01.12.2020 · IWW-Abrufnummer 219243
Oberlandesgericht Koblenz: Beschluss vom 30.09.2019 – 1 StE 6 OJs 36/17
1. Auch längere Sitzungspausen sind von der für das Entstehen der zusätzlichen Terminsgebühr nach Nr. 4122 RVG-VV maßgeblichen Hauptverhandlungsdauer grundsätzlich nicht in Abzug zu bringen.
2. Auch eine Mittagspause ist bei der Bemessung der Terminsdauer im Rahmen des Zuschlags nach Nr. 4122 RVG-VV bis zu einer üblichen Dauer von einer Stunde regelmäßig nicht in Abzug zu bringen).
3. Für eine darüber hinausgehende Sitzungsunterbrechung ist darauf abzustellen, ob und inwieweit der Verteidiger die Sitzungspause anderweitig für seine berufliche Tätigkeit sinnvoll hat nutzen können, wobei schon aus Gründen der Praktikabilität kein an individuellen Möglichkeiten ausgerichteter Maßstab anzulegen ist).
4. Bei einer Sitzungsunterbrechung, die den Zeitraum einer einstündigen Mittagspause überschreitet, wird in aller Regel ein noch zur Verfügung stehender Zeitraum von bis zu einer Stunde auch für ortsansässige Verteidiger und auch bei Nutzung von modernen Telekommunikationsmitteln nicht mehr sinnvoll nutzbar sein.
- Auf die Erinnerung der Rechtsanwältin pp. wird die Verfügung der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts Koblenz vom 26. Juni 2019 aufgehoben, soweit die von der Verteidigerin geltend gemachten Längenzuschläge (Nr. 4122 VV RVG) bei der Berechnung der Hauptverhandlungsdauer nicht berücksichtigt worden sind.
- Die Verfügung der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts Koblenz vom 26. Juni 2019 wird dahingehend abgeändert, dass Rechtsanwältin pp. aus der Staatskasse ein weiterer Vorschuss (§ 47 RVG) in Höhe von 504,56 € (in Worten: fünfhundertundvier 56/100) festgesetzt wird.
- Das Erinnerungsverfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Gegen den Angeklagten war vor dem 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz ein Strafverfahren wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung anhängig, welches am 12. Juli 2019 mit einer - nicht rechtskräftigen - Verurteilung abgeschlossen wurde. Für das Verfahren war dem Angeklagten mit Beschluss vom 21. Dezember 2018 als weitere notwendige Verteidigerin Rechtsanwältin pp. beigeordnet worden.
Mit Schriftsatz vom 31. Mai 2019 beantragte die Verteidigerin mit einer Teilabrechnung für die Zeit vom 9. März 2019 bis zum 31. Mai 2019 die Auszahlung eines Vorschusses auf die Pflichtverteidigergebühren in Höhe von insgesamt 9.272,34 € inkl. USt. Darin begehrte sie u.a. für die Hauptverhandlungstermine vom 14. März 2019 und vom 8. Mai 2019 neben der Terminsgebühr Nr. 4120, 4121 VV RVG jeweils die Zusatzgebühr für eine Verhandlungsdauer von mehr als 5 Stunden und bis zu 8 Stunden nach Nr. 4122 VV RVG.
Mit Datum vom 26. Juni 2019 befand die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts Koblenz über das Vorschussbegehren der Verteidigerin für den genannten Zeitraum und setzte den an die Antragstellerin aus der Landeskasse zu zahlenden Vorschuss auf 8.743,98 € inkl. USt. fest. Im Zuge der Entscheidung kam es ‒ neben der Absetzung der Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV RVG ‒ auch zu der Absetzung der zwei begehrten Längenzuschläge nach Nr. 4122 VV RVG für die Hauptverhandlungstermine vom 14. März 2019 und vom 8. Mai 2019. Die Absetzung begründete die Urkundsbeamtin damit, dass die Voraussetzungen für die Zusatzgebühr nach Nr. 4122 VV RVG nicht vorlägen, da die Hauptverhandlung an diesen Tagen unter Berücksichtigung der Unterbrechungen weniger als fünf Stunden angedauert habe. Bei der Prüfung der Zuerkennung einer Zusatzgebühr für überlange Verhandlungsdauer seien längere Sitzungspausen, beispielsweise Mittagspausen, nicht zu berücksichtigen. Zur Begründung bezog sich die Urkundsbeamtin auf einen Beschluss des 2. Strafsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 6. Februar 2006 (2 Ws 70/06).
3. Gegen den Abzug der Zusatzgebühren nach Nr. 4122 VV RVG wendet sich die Verteidigerin mit ihrer als Erinnerung zu behandelnden Eingabe vom 3. Juli 2019. Sie vertritt die Auffassung, die Hauptverhandlungspausen seien bei der Berechnung der Verhandlungszeit nicht in Abzug zu bringen. Der Vertreter der Staatskasse hat unter dem 15. Juli 2019 Stellung genommen und insbesondere unter Verweis auf die Rechtsprechung des 2. Strafsenates des Oberlandesgerichts Koblenz (Beschlüsse vom 6. Februar 2006 ‒ 2 Ws 70/06 und vom 13. November 2007 ‒ 2 Ws 566/07) den Abzug der Mittagspausen bei der Bemessung der Hauptverhandlungsdauer befürwortet. Die Antragstellerin hat hierzu Stellung genommen. Die Rechtspflegerin hat der Erinnerung mit Beschluss 28. August 2019 nicht abgeholfen und hat die Angelegenheit dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
II.
1. Über die sich gemäß § 56 Abs. 1 RVG als zulässige Erinnerung darstellende Eingabe der Verteidigerin entscheidet der Senat durch den Einzelrichter (§ 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG).
2. Die Erinnerung ist begründet. Nach § 47 Abs. 1 Satz 1 RVG kann der beigeordnete Rechtsanwalt für die entstandenen Gebühren und die entstandenen und voraussichtlich entstehenden Auslagen aus der Staatskasse einen angemessenen Vorschuss fordern. Der Höhe nach ist dieser Anspruch auf die entstandenen Gebühren gerichtet. Der gerichtlich bestellten Verteidigerin stehen die von ihr für überlange Verhandlungsdauer geltend gemachten Zusatzgebühren für zwei Hauptverhandlungstermine nach Nr. 4112 VV RVG zzgl. USt. zu.
a) Die Frage, ob und in welchem Umfang bei der Ermittlung der für Längenzuschläge maßgeblichen Hauptverhandlungsdauer längere Verhandlungspausen, insbesondere Mittagspausen, anzurechnen oder in Abzug zu bringen sind, wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet (vgl. zur Darstellung des Streitstandes ausführlich Knaudt in: BeckOK, RVG, 44. Edition 1. Juni 2019, VV 4116 Rn. 17 ff.; Burhoff in: Gerold/Schmidt, RVG, 24. Auflage 2019, VV 4108 Rn. 26). Weitgehend Einigkeit besteht in der obergerichtlichen Rechtsprechung allerdings insoweit, dass jedenfalls kürzere Pausen nicht von der Dauer der Hauptverhandlung abzuziehen sind (vgl. Burhoff in: Gerold/Schmidt, a.a.O., Rn. 26, m.w.N.). Hinsichtlich längerer Pausen, insbesondere Mittagspausen, hat sich in der obergerichtlichen Rechtsprechung eine Vielzahl von Auffassungen herausgebildet, die unterschiedlicher nicht sein könnten.
aa) Zum einen wird der generelle und vollständige Abzug einer Mittagspause bei der Berechnung der Hauptverhandlungsdauer unabhängig von deren Dauer befürwortet (OLG München, Beschluss vom 14. Februar 2019 ‒ 8 St (K) 1/19 ‒; OLG Rostock, Beschluss vom 6. November 2017 ‒ 20 Ws 282/17‒; OLG Braunschweig, Beschluss vom 28. April 2014 ‒ 1 Ws 132/14 ‒; OLG Oldenburg, Beschluss vom 23. April 2014 ‒ 1 Ws 153/14 ‒; OLG Celle, Beschluss vom 12. März 2014 ‒ 1 Ws 84/14 ‒; alle zit. nach juris; Stollenwerk in: Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 2. Auflage 2017, VV RVG 4130 ‒ 4135 Rn. 13).
bb) Nach anderer Ansicht wird grundsätzlich überhaupt kein Abzug der Mittagspause unabhängig von deren Dauer angenommen, mit Ausnahme von im Einzelfall außergewöhnlich langen Pausen (OLG Stuttgart, 4. Strafsenat, Beschluss vom 8. August 2005 ‒ 4 Ws 118/05 ‒; OLG Stuttgart, 5. Strafsenat, Beschluss vom 27. Juli 2012 ‒ 5 Ws 33/12 ‒; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 10. Oktober 2013 ‒ 1 Ws 166/12 ‒; alle zit. nach juris; Kremer in: Riedel/Sußbauer, RVG, 10. Aufl. 2015, RVGVV 4110, Rn. 9).
cc) Daneben bestehen differenzierende Ansichten, die bei Bemessung der Verhandlungsdauer entweder eine vergütete Mittagspause von zumindest einer Stunde berücksichtigen (OLG Hamm, Beschluss vom 20. April 2006 ‒ 3 Ws 47/06 ‒; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21. November 2015 ‒ III-1 Ws 358/15 ‒; OLG Dresden, Beschluss vom 8. November 2007 ‒ 3 Ws 67/07 ‒; alle zit. nach juris) bzw. immer eine vergütungsfreie Mittagspause von zumindest bis zu einer Stunde von einer längeren Unterbrechung in Abzug bringen (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 22. Oktober 2007, ‒ 1 Ws 541/07 ‒; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 31. August 2006 ‒ 1 Ws 342/06 ‒; OLG Jena, Beschluss vom 11. Juni 2008, ‒ 1 AR (S) 79/07 ‒; alle zit. juris) und die Behandlung einer darüber hinausgehenden Unterbrechung vom Einzelfall davon abhängig machen, ob der Verteidiger die Pause sinnvoll hat nutzen können.
b) Der hiesige 1. Strafsenat hat in seiner Entscheidung vom 16. Februar 2006 (1 Ws 61/06 ‒, juris) zu dem möglichen Abzug von längeren Unterbrechungszeiten bei der Bemessung der Verhandlungsdauer ausführlich Stellung genommen. Er hat darin ausgeführt, dass auch längere Pausen nicht generell von der Verhandlungsdauer in Abzug zu bringen seien, weil entscheidend sei, dass der Verteidiger sich während der Terminszeit zur Verfügung halten müsse und daher an der anderweitigen Ausführung seines Berufes gehindert sei. Vielmehr sei darauf abzustellen, ob der Verteidiger die Zeit anderweitig für seine Berufsausübung sinnvoll nutzen könnte. Zuzugestehen sei dem Verteidiger aber in jedem Fall eine Mittagspause in der üblichen Länge von ca. einer Stunde. Sie diene gewöhnlich der Erholung, so dass der Verteidiger nicht auf eine Nutzbarkeit dieser Zeit zu beruflicher Tätigkeit verwiesen werden könne. Im konkreten Fall hielt der Senat eine unerwartet eingetretene Unterbrechung von zwei Stunden zur Mittagszeit auch für einen ortsansässigen Rechtsanwalt zu gering, um sich einer anderweitigen beruflichen Tätigkeit sinnvoll widmen zu können.
In einer späteren ‒ nicht veröffentlichten ‒ Entscheidung vom 20. Oktober 2010 (1 Ws 460/10) hat der 1. Strafsenat an der Rechtsprechung einer vergütungspflichtigen Mittagspause mit einer Länge von jedenfalls etwa einer Stunde, die nicht von der Dauer der Hauptverhandlung in Abzug zu bringen ist, festgehalten.
c) Der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz vertrat in seinen Beschlüssen vom 6. Februar 2006 (2 Ws 70/06 ‒, juris) und vom 13. November 2007 (2 Ws 566/07 n.v.) die gegenteilige Auffassung, wonach bei der Feststellung der für die Zuerkennung einer Zusatzgebühr für eine überlange Verhandlungsdauer maßgeblichen Dauer der Hauptverhandlung längere Sitzungspausen, wie z. B. Mittagspausen, nicht zu berücksichtigen seien.
Mit ‒ allerdings nicht veröffentlichtem ‒ Beschluss vom 1. Dezember 2011 (2 Ws 524, 528/11) hat der 2. Senat des Oberlandesgerichts Koblenz diese Rechtsprechung allerdings ausdrücklich aufgegeben und sich der Rechtsprechung des 1. Strafsenates angeschlossen. Er hat in dieser Entscheidung ausgeführt:
„Der 2. Strafsenat schließt sich dem (Anm. des Senats: der im Beschluss des 1. Strafsenats vom 16. Februar 2006 geäußerten Rechtsauffassung) nunmehr an. Abgesehen von der damit herbeigeführten Vereinheitlichung der Rechtsprechung beider Senate waren hierfür insbesondere Praktikabilitätsgesichtspunkte maßgeblich. Nicht immer ist den Hauptverhandlungsprotokollen nämlich mit der notwendigen Klarheit zu entnehmen, zu welchem Zweck und aus welchem Anlass Unterbrechungen stattgefunden haben und ob sie (auch) einer Mittagspause zur Erholung gedient haben. Es würde damit in erster Linie von der Formulierung des Protokolls abhängen, ob einem Verteidiger ein Längenzuschlag zugebilligt werden müsste oder nicht. Im Nachhinein lassen sich Rückschlüsse dazu bei unklaren Formulierungen des Protokolls im Kostenfestsetzungsverfahren oftmals nur noch schwerlich treffen (vgl. OLG Dresden in StraFo 2008, 133). Ebenfalls aus Gründen der Praktikabilität kann schließlich auch bei der sich der Feststellung der Gründe der Unterbrechung gegebenenfalls anschließenden Überlegung, ob und inwieweit der Verteidiger Sitzungspausen anderweitig sinnvoll für seine berufliche Tätigkeit hätte nutzen können, kein an individuellen Möglichkeiten ausgerichteter einheitlicher Maßstab angelegt werden. So kann es nicht etwa darauf ankommen, ob ein Verteidiger in einer Sitzungspause mittels technischer Hilfsmittel einen Schriftsatz verfassen oder sonst zügig eine bestimmte andere Sache im Gerichtsgebäude bearbeiten kann, während ein anderer Verteidiger über solche Möglichkeiten nicht verfügt (vgl. OLG Dresden, a. a. O.; OLG Düsseldorf in NStZ-RR 2006, 391).“
d) Der Einzelrichter des Senats hält an der bisherigen Rechtsprechung des 1. Strafsenates fest.
Auch längere Sitzungspausen sind von der für das Entstehen der zusätzlichen Terminsgebühr nach Nr. 4122 VV RVG maßgeblichen Hauptverhandlungsdauer grundsätzlich nicht in Abzug zu bringen.
Bei der Bemessung der Terminsdauer des gerichtlich bestellten oder beigeordneten Verteidigers nach Nr. 4122 VV RVG ist auch eine Mittagspause mit einer üblichen Dauer von bis zu einer Stunde regelmäßig zu vergüten und daher nicht in Abzug zu.
Für eine darüber hinausgehende Sitzungsunterbrechung ist darauf abzustellen, ob und inwieweit der Verteidiger die Sitzungspause anderweitig für seine berufliche Tätigkeit sinnvoll hat nutzen können, wobei aus Gründen der Praktikabilität kein an individuellen Möglichkeiten ausgerichteter Maßstab anzulegen ist (OLG Dresden, Beschluss vom 10. Juli 2018 ‒ 1 Ws 142/18 ‒, juris).
aa) Diese Auffassung wird dem Zweck des Gesetzes gerecht. So soll durch die zusätzliche Terminsgebühr ein besonderer, nach früherer Rechtslage und Rechtsprechung regelmäßig zur Bewilligung einer Pauschvergütung führender Zeitaufwand des gerichtlich bestellten Verteidigers für die anwaltliche Tätigkeit angemessen honoriert werden und dieser nicht mehr ausschließlich auf die Bewilligung einer Pauschgebühr angewiesen sein (vgl. BT-Dr. 15/1971, S. 224). Angesichts dieses Gesetzeszwecks ist die Verhandlungsdauer grundsätzlich der Zeitspanne zwischen dem gerichtlich verfügten Beginn und der in der Verhandlung angeordneten Schließung der Sitzung gleichzusetzen (Senatsbeschluss vom 16. Februar 2006 ‒ 1 Ws 61/06 ‒, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 7. März 2006 ‒ 3 Ws 583/05 ‒, juris).
bb) Zudem spricht für diese Auffassung eine erhebliche Praktikabilität. Denn nicht allen Hauptverhandlungsprotokollen ist immer mit der notwendigen Klarheit zu entnehmen, ob eine Unterbrechung einer Mittagspause zur Erholung diente. Allein dass eine Unterbrechung zur Mittagszeit angeordnet wurde, bedeutet nicht zwangsläufig, dass sie auch zur Mittagspause diente. Zur zweifelsfreien Abgrenzung von sonstigen Unterbrechungen würde es daher zunächst weitgehend von der Formulierung des Hauptverhandlungsprotokolls abhängen, ob einem Verteidiger ein Längenzuschlag zugebilligt werden könnte, da weitergehende Feststellungen sich im Kostenfestsetzungsverfahren bei unklaren Formulierungen des Hauptverhandlungsprotokolls nicht immer ohne weiteres treffen lassen. Auch bei den hier in Rede stehenden Hauptverhandlungsterminen vom 14. März 2019 und vom 8. Mai 2019 lässt sich den Entwürfen der Hauptverhandlungsprotokolle nicht ausdrücklich entnehmen, dass die in Abzug gebrachten Unterbrechungen vom Vorsitzenden als Mittagspausen, d.h. vollständig von vorneherein zur freien Verfügung angeordnet wurden, da lediglich die Unterbrechung als solche und deren Dauer, nicht jedoch deren Zweck protokoliert wurde. Ohne weitere Erhebungen wäre es dem Einzelrichter des Senats daher nicht möglich, zu beurteilen, ob es sich bei der angeordneten Unterbrechung tatsächlich um eine von vornherein zur freien Verfügung bestimmte Mittagspause gehandelt hat.
cc) Letztlich ist diese Auslegung auch mit dem Wortlaut der Regelungen über den Anfall der entsprechenden Zusatzgebühren vereinbar, da die Hauptverhandlung ‒ formal betrachtet ‒ mit dem Aufruf zur Sache beginnt und erst mit der in der Verhandlung angeordneten Schließung der Sitzung am Ende des Sitzungstages endet (Senatsbeschluss vom 20. Oktober 2010 ‒ 1 Ws 460/10 ‒).
dd) Die gegenteilige, sich im Wesentlichen auf den Wortlaut der Regelung über die Gewährung einer zusätzlichen Gebühr berufende Auffassung vermag nicht zu überzeugen, zumal sie in der Regel nicht konsequent vertreten wird. Denn einerseits soll es mit dem Wortlaut der Gebührentatbestände nicht vereinbar sein, eine längere Pause, insbesondere eine Mittagspause, für die Dauer der Hauptverhandlung zu berücksichtigen, da der Rechtsanwalt mangels Verhandlung in der Zeit der Pause nicht an dieser teilnehme. Andererseits soll dies aber nicht für kürzere Pausen gelten, in welchen jedoch ebenfalls nicht verhandelt wird.
Auch soweit argumentiert wird, eine Mittagspause sei eine prozessneutrale Unterbrechung, die dem Rechtsanwalt zur freien und eigenverantwortlichen Gestaltung überlassen bleibt, die planbar und vorhersehbar ist und diese zu vergüten, daher kein Anlass bestehe, überzeugt dies nicht. Diese Überlegung wird dem üblichen Ablauf einer strafrechtlichen Hauptverhandlung nicht gerecht. Bereits ob eine Mittagspause überhaupt stattfindet, lässt sich vor Beginn des Sitzungstages oft nur dann sicher vorhersehen, wenn bereits das Ladungsprogramm für den jeweiligen Terminstag vorsieht, dass nachmittags noch Zeugen oder Sachverständige vernommen werden sollen. In einer Vielzahl der Fälle dürfte sich das vom Gericht vorgesehene Beweisprogramm allerdings auf den Vormittag beschränken, sich dann aber auf Grund von nicht vorhersehbaren Umständen (z.B. nicht erwartete Einlassungen des Angeklagten, prozessuale Anträge etc.) im Ablauf bis in den Nachmittag verschieben und erst dadurch eine Mittagspause notwendig werden lassen. Selbst wenn eine Mittagspause zwingend zu erwarten ist, unterliegt aber die Festlegung ihres Beginns und der Dauer nicht der freien Verfügung des Verteidigers. Die Bestimmung von Zeitpunkt und Dauer der Mittagspause liegt vielmehr grundsätzlich im alleinigen Entscheidungsbereich des die Verhandlung leitenden Vorsitzenden. Die Möglichkeit einer umfassend freien Bestimmung des Rechtsanwalts über die Mittagspause - deren Zeitpunkt, deren Dauer und damit auch deren naturgemäß von Zeitpunkt und Dauer abhängige individuelle Ausgestaltung -, welche es rechtfertigen könnte, diese Pause gebührenrechtlich als "prozessneutral" und nicht verfahrensbezogen zu bewerten sowie ohne Weiteres dem nicht zu vergütenden privaten Lebensbereich zuzuordnen, ist somit - von wenigen Ausnahmen abgesehen - in aller Regel nicht gegeben (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 10. Oktober 2013 ‒ 1 Ws 166/12 ‒, juris).
Letztlich ist auch zu berücksichtigen, dass es erfahrungsgemäß zu Beginn oder zu Ende einer Mittagspause regelmäßig dazu kommt, dass noch sitzungsrelevante Probleme zwischen Verteidiger und Mandanten besprochen werden, was bei kürzeren Verhandlungspausen auch als Argument dafür genommen wird, diese nicht bei der Berechnung der Verhandlungsdauer abzuziehen.
ee) Soweit eine zur Mittagspause dienende Verhandlungsunterbrechung den Zeitraum von einer Stunde allerdings übersteigt, ist darauf abzustellen, ob und inwieweit der Verteidiger die Sitzungspause anderweitig für seine berufliche Tätigkeit sinnvoll hat nutzen können. Hierbei kann neben der Dauer und der Vorhersehbarkeit der Pause auch die Entfernung des Kanzleisitzes für die Beurteilung von Bedeutung sein (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 7. September 2006 ‒ III-3 (s) RVG 4/06 ‒, juris). Um dem Gesetzeszweck der Pauschalierung aber nicht zuwider zulaufen, ist dabei aus Gründen der Praktikabilität kein ausnahmslos an individuellen Möglichkeiten ausgerichteter Maßstab anzulegen (OLG Dresden, Beschluss vom 10. Juli 2018 ‒ 1 Ws 142/18 ‒, juris). Vielmehr werden eine kleinliche Handhabung zu vermeiden und ein großzügiger Maßstab anzulegen sein.
In aller Regel wird der nach einer einstündigen Mittagspause noch zur Verfügung stehende Zeitraum von bis zu einer Stunde auch für ortsansässige Anwälte und auch bei Nutzung von modernen Telekommunikationsmitteln nicht mehr sinnvoll nutzbar sein, so dass von einer konkreten Einzelfallprüfung abzusehen und insoweit die gesamte Pausenzeit vollständig in die zu vergütende Hauptverhandlungsdauer einzubeziehen sein wird.
Nur wenn offensichtlich ist, dass der Verteidiger in diesem Zeitraum die Bearbeitung eines anderen Mandats vorgenommen hat, z.B. weil die Anordnung einer verlängerten Mittagspause auf Antrag oder im Einvernehmen mit dem Verteidiger gerade deshalb erfolgte, weil dieser einen anderen Termin wahrnehmen wollte (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 10. Juli 2018 ‒ 1 Ws 142/18 ‒, juris) oder aber der längere Zeitraum der Mittagspause dem Verteidiger bereits bei der Ladung bekannt gemacht worden war und die Länge der Pause daher unzweifelhaft vorhersehbar war, z.B. wenn bereits aus der Ladung ersichtlich ist, dass ein bestimmter Zeuge oder Sachverständige erst am Nachmittag zur Verfügung steht (vgl. Kremer in: Riedel/Sußbauer, a.a.O. Rn. 14) kann angenommen werden, dass eine sinnvolle Nutzung der Unterbrechung noch möglich ist.
3. Danach war dem Antrag von Rechtsanwältin pp. vom 31. Mai 2019 auch hinsichtlich der geltend gemachten Zusatzgebühren Nr. 4122 VV RVG zu entsprechen.
Die Verhandlungsunterbrechung am 14. März 2019 dauerte von 11.23 Uhr bis 13.00 Uhr. Nach Abzug einer einstündigen Mittagspause verbleibt noch ein Zeitraum von 37 Minuten. Dieser Zeitraum war nach den vorstehenden Ausführungen zweifelsohne zu kurz, um seitens der ‒ nicht ortsansässigen ‒ Rechtsanwältin noch andere sinnvolle Tätigkeiten zu entfalten.
Die Verhandlungsunterbrechung vom 8. Mai 2019 erstreckte sich von 12.17 Uhr bis 13.02 Uhr und dauerte damit weniger als eine Stunde. Sie überschritt damit bereits nicht den Zeitraum, den der Senat ohne weiteres als vergütungspflichtige Zeit für eine Mittagspause bei der Bemessung der Terminsdauer für berücksichtigungsfähig hält.
Die Verhandlungsunterbrechungen zur Mittagszeit sind damit vollständig in die für die Berechnung des Längenzuschlags maßgebliche Verhandlungsdauer einzubeziehen. Unter Berücksichtigung des - insoweit maßgeblichen - auf 10.00 Uhr gerichtlich verfügten Sitzungsbeginns und des vermerkten Sitzungsendes am 14. März 2019 um 15.35 Uhr bzw. am 8. Mai 2019 um 15.07 Uhr beträgt die gebührenrechtlich zu berücksichtigende Hauptverhandlungsdauer jeweils mehr als fünf Stunden, so dass der Rechtsanwältin jeweils neben der Terminsgebühr Nr. 4120, 4121 VV RVG die zusätzliche Gebühr Nr. 4122 VV RVG in Höhe von 212,- Euro zusteht, zuzüglich der hierauf entfallenden Umsatzsteuer (Nr. 7008 VV RVG) in Höhe von 40,28 Euro. Damit waren insgesamt weitere 424,‒ € zzgl. 80,56 € USt. festzusetzen.
4. Das Verfahren über die Erinnerung ist gebührenfrei (§ 56 Abs. 2 Satz 2 RVG). Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 3 RVG).