02.02.2015 · IWW-Abrufnummer 143780
Oberlandesgericht Frankfurt/Main: Urteil vom 02.12.2014 – 22 U 171/13
1. Rechtsanwaltsgebühren gegenüber der Vollkaskoversicherung: Abgrenzung zum einfachen Fall.
2. Rechtsanwaltsgebühren für Tätigkeit gegenüber der Rechtsschutzversicherung.
3. Verzug des Unfallgegners ist nicht Voraussetzung für die Erstattungsfähigkeit.
4. Die Kosten eines verlorenen Prozesses gegenüber dem Mietwagenunternehmen stellen trotz Unübersichtlichkeit der Rechtsprechung keine vom Unfallgegner zu ersetzende Schadensposition dar.
Anmerkung: Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 19.6.2013 teilweise abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, über den vom Landgericht Darmstadt zugesprochenen Betrag hinaus weitere 891,91 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.6.2012 an den Kläger zu zahlen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Von den Kosten erster Instanz tragen der Kläger 20%, die Beklagte 80%.
Von den Kosten zweiter Instanz tragen der Kläger 56%, die Beklagte 44%.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das angefochtene Urteil wird für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung erklärt.
Der Gegenstandswert für die Berufungsinstanz wird auf 2.027,59 € festgesetzt.
Der Gegenstandswert im Beschluss des Landgerichts für die erste Instanz vom 19.6.2013 bleibt bestehen.
Gründe
I.
Von der Wiedergabe des Sachverhalts wird gemäß §§ 313a, 540 Abs. 2 ZPO abgesehen, da ein Rechtsmittel gegen das Urteil nicht statthaft ist.
II.
Der Kläger verlangt Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 31.1.2011 auf der BAB A 5 in Höhe der Anschlussstelle …
Das Landgericht hat im angefochtenen Urteil der Klage überwiegend stattgegeben, sie allerdings hinsichtlich verschiedener Rechtsanwalts- und Gerichtskosten teilweise abgewiesen.
Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des Klägers, mit der er eine weitergehende Verurteilung der Beklagten verlangt.
1. Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten gegenüber der eingeschalteten Vollkaskoversicherung.
Das Landgericht hat die grundsätzliche Berechtigung der Geltendmachung von Rechtsanwaltskosten gegenüber der Vollkaskoversicherung als Schadensposition bejaht, die Gebühren allerdings aus einem Streitwert von lediglich 8.225,- € berechnet.
Dies ist unrichtig, weil der Klägervertreter diesen Betrag lediglich dadurch errechnet hat, als er die Vorschusszahlung der Beklagten zunächst auf die nicht quotenbevorrechtigten Positionen verrechnet und lediglich den Rest von 8.225,- € als für die Kaskoversicherung berücksichtigungsfähig angegeben hat. Es handelt sich also nicht um den gegenüber der Kaskoversicherung geltend gemachten Betrag, aus dem sich die Rechtsanwaltsgebühren errechnen. Dieser Betrag beläuft sich vielmehr auf mindestens 21.078,98 €, wie sich aus dem Schreiben vom 21.3.2011 ergibt, und der der Berechnung des Klägers zugrunde liegt.
Der Senat hat auch keine Bedenken, die Kosten als erforderlich iSd § 249 BGB anzuerkennen.
Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist bei der Beurteilung der Frage, ob und in welchem Umfang der dem Geschädigten zustehende Schadensersatzanspruch auch die Erstattung von Rechtsanwaltskosten umfasst, zwischen dem Innenverhältnis des Geschädigten zu dem für ihn tätigen Rechtsanwalt und dem Außenverhältnis des Geschädigten zum Schädiger zu unterscheiden. Voraussetzung für einen Erstattungsanspruch ist grundsätzlich, dass der Geschädigte im Innenverhältnis zur Zahlung der in Rechnung gestellten Kosten verpflichtet ist und die konkrete anwaltliche Tätigkeit im Außenverhältnis aus der maßgeblichen Sicht des Geschädigten mit Rücksicht auf seine spezielle Situation zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig war (vgl. Senatsurteile vom 8. November 1994 - VI ZR 3/94, BGHZ 127, 348, 350 ff.; vom 13. Dezember 2011 - VI ZR 274/10, VersR 2012, 331; vom 12. Juli 2011 - VI ZR 214/10, NJW 2011, 3657 Rn. 17; vom 11. Januar 2011 - VI ZR 64/10, NJW 2011, 784 Rn. 10; vom 10. Januar 2006 - VI ZR 43/05, VersR 2006, 521 Rn. 5; vom 18. Januar 2005 - VI ZR 73/04, VersR 2005, 558 Rn. 7, jeweils mwN; vom 8.5.12 VI ZR 196/11).
Der Bundesgerichtshof (8.5.12 – VI ZR 196/11 –) verneint zwar eine Erstattungsfähigkeit, wenn es sich um eine einfache Angelegenheit handelt und der Geschädigte selbst auf unkomplizierte Weise seinen versicherungsrechtlichen Anspruch geltend machen kann:
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts handelte es sich vorliegend um einen einfach gelagerten Fall, in dem der Kläger die ihm entstandenen Schäden zunächst selbst gegenüber dem beklagten Haftpflichtversicherer, der Beklagten zu 3, geltend gemacht hatte. Erst nachdem dieser seinem Leistungsverlangen nicht entsprochen hatte, schaltete er einen Rechtsanwalt ein. Es ist weder ersichtlich noch dargetan, warum der Kläger die ihm wegen der Beschädigung seines Fahrzeugs gegen seinen eigenen Kaskoversicherer zustehenden Ansprüche nicht auch ohne anwaltliche Hilfe bei diesem anmelden und ihn zur Zahlung auffordern konnte. Es bestanden keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kaskoversicherer seine Leistungspflicht aus dem mit dem Kläger abgeschlossenen Versicherungsvertrag in Abrede stellen würde. Der Umstand, dass der Beklagte Haftpflichtversicherer mit der Erfüllung der ihm kraft Gesetzes obliegenden Leistungspflicht aus § 115 VVG in Verzug geraten war, ließ keine Rückschlüsse auf das Regulierungsverhalten des mit dem Kläger vertraglich verbundenen Kaskoversicherers zu. Es ist auch nicht erkennbar, weshalb es dem Kläger aufgrund der Leistungsverweigerung des Haftpflichtversicherers unzumutbar gewesen sein soll, den Schadensfall seinem eigenen Kaskoversicherer zu melden und ihn zur Zahlung aufzufordern, ohne hierfür einen Anwalt hinzuzuziehen. Die Leistungsverweigerung durch den gegnerischen Haftpflichtversicherer hatte keine Auswirkungen auf die vertraglichen Beziehungen des Klägers zu seinem Versicherer; sie vermag auch nicht die Erstattungsfähigkeit von Rechtsverfolgungskosten zu begründen, die aus der Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte nicht erforderlich waren (vgl. Senatsurteil vom 13. Dezember 2011 - VI ZR 274/10, aaO Rn. 20 mwN).
Vorliegend war der Fall durchaus nicht schwierig gelagert. Dennoch hält der Senat die Einschaltung eines Rechtsanwalts bereits deshalb für notwendig, als es um die Verrechnung des Vorschusses der Beklagten zu 2) ging. In diesem Fall war eine anwaltliche Beratung schon deshalb erforderlich, weil der Haftungsumfang der Kaskoversicherung beschränkt ist und deshalb zu prüfen war, auf welche Positionen der Vorschuss zu verrechnen war. Dies erfordert eine eingehende rechtliche Prüfung und Kenntnis, zumal vorliegend ein Mitverursachungsanteil des Klägers im Raum stand und eingewandt wurde, was die Abrechnung mit der Kaskoversicherung im Hinblick auf das Quotenvorrecht des Versicherungsnehmers verkomplizieren konnte.
2. Rechtsanwaltskosten gegenüber der Rechtsschutzversicherung
Das Landgericht hat die in Höhe von 359,50 € geltend gemachten Kosten für die Einholung einer Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung abgewiesen, weil es sich dabei in der Regel nicht um eine besondere Angelegenheit iSd § 19 RVG handele.
Die hiergegen gerichtete Berufung ist unbegründet.
Ob die Kosten für die Einholung einer Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung vom Schädiger verlangt werden können, ist streitig (offen gelassen von BGH 9.3.11 – VIII ZR 132/10 –).
Ein Teil der Rechtsprechung sieht darin schon keine gesonderte Angelegenheit (OLG München 4.12.90 – 13 U 3085/90 –; LG Schweinfurt 20.3.09 – 23 O 313/08 –; LG Konstanz 2.2.10 – 6 S 236/09 –; LG Nürnberg-Fürth 9.9.10 – 8 O 1617/10; nicht, wenn sich die Tätigkeit in der Übersendung des Klageentwurfs erschöpft: BGH 13.12.11 – VI ZR 274/10 –.
Nach anderer Meinung ist ein Ersatz nicht vom Schutzzweck erfasst (OLG Celle 12.1.11 – 14 U 78/10 –; LG Erfurt 27.11.09 – 9 O 1029/09; LG Hagen 11.8.10 – 2 O 170/10 –; LG Koblenz 2.2.10 – 6 S 236/09 – VersR 10, 1331; KG 19.4.04 – 12 U 325/02 –)
Die überwiegende Meinung in der Rechtsprechung lässt die Geltendmachung als Verzugsschaden grundsätzlich zu (BGH 13.12.2011 – VI ZR 274/10 –; LG Duisburg 3.5.10 – 2 O 229/09 –; LG München 6.5.08 – 30 O 16917/07 –; LG Frankenthal 30.7.10 – 3 O 313/09 –; LG Göttingen 26.1.10 – 6 O 12709 –; LG Hamburg 16.2.10 – 319 O 75/09; Zusammenfassung der streitigen Rechtsprechung: Jahnke JurisPR-VerkR 4/2012 Anm. 1; Nugel VRR 11, 133; Hansens ZfS10, 525; ablehnend Tomson VersR 10, 1428).
Der Senat folgt der überwiegenden Meinung, lehnt eine Erstattungsfähigkeit allerdings mangels Erforderlichkeit ab. Unter dem Gesichtspunkt des Verzugsschadens sind Rechtsverfolgungskosten – dazu gehören auch etwa entstehende Kosten für die Einholung einer Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung – nur dann zu erstatten, wenn die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe zur Wahrung und Durchsetzung der Rechte unter den Umständen des Falles erforderlich und zweckmäßig ist (BGH 9.3.11 – VIII ZR 132/10 –).
Dies ist vorliegend nicht dargelegt. Probleme konnte der Fall lediglich im Rahmen des Mietwagenrechtsstreits vor dem AG Bensheim machen. Dafür ist allerdings die Beklagte nicht verantwortlich.
3. Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten des Klägervertreters im vorliegenden Verfahren
Das Landgericht hat solche lediglich in Höhe von 661,16 € zugesprochen, weil es davon ausgegangen ist, dass lediglich das dem Verzug nachfolgende Schreiben vom 18.4.2011 maßgeblich sei.
Der Anfall und die Zahlung der vorgerichtlichen Kosten durch den Kläger selbst sind in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat unstreitig geworden.
Er hat deshalb Anspruch auf Erstattung in voller Höhe, soweit nicht im Kostenfestsetzungsverfahren eine Anrechnung erfolgt.
Das Landgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass Rechtsanwaltskosten lediglich im Fall des Verzugs erstattungsfähig sind.
Auch bei einfachen Verkehrsunfallsachen ist die Einschaltung eines Rechtsanwalts von vornherein als erforderlich anzusehen. Gerade die immer unüberschaubarere Entwicklung der Schadenspositionen und der Rechtsprechung zu den Mietwagenkosten, Stundenverrechnungssätzen u.ä. lässt es geradezu als fahrlässig erscheinen, einen Schaden ohne Einschaltung eines Rechtsanwalts abzuwickeln. Das gilt nur dann nicht, wenn es sich bei dem Geschädigten um ein weltweit agieren-des Mietwagenunternehmen (AG Frankfurt am Main 13.2.2007 – 31 C 2956/06 – NZV 07, 426) oder Leasingunternehmen eines großen Autoherstellers handelt (AG Darmstadt 4.7.07 – 300 C 159/07 –). Auch die Einschaltung zu einem außergerichtlichen Güteversuch ist möglich, wenn dieser nicht von vornherein aussichtslos ist (OLG Hamm 19.6.08 – 6 U 48/08 – OLG R 08, 627; allgemein zur Erstattungsfähigkeit bei geschäftsgewandten Geschädigten: Böhm/Lennartz MDR 13, 313).
Die Anspruchsgrundlage folgt insoweit aus den §§ 7, 18 StVG, 115 VVG.
Auch die Höhe ist nicht zu beanstanden. Die Geschäftsgebühr von 1,3 für einen durchschnittlichen Verkehrsunfall ist nicht unbillig (BGH 31.10.2006 – VI ZR 261/05 – NZV 07, 181; OLG Brandenburg 4.11.10 – 12 U 87/10 –: nicht jeder Personenschaden macht die Sache überdurchschnittlich). Die Frage, ob eine umfangreiche oder schwierige Angelegenheit vorliegt, die eine Geschäftsgebühr von 1,5 rechtfertigt, ist trotz des Toleranzrahmens von 20% vollständig gerichtlich überprüfbar (BGH 5.2.13 – VI ZR 195/12 – in Abkehr von BGH 8.5.12 – VI ZR 273/11 –; dazu Heinrich DAR 13, 113). Dies ist vorliegend allerdings zwischen den Parteien nicht streitig und wird vom Senat angesichts der Gesamtumstände bejaht.
4. Erstattungsfähigkeit von außergerichtlichen und gerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zwischen dem Kläger und der Streithelferin vor dem Amtsgericht Bensheim.
Das Landgericht hat die insoweit geltend gemachten Kosten weitgehend abgewiesen. Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichts, wonach die Kosten für einen verlorenen Prozess schon deshalb nicht zu erstatten sind, weil deren Veranlassung nicht auf den Verkehrsunfall, sondern auf die eigene Entscheidung des Klägers zurückzuführen ist, die Forderung des Mietwagenunternehmens – im Ergebnis weitgehend erfolglos – zu verneinen. Dem steht nicht entgegen, dass es für den Kläger angesichts der unübersichtlichen Rechtsprechung der Instanzgerichte zu der Erstattungsfähigkeit von Mietwagenkosten auch im Hinblick auf die Forderung des Mietwagenunternehmens nur schwer einzuschätzen war, in welchem Umfang die Klage Erfolg haben würde.
Das Landgericht hat die Kosten – ohne nähere Begründung – insoweit teilweise für erstattungsfähig gehalten, als der Kläger obsiegt hat. Unter welchem rechtlichen Gesichtspunkt dies zutreffend ist, muss der Senat nicht klären, da die Beklagte die Entscheidung nicht angegriffen hat.
5. Ergebnis
Der Kläger hat mithin Anspruch auf Zahlung weiterer 304,76 € und 587,15 €, wie sich aus der Berechnung in der Berufungsbegründung ergibt.
Die Nebenforderungen folgen aus §§ 286, 288 BGB.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO. Hinsichtlich der Kosten zweiter Instanz folgt dies aus dem Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens im Hinblick auf einen Kostenstreitwert von 2.027,59 €. Für die erste Instanz ist der Senat von einem Kostenstreitwert von 11.268,46 € ausgegangen, der sich aus dem vom Landgericht festgesetzten Streitwert von 10.020, 18 € (5.220,32 € Schadensersatz + 2.226,95 € Feststellungsantrag + 1.023,16 € Kosten gegenüber der Vollkaskoversicherung + 359,50 € Kosten gegenüber der Rechtsschutzversicherung + 402,82 € vorgerichtliche Kosten der Streithelferin im Verfahren des AG Bensheim + 567,40 € Kosten des Klägers im Verfahren des AG Bensheim) sowie der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten im vorliegenden Verfahren ergibt. Der Kläger hat – auch unter Berücksichtigung des übereinstimmend für erledigt erklärten Betrags – in Höhe von insgesamt 8.918,49 € obsiegt, so dass sich aus dem Verhältnis der beiden Beträge die Kostenquote ergibt.
Der Gegenstandswert für die Berufungsinstanz folgt aus der Klageforderung, da vorliegend die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten als eigenständiger Betrag und nicht abhängig von einer Hauptforderung Streitgegenstand sind.
Im Übrigen beruhen die Nebenentscheidungen auf den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Anhaltspunkte für die Zulassung der Berufung liegen nicht vor (§ 543 ZPO).