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  • 25.01.2006 · IWW-Abrufnummer 060202

    Kammergericht Berlin: Urteil vom 08.11.2005 – 4 Ws 127/05

    Bei der Bemessung der für die Gewährung eines Längenzuschlags maßgeblichen Zeit sind Wartezeiten des Pflichtverteidigers zu berücksichtigen.


    Kammergericht

    4 Ws 127/05
    (540) 70 Js 769/01 KLs (13/04)

    In der Strafsache gegen

    A. C.,

    wegen Vergewaltigung u.a.

    hat der 4. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin
    am 8. 11. 2005 beschlossen:

    1. Die Beschwerde der Bezirksrevisorin bei dem Landgericht Berlin gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 1. Juli 2005 wird verworfen.

    2. Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

    Gründe:

    Rechtsanwältin A. ist dem vom Landgericht Berlin rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe Verurteilten am 21. Juli 2004 zur Pflichtverteidigerin bestellt worden. Im Antrag auf Festsetzung ihrer Vergütung hat sie für die Teilnahme an der Hauptverhandlung vom 7. Dezember 2004, die auf 9.15 Uhr anberaumt worden war, mit dem Aufruf der Sache um 9.26 Uhr begonnen und um 14.22 Uhr geendet hatte, neben der Terminsgebühr eine zusätzliche Gebühr gemäß Nr. 4116 VV RVG in Höhe von 108,00 ? geltend gemacht. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat diese Zusatzgebühr nicht anerkannt, da sich der Gebührentatbestand auf die Teilnahme an der Hauptverhandlung beziehe, diese jedoch, beginnend mit dem Aufruf der Sache, lediglich 4 Stunden und 56 Minuten gedauert habe. Auf die Erinnerung der Rechtsanwältin hat das Landgericht mit dem angefochtenen Beschluss die Entscheidung der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle abgeändert und die Vergütung der Rechtsanwältin antragsgemäß festgesetzt. Die vom Landgericht gemäß §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 2 RVG zugelassene und fristgemäß eingelegte Beschwerde der Bezirksrevisorin richtet sich allein gegen den Ansatz der zusätzlichen Gebühr. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

    1. Der Rechtsanwältin steht die zusätzliche Gebühr für den Hauptverhandlungstermin am 7. Dezember 2004 gemäß Nr. 4116 VV RVG zu.

    Nach der (amtlichen) Vorbemerkung 4 Abs. 3 Satz 1 VV RVG entsteht die Terminsgebühr für die Teilnahme an gerichtlichen Terminen, soweit nichts anderes bestimmt ist. Der Wortlaut dieser Regelung lässt die von der Bezirksrevisorin angestrebte Auslegung zu, wonach die Teilnahme an der Hauptverhandlung erst ab dem Aufruf der Sache möglich ist, weil mit diesem die Hauptverhandlung beginnt (§ 243 Abs. 1 Satz 1 StPO). Ein solches Verständnis ist jedoch im Hinblick auf den Gesetzeszweck, den besonderen Zeitaufwand eines gerichtlich bestellten Rechtsanwalts für seine anwaltliche Tätigkeit angemessen zu honorieren (vgl. BT-Drucksache 15/1971, S. 224 zu Nr. 4110), nicht sachgemäß. Der Rechtsanwalt ist verpflichtet, pünktlich zu dem in der Ladung angegebenen Zeitpunkt des Beginns der Hauptverhandlung zu erscheinen. Er ist durch die Sache auch dann in Anspruch genommen und in der Regel an der Wahrnehmung seiner übrigen Geschäfte gehindert, wenn sich der Aufruf der Sache verzögert. Maßgebend für die Stundenberechnung ist daher der anberaumte Hauptverhandlungstermin, wenn der Rechtsanwalt zu diesem Zeitpunkt anwesend ist. Dies entspricht der einhelligen Auffassung im Schrifttum (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 35. Aufl., VV 4110, 4111 Rdn. 1 f; Burhoff, RVG, Nr. 4110 VV Rdn. 9; ders. RVGreport 2005, 351 f) und der ganz überwiegenden Rechtsprechung (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 8. August 2005 - 4 Ws 118/05 -; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 15. Juni 2005 - 1 AR 22/05 -; OLG Hamm, Beschluss vom 27. Mai 2005 - 2 (s) Sbd. VIII-54/05 -; LG Berlin, Beschluss vom 27. September 2005 - 534-16/05 -; LG Düsseldorf, Beschluss vom 25. März 2005 - I Qs 9/05 -; jeweils veröffentlicht bei www.burhoff.de; a.A. LG Berlin, Beschluss vom 15. Februar 2005 - 537-22/04 -). Hierfür lässt sich auch der in der Vorbemerkung 4 Abs. 3 Satz 2 VV RVG enthaltene Rechtsgedanke heranziehen, wonach der Rechtsanwalt die Terminsgebühr auch dann erhält, wenn er zu einem anberaumten Termin erscheint, dieser aber aus Gründen, die er nicht zu vertreten hat, nicht stattfindet. Denn wenn der Rechtsanwalt eine Vergütung für einen Termin erhält, der überhaupt nicht stattfindet, spricht viel dafür, dass ihm erst recht auch die Zeit zu honorieren ist, die er aus von ihm nicht zu vertretenen Gründen auf den Beginn des Termins warten muss (vgl. Burhoff RVGre-port 2005, 351, 352). Das Kammergericht hatte im Übrigen bereits in seiner Rechtsprechung zur Vergütung des Wahlverteidigers gemäß §§ 83, 12 BRAGO ausgesprochen, dass Wartezeiten, die nicht auf eine Verspätung des Verteidigers (bzw. - was für die Pflichtverteidigervergütung ohne Belang ist - des Angeklagten) zurückzuführen waren, für die Berechnung der vom Verteidiger aufgewandten Zeit und damit die Bemessung seines Honorars nicht unberücksichtigt bleiben dürfen (vgl. Beschlüsse vom 20. August 1999 - 4 Ws 133/99 - und 28. April 1999 - 5 Ws 230-231/99 -).

    Der verspätete Beginn der Hauptverhandlung am 7. Dezember 2004 beruhte, soweit ersichtlich, nicht auf einer Verspätung der Rechtsanwältin A. Gegenteiliges ist jedenfalls nicht aktenkundig. Das Landgericht hat daher in der angefochtenen Entscheidung mit Recht die zusätzliche Gebühr nach Nr. 4116 VV RVG zuerkannt.

    Der Senat bemerkt im Hinblick auf die bisherige abweichende Verfahrenspraxis der Berliner Strafgerichte abschließend, dass es zur Vermeidung von Streitigkeiten über die Berechtigung von geltend gemachten Zusatzgebühren zweckmäßig erscheint, zukünftig - jedenfalls dann, wenn eine lange Verhandlungsdauer zu erwarten ist - aktenkundig zu machen, dass der Rechtsanwalt zum anberaumten Termin anwesend war, bzw. bei seiner etwaigen Verspätung den Zeitpunkt seines Erscheinens festzuhalten (vgl. auch Hartmann aaO Rdn. 2).

    2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG.

    RechtsgebietRVGVorschriftenNr. 4112 VV RVG