29.06.2016 · IWW-Abrufnummer 186925
Landgericht Ingolstadt: Beschluss vom 08.04.2016 – 1 Ks 11 Js 13880/13
Hat sich die Rückkehr des gerichtlichen Sachverständigen aus einer Mittagpause verzögert, ist die dadurch entstandene Wartezeit bei der Berechnung der für den Längenzuschlag maßgeblichen Hauptverhandlungsdauer ausnahmsweise zu berücksichtigen.
Landgericht Ingolstadt
Beschl. v. 08.04.2016
Az.: 1 Ks 11 Js 13880/13
In dem Strafverfahren gegen
wegen Versuch des Totschlags u.a. Nebenkläger:
Nebenklägervertreter: Rechtsanwalt
erlässt das Landgericht Ingolstadt - 1. Strafkammer - durch den Richter am Landgericht pp. am 08.04.2016 folgenden
Beschluss
Tenor:
1. Auf die Erinnerung vom 21.01.2016 wird der Festsetzungsbeschluss des Landgerichts Ingolstadt vom 11.01.2016 dahingehend abgeändert, dass die dem Nebenklägervertreter aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen auf 3.940,65 € festgesetzt werden.
2. Das Verfahren ist gebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Mit Festsetzungsbeschluss des Landgerichts Ingolstadt vom 11.01.2016 wurden die dem Nebenklägervertreter aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen auf 3.728,65 € festgesetzt. Bei der Festsetzung brachte der Rechtspfleger den Längenzuschlag gern Nr. 4122 VV RVG für den Hauptverhandlungstermin am 27.10.2015 in Abzug. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Verhandlung abzüglich einer Mittagspause von 1 h 25 min insgesamt nur 4 h 50 min gedauert habe.
Hiergegen richtet sich die Erinnerung des Nebenklägervertreters vom 21.01.2016, eingegangen am gleichen Tag. Die Erinnerung wurde u. a. damit begründet, dass sich die geplante Fortsetzung der Hauptverhandlung durch eine Verspätung der geladenen Gutachter beim Mittagessen verzögert habe. Bis zu deren Ankunft im Sitzungssaal habe zugewartet werden müssen, da eine Fortsetzung der Verhandlung ohne Gutachter nicht möglich gewesen sei. Ohnehin seien nach mittlerweile mehrheitlicher Rechtsprechung und Meinung in der Literatur die Pausenzeiten nicht mehr von der Verhandlungsdauer abzuziehen.
Der zuständige Rechtspfleger half der Erinnerung mit der Begründung nicht ab, dass die Mittagspause nicht in die Dauer der Hauptverhandlung einzurechnen sei, und legte die Sache gern. § 56 Abs. 1 Satz 1 RVG dem Gericht zur Entscheidung vor.
Dem Bezirksrevisior wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gewährt. Unter Bezugnahme auf die vom Rechtspfleger angeführten Gründe beantragte er, die Erinnerung zurückzuweisen.
Das Vorbringen zur Begründung der Erinnerung wurde mit weiteren Schriftsätzen vom 11.03.2016 und 05.04.2016 ergänzt und dahingehend präzisiert, dass die Hauptverhandlung um 11:50 Uhr zur Mittagspause unterbrochen worden sei. Um 13:00 Uhr habe die Sitzung mit Einvernahme des rechtsmedizinischen Sachverständigen fortgesetzt werden sollen. Dieser habe sich allerdings noch beim Mittagessen befunden und sei erst verspätet eingetroffen, da das "Cordon Bleu" verbrannt gewesen sei. Aufgrund dieser Verspätung des Sachverständigen habe die Sitzung erst um 13:15 Uhr fortgesetzt werden können. Vorstehender Sachverhalt wurde vom Nebenklägervertreter an Eides Statt versichert.
II.
Die gem. § 56 Abs. 1 RVG zulässige Erinnerung hat in der Sache Erfolg.
Der Längenzuschlag nach Nr. 4122 W RVG ist vorliegend nicht schon deshalb gerechtfertigt, weil die Mittagspause in die Dauer der Hauptverhandlung einzurechnen wäre. Der Längenzuschlag ist nach dem Wortlaut von Nr. 4122 VV RVG dann zu gewähren, wenn der Rechtsanwalt mehr als fünf und bis zu acht Stunden an der Hauptverhandlung teilgenommen hat. Da die Hauptverhandlung für die Dauer der Mittagspause unterbrochen wird und da in der Mittagspause mithin eine Hauptverhandlung nicht stattfindet, ist die Mittagspause nach zutreffender Auffassung in den Längenzuschlag nicht einzurechnen (str., wie hier: OLG Koblenz, Beschluss vom 06.02.2006 - 2 Ws 70/06; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 22.11.2007 - 1 Ws 221/07; OLG München, Beschluss vom 23.10.2008 - 4 Ws 150/08; OLG Braunschweig, Beschluss vom 28.04.2014 - 1 Ws 132/14; zum Meinungsstand OLG Celle, Beschluss vom 10.07.2007 - 2 Ws 124/07).
Der Längenzuschlag ist allerdings wegen der unvorhergesehenen Verspätung der Sachverständigen beim Mittagessen begründet. Da die Hauptverhandlung nach dem glaubhaft gemachten Sachverhalt nicht wie geplant um 13:00 Uhr fortgesetzt werden konnte, weil sich die Gerichtssachverständigen beim Mittagessen verspätet hatten, und da hierdurch für den rechtzeitig um 13:00 Uhr erschienenen Nebenklägervertreter eine zusätzliche Wartezeit von 15 Minuten entstanden ist, ist diese ausnahmsweise in die Dauer der Hauptverhandlung einzurechnen. Denn während dieser Wartezeit, die jederzeit mit Erscheinen der Sachverständigen aus der Mittagspause hatte enden können, hat sich der Nebenklägervertreter für die Fortsetzung der Hauptverhandlung dem Gericht zur Verfügung gehalten.
Eine derartige Wartezeit ist ebenso wie eine unvorhergesehene Wartezeit bei Sitzungsbeginn (vgl. hierzu KG, Beschluss vom 25.05.2007 - 1 Ws 36/07 m. w. N.; OLG Stuttgart, Beschluss vom 08.08.2005 - 4 Ws 118/05; OLG Braunschweig, Beschluss vom 28.04.2014 - 1 Ws 132/14) oder kleinere Unterbrechungen während der Hauptverhandlung (vgl. hierzu OLG Saarbrücken, Beschluss vom 20.11.2007 - 1 Ws 221/07; OLG München, Beschluss vom 23.10.2008 - 4 Ws 150/08; KG, Beschluss vom 04.08.2009 - 2 StE 2/08-2; OLG Frankfurt, Beschluss vom 19.06.2012 - 2 Ws 83/12; OLG Braunschweig, Beschluss vom 28.04.2014 - 1 Ws 132/14) ausnahmsweise der Dauer der Hauptverhandlung hinzuzurechnen, weil sich der Anwalt während der Dauer derartiger Wartezeiten oder Unterbrechungen in allen Fällen gleichsam dem Gericht zur Verfügung hält.
Da sich die Mittagspause somit um 15 Minuten verkürzt und da die entsprechende Wartezeit der Dauer der Hauptverhandlung zuzurechnen ist, hat die Hauptverhandlung insgesamt 5 h 5 min gedauert, sodass der Längenzuschlag zu gewähren ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 Satz 2, 3 RVG.
Beschl. v. 08.04.2016
Az.: 1 Ks 11 Js 13880/13
In dem Strafverfahren gegen
wegen Versuch des Totschlags u.a. Nebenkläger:
Nebenklägervertreter: Rechtsanwalt
erlässt das Landgericht Ingolstadt - 1. Strafkammer - durch den Richter am Landgericht pp. am 08.04.2016 folgenden
Beschluss
Tenor:
1. Auf die Erinnerung vom 21.01.2016 wird der Festsetzungsbeschluss des Landgerichts Ingolstadt vom 11.01.2016 dahingehend abgeändert, dass die dem Nebenklägervertreter aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen auf 3.940,65 € festgesetzt werden.
2. Das Verfahren ist gebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Mit Festsetzungsbeschluss des Landgerichts Ingolstadt vom 11.01.2016 wurden die dem Nebenklägervertreter aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen auf 3.728,65 € festgesetzt. Bei der Festsetzung brachte der Rechtspfleger den Längenzuschlag gern Nr. 4122 VV RVG für den Hauptverhandlungstermin am 27.10.2015 in Abzug. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Verhandlung abzüglich einer Mittagspause von 1 h 25 min insgesamt nur 4 h 50 min gedauert habe.
Hiergegen richtet sich die Erinnerung des Nebenklägervertreters vom 21.01.2016, eingegangen am gleichen Tag. Die Erinnerung wurde u. a. damit begründet, dass sich die geplante Fortsetzung der Hauptverhandlung durch eine Verspätung der geladenen Gutachter beim Mittagessen verzögert habe. Bis zu deren Ankunft im Sitzungssaal habe zugewartet werden müssen, da eine Fortsetzung der Verhandlung ohne Gutachter nicht möglich gewesen sei. Ohnehin seien nach mittlerweile mehrheitlicher Rechtsprechung und Meinung in der Literatur die Pausenzeiten nicht mehr von der Verhandlungsdauer abzuziehen.
Der zuständige Rechtspfleger half der Erinnerung mit der Begründung nicht ab, dass die Mittagspause nicht in die Dauer der Hauptverhandlung einzurechnen sei, und legte die Sache gern. § 56 Abs. 1 Satz 1 RVG dem Gericht zur Entscheidung vor.
Dem Bezirksrevisior wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gewährt. Unter Bezugnahme auf die vom Rechtspfleger angeführten Gründe beantragte er, die Erinnerung zurückzuweisen.
Das Vorbringen zur Begründung der Erinnerung wurde mit weiteren Schriftsätzen vom 11.03.2016 und 05.04.2016 ergänzt und dahingehend präzisiert, dass die Hauptverhandlung um 11:50 Uhr zur Mittagspause unterbrochen worden sei. Um 13:00 Uhr habe die Sitzung mit Einvernahme des rechtsmedizinischen Sachverständigen fortgesetzt werden sollen. Dieser habe sich allerdings noch beim Mittagessen befunden und sei erst verspätet eingetroffen, da das "Cordon Bleu" verbrannt gewesen sei. Aufgrund dieser Verspätung des Sachverständigen habe die Sitzung erst um 13:15 Uhr fortgesetzt werden können. Vorstehender Sachverhalt wurde vom Nebenklägervertreter an Eides Statt versichert.
II.
Die gem. § 56 Abs. 1 RVG zulässige Erinnerung hat in der Sache Erfolg.
Der Längenzuschlag nach Nr. 4122 W RVG ist vorliegend nicht schon deshalb gerechtfertigt, weil die Mittagspause in die Dauer der Hauptverhandlung einzurechnen wäre. Der Längenzuschlag ist nach dem Wortlaut von Nr. 4122 VV RVG dann zu gewähren, wenn der Rechtsanwalt mehr als fünf und bis zu acht Stunden an der Hauptverhandlung teilgenommen hat. Da die Hauptverhandlung für die Dauer der Mittagspause unterbrochen wird und da in der Mittagspause mithin eine Hauptverhandlung nicht stattfindet, ist die Mittagspause nach zutreffender Auffassung in den Längenzuschlag nicht einzurechnen (str., wie hier: OLG Koblenz, Beschluss vom 06.02.2006 - 2 Ws 70/06; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 22.11.2007 - 1 Ws 221/07; OLG München, Beschluss vom 23.10.2008 - 4 Ws 150/08; OLG Braunschweig, Beschluss vom 28.04.2014 - 1 Ws 132/14; zum Meinungsstand OLG Celle, Beschluss vom 10.07.2007 - 2 Ws 124/07).
Der Längenzuschlag ist allerdings wegen der unvorhergesehenen Verspätung der Sachverständigen beim Mittagessen begründet. Da die Hauptverhandlung nach dem glaubhaft gemachten Sachverhalt nicht wie geplant um 13:00 Uhr fortgesetzt werden konnte, weil sich die Gerichtssachverständigen beim Mittagessen verspätet hatten, und da hierdurch für den rechtzeitig um 13:00 Uhr erschienenen Nebenklägervertreter eine zusätzliche Wartezeit von 15 Minuten entstanden ist, ist diese ausnahmsweise in die Dauer der Hauptverhandlung einzurechnen. Denn während dieser Wartezeit, die jederzeit mit Erscheinen der Sachverständigen aus der Mittagspause hatte enden können, hat sich der Nebenklägervertreter für die Fortsetzung der Hauptverhandlung dem Gericht zur Verfügung gehalten.
Eine derartige Wartezeit ist ebenso wie eine unvorhergesehene Wartezeit bei Sitzungsbeginn (vgl. hierzu KG, Beschluss vom 25.05.2007 - 1 Ws 36/07 m. w. N.; OLG Stuttgart, Beschluss vom 08.08.2005 - 4 Ws 118/05; OLG Braunschweig, Beschluss vom 28.04.2014 - 1 Ws 132/14) oder kleinere Unterbrechungen während der Hauptverhandlung (vgl. hierzu OLG Saarbrücken, Beschluss vom 20.11.2007 - 1 Ws 221/07; OLG München, Beschluss vom 23.10.2008 - 4 Ws 150/08; KG, Beschluss vom 04.08.2009 - 2 StE 2/08-2; OLG Frankfurt, Beschluss vom 19.06.2012 - 2 Ws 83/12; OLG Braunschweig, Beschluss vom 28.04.2014 - 1 Ws 132/14) ausnahmsweise der Dauer der Hauptverhandlung hinzuzurechnen, weil sich der Anwalt während der Dauer derartiger Wartezeiten oder Unterbrechungen in allen Fällen gleichsam dem Gericht zur Verfügung hält.
Da sich die Mittagspause somit um 15 Minuten verkürzt und da die entsprechende Wartezeit der Dauer der Hauptverhandlung zuzurechnen ist, hat die Hauptverhandlung insgesamt 5 h 5 min gedauert, sodass der Längenzuschlag zu gewähren ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 Satz 2, 3 RVG.
RechtsgebietLängenzuschlagVorschriftenNr. 4110 VV RVG