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  • 14.10.2016 · IWW-Abrufnummer 189259

    Oberlandesgericht Celle: Beschluss vom 31.12.2000 – 1 Ws 382/16

    1. Erfolgt beim Teilfreispruch keine Kostenquotelung, so sind im Kostenfestsetzungsverfahren die dem Angeklagten zu erstattenden, auf den Freispruch entfallenden Auslagen nach der Differenztheorie zu bestimmen. Dazu ist von der Gesamtvergütung des Verteidigers das fiktive Honorar abzuziehen, welches ihm zustehen würde, wenn nur die zur Verurteilung gelangte Tat Verfahrensgegenstand gewesen wäre. Für das fiktive Honorar ist auch maßgeblich, ob das Hauptverfahren bei einer von vornherein auf die Verurteilungstat beschränkten Anklage vor einem Gericht niedrigerer Ordnung stattgefunden und ob die Verhandlung weniger Zeit in Anspruch genommen hätte.

    2. Auf den hiernach ermittelten Erstattungsbetrag sind gezahlte Pflichtverteidigergebühren in voller Höhe anzurechnen.


    1 Ws 382/16

    Oberlandesgericht Celle

    Beschluss
     
    1 Ws 382/16
    101 KLs 16/15 LG Stade
    151 Js 19117/15 StA Stade
        
    In der Strafsache
    gegen     B. H.,
        geboren am xxxxxx 1981 in V./Albanien,
        wohnhaft H. Straße, B.,

    - Verteidiger: Rechtsanwalt M., V. -

    wegen    Wohnungseinbruchsdiebstahls u. a.
    hier: Festsetzung der nach Teilfreispruch zu erstattenden Auslagen

    hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Landgerichts Stade vom 12. Mai 2016 durch die Richter am Oberlandesgericht xxxxxx und xxxxxx sowie den Richter am Landgericht xxxxxx am 8. August 2016 beschlossen:

    Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers als unbegründet verworfen.

    G r ü n d e :

    I.

    Mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Stade vom 10. August 2015 wurde dem inhaftierten Beschwerdeführer schwerer Bandendiebstahl in acht Fällen zur Last gelegt.

    Am fünften Verhandlungstag wurde der Beschwerdeführer durch Urteil der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Stade vom 23. November 2015 wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls in Tateinheit mit Sachbeschädigung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, und im Übrigen freigesprochen, wobei das Landgericht die dem Verurteilten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegte.

    Der am Landgericht Stade zuständige Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat die dem Pflichtverteidiger des Beschwerdeführers aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung einschließlich Auslagen auf insgesamt 3.367,22 Euro festgesetzt.

    Der Antrag des Verurteilten vom 26. November 2015 auf Erstattung notwendiger Auslagen in Form von Wahlverteidigergebühren in Höhe von 341,16 Euro ist durch Rechtspflegerbeschluss vom 12. Mai 2016 abgelehnt worden mit der Begründung, dass auf den Teilfreispruch entfallende ausscheidbare Kosten nicht entstanden seien.

    Gegen diesen - am 13. Mai 2015 abgesandten - Beschluss wendet sich der Verurteilte mit seiner sofortigen Beschwerde vom 20. Mai 2016, die am selben Tag beim Landgericht eingegangen ist.

    II.

    Der Senat hat seine frühere Rechtsprechung aufgegeben und entscheidet über die nach § 464b Satz 3 StPO i.V.m. § 104 Abs. 3 ZPO statthafte sofortige Beschwerde in der Besetzung von drei Mitgliedern mit Einschluss des Vorsitzenden (vgl. Senatsbeschluss vom 21. April 2016 - 1 Ws 187/16).

    III.

    Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere innerhalb der maßgeblichen Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, 58. Aufl. 2015, § 464b Rn. 7) eingelegt worden.

    Die sofortige Beschwerde hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

    Das Landgericht hat - im Ergebnis - zu Recht die Erstattung von Auslagen abgelehnt. Allerdings beruht dies nicht darauf, dass durch den Teilfreispruch keine ausscheidbaren Kosten entstanden wären; denn auf das Erfordernis der Ausscheidbarkeit ist beim Teilfreispruch spätestens seit der Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs in BGHSt 25, 109 nicht mehr abzustellen (vgl. LR-Hilger StPO 26. Aufl. § 465 Rn. 36).

    Vielmehr ergibt sich im vorliegenden Fall zwar nach Anwendung der Differenztheorie ein erstattungsfähiger Betrag. Da hierauf jedoch die bereits ausgezahlten, den Erstattungsbetrag übersteigenden Pflichtverteidigergebühren in voller Höhe anzurechnen sind, verbleibt kein Auszahlungsbetrag mehr.

    Im Einzelnen:

    1. Hat - wie im vorliegenden Fall - bei einem Teilfreispruch das Gericht in seiner Kostengrundentscheidung keine Quotelung nach § 464d StPO vorgenommen, sondern die Kosten und notwendigen Auslagen des Angeklagten der Landeskasse auferlegt, „soweit“ er freigesprochen wurde, kann im anschließenden Kostenfestsetzungsverfahren nach § 464b StPO die Höhe der dem Angeklagten zu erstattenden, auf den Freispruch entfallenden notwendigen Auslagen nach pflichtgemäßem Ermessen des Rechtspflegers entweder nach der sogenannten Differenztheorie oder nach Bruchteilen bestimmt werden (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 10. November 2015 – 1 Ws 197/15 –, juris Rn. 21; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 24. Februar 2010 - 1 Ws 700/09, juris Rn. 10; LR-Hilger aaO § 465 Rn. 40). Hier hat sich der Rechtspfleger ersichtlich gegen eine Quotelung und für die Differenztheorie entschieden. Das ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

    Nach der Differenztheorie soll der zum Teil freigesprochene Verurteilte genauso gestellt werden, wie er gestanden hätte, wenn allein die zur Verurteilung führenden Taten Gegenstand des Verfahrens gewesen wären; die in diesem Fall entstandenen Kosten fallen ihm zur Last. Von den Mehrkosten, die durch die Vorwürfe veranlasst sind, bezüglich derer es zum Freispruch kam, soll er freigestellt werden. Lassen sich die Mehrkosten nicht eindeutig zuordnen, weil die Aufwendungen, wie z.B. die Gebühren des Verteidigers, zwangsläufig das gesamte Verfahren betreffen, so müssen sie durch einen Vergleich der dem Verurteilten tatsächlich entstandenen notwendigen Auslagen mit den im Fall des beschränkten Verfahrensgegenstandes hypothetisch erwachsenen Auslagen ermittelt werden. In Bezug auf die Vergütung des Verteidigers bedeutet dies regelmäßig, dass vom Gesamthonorar das fiktive Honorar abzuziehen ist, welches dem Verteidiger zustehen würde, wenn nur die zur Verurteilung führenden Taten Gegenstand des Mandats gewesen wären. Nur in Höhe des weitergehenden Gebührenanspruches besteht dann ein Erstattungsanspruch des früheren Angeklagten gegen die Staatskasse (vgl. BGHSt 25, 109; OLG Celle Nds. Rpfl. 1987, 260; OLG Saarbrücken aaO; OLG Düsseldorf aaO; LR-Hilger aaO Rn. 42; jew. mwN).

    Bei der Bestimmung des vom Gesamthonorar abzuziehenden Teiles muss fiktiv, also unabhängig vom tatsächlichen Verlauf des Verfahrens, ermittelt werden, welche Gebühren angefallen wären, wenn von vornherein nur die Vorwürfe erhoben worden wären, für die der Angeklagte später verurteilt worden ist. Bei der Bemessung der fiktiven Auslagen sind alle Umstände des Einzelfalles, insbesondere die Art und Schwere der einzelnen Schuldvorwürfe, auch in ihrer Bedeutung für den Angeklagten, zu berücksichtigen. Dabei ist auch maßgeblich, ob das Hauptverfahren bei einer von vornherein auf die verurteilten Taten beschränkten Anklage vor einem Gericht niedrigerer Ordnung eröffnet worden wäre und ob die Verhandlung weniger Zeit (Tage) in Anspruch genommen hätte (vgl. OLG Celle Nds. Rpfl. 1987, 260; OLG Potsdam JMBl BB 1997, 144; OLG Hamm, Beschluss vom 21.12.2006 - 4 Ws 544/06 - juris; LR-Hilger aaO mwN.).

    Im Übrigen ist bei der Berechnung der dem Angeklagten aus der Landeskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen zu berücksichtigen, dass ein Honoraranspruch eines Pflichtverteidigers gegen den Angeklagten - abgesehen von dem hier nicht vorliegenden Fall einer Vergütungsvereinbarung - nur in den durch § 52 RVG gezogenen Grenzen besteht (vgl. OLG Saarbrücken aaO; OLG Düsseldorf aaO). Hiernach kann der gerichtlich bestellte Rechtsanwalt von dem Angeklagten nur die Zahlung der Gebühren eines gewählten Verteidigers verlangen (§ 52 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 RVG). Bei Rahmengebühren hat der Verteidiger die Gebühr unter Beachtung der in § 14 Abs. 1 RVG aufgestellten Kriterien zu bestimmen, wobei die getroffene Bestimmung, wenn die Gebühr von einem Dritten - wie hier von der Landeskasse (§ 52 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 RVG) - zu ersetzen ist, nicht verbindlich ist, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs. 1 Satz 4 RVG). Dagegen kann der gerichtlich bestellte Verteidiger im Anwendungsbereich des § 52 RVG von dem Angeklagten nicht die Zahlung von - in § 52 RVG nicht erwähnten - Auslagen im Sinne des Teils 7 des Vergütungsverzeichnisses der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG verlangen (vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 2008, 264; OLG Düsseldorf aaO). Denn der gerichtlich bestellte Verteidiger hat gemäß § 46 RVG bereits Anspruch auf Ersatz seiner Auslagen gegen die Landeskasse mit der Folge, dass ein Anspruch auf Zahlung der Auslagen nach Teil 7 des Vergütungsverzeichnisses gegen den Angeklagten nicht besteht. Eine Ausnahme gilt insoweit nach dem Sinn und Zweck der Regelung des § 52 RVG lediglich hinsichtlich der gesetzlichen Umsatzsteuer. Obgleich diese nach Nr. 7008 VV RVG den Auslagen zugeordnet ist, kann auch der Pflichtverteidiger unter den Voraussetzungen des § 52 Abs. 2 RVG die auf den Differenzbetrag zwischen Pflicht- und Wahlverteidigergebühren entfallende Umsatzsteuer von seinem Mandanten verlangen (vgl. OLG Saarbrücken aaO; OLG Düsseldorf, aaO).

    2. Nach diesen Grundsätzen sind im vorliegenden Fall keine notwendigen Auslagen erstattungsfähig. Der tatsächliche Honoraranspruch belief sich auf 3.366,21 Euro (a); im Falle eines von vornherein auf die abgeurteilten Delikte beschränkten Verfahrensgegenstandes wären Wahlverteidigergebühren in Höhe von 1.326,85 Euro entstanden (b). Die nach der Auslagengrundentscheidung des Landgerichts auf die Staatskasse entfallende Differenz von 2.039,36 Euro wird durch die bereits gezahlten Pflichtverteidigergebühren in Höhe von 2.840,53 Euro vollständig aufgezehrt (c).

    a) Der gemäß § 52 Abs. 1 Satz 1 RVG tatsächlich entstandene Wahlverteidigerhonoraranspruch beträgt 3.366,21 Euro und setzt sich - gemäß der nicht unbilligen Bestimmung durch den Verteidiger - hier wie folgt zusammen:

    Grundgebühr Nr.4101 VV                   245,00 Euro
    Terminsgebühr Nr. 4103 VV                   207,50 Euro
    Vorverfahrensgebühr Nr. 4105 VV               201,25 Euro
    Verfahrensgebühr Nr. 4113 VV               225,00 Euro
    Terminsgebühr Nr. 4115 VV                   390,00 Euro
    Terminsgebühr Nr. 4115 VV                   390,00 Euro
    Terminsgebühr Nr. 4115 VV                   390,00 Euro
    Terminsgebühr Nr. 4115 VV                   390,00 Euro
    Terminsgebühr Nr. 4115 VV                   390, 00 Euro
    Zwischensumme netto                2.828,75 Euro
    zzgl. 19% MWSt Nr. 7008 VV               537,46 Euro
    Endsumme                        3.366,21 Euro.

    b) Für die Berechnung der „fiktiven“ Wahlverteidigergebühr ist davon auszugehen, dass das Verfahren wegen zweier Vergehen des Wohnungseinbruchsdiebstahls in Tateinheit mit Sachbeschädigung gegen den nicht vorbestraften Angeklagten aufgrund der wesentlich geringeren Straferwartung vor dem Amtsgericht stattgefunden hätte und aufgrund des Geständnisses des Angeklagten nur einen Verhandlungstag in Anspruch genommen hätte. Im Falle eines derartigen Verfahrensablaufs wäre die Verteidigertätigkeit durchgängig mit der jeweiligen Mittelgebühr angemessen abgegolten gewesen.

    Die „fiktive“ Wahlverteidigergebühr, die im Falle eines von vornherein auf die letztlich abgeurteilten Tatvorwürfe beschränkten Verfahrensgegenstandes angefallen wäre, beläuft sich auf 1.326,85 Euro und setzt sich wie folgt zusammen:

    Grundgebühr Nr.4101 VV                   170,00 Euro
    Terminsgebühr Nr. 4103 VV                   207,50 Euro
    Vorverfahrensgebühr Nr. 4105 VV               201,25 Euro
    Verfahrensgebühr Nr. 4107 VV               201,25 Euro
    Terminsgebühr Nr. 4109 VV                   335,00 Euro
    Zwischensumme netto                1.115,00 Euro
    zzgl. 19% MWSt Nr. 7008 VV               211,85 Euro
    Endsumme                        1.326,85 Euro.

    c) Die nach vorstehenden Ausführungen auf den Teilfreispruch entfallende Gebührendifferenz von 2.039,36 Euro (3.366,21 Euro abzüglich 1.326,85 Euro) ist aber nicht erstattungsfähig; denn gemäß § 52 Abs. 1 Satz 2 RVG entfällt der Honoraranspruch des Pflichtverteidigers gegen seinen Mandanten insoweit, als die Staatskasse Gebühren gezahlt hat. Dies war hier in Höhe von insgesamt 2.840,53 Euro der Fall, wie sich aus der nachfolgenden Aufstellung ergibt.

    Aus der Staatskasse gezahlte Gebühren:

    Grundgebühr Nr.4101 VV                   192,00 Euro
    Terminsgebühr Nr. 4103 VV                   166,00 Euro
    Vorverfahrensgebühr Nr. 4105 VV               161,00 Euro
    Verfahrensgebühr Nr. 4113 VV               180,00 Euro
    Terminsgebühr Nr. 4115 VV                   312,00 Euro
    Terminsgebühr Nr. 4115 VV                   312,00 Euro
    Längenzuschlag Nr. 4116 VV               128,00 Euro
    Terminsgebühr Nr. 4115 VV                   312,00 Euro
    Terminsgebühr Nr. 4115 VV                   312,00 Euro
    Terminsgebühr Nr. 4115 VV                   312,00 Euro
    Zwischensumme netto                2.387,00 Euro
    zzgl. 19% MWSt Nr. 7008 VV               453,53 Euro
    Endsumme                        2.840,53 Euro.

    Die gezahlten Pflichtverteidigergebühren sind bei einem Teilfreispruch in voller Höhe und nicht nur im anteiligen Verhältnis von Freispruch zu Verurteilung auf den Erstattungsanspruch anzurechnen (vgl. Senatsbeschluss vom 21. April 2016 - 1 Ws 187/16; ebenso OLG Braunschweig NStZ-RR 2014, 263: OLG Saarbrücken aaO; Thüringer OLG, Beschluss vom 28. Februar 2014 - 1 Ws 403/13, Rn. 16 f. nach juris; OLG Köln NStZ-RR 2013, 127; OLG Düsseldorf aaO).

    IV.

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.

    Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsmittel gegeben (§ 304 Abs. 4 Satz 2 StPO).