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  • 01.10.2021 · IWW-Abrufnummer 225007

    Landgericht Stuttgart: Beschluss vom 14.09.2021 – 20 Qs 16/21

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Aktenzeichen: 20 Qs 16/21
    11 OWi 75 Js 103508/20 AG S.
            
    Landgericht Stuttgart

    Beschluss

    In dem Bußgeldverfahren gegen

    wegen OWi-StVO
    hier: Beschwerde gem. § 66 GKG

    hat das Landgericht Stuttgart - 20. Große Strafkammer - am 14. September 2021 beschlossen:

    1. Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Amtsgerichts  S. vom 12.06.2021 aufgehoben und der Kostenansatz der Landesoberkasse B. (Kassenzeichen 2023540787697) vom 08.12.2020 wird dahingehend abgeändert, dass Kosten in Höhe von insgesamt 18,50 EUR erhoben werden.

    2. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.

    I.

    Gegen den Beschwerdeführer wurde ein Bußgeldverfahren wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit geführt, bei welchem eine Gesamtforderung von 118,50 EUR im Raum stand. Dieses wurde am 19.10.2020 über die Staatsanwaltschaft dem Amtsgericht S. vorgelegt.

    Das Amtsgericht S. bestimmte mit Verfügung vom 05.11.2020 Termin zur Hauptverhandlung auf den 26.11.2020. In dieser Verfügung wurden der Betroffene und seine Verteidigerin geladen sowie ein Zeuge. Weiter wurde handschriftlich eingefügt und verfügt, dass bei der D. angefragt werden solle, ob ein Sachverständiger an der Hauptverhandlung teilnehmen könne und dass dieser gegebenenfalls geladen werden und Akteneinsicht erhalten solle. Weiter solle Mitteilung hiervon an die Verteidigerin erfolgen. Die Ladung des Beschwerdeführers enthielt ebenso wie die seiner Verteidigerin (Zugang am 13.11.2020) jedoch keinen Hinweis auf die Ladung des Sachverständigen.

    Am 18.11.2020 hinterließ die Referatsrichterin der Verteidigerin des Beschwerdeführers eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter mit einer Rückrufbitte bezüglich des Akteneinsichtsgesuchs und da sie beabsichtige einen Sachverständigen zu laden. Zwei Tage nach dem Anruf ging ein Schreiben der Verteidigerin ein, in welchem diese ausführte, sie wisse nichts von einem in Auftrag gegebenen Sachverständigengutachten oder einer Ladung eines Sachverständigen zum Termin, da in den jeweiligen Ladungen keine Hinweise hierauf enthalten seien. Ebenso beantragte sie dringend Akteneinsicht.

    Mit Schreiben vom 23.11.2020 schrieb das Amtsgericht S. die Verteidigerin an und teilte mit, dass eine Übersendung der Akte per Fax fehlgeschlagen sei. Weiter wurde ausgeführt, dass bereits am 05.11.2020 verfügt worden sei, einen Sachverständigen zu laden und dies der Verteidigung mitzuteilen. Hierzu sei eine erste Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen worden. Nachdem keine Nachricht erfolgt sei, sei der Sachverständige am 12.11.2020 geladen worden. Auch bei einem weiteren Anruf habe die Verteidigerin nicht erreicht werden können.

    Am 25.11.2020 wurde der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid zurückgenommen, woraufhin mit Verfügung vom selben Tag der Termin zur Hauptverhandlung aufgehoben wurde. Am 02.12.2020 ging eine Rechnung der D. A. GmbH ein, in der die Tätigkeit des Sachverständigen (konkret: Eingangsdurchsicht, Nachforderung fehlender Unterlagen, Vorbereitung und Recherche, Erstellen von Gutachtenanlagen und Kopien) mit insgesamt 546,94 EUR abgerechnet wurde.

    Diese Sachverständigenkosten wurden dem Beschwerdeführer mit Kostenrechnung vom 08.12.2020 (Kassenzeichen 2023540787697) neben weiteren 18,50 EUR für die Einspruchsrücknahme und förmliche Zustellungen in Rechnung gestellt.

    Gegen die Geltendmachung der Sachverständigenkosten wendete er sich zunächst mit der Erinnerung. Er trug vor, es handle sich hierbei um eine unrichtige Behandlung im Sinne des § 21 GKG, da ein Verfahren wegen einer Geldbuße von 90 EUR geführt worden sei und sich aus der Ladung nicht ergeben habe, dass ein Sachverständiger geladen worden sei. Erst als Akteneinsicht beantragt worden sei und daraufhin die Referatsrichterin angerufen habe, habe man Kenntnis von der Absicht einen Sachverständigen zu laden erlangt. Hierauf sei dringend nochmals Akteneinsicht beantragt und mitgeteilt worden, dass man von der Sachverständigenladung keinerlei Kenntnis gehabt habe. Bis zum 25.11.2020 habe man keinerlei Mitteilungen mehr erhalten und dann, um Weiterungen zu vermeiden, den Einspruch zurückgenommen. Die Akte sei erst nach dem geplanten Hauptverhandlungstermin am 28.11.2020 postalisch zugegangen.

    Nach Anhörung des Bezirksrevisors ‒ der die Erinnerung unter Verweis auf den Amtsermittlungsgrundsatz für unbegründet erachtete ‒ schrieb das Amtsgericht S. die Verteidigerin des Beschwerdeführers an und führte unter anderem aus, dass, in Rücksprache mit der Vertretung der Staatskasse, eine reduzierte Geltendmachung der Kosten in Höhe der Hälfte denkbar sei. Ihrer Ansicht nach sei zwar die volle Geltendmachung aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes gerechtfertigt, da aber wohl versehentlich in der Ladung ein Hinweis auf die Ladung des Sachverständigen unterblieben sei und bei früherer Rücknahme eventuell Kosten hätten vermieden werden können, halte sie die hälftige Reduzierung für gerechtfertigt.

    Der Beschwerdeführer erhielt die Erinnerung aufrecht, woraufhin am 12.06.2021 ein Beschluss des Amtsgerichts erging, in welchem diese mit entsprechender Begründung als unbegründet verworfen wurde.

    II.

    Die Beschwerde ist zulässig ‒ insbesondere ist der Beschwerdewert erreicht ‒ und begründet.

    § 21 GKG ist vorliegend anzuwenden und die Kosten für das Sachverständigengutachten sind nicht zu erheben.

    Hiernach sind Kosten nicht zu erheben, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären, wobei ein leichter Verfahrensverstoß in der Regel hierfür nicht ausreicht.

    Das Gericht ist, sofern eine unrichtige Sachbehandlung festzustellen ist, in seiner Entscheidung gebunden und darf keine Kosten erheben. Etwaige Verschuldensfragen sind hierbei grundsätzlich unbeachtlich (Toussaint, Kostenrecht, 51. Aufl. 2021, GKG, § 21 Rn. 7).

    Ein offensichtlicher Verfahrensverstoß ist vorliegend zu bejahen, denn in amtsgerichtlichen Verfahren ist der Betroffene zunächst anzuhören, wenn beabsichtigt wird, einen Sachverständigen zu beauftragen (Toussaint, Kostenrecht, 51. Aufl. 2021, GKG, § 21 Rn. 21; LG Baden-Baden, Beschl. vom 17.02.1994, 1 Qs 32/94). Dies ist vorliegend unterblieben, obwohl es lediglich um eine geringe Geldbuße wegen einer Ordnungswidrigkeit ging und die Kosten des Sachverständigengutachtens diese deutlich überstiegen. Dieses Vorgehen verstößt gegen den Rechtsgedanken des § 222 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG (LG Leipzig, Beschl. v. 04.08.2009, 5 Qs 48/09 m.w.N.)

    Der Hinweis auf die Beauftragung des Sachverständigen in der Ladung unterblieb versehentlich, obwohl dies verfügt wurde und erst mit Anruf vom 18.11.2020 erhielt die Verteidigerin des Beschwerdeführers Kenntnis hiervon. Der Vortrag des Beschwerdeführers ist diesbezüglich auch glaubhaft. Zwar führt die Richterin in ihrem Schreiben vom 23.11.2020 an die Verteidigerin aus, es habe bereits im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zur Ladung eine hinterlassene Nachricht auf dem Anrufbeantworter gegeben, in der um kurzfristige Mitteilung gebeten worden sei, ob der Einspruch vollumfänglich aufrechterhalten bleibe. Es wurde aber gerade nicht darauf eingegangen, dass auch ausdrücklich thematisiert worden sei, dass die Ladung eines Sachverständigen erfolgen sollte. Ein Vermerk über diesen Anruf befindet sich nicht in der Akte. Das Schreiben der Verteidigerin vom 20.11.2020, in welchem diese auf die telefonische Nachricht zwei Tage zuvor Bezug nimmt ‒ in der unstreitig ausdrücklich auf die Sachverständigenladung eingegangen wurde ‒ bestätigt ebenso wie die zur Akte gereichte Ladung, dass erstmals mit diesem zweiten Anruf Kenntnis von der Sachverständigenladung erlangt wurde und daraufhin auch direkt reagiert wurde. Die Verteidigerin teilte ihre bisherige Unkenntnis mit und beantragte hierauf erneut und eilig Akteneinsicht, um die Abläufe aufzuklären. Als diese nicht schnell genug gewährt wurde, nahm der Beschwerdeführer den Einspruch einen Tag vor dem geplanten Hauptverhandlungstermin zurück, um Kosten zu vermeiden.

    Die unterbliebene Mitteilung war als unrichtige Sachbehandlung mithin auch kausal für die Entstehung der Kosten. Dies ergibt sich auch daraus, dass der Einspruch noch vor dem Termin (zur Sicherheit) zurückgenommen wurde, obwohl keine ergänzende Akteneinsicht erfolgte. Dass das Fax der Verteidigerin zeitweise nicht empfangsbereit war und daher die Gewährung der (ergänzenden) Akteneinsicht hierüber nicht möglich war, unterbricht diese Kausalität nicht, da der Sachverständige zu diesem Zeitpunkt schon beauftragt war. Aus der Kostenrechnung ergibt sich nicht, dass zu diesem Zeitpunkt noch Kosten hätten vermieden werden können. Ein sonstiges (Mit-)verschulden ist unbeachtlich.  

    III.

    Die Kostenentscheidung resultiert aus § 66 Abs. 8 GKG.

    RechtsgebieteBußgeldverfahren, AuslagenVorschriften§ 464, § 464a, § 464b StPO, § 11 Abs. 1 RPflG, § 104 Abs. 3 S. 1 ZPO, § 311 Abs. 2 StPO, § 9 Abs. 1 JVEG