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  • 02.02.2021 · IWW-Abrufnummer 220273

    Oberlandesgericht Karlsruhe: Beschluss vom 29.12.2020 – 6 W 54/20

    Ein für die Entstehung der vollen Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3100 VV RVG notwendiger Sachantrag im Sinne von Nr. 3101 Ziff. 1 VV RVG liegt auch dann vor, wenn der Prozessbevollmächtigte eines Beklagten schriftsätzlich ankündigt, in der mündlichen Verhandlung zu beantragen, die Klage abzuweisen.


    Oberlandesgericht Karlsruhe

    Beschluss vom 29.12.2020


    Tenor:

    1. Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Mannheim vom 15.09.2020, Aktenzeichen 2 O 132/17 insoweit abgeändert als die Klägerin an die Beklagte gemäß § 104 ZPO weitere Kosten in Höhe von 4.713 € (insgesamt also 12.293,80 €) nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 09.01.2020 zu erstatten hat.
    2. Die Klagepartei trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
    3. Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 4.713 € festgesetzt.
    4. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

    Gründe

    Die gemäß § 104 Abs. 3 i.V. mit §§ 567, 569 ZPO zulässige und insbesondere fristgemäß eingelegte sofortige Beschwerde der Beklagten ist begründet. Der Kostenfestsetzungsbeschluss ist der Beklagten am 30.9.2020 zugestellt worden (EB AS I 144), die sofortige Beschwerde ist am 13.10.2020 beim Landgericht Mannheim eingegangen. Die Rechtspflegerin hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen (Beschl. v. 23.11.2020, AS I 163). Der Erstattungsanspruch der Beklagten beruht darauf, dass das Landgericht der Klägerin nach deren Rücknahme der Klage mit Beschluss v. 05.12.2019 die Kosten des Rechtsstreits auferlegt hat.

    1. Zu Recht wendet sich die Beklagte dagegen, dass in dem angegriffenen Kostenfestsetzungsbeschluss entgegen ihrem Kostenfestsetzungsantrag v. 09.01.2020 die Kosten für die Verfahrensgebühr für ihren Rechtsanwalt und den mitwirkenden Patentanwalt aus dem Streitwert von 1 Mio. EUR jeweils nur in Höhe einer 0,8 Gebühr gem. 3101 Ziff. 1 VV RVG, statt einer 1,3 Gebühr gem. 3100 VV RVG zur Erstattung festgesetzt worden sind.

    a) Gemäß 3100 VV RVG fällt im ersten Rechtszug in Zivilsachen für einen Rechtsanwalt, dem ein unbedingter Auftrag als Prozessbevollmächtigter in einem gerichtlichen Verfahren erteilt worden ist, für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information (vgl. Vorb. 3 (1) und (2)) eine 1,3 Verfahrensgebühr an. Nach Nummer 3101 Ziff. 1 fällt davon abweichend (nur) eine 0,8 Verfahrensgebühr an, wenn der Auftrag endigt, bevor der Rechtsanwalt die Klage, den ein Verfahren einleitenden Antrag oder einen Schriftsatz, der Sachanträge, Sachvortrag, die Zurücknahme der Klage oder die Zurücknahme des Antrags enthält, eingereicht oder bevor er einen gerichtlichen Termin wahrgenommen hat. Die Regelung in Nummer 3101 Ziff. 1 VV RVG beschränkt die Verfahrensgebühr auf eine 0,8 Gebühr in den Fällen, in denen die volle Gebühr als zu hoch angesehen wird, weil die Tätigkeit des Rechtsanwalts vor Endigung des Auftrags noch nicht nach außen in Erscheinung getreten ist oder aber der Rechtsanwalt noch nicht bestimmte, als besonders aufwendig angesehene Tätigkeiten mit Außenwirkung vorgenommen hat (Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 24. Aufl., VV 3101 Rn. 4). Dabei sind die Regelungen der Nummer 3100 und 3101 VV RVG auch auf den am Verfahren mitwirkenden Patentanwalt anzuwenden (Toussaint in Hartmann/Toussaint, Kostengesetze, 50. Aufl., RVG, VV 3101 Rn. 25 "Patentanwalt").

    b) Im Streitfall hat die Klägerin ihre Klage wegen Patentverletzung mit Schriftsatz v. 25.11.2019 zurückgenommen. Damit hat sich die Angelegenheit für die Beklagte erledigt und der Auftrag an ihre Rechts- und Patentanwälte, der Klage entgegenzutreten, war hierdurch beendet (vgl. Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 24. Aufl., VV 3101 Rn. 10).

    Der Auftrag hat aber nicht geendigt bevor der Rechtsanwalt der Beklagten einen Schriftsatz, der einen Sachantrag enthält, eingereicht hat. Denn der Beklagtenvertreter hatte schon vor der Rücknahme der Klage mit Schriftsatz v. 18.10.2019 beantragt, die Klage abzuweisen. Anders als der ebenfalls gestellte Antrag auf Fristverlängerung zur Klageerwiderung und die Anzeige der Verteidigung gegen die Klage stellt dies einen Sachantrag i.S. der Nr. 3101 Ziff. 1 VV RVG dar. Der Sachantrag stellt auch eine nach Außen in Erscheinung tretende Tätigkeit des Beklagtenvertreters dar. Die Ausnahmeregelung der Nummer 3101 Ziff. 1 VV RVG, die eine Verfahrensgebühr in Höhe von 0,8 vorsieht, findet daher keine Anwendung. Es verbleibt bei der Regelung nach Nummer 3100 VV RVG, nach der die Verfahrensgebühr in Höhe von 1,3 anfällt.

    c) Der Bewertung des Klagabweisungsantrages im Schriftsatz v. 18.10.2019 als Sachantrag steht nicht entgegen, dass der Antrag dahin formuliert ist, dass angekündigt wird, in der mündlichen Verhandlung zu beantragen, die Klage abzuweisen.

    Denn diese Formulierung nimmt lediglich auf § 137 Abs. 1 ZPO Bezug. Nach § 137 Abs. 1 ZPO wird die mündliche Verhandlung dadurch eingeleitet, dass die Parteien ihre Anträge stellen. Nach § 297 Abs. 1 Satz 1 ZPO sind diese (Sach-)Anträge aus den vorbereitenden Schriftsätzen zu verlesen. Ausdrücklich normiert daher § 130 Nr. 2 ZPO, dass die vorbereitenden Schriftsätze die Anträge enthalten sollen, "welche die Partei in der Gerichtssitzung zu stellen beabsichtigt."

    Ein für die Entstehung der vollen Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3100 VV RVG notwendiger Sachantrag im Sinne von Nr. 3101 Ziff. 1 VV RVG liegt daher auch dann vor, wenn der Prozessbevollmächtigte eines Beklagten ankündigt, in der mündlichen Verhandlung zu beantragen, die Klage abzuweisen (so zu Recht: Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 24. Aufl., VV 3101 Rn. 28a; ebenso im Berufungsrechtszug: OLG Celle Beschl. v. 15.11.2017 - 2 W 290/17 zu 3200 und 3201 VV RVG [Ankündigung des Sachantrages, die Berufung zurückzuweisen]). Anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn ein Beklagter mit der Ankündigung des Klagabweisungsantrages zugleich erklärt, der Klageanspruch müsse erst noch auf seine Berechtigung hin überprüft werden. Dies war vorliegend aber nicht der Fall. Entsprechend wird auch angenommen, dass dann, wenn mit der Anzeige der Verteidigungsbereitschaft zugleich ein uneingeschränkter Klageabweisungsantrag angekündigt wird, ein nachfolgend erklärtes Anerkenntnis kein sofortiges im Sinne des § 93 ZPO mehr ist (Zöller/Herget, ZPO, 33, Aufl., § 93 Rn. 4). Denn ein sofortiges Anerkenntnis eines Beklagten kann regelmäßig allenfalls dann angenommen werden, wenn sich dieser zum Klageanspruch noch nicht geäußert hat (BGH, Beschl. v. 21.3.2019 - IX ZB 54/18 JurisRn. 7). Mit der Ankündigung, in der mündlichen Verhandlung den im vorbereitenden Schriftsatz angeführten Klagabweisungsantrag zu stellen, liegt aber eine Äußerung zum Klageanspruch vor. Im Hinblick auf § 130 Nr. 2 ZPO steht dies der bloßen Anzeige der Verteidigungsbereitschaft nicht gleich.

    d) Im Streitfall ist daher nicht die 0,8 Verfahrensgebühr nach Nummer 3101 VV RVG, sondern die 1,3 Verfahrensgebühr nach Nummer 3100 VV RVG angefallen und ist auf die sofortige Beschwerde der Beklagten nach deren Kostenfestsetzungsantrag v. 09.01.2020 die Differenz in Höhe von weiteren 4.713 € zur Erstattung durch die Klägerin festzusetzen.

    2. Über die sofortige Beschwerde entscheidet nach § 568 Abs. 1 Satz 1 ZPO der Einzelrichter. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO, der Beschwerdewert war in Höhe der Differenz zwischen festgesetzten Kosten und der mit der Beschwerde weiterverfolgten Festsetzung zu beschließen. Gründe für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde bestehen nicht.

    RechtsgebietGebührenrechtVorschriftenNr. 3100 VV RVG