09.12.2013 · IWW-Abrufnummer 133863
Oberlandesgericht München: Beschluss vom 17.10.2013 – 4 Ws 135/13
Ist die Verwendung gemäß § 100a StPO erlangter, personenbezogener Daten in anderen Strafverfahren unmittelbar zu Beweiszwecken nicht zulässig, so können auch die dadurch verursachten Kosten nicht zum Gegenstand der Verfahrenskosten des allenfalls mittelbar von Erkenntnissen aus der Anordnung nach § 100 a StPO berührten anderen Strafverfahrens wegen einer Nichtkatalogtat gemacht werden.
OLG München
17.10.2013
4 Ws 135/13
Tatbestand
Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer wurde mit seit dem 17.2.2011 rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 9.2.2011 wegen vorsätzlichen Handelns ohne Erlaubnis in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe in Höhe von 80 Tagessätzen zu je 15,00 € verurteilt, der Mitangeklagte I. A. B.i wegen vorsätzlichen Handelns ohne Erlaubnis in zwölf Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe in Höhe von 150 Tagessätzen zu je 10,00 €.
In Ziffer 3 des Urteils wurden die Angeklagten verurteilt, die Kosten des Verfahrens und ihre notwendigen Auslagen zu tragen.
Gegen den Mitangeklagten I. A. B. hatte das Amtsgericht Augsburg am 14.1.2005 nach Antrag der Staatsanwaltschaft Augsburg aufgrund von zunächst gegen H. J. M. seit dem Jahr 2001 geführten Ermittlungen der Bundesgrenzschutzstelle W. a. R. einen Beschluss zur Überwachung und Aufzeichnung des Telekommunikationsverkehrs gemäß § 100a StPO, der am 13.4.2005 für die Dauer von drei Monaten verlängert worden ist, erlassen. Der Anordnung lag als Katalogtat im Sinne des § 100a StPO der Verdacht einer gewerbsmäßigen und bandenmäßigen Schleusung von Ausländern gemäß §§ 92 a Abs. 1, Abs. 2 Ziff. 1 AuslG zu Grunde. Im Zuge der weiteren Ermittlungen hatte sich ein gegen den Beschwerdeführer gerichteter Verdacht auf Beteiligung am gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusen von Ausländern durch Geldgeschäfte als inoffizieller Betreiber des "A.-S." in A. ergeben. Der Tatverdacht bezüglich einer gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusung von Ausländern oder einer entsprechenden Beteiligung konnte jedoch nicht erhärtet werden, sodass die Staatsanwaltschaft Augsburg am 28.9.2007 den Beschwerdef ührer schließlich gemeinsam mit I. A. B. nur wegen vorsätzlichen Handelns ohne Erlaubnis nach dem KWG zur Anklage brachte.
Mit Kostenrechnung vom 28.7.2011 bezifferte die Staatsanwaltschaft Augsburg die gemäß KVNr 9005 nach dem JVEG zu zahlenden und aus der Überwachung der Telekommunikation herrührenden Beträge auf 174085,55 Euro.
Das Landgericht Augsburg hat mit Beschluss vom 2.8.2013 die nach § 66 Abs. 2 Satz 1 GKG zulässige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Augsburg vom 13.9.2012, durch welchen die Erinnerung des Angeklagten vom 8.9.2012 (richtig: 8.9.2011) gegen den Kostenansatz der Staatsanwaltschaft Augsburg vom 28.7.2011 über 174 085,55 Euro hinsichtlich der Position KVNr. 9005 als unbegründet zurückgewiesen worden war, als unbegründet verworfen.
Gegen diesen Beschluss des Landgerichts Augsburg, in dem die weitere Beschwerde ausdrücklich zugelassen worden war, wandte sich der Betroffene durch Schriftsatz seines Verteidigers, Rechtsanwalt A., mit weiterer Beschwerde vom 14.8.2013.
Das Landgericht Augsburg hat der weiteren Beschwerde nicht abgeholfen. Die Generalstaatsanwaltschaft München beantragte mit Schriftsatz vom 7.10.2013, die weitere Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Augsburg als unbegründet kostenpflichtig zu verwerfen.
Gründe
Aus den Gründen
Die weitere Beschwerde des Angeklagten ist gemäß § 66 Abs. 4 Satz 1 GKG zulässig, da das Landgericht die Beschwerde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage in seinem Beschluss vom 2.8.2013 ausdrücklich zugelassen hat.
Gemäß § 66 Abs. 4 Satz 2 GKG hat der Senat die Entscheidung des Landgerichts nur auf Rechtsfehler unter entsprechender Anwendung der revisionsrechtlichen Vorschriften der §§ 546 und 547 ZPO zu prüfen.
Es war daher Aufgabe des Landgerichts als Beschwerdegericht, den als Justizverwaltungsakt zu behandelnden Kostenansatz sowohl unter rechtlichen als auch tatsächlichen Gesichtspunkten ohne Bindung an die Auffassung der Kostenbeamten und der beteiligten Strafverfolgungs- und Ermittlungsbehörden umfassend zu untersuchen (s. OLG Koblenz, Beschluss vom 16.7.2010 - 1 Ws 189/10 zitiert nach [...] Rdn. 17).
Der Beschluss der 3. Strafkammer des Landgerichts Augsburg verletzt das Recht im Sinne von § 66 Abs. 4 Satz 2 GKG, denn er lässt nicht mit der notwendigen Gewissheit erkennen, dass die der Kostenfestsetzung zugrundeliegenden Bestimmungen der §§ 464a, 465 und 466 StPO zutreffend zur Anwendung gebracht worden sind. Das Landgericht hat den Ansatz der durch die Überwachung der Telekommunikation verursachten Kosten nach Grund und Höhe nicht in der von Rechts wegen gebotenen Weise überprüft.
1. Ausgangspunkt der Kostenfestsetzung ist die Kostenentscheidung im Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 9.2.2011, wonach der Angeklagte die Kosten des Verfahrens in vollem Umfang und damit gemäß § 466 Satz 1 StPO als Gesamtschuldner zu tragen hat. Zutreffend führt das Landgericht aus, dass die Kostenentscheidung nicht mit Beschwerde angegriffen worden ist und deshalb für eine Billigkeitsentscheidung auf der Basis von § 465 Abs. 2 StPO kein Raum besteht.
2. Teil der Verfahrenskosten sind gem äß § 464 a Satz 2 StPO auch die durch die Vorbereitung der öffentlichen Klage entstandenen Kosten. Die Ausführungen des Landgerichts belegen weder dem Grund noch der Höhe nach in nachvollziehbarer Weise, dass die Maßnahmen zur Überwachung der Telekommunikation des Mitangeklagten I. A. B. in einem unter § 464 a Satz 2 StPO fallenden Zusammenhang mit der öffentlichen Klage gegen den Beschwerdeführer stehen.
In seinem Beschluss führt das Landgericht lediglich aus, dass der Beschwerdeführer als Bandenmitglied und damit Teilnehmer der Katalogtat nach § 100a StPO, derer der Mitangeklagte verdächtigt worden war, in Betracht gekommen sei. Eine nähere Begründung, warum die mit diesem Tatverdacht in Zusammenhang stehenden Kosten der Überwachung der Telekommunikation Teil des wegen vorsätzlichen Handelns ohne Erlaubnis nach dem KWG geführten Strafverfahrens sind, gibt die Kammer nicht.
Dem Beschluss lässt sich nachvollziehbar nicht entnehmen, dass beiden Tatvorwürfen die gleiche prozessuale Tat zu Grunde liegt. Auch wird nicht im gebotenen Maß transparent dargelegt, dass alle in Ansatz gebrachten Kosten in einem unter § 464 a StPO fallenden Zusammenhang mit dem Strafverfahren des Beschwerdeführers stehen.
Der Senat verkennt nicht, dass Inhalt einer den Anforderungen des § 27KostVfg genügenden Kostenrechnung in der Regel nur die Bezeichnung der Sache und der Geschäftsnummer, der einzelnen Kostenansätze unter Hinweis auf die angewendete Vorschrift, der Gesamtbetrag der Kosten, sowie Name und Anschrift des Kostenschuldners sein muss. Anderes muss jedoch dann gelten, wenn es dem Kostenschuldner wie im konkreten Fall mit diesen Angaben noch nicht einmal ansatzweise möglich ist, die mit seiner Zahlungspflicht verkn üpften Einzelheiten in allen Teilen nachzuprüfen (vgl. Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 10.8.2011 - 2 Ws 324/11 zitiert nach [...] Rdn. 7). Dies gilt umso mehr, wenn es sich bei dem der Zahlungspflicht zugrundeliegenden Summe um einen sehr hohen, sechsstelligen Betrag handelt.
Da der in dritter Instanz mit der Sache befasste Senat gemäß § 66 Abs. 4 Satz 2 GKG nicht mit umfassenden Prüfungskompetenzen ausgestattet ist, hat er nach Feststellung der Rechtsverletzung die Sache zu neuer Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.
Für das weitere Verfahren gibt der Senat folgende Hinweise:
1. Die Höhe und die Zusammensetzung der dem Beschwerdeführer auferlegten Kosten sind zu erläutern. Ein bloßer allgemeiner Verweis auf die Kostenakten reicht angesichts der großen Rechnungssumme und des Umstands, dass die Anordnung der Überwachung der Telekommunikation in keinem direkten Zusammenhang mit der dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Tat steht, nicht aus.
2. Das Landgericht hat (s. dort II. 1. Absatz) zu Unrecht § 66 Abs. 4 Satz 2 GKG angewendet, denn diese Vorschrift gilt nur für das vor dem Oberlandesgericht geführte Verfahren der weiteren Beschwerde. Das Landgericht wird sich daher mit der Kostenrechnung im Ganzen zu befassen und im Detail zu prüfen haben, welche aus den Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen resultierenden Kosten in Vorbereitung der gegen den Beschwerdeführer geführten Klage entstanden sind.
3. Gemäß § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO dürfen aus einer Überwachung der Telekommunikation erlangte Zufallserkenntnisse zu Beweiszwecken in anderen Strafverfahren nur zur Aufklärung solcher Straftaten verwendet werden, zu deren Aufklärung eine solche Maßnahme nach § 100a StPO hätte angeordnet werden dürfen.
Wegen des Verdachts einer Straftat nach dem KWG wäre eine Anordnung gemäß § 100a StPO unzulässig gewesen. Erkenntnisse aus der Überwachung der Telekommunikation des Mitangeklagten I. A. B. durften daher gemäß § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO bei der Beweisführung gegen die beiden Angeklagten nicht verwendet werden (Meyer-Goßner StPO 56. Aufl. § 100a Rdn. 34, § 477 Rdn. 5). Es ist dem Senat jedenfalls bislang nicht möglich zu erkennen, warum angesichts dieser Rechtslage die durch die Überwachung der Telekommunikation verursachten Kosten Teil der von § 464 a StPO erfassten Verfahrenskosten sein sollen. Ist die Verwendung gemäß § 100a StPO erlangter, personenbezogener Daten in anderen Strafverfahren unmittelbar zu Beweiszwecken nicht zulässig, so können auch die dadurch verursachten Kosten nicht zum Gegenstand der Verfahrenskosten des allenfalls mittelbar (s. Meyer-Goßner aaO § 477 Rdn. 15) von Erkenntnissen aus der Anordnung nach § 100a StPO berührten anderen Strafverfahrens wegen einer Nichtkatalogtat gemacht werden.
V.
Die Entscheidung über die Gebührenfreiheit des Verfahrens und die Nichterstattung der Kosten folgt aus § 66 Abs. 8 GKG.