschäftshandy und habe eine andere deutsche Nummer nur wegen seiner Eltern behalten. Der Bekannte des Beschwerdeführers bestätigte in seiner Zeugenaussage, dass ihm die SIM-Karte von dem Beschwerdeführer im maßgeblichen Zeitraum überlassen worden sei.

    Daraufhin beantragten Staatsanwaltschaft und Verteidigung, den Beschwerdeführer freizusprechen. Dem folgte das Amtsgericht Pforzheim. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers wurden der Staatskasse auferlegt. Das Urteil des Amtsgerichts Pforzheim vom 22.03.2023 ist seit dem 30.03.2023 rechtskräftig.

    5. Durch Schriftsatz vom 24.03.2023 beantragte der Beschwerdeführer über seinen Verteidiger die Erstattung von Verteidigergebühren und -auslagen in Höhe von 1.702,24 € sowie Reisekosten des Beschwerdeführers selbst in Höhe von 985,- €. Der Schriftsatz ist über das beA am selben Tag bei Gericht eingegangen. Seine eigenen Fahrtkosten machte der Beschwerdeführer mit dem Argument geltend, er sei tatsächlich in Oberparschenbrunn in Österreich wohnhaft. Hierzu legte er eine entsprechende Meldebestätigung vom 04.11.2021 vor. Nach Aktenlage ist an dieser Stelle erstmals erwähnt, dass der Beschwerdeführer auch von Österreich aus und nicht von seiner Meldeadresse in Pforzheim zu den Hauptverhandlungsterminen habe anreisen müssen. Außerdem beantragte der Beschwerdeführer, die festgesetzten Kosten zu verzinsen.

    6. Die Bezirksrevision trat der beantragten Kostenfestsetzung entgegen. Der erstattungsfähige Betrag notwendiger Kosten beschränke sich auf 1.126,93 €.

    Dem Beschwerdeführer seien seine Fahrtkosten aus Österreich zu versagen. Er sei offiziell in Pforzheim gemeldet und auch dort geladen worden. Ein ausdrücklicher Hinweis auf die beabsichtigte Fahrt aus dem Ausland sei vor Durchführung der Hauptverhandlung nicht ersichtlich. Ansonsten wäre es dem Gericht gegebenenfalls möglich gewesen, die Hauptverhandlung so zu legen, dass sich der Beschwerdeführer ohnehin an seiner Meldeadresse in Pforzheim aufgehalten hätte.

    Die Grundgebühr für Verteidiger nach Nr. 4100 VV RVG sei ebenso wie die Verfahrensgebühr für das Ermittlungsverfahren nach Nr. 4106 VV RVG und die Terminsgebühr für die Hauptverhandlungstermine vor dem Amtsgericht NR. 4108 VV RVG niedriger anzusetzen als geschehen. Dies bestimme sich nach § 14 RVG, nach dem die vom Verteidiger des Beschwerdeführers angesetzte Mittelgebühr nur heranzuziehen sei, wenn mehrere Bemessungsmerkmale ein durchschnittliches Gewicht aufwiesen. Dies sei nicht der Fall. Bei der Grund- und Verfahrensgebühr sei zu berücksichtigen, dass es sich um eine Sache vor dem Amtsgericht handele. Dort sei der beabsichtigte Strafbefehl mit einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zwar überdurchschnittlich bedeutsam, nicht jedoch im für die Mittelgebühr maßgeblichen Vergleich auch mit Verfahren vor dem Oberlandes- und Landgericht. Im Übrigen seien auch die Terminsgebühren für die Hauptverhandlungen herabzusetzen, da diese nur 14 und 8 Minuten gedauert hätten und die Staatsanwaltschaft ebenfalls einen Freispruch gefordert habe. Ein schriftsätzlicher Vortrag des Verteidigers sei erfolgt. Ein besonderes Haftungsrisiko des Rechtsanwalts gem. § 14 Abs. 1 Satz 3 RVG sei nicht ersichtlich.

    Zudem seien Fahrtkosten des Verteidigers, anders als beantragt, nicht anzusetzen. Es sei keine Fallgruppe gegeben, wegen der ein Verteidiger außerhalb des Gerichtsbezirks habe mandatiert werden müssen.

    Die Bezirksrevision trägt zudem vor, Zinsen seien dem Beschwerdeführer auf die festgesetzten Kosten erst mit Rechtskraft des Urteils zu gewähren.

    7. Mit dem Beschluss vom 16.05.2023 folgte das Amtsgericht Pforzheim insgesamt der von der Bezirksrevision angeregten Kostenfestsetzung.

    Im Einzelnen ergeben sich dadurch folgende Abweichungen:

    VV RVG    Beantragte Auslagen    Zugesprochene Auslagen
    4100    220,00 €    170,00 €
    4104    181,50 €    140,00 €
    4106    181,50 €    181,50 €
    4108    302,50 €    180,00 €
    4108    302,50 €    170,00 €
    7003 (01.03.)    36,96 €    0,00 €
    7005 Nr. 1 (01.03.)    30,00 €    0,00 €
    7003 (22.03.)    36,96 €    0,00 €
    7005 Nr. 1 (22.03.)    30,00 €    0,00 €
    Akteneinsicht    12,00 €    12,00 €
    Parkgebühren    3,03 €    0,00 €
    7001 VV RVG    40,00 €    40,00 €
    7000 Nr. 1 VV RVG    53,50 €    53,50 €
    7008 (19% MwSt)    271,79 €    179,93 €
    Erstattung    1.702,24 €    1.126,93 €

    8. Dem Verteidiger des Beschwerdeführers wurde der Beschluss des Amtsgerichts Pforzheim am 30.05.2023 zugestellt. Durch am 12.06.2023 eingegangenen Schriftsatz erhob der Beschwerdeführer über seinen Verteidiger sofortige Beschwerde.

    Der Beschwerdeführer begründete über seinen Verteidiger die sofortige Beschwerde am 18.07.2023: Während des staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens sei der Beschwerdeführer mit bis zu elf Straftatbeständen konfrontiert gewesen, die der Verteidiger zu prüfen gehabt habe. Zudem seien rechtliche Fragestellungen wie das Beweisverwertungsverbot bei Zufallsfunden zu beantworten gewesen. Die Gebühren VV 4100 und VV 4104 seien angemessen. Der Beschwerdeführer selbst arbeite in Österreich, sei von dort zu den Gerichtsterminen gereist und in Pforzheim befinde sich nur seine deutsche Meldeadresse. Die tatsächlichen Kosten für Fahrten zu Verhandlungen aus Österreich sollten erstattet werden. Das Gericht habe spätestens beim ersten Hauptverhandlungstermin von der Anreise aus Österreich gewusst.

    Den Kürzungen der Terminsgebühren und der Absetzung der Reisekosten des Verteidigers trat der Beschwerdeführer ausdrücklich nicht entgegengetreten.

    9. Die Bezirksrevision beantragte in ihrer Stellungnahme vom 25.07.2023, die sofortige Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen. Hinsichtlich der Reisekosten des Beschwerdeführers sei aus dem allein maßgeblichen Hauptverhandlungsprotokoll im Übrigen nicht ersichtlich, dass eine Anreise aus Österreich im Vorfeld angezeigt worden sei oder dass der Beschwerdeführer dort unter der Woche einer Berufstätigkeit nachgehe.

    10. Auf weiteren gerichtlichen Hinweis legte der Beschwerdeführer zuletzt zusätzliche Nachweise vor, um seinen Vortrag im Hinblick auf den Wohnsitz in Österreich und seine dortigen Arbeitsverpflichtungen glaubhaft zu machen.

    II.

    Die sofortige Beschwerde ist zulässig und hat in der Sache überwiegend Erfolg.

    1. Aufgrund der dispositiven Natur des kostenrechtlichen Erstattungsumfangs ist nicht über die Herabsetzung der Terminsgebühren für die Hauptverhandlungen sowie die Versagung der Erstattung der Reisekosten des Verteidigers zu entscheiden. Diese Absetzungen wurden in der Beschwerdeschrift ausdrücklich akzeptiert.

    Dabei ist anzumerken, dass nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer bei auswärtigen Verteidigern stets mindestens die Reisekosten erstattungsfähig sind, die bei einem am weitesten vom Gerichtssitz entfernt, aber noch im Gerichtsbezirk ansässigen Verteidiger angefallen wären.

    2. Die Gebühren und Auslagen für den Verteidiger des Beschwerdeführers sind nach § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO i.V.m. § 91 Abs. 2 Nr. 1 ZPO in Höhe der gesetzlichen Gebühren zu erstatten.

    Die durch den Beschwerdeführer angesetzte Mittelgebühr ist im vorliegenden Fall gem. § 14 VG als gesetzliche Gebühr nicht zu beanstanden. Daraus ergibt sich folgender Erstattungsanspruch:

    VV RVG    Beantragt    Zugesprochen    Kammerbeschluss
    4100    220,00 €    170,00 €    220,00 €
    4104    181,50 €    140,00 €    181,50 €

    Die erstattungsfähige Gebühr innerhalb des Rahmens des Vergütungsverzeichnisses des RVG hängt von den in § 14 RVG aufgeführten Umständen ab. Die Angemessenheit der von dem Verteidiger bestimmten Gebühr wird im Kostenfestsetzungsverfahren überprüft (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. 2023, § 464b Rn. 3). Der Rechtspfleger prüft gem. § 464a Abs. 2 StPO die Notwendigkeit der Auslagen und ist berechtigt, die vom Verteidiger nach § 14 RVG bestimmte Rahmengebühr herabzusetzen, wenn sie unbillig hoch ist (Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O.). So liegt der Fall hier indes nicht.

    Der Rechtsanwalt darf zwar nicht ohne Abwägung der Bemessungskriterien stets die Mittelgebühr abrechnen. Denn die Mittelgebühr ist lediglich Ausgangspunkt der Ermessensausübung des Rechtsanwalts. Soweit eines der Kriterien des § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG von dem Durchschnitt abweicht, ist dies Anlass für den Rechtsanwalt, von der Mittelgebühr nach oben oder nach unten abzuweichen. Dem ist aber vorliegend nicht so.

    Dabei hat die Kammer berücksichtigt, dass es sich um eine Sache vor dem Amtsgericht handele. Dort ist der beabsichtigte Strafbefehl mit einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zwar leicht überdurchschnittlich bedeutsam, nicht jedoch im für die Mittelgebühr maßgeblichen Vergleich auch mit Verfahren vor dem Oberlandes- und Landgericht.

    In Anbetracht der Umstände des vorliegenden Falles erachtet die Kammer die Ansetzung der Mittelgebühr gleichwohl gemäß § 14 RVG als angemessen. Die Schwere der dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Delikte - Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Volksverhetzung - begründet eine überdurchschnittliche Bedeutung des Falles. Die Komplexität, insbesondere die Klärung der Mobiltelefonnummern sowie die Bewertung der Zeugenaussage, bedingte einen erhöhten Arbeitsaufwand für den Verteidiger. In der Gesamtschau der dargelegten Gründe erweist sich die Mittelgebühr als sachgerecht und den Erfordernissen des Falles entsprechend.

    Der von der Staatsanwaltschaft beantragte Freispruch steht dem nicht entgegen. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass das deutsche Strafverfahren nicht kontradiktorisch ausgestaltet ist und die Staatsanwaltschaft als objektive Behörde gem. § 160 Abs. 2 StPO auch entlastende Umstände zu Gunsten des Beschwerdeführers ermittelt. Ihren Antrag stellt die Staatsanwaltschaft indes erst am Ende des Verfahrens. Bereits deswegen ist ein erst zu diesem Zeitpunkt erkennbarer Anknüpfungspunkt ungeeignet, um eine angeblich geringere Komplexität des Verfahrens aus Verteidigersicht bis dahin rückwirkend zu rechtfertigen. Soweit auf den Schlussvortrag abzustellen ist, hat diesen ein gewissenhafter Strafverteidiger beim Schlussvortrag der Staatsanwaltschaft schon im Wesentlichen vorbereitet. Zudem entfaltet auch ein übereinstimmender Antrag von Staatsanwaltschaft und Verteidigung keine Bindungswirkung für das Gericht, sodass ein gewissenhafter Strafverteidiger auch dann noch umfassend vortragen wird.

    3. Die dem Beschwerdeführer selbst entstandenen Fahrtkosten sind nach § 464a Abs. 2 Nr. 1 StPO i.V.m. § 5 JVEG erstattungsfähig.

    Der Beschwerdeführer macht Fahrtkosten von seinem Wohnsitz in Österreich aus geltend, obwohl er jeweils an seiner Meldeadresse in Pforzheim geladen wurde.

    Ausgangspunkt für die Beurteilung der Erstattungsfähigkeit ist § 5 Abs. 5 JVEG, der unmittelbar anwendbar ist. Durch den ausdrücklichen gesetzlichen Verweis bedarf es einer entsprechenden Anwendung von §§ 5, 6 JVEG nicht (in diesem Sinne aber offenbar Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. 2023, § 464a Rn. 15 m.w.N.). Aus § 5 Abs. 5 JVEG folgt: Wird die Reise zum Ort des Termins "von einem anderen als dem" in der Ladung oder Terminsmitteilung bezeichneten oder der zuständigen Stelle "unverzüglich angezeigten Ort" angetreten oder wird zu einem anderen als zu diesem Ort zurückgefahren, werden Mehrkosten nach billigem Ermessen nur dann ersetzt, wenn der Berechtigte zu diesen Fahrten durch besondere Umstände gezwungen war.

    Eine förmliche Anzeige des Reiseantritts des Beschwerdeführers aus Österreich ist nicht aktenkundig. Die jedenfalls vom Beschwerdeführer behauptete Erwähnung seiner Arbeitsstelle in Österreich im Rahmen der Hauptverhandlung erfüllt erkennbar nicht die Anforderung an eine ordnungsgemäße Anzeige.

    Dem Wortlaut der Norm nach kommt die vom Beschwerdeführer begehrte Erstattung nach billigem Ermessen demnach nur noch in Betracht, wenn der Berechtigte zu diesen Fahrten durch besondere Umstände gezwungen war (vgl. LG Koblenz MDR 1998, 1183 [LG Koblenz 29.05.1998 - 9 Qs 94/98] zu § 9 ZESG; erwähnt bei JVEG/Schneider, 4. Aufl. 2021, JVEG, § 1 Rn. 158).

    Für Angeklagte ist die Regelung nach ihrem Sinn und Zweck sowie dem systematischen Zusammenhang mit den Vorschriften der StPO jedoch einschränkend auszulegen: Die unverzügliche Anzeige soll dem Gericht nur die Prüfung ermöglichen, ob es den Zeugen, Sachverständigen oder sonstigen Beteiligten zunächst abbestellen will (vgl. OLG Dresden, JurBüro 1998, 269; Hartmann, KostenG, 39. Aufl., § 5 JVEG Rn 22). Hätte das Gericht die Ladung aber in jedem Fall aufrechterhalten, so sind dem Beteiligten die Mehrkosten der An- und/oder Rückreise von oder zu einem anderen als dem in der Ladung angegebenen Ort auch dann zu erstatten, wenn er die Anreise von dem anderen Ort verspätet oder überhaupt nicht angezeigt hat (vgl. OLG Celle NStZ-RR 2013, 62; OLG Dresden, JurBüro 1998, 269; OLG Schleswig, RPfl 1962, 367; Hartmann, § 5 JVEG Rn. 24; Meyer/Höver/Bach, JVEG, 25. Aufl., § 5 Rn 5.23). Das ist aber bei Angeklagten stets der Fall. Da gegen einen ausgebliebenen Angeklagten gem. § 230 Abs. 1 StPO eine Hauptverhandlung grundsätzlich nicht stattfinden kann, ist es ausgeschlossen, dass das Amtsgericht den Beschwerdeführer abgeladen hätte, wenn er seine Anreise aus Österreich rechtzeitig angezeigt hätte. Zwar wäre es dem Beschwerdeführer gem. § 411 Abs. 2 Satz 1 StPO grundsätzlich möglich gewesen, seinen Verteidiger für die Vertretung im Einspruchsverfahren gegen einen Strafbefehl gesondert zu bevollmächtigen. Insofern hätte ausnahmsweise entgegen § 230 Abs. 1 StPO eine Hauptverhandlung auch ohne den Beschwerdeführer stattfinden können. Eine solche Vorgehensweise liegt indes nicht in der Disposition des Gerichts. Die insoweit von der Bezirksrevision hypothetisch angedachte Möglichkeit einer kostenschonenden Terminierung von Hauptverhandlungen rund um die Verfügbarkeiten des Beschwerdeführers an seiner Meldeadresse in Pforzheim entspricht nicht den realen organisatorischen Gegebenheiten einer durch erheblichen Terminierungsdruck geprägten Strafjustiz.

    Die fehlende Anzeige steht also der Erstattungspflicht hier nicht entgegen.

    Die Anreise aus Österreich ist auch glaubhaft gemacht.

    III.

    Die tenorierten Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ergeben sich dem Grunde nach aus § 464b Satz 2 StPO und der Höhe nach aus §§ 464b Satz 3 StPO, 104 Abs. 1 Satz 2 ZPO, 247, 187 Abs. 1 BGB.

    Der Beschwerdeführer hatte bereits mit der begehrten Kostenfestsetzung beantragt, die festzusetzenden Kosten und Auslagen zu verzinsen. Vorliegend ist das zugrundeliegende Urteil des Amtsgerichts Pforzheim allerdings erst am 30.03.2023 rechtskräftig geworden. Erst ab dem auf diesen Zeitpunkt folgenden Tag war auch eine Verzinsung zuzusprechen. Dies entspricht dem Sinngehalt der Vorschrift, zumindest teilweise einen billigen Ausgleich für den Zinsverlust des Kostenerstattungsberechtigten während des Kostenfestsetzungsverfahrens, auf dessen Dauer der Berechtigte keinen Einfluss hat, zu gewähren. Dieses kann jedoch erst beginnen, sobald die Entscheidung rechtskräftig ist (in diesem Sinne auch LG Frankenthal JurBüro 1984, 723; MüKoStPO/Grommes, 1. Aufl. 2019, StPO § 464b Rn. 12).

    IV.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 StPO.

    RechtsgebieteAuslagen, Gebührenrecht, RahmengebührVorschriften§ 5 Abs. 5 JVEG; § 14 RVG