19.09.2016 · IWW-Abrufnummer 188760
Oberlandesgericht Celle: Urteil vom 11.05.2016 – 7 U 168/15
1. Gegenüber einer im Kostenfestsetzungsbeschluss titulierten Forderung ist grundsätzlich eine Aufrechnung unzulässig.
Das gilt aber nicht, soweit es sich um rechtskräftig festgesetzte andere Kostenerstattungsansprüche oder unstreitige Gegenforderungen handelt. Denn im Kostenfestsetzungsverfahren ist die Berücksichtigung der Aufrechnung nicht möglich; der Rechtspfleger ist nicht befugt, mit der Folge des § 322 Abs. 2 ZPO über eine streitige Gegenforderung zu entscheiden.
2. Die Präklusionswirkung des § 767 Abs. 2 ZPO hindert nicht die Aufrechnung gegenüber der Forderung aus einem Kostenfestsetzungsbeschluss nach § 104 ZPO mit einem Anspruch, der vor Erlass des Beschlusses bereits bestanden hat.
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Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Hildesheim vom 28.10.2015 - 10 O 83/15 - abgeändert und insgesamt neu gefasst wie folgt:
2. Die Zwangsvollstreckung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Hildesheim vom 25. März 2015 - 10 O 74/14 - wird für unzulässig erklärt.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die ihr erteilte vollstreckbare Ausfertigung des Titels gem. Ziff. 1 herauszugeben.
Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Parteien streiten im Rahmen einer Vollstreckungsgegenklage um die Zulässigkeit einer Zwangsvollstreckung aus einem Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Hildesheim. Das Landgericht hat im angefochtenen Urteil die Zwangsvollstreckung teilweise für unzulässig erklärt, soweit die Beklagte - als Gläubigerin des Kostenfestsetzungsbeschlusses - einen erstrangigen Betrag von 1.342,50 € begehrt. Die Kammer hat dabei angenommen, dem Kläger stehe eine Forderung in Höhe von 1.342,50 € zu, mit der er die Aufrechnung gegenüber der titulierten Forderung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss erklären könne. Insoweit sei die Forderung der Beklagten aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss erloschen und deshalb die Zwangsvollstreckung unzulässig. Soweit der Kläger darüber hinaus weitere Beträge der Forderung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss entgegensetze, sei der Vortrag gem. §§ 296 Abs. 2, 282 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen. Im Rahmen der Forderungsberechnung hat die Kammer zudem zugunsten der Beklagten einen Sicherheitseinbehalt in Höhe von 4.050,00 € berücksichtigt, weil der Kläger eine Gewährleistungsbürgschaft nicht übergeben habe.
Von der Bezugnahme auf die weiteren Feststellungen im angefochtenen Urteil und die Darstellung etwaiger Änderungen und Ergänzungen wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO i. V. m. § 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.
Beide Parteien wenden sich mit je eigenständiger Berufung gegen das Urteil des Landgerichts.
II.
Nur die Berufung des Klägers hat Erfolg.
1. Die Berufung des Klägers ist insgesamt begründet:
Schon nach dem unstreitigen Sachverhalt im Rahmen des Berufungsverfahrens ist zugunsten des Klägers ein weiterer Betrag in Höhe von 4.050,00 € anzusetzen, der der Forderung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss entgegengehalten werden kann bzw. von der Restwerklohnforderung nicht abzuziehen ist (entgegen LGU 4). Der zugrundeliegende Vortrag in der ersten Instanz war nicht verspätet.
a) Gegenüber einer in einem Kostenfestsetzungsbeschluss titulierten Forderung ist zwar grundsätzlich eine Aufrechnung unzulässig, das gilt aber nicht, soweit es sich um rechtskräftig festgesetzte andere Kostenerstattungsansprüche oder - wie hier - unstreitige Gegenforderungen handelt (vgl. nur Zöller/Herget, ZPO, 31. Aufl., § 104 Rdnr. 21 "Aufrechnung" mwN). Auch nach Ansicht der Rechtsprechung soll die Präklusionswirkung des § 767 Abs. 2 ZPO nicht die Aufrechnung gegen die Forderung aus einem Kostenfestsetzungsbeschluss nach § 104 ZPO mit einem Anspruch, der vor Erlass des Beschlusses bereits bestanden hat, hindern. Denn im Kostenfestsetzungsverfahren war die Berücksichtigung der Aufrechnung nicht möglich; der Rechtspfleger ist nicht befugt, mit der Folge des § 322 Abs. 2 ZPO über eine streitige Gegenforderung zu entscheiden (vgl. Staudinger/Gursky [2016], BGB, § 104 Rdnr. 60 mwN). Das Gleiche gilt für die Rückfestsetzung von Kosten gemäß § 91 Abs. 4 ZPO (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 10.04.2007 - 6 W 227/06, MDR 2007, 920).
In beiden Fällen (Kostenfestsetzung bzw. Rückfestsetzung) muss der Aufrechnungseinwand dagegen berücksichtigt werden, wenn die Aufrechnungslage unstreitig besteht (OLG Frankfurt aaO., juris-Rdnr. 6 mwN).
Entsprechend hat der Bundesgerichtshof entschieden (BGH, Urt. v. 05.01.1995 - IX ZR 241/93, MDR 1995, 809, juris-Rdnr. 7 mwN), dass § 767 Abs. 2 ZPO grundsätzlich nicht hindert, im Wege der Vollstreckungsabwehrklage mit Forderungen aufzurechnen, die schon vor Erlass des Festsetzungsbeschlusses bestanden haben. Hier gelten die gleichen Gründe wie für die Aufrechnung mit Ansprüchen gegen Forderungen aus einem Kostenfestsetzungsbeschluss nach § 104 ZPO. Insoweit ist anerkannt, dass § 767 Abs. 2 ZPO sich schon aus prozessrechtlichen Erwägungen grundsätzlich nicht sinngemäß anwenden lässt. Das Kostenfestsetzungsverfahren ist dem Rechtspfleger übertragen (§ 21 Nr. 1 RPflG), und dieser ist nicht befugt, über eine nach Bestand und Höhe streitige Gegenforderung zu entscheiden.
Dass der Kostenschuldner gegen den Erstattungsanspruch nach Erlass der Kostenentscheidung auch dann noch aufrechnen kann, wenn er die Aufrechnung vor der Schlussverhandlung im Rechtsstreit hätte erklären können, steht ebenfalls fest (dazu grundsätzlich BGH, Urt. v. 15.11.1951 - IV ZR 72/51, BGHZ 3, 381). Das wäre im hier zu entscheidenden Fall auch möglich gewesen: Der Kostenfestsetzungsbeschluss datiert vom 24.03.2015, die Gegenforderung aus dem Bauvorhaben N. ergibt sich aus der Schlussrechnung vom 20.08.2013; die letzte mündliche Verhandlung im Verfahren, das zum streitigen Kostenfestsetzungsbeschluss geführt hat, hat am 27.01.2015 stattgefunden (Bl. 121 ff. d.BA).
b) Die Gegenforderungen, auf die sich der Kläger berufen kann, sind unstreitig. Die Übergabe der Bürgschaft ist ebenfalls unstreitig (s. Bl. 157 d.A.). Unstreitiges Vorbringen ist auch im Berufungsverfahren zu berücksichtigen. Das Landgericht hätte den zugrundeliegenden Vortrag nicht zurückweisen dürfen. Es hat insoweit auch keinen Hinweis erteilt. Die Verfügung vom 26.08.2015 (Bl. 34 d.A.) nimmt zwar Bezug auf fehlenden Vortrag, geht jedoch auf die Bürgschaft nicht ein. Zudem enthält diese Verfügung keine Fristsetzung. Eine Zurückweisung wegen verspäteten Vorbringens wäre damit auch im Hinblick auf die zunächst durchgeführte mündliche Verhandlung, in der diese Fragen zum ersten Mal zur Sprache kamen, unzulässig gewesen (vgl. OLG Celle, Urt. v. 28.10.2009 - 14 U 77/09, NJW 2010, 1535).
c) Es ergibt sich demnach schon unter Ansatz der unstreitigen Beträge zugunsten des Klägers ein berücksichtigungsfähiger Betrag von 1.342,50 € - insoweit auch mit dem Landgericht übereinstimmend - und weiteren 4.050,00 € aus dem Sicherheitsbareinbehalt. Dies summiert sich auf die vom Kläger vorgetragenen 5.392,50 €, die der im Kostenfestsetzungsbeschluss festgesetzten Forderung entgegengehalten werden können. Dieser Betrag übersteigt die im Kostenfestsetzungsbeschluss titulierte Forderung. Demnach ist die Zwangsvollstreckung insgesamt für unzulässig zu erklären.
Die Beklagte hat zudem die vollstreckbare Ausfertigung herauszugeben, da eine Vollstreckung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss nicht zulässig ist.
Auf etwaige weitere Forderungen aus Nachträgen, auf die sich der Kläger ebenfalls beruft, kommt es nicht an.
2. Der Berufung des Beklagten bleibt der Erfolg versagt:
Die von der Beklagten angeführten Gegenforderungen sind nicht berücksichtigungsfähig.
a) Die Beklagte meint, infolge der Übersendung der geprüften Schlussrechnung mit Schreiben vom 15.11.2013 habe sie konkludent die Aufrechnung erklärt. Nach der Schlussrechnungsprüfung der Beklagten soll sich zunächst ein Restbetrag des Klägers in Höhe von 1.342,50 € ergeben. Unter Ansatz weiterer Forderungen und einer Vertragsstrafe errechnet sich die Beklagte 5.540,57 €, weshalb eine Restforderung zu ihren Gunsten in Höhe von 4.198,07 € bestehen soll (Anlage B 1 u. Bl. 64 oben d.A.), woraus nach Abzug der 4.050,00 € für den Sicherheitseinbehalt immer noch eine Überzahlung des Klägers resultierte.
b) Richtig ist insoweit, dass es nicht auf eine ausdrückliche Aufrechnungserklärung ankommt. Es genügt die klare Erkennbarkeit des Aufrechnungswillens. Forderung und Gegenforderung müssen lediglich hinreichend bestimmt sein. Es genügt auch die Leistungsverweigerung gegenüber einer gleichartigen Schuld (vgl. nur Palandt/Grüneberg, 75. Aufl., § 388 Rdnr. 1 mwN). Eine solche konkludente Erklärung könnte in dem Schreiben vom 15.11.2013 liegen, weil die Beklagte da eigene Forderungen geltend macht, die sie der Restforderung des Klägers gegenüberstellt, und sich daraus einen eigenen Zahlungsanspruch errechnet. Nach dem letzten Satz dieses Schreibens ("Bei Übersendung einer Gewährleistungsbürgschaft über 4.050 € reduziert sich der an uns zu überweisende Betrag entsprechend.") verbliebe ein Restbetrag von 148,07 € zugunsten der Beklagten (4.198,07 € - 4.050 €).
c) Im Gegensatz zu den an sich unstreitigen Forderungen und Ansprüchen des Klägers, mit denen er aufrechnen kann, sind die Gegenforderungen der Beklagten aber nicht unstreitig. Die Beklagte beruft sich lediglich auf eine handschriftliche Rechnungsprüfung (in der Anlage B 1) und das Zeugnis ihres Mitarbeiters L. (vgl. Bl. 63 u. 149 d.A.). Der gesamte Sachverhalt zu den Gegenforderungen findet sich allein in der Tabelle auf Bl. 63 unten d.A. Der Kläger hat diesen Vortrag bestritten (Bl. 75 d.A.). Die Gegenforderungen sind weder rechtskräftig festgestellt noch unstreitig geworden. Zudem kann der Aufrechnungsgegner die Aufrechnung nicht wirksam durch eine "Gegenaufrechnung" mit einer dritten Forderung bekämpfen (vgl. Erman/Wagner, BGB, 14. Aufl., § 389 Rdnr. 3 mwN). Dies gilt grundsätzlich ebenso für Prozessaufrechnungen (vgl. BGH, Urt. v. 18.07.2013 - III ZR 170/12, Rdnr 39 f.).
Hier stehen sich somit die rechtskräftig titulierte Forderung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss und unstreitige Forderungen des Klägers, mit denen er gegenüber der Forderung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss aufrechnet, gegenüber. Diese Forderungen können "gegengerechnet" werden. Die bestrittenen und bislang lediglich potentiellen weiteren Gegenansprüche der Beklagten müssen dagegen unberücksichtigt bleiben.
d) Auch das Argument der Beklagten (vgl. Bl. 149 Mitte d.A.), dass die Restforderung des Klägers aus dem Bauvorhaben N. in Höhe von 5.392,50 € einschließlich des Sicherheitseinbehalts zwar unstreitig ist, unter Ansatz der Aufrechnung der Beklagten gemäß dem Schreiben vom 15.11.2013 im Zeitpunkt der Aufrechnung gegenüber dem Kostenfestsetzungsbeschluss aber nicht mehr bestanden haben könnte, kann der Berufung der Beklagten nicht zum Erfolg verhelfen. Denn die Gegenforderungen der Beklagten müssten voll wirksam und fällig sein, um zur Aufrechnung gestellt zu werden und die Wirkungen des § 389 BGB erzielen zu können (vgl. auch BGH, Urt. v. 20.11.2008 - IX ZR 139/07, NJW-RR 2009, 407, Rdnr. 10; Urt. v. 19.05.2011 - IX ZR 222/08, NJW-RR 2011, 1142, Rdnr. 6). Zu den Gegenforderungen der Beklagten gibt es - wie erwähnt - keine tragfähigen Feststellungen.
III.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10 Satz 1, 2 i. V. m. §§ 711 und 713 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.