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  • 22.05.2014 · IWW-Abrufnummer 141529

    Amtsgericht Köln: Beschluss vom 20.12.2013 – 53 Ds 44/13

    Wohnt der angeklagte Mandant am Ort des Gerichts und beauftragt er mit seiner Verteidigung einen nicht am Gerichtsort ansässigen Rechtsanwalt, gehört die Aktenversendungspauschale zu den erstattungsfähigen notwendigen Auslagen i.S.d. § 91 Abs. 2 ZPO. Denn ein auswärtiger Verteidiger kann das Recht auf Akteneinsicht vernünftigerweise und sachdienlich nur durch die Übersendung der Akte ausüben.


    Amtsgericht Köln

    Beschl. v. 20.12.2013,

    53 Ds 44/13

    In der Strafsache
    gegen pp.
    Verteidiger: Rechtsanwältin Franziska Lieb,
    Wasserstr. 13, 40213 Düsseldorf
    Rechtsanwältin N. Ertogan, Schildergasse 81, 50667 Köln
    wegen Betruges
    hat das Amtsgericht Köln durch die Vizepräsidentin des Amtsgerichts am 20. Dezember 2013
    beschlossen:
    Tenor:

    Die Erinnerung der Landeskasse vom 4.11.2013 gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Köln vom 29.10.2013 wird zurückgewiesen.

    Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Eine Kostenerstattung findet nicht statt.
    Gründe

    I.

    Im vorliegenden Verfahren bestellte sich die in Düsseldorf ansässige Verteidigerin im Zwischenverfahren mit Schriftsatz vom 10.4.2013 für den in Köln wohnenden Angeschuldigten und beantragte Akteneinsicht mit der Bitte um Übersendung der Akte. Nach einer schriftlichen Stellungnahme der Verteidigerin wurde das Verfahren im Zwischenverfahren durch Beschluss des AG Köln vom 28.05.2013 gemäß § 153 Abs. 2 StPO eingestellt und der Staatskasse sowohl die Kosten als auch die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten auferlegt. Mit Schriftsatz vom 4.6.2013 beantragte die Verteidigerin die Festsetzung der von ihr berechneten Gebühren und Auslagen, u.a. auch die von ihr für die Akteneinsicht verauslagte Aktenversendungspauschale in Höhe von 12,- €. Die Kosten hat die Rechtspflegerin mit Beschluss vom 29.10.2013 antragsgemäß festgesetzt. Die Bezirksrevisorin als Vertreterin der Landeskasse hat gegen den ihr am 4.11.2013 zugestellten Kostenfestsetzungsbeschluss mit Schreiben vom 4.11.2013 "sofortige Beschwerde" eingelegt mit der Begründung, die Berechnung der Aktenversendungspauschale sei nicht gerechtfertigt. Die Rechtspflegerin hat der Erinnerung mit Verfügung vom 13.11.2013 nicht abgeholfen und der Abteilungsrichterin zur Entscheidung vorgelegt.

    II.

    Die nach §§ 464 b Satz 3 StPO, 104 Abs. 1 Satz 1 ZPO, §§ 21 Nr. 1, 11 Abs. 2 Satz 1, § 11 Abs. 2, Satz 3 RPfIG zulässige befristete Erinnerung, die sich gegen die Festsetzung der Aktenversendungspauschale in dem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 29.10.2013 richtet, ist unbegründet. Denn diese Pauschale ist zu Recht festgesetzt worden.

    1. Die gegen die Festsetzung der Aktenversendungspauschale in Höhe von 12,- € eingelegte "sofortige Beschwerde" ist als befristete Erinnerung i.S. des § 11 Abs. 2 Satz 1 RPfIG auszulegen, da nach den allgemeinen verfahrensrechtlichen Vorschriften ein Rechtsmittel mangels Erreichens des Beschwerdewerts von 200,- € nicht gegeben ist, vgl. §§ 11 Abs. 1, 2 RPfIG, 104 Abs. 3 Satz 1, 567 Abs. 2 ZPO. Die auch für die Erinnerung geltende Wochenfrist des Beschwerdeverfahrens ist gewahrt, vgl. §§ 11 Abs. 2 Satz 1 RPfIG, 311 Abs. 2 StPO.

    2. Die Kosten für die Aktenversendungspauschale in Höhe von 12,- € sind im vorliegenden Verfahren als notwendige, und daher im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens erstattungsfähige Kosten anzusehen. Dem Angeschuldigten, gegen den das Verfahren nach § 153 Abs. 2 StPO eingestellt wurde, sind laut Beschluss vom 28.05.2013 gemäß § 467 StPO die notwendigen Auslagen aus der Staatskasse zu erstatten. Zu den notwendigen Auslagen gehören gemäß § 464 a Abs. 2 Nr. 2 StPO die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts, soweit sie nach § 91 Abs. 2 ZPO zu erstatten sind. Bei der Aktenversendungspauschale, die im Rahmen der für ein Strafverfahren zur Verteidigung des Angeklagten erforderlichen Akteneinsicht anfällt, handelt es sich im konkreten Fall um notwendige, nämlich zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung erforderliche und damit vom Mandanten zu erstattende Auslagen i.S. des § 91 Abs. 2 ZPO. Bei der Beurteilung der Frage, ob aufgewendete Prozesskosten i.S.d. § 91 ZPO notwendig waren, kommt es darauf an, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei die Kosten auslösende Maßnahme im Zeitpunkt ihrer Veranlassung als sachdienlich ansehen durfte. Dabei darf die Partei ihr berechtigtes Interesse verfolgen und die zur vollen Wahrnehmung ihrer Belange erforderlichen Schritte ergreifen; sie ist lediglich gehalten, die kostengünstigste Maßnahme auszuwählen (vgl. BGH vom 16.2.2002, VIII ZB 30/02, zitiert nach [...]). In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass der Rechtsanwalt diese Kosten im Rahmen des mit dem Mandanten bestehenden Geschäftsbesorgungsvertrages gemäß §§ 670, 675 BGB erstattet verlangen kann (vgl. auch LG Berlin Beschluss vom 17.5.1997 — 510 Qs 46/97; AG Lahr Urteil vom 13.3.2008, 6 C 33/08, beide zitiert nach [...]). Dies gilt im konkreten Verfahren auch für die Erstattung dieser Kosten durch die Landeskasse. Im konkreten Fall, in dem der angeklagte Mandant am Ort des Gerichts wohnt und mit seiner Verteidigung einen nicht am Gerichtsort ansässigen Rechtsanwalt beauftragt hat, gehört die Aktenversendungspauschale ebenfalls zu den erstattungsfähigen notwendigen Auslagen i.S.d. § 91 Abs. 2 ZPO. Denn ein auswärtiger Verteidiger kann das Recht auf Akteneinsicht vernünftigerweise und sachdienlich nur durch die Übersendung der Akte ausüben; er kann im Rahmen der ihm obliegenden Geschäftsführung angesichts des damit verbundenen Aufwandes nicht verpflichtet werden, die Strafakte auf der Geschäftsstelle einzusehen. Die Möglichkeit, ein Postfach vorzuhalten, besteht ohnehin nur für einen ortsansässigen Verteidiger. Ein Angeklagter ist grundsätzlich auch berechtigt, einen Verteidiger seiner Wahl und seines Vertrauens mit seiner Verteidigung zu beauftragen; er kann daher auch nicht grundsätzlich verpflichtet werden, nur einen Verteidiger am Ort des Gerichts zu beauftragen. Die beantragte Versendung der Akte und damit der Anfall der Aktenversendungspauschale stellt im Rahmen eines solchen Mandates daher eine zweckentsprechende, sachdienliche und damit auch notwendige Maßnahme dar. Angesichts der relativ geringen Kosten in Höhe von 12,- € für die Wahrnehmung des im Strafprozesses unerläßlichen Rechts auf Akteneinsicht und unter Abwägung der Interessen des Mandanten an einer Verteidigung durch einen von ihm frei gewählten Verteidiger und der Berufsausübungsfreiheit des nicht am Gerichtsort ansässigen Verteidigers, in die durch die Versagung der Erstattungsfähigkeit eingegriffen wird, fällt die Abwägung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit zugunsten einer Erstattungsfähigkeit dieser Auslagen aus. Durch die im konkreten Fall im Zwischenverfahren erfolgte Akteneinsicht und entsprechende Stellungnahme des Verteidigers konnte das Verfahren zudem einer frühzeitigen Beendigung zugefügt werden, so dass weitere Kosten gar nicht angefallen sind. Die Belastung des Angeschuldigten mit diesen Kosten, trotz eines fehlenden Strafausspruchs und der Kostenregelung des §§ 467 Abs. 1 ist im konkreten Fall sachlich nicht gerechtfertigt.

    Der Umstand, dass die Aktenübersendung der Arbeitserleichterung des Anwalts dient, schließt das Bestehen eines Anspruchs auf die Aktenversendungspauschale auch nicht aus. Denn Grundlage für die Versendung der Akte bleibt nach wie vor die Wahrnehmung des Akteneinsichtsrechts durch den Verteidiger für den Mandanten; dieses Recht kann bei einem auswärtigen Verteidiger nur auf diese Weise sinnvoll durchgeführt werden. Eine nach § 91 Abs. 2 ZPO möglicherweise "nicht erstattungsfähige Reise" an den Ort des Gerichts ist einem auswärtigen Verteidiger nicht zumutbar. Das Argument der Arbeitserleichterung diente zudem in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 6.3.1996 - 2 BVR 386/96- zur Begründung der Verfassungsmäßigkeit der Berechnung einer Aktenversendungspauschale für die damit verbundene Serviceleistung der Justiz. Dass der Angeschuldigte möglicherweise selbst Mittel besitzt, die verhältnismäßige Auslagenpauschale zu erstatten, wenn er einen auswärtigen Verteidiger beauftragt, ist allerdings kein Grund, die Erstattungsfähigkeit der Auslagenpauschale als notwendige Auslage für die Wahrnehmung des Akteneinsichtsrechts auszuschließen. Wie bereits angeführt, war im konkreten Fall die Akteneinsicht nur durch die Übersendung der Akte sinnvoll möglich und daher als erforderlich anzusehen.

    Der auswärtige Verteidiger kann auch nicht darauf verwiesen werden, dass es sich bei der relativ geringfügigen Aktenversendungspauschale um "Mehrkosten" des nicht am Gerichtsort ansässigen Verteidigers handelt. Es kommt darauf an, ob der Mandant bzw. der Verteidiger den Anfall dieser Kosten für sachdienlich halten durfte; dies ist für die Wahrnehmung des Rechts auf Akteneinsicht durch einen vom Mandanten frei gewählten Verteidiger angesichts der damit verbundenen relativ geringen Kosten zu bejahen. Die Erstattung der Aktenversendungspauschale kann nach Auffassung des Gerichts im konkreten Fall daher auch nicht mit der Begründung verweigert werden, dass er als auswärtiger Verteidiger möglicherweise entsprechende Reisekosten, Tages- und Abwesenheitsgelder, vgl. Nrn. 7003-7006 W-RVG, nicht erstattet verlangen könnte. Die Aktenversendungspauschale dient der Abgeltung des dem Gericht entstehenden Aufwandes und nicht der Vermeidung von Reisekosten des Verteidigers. Ob nicht auch ein am Ort des Gerichts ansässiger Verteidiger berechtigt sein könnte, die Erstattung dieser relativ "geringen" Kosten für die Aktenversendungspauschale zu verlangen statt auf die Möglichkeit verwiesen zu werden, ein Gerichtspostfach zu nutzen und/oder die Akten auf der Geschäftsstelle einzusehen, kann für die vorliegende Entscheidung dahingestellt bleiben, da jedenfalls ein auswärtiger Verteidiger die Akteneinsicht kostengünstig nur auf diese Weise wahrnehmen konnte.

    Soweit die Bezirksrevisorin auf die Entscheidung des LG Mainz JurBüro 2007, 597 Bezug nimmt, ergibt sich daraus für den konkreten Fall auch keine Einschränkung der Erstattungsfähigkeit der Kosten für die Aktenversendungspauschale als notwendige Auslagen. Diese Entscheidung geht grundsätzlich von einer Erstattungsfähigkeit dieser Kosten im Rahmen des Geschäftsbesorgungsvertrages zwischen Mandant und Rechtsanwalt aus, indem es den Prozessbevollmächtigten auf diesen Erstattungsanspruch verweist (LG Mainz Beschluss vom 18.6.2007 — 3 T 52/07 - Rz. 9, zitiert nach [...]). Bei der Entscheidung ging es lediglich um die Frage, wer Auslagenschuldner für die Aktenversendungspauschale ist gegenüber dem Gericht. Gleiches gilt für die von der Vertreterin der Landeskasse angeführte Entscheidung des BVerfG vom 6.3.1996 — 3 BVR 386/96 — Rz. 12, zitiert nach [...]. Der Umstand, dass die Aktenübersendung der Arbeitserleichterung des Verteidigers dient, steht damit der grundsätzlichen Erstattungsfähigkeit der Aktenversendungspauschale als notwendige Kosten nicht entgegen (vgl. auch den Beschluss des OVG Lüneburg vom 1.02.2010 — 13 OA 170/09 -, zitiert nach [...], der ebenfalls von einer Erstattungsfähigkeit der Aktenversendungspauschale als Aufwendungsersatz ausgeht in seiner Entscheidung über die Frage der Umsatzsteuerpflichtigkeit eines solchen Anspruchs).

    Eine Verletzung des allgemeinen Grundsatzes der kostenschonenden Prozessführung ist durch die Gewährung eines Anspruchs auf Erstattung einer Aktenversendungspauschale von 12 € auch nicht ersichtlich.

    Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, § 11 Abs. 4 RPfIG

    RechtsgebieteZPO, StPO; RPflGVorschriften§ 104 Abs. 1 S. 1 ZPO; § 153 Abs. 2 StPO; § 11 Abs. 2 S. 1 RPfIG