09.12.2021 · IWW-Abrufnummer 226273
Oberlandesgericht München: Beschluss vom 30.09.2021 – 11 W 1243/21
1. Hat das Erstgericht Sachverständigenkosten in Ansatz gebracht, so ist eine Entscheidungsbefugnis über die Frage der Nichterhebung von Kosten wegen unrichtiger Sachbehandlung gemäß § 21 GKG nicht mehr gegeben.
2. Vielmehr ist nach Erlass der Kostenrechnung über die Frage der Nichterhebung von Verfahrenskosten ausschließlich im Rahmen des Erinnerungsverfahrens gegen den Kostensatz zu entscheiden.
3. Insoweit ist gemäß § 66 Abs. 6 S. 1 GKG eine originäre Zuständigkeit des Einzelrichters gegeben.
In Sachen
...
- Klägerin -
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte ...
gegen
...
- Beklagte und Beschwerdeführerin -
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte ...
wegen Forderung
hier: Beschwerde gegen Zurückweisung des Antrags auf Kostenniederschlagung
-
erlässt das Oberlandesgericht München - 11. Zivilsenat - durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., die Richterin am Oberlandesgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ... auf die Beschwerde der Beklagten vom 22.07.2021 gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 09.07.2021
am 30.09.2021 folgenden
Beschluss:
Tenor:
1.
Der Beschluss des Landgerichts München I vom 09.07.2021 wird aufgehoben.
2.
Die Sache wird zur Entscheidung über die Kostenerinnerung der Beklagten an das Landgericht München I zurückverwiesen.
Gründe
I.
Durch Endurteil vom 28.10.2020 gab die 24. Zivilkammer des Landgerichts München I der Klage unter dem Az. 24 O 3837/12 in der Besetzung mit drei Berufsrichtern teilweise statt.
Im Rahmen des Berufungsverfahrens stellte das Oberlandesgericht München mit Beschluss vom 26.04.2021 (Az. 28 U 6399/20) das Zustandekommen eines Vergleichs gemäß § 278 Abs.6 ZPO zwischen den Parteien fest. Danach tragen die Parteien die Kosten des Rechtsstreits und des Vergleichs zu je 50 %. Vorangegangen war ein umfangreicher Hinweisbeschluss mit Vergleichsvorschlag des 28. Senats des Oberlandesgerichts München vom 01.03.2021.
Mit Schlusskostenrechnung vom 09.04.2021 (Kostenrechnung XIX), zuletzt bestätigt mit Schlusskostenrechnung vom 20.06.2021 (Kostenrechnung XXI), setzte der Kostenbeamte des Landgerichts München I die Gerichtskosten der I. Instanz mit insgesamt 139.489,88 € fest. Darin enthalten ist eine Sachverständigenvergütung gemäß Nr. 9005 KV GKG in Höhe von 65.194,46 € betreffend eine Rechnung vom 17.06.2020 der im Verfahren durch das Landgericht förmlich bestellten Sachverständigen Dipl.-Ing. A. Z. von der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung. Diese Rechnung beinhaltet Kosten für den sachverständigen Beirat J. J. von der EPC C. GmbH in Höhe von insgesamt 50.694,00 € (brutto).
Gegen die Berücksichtigung der Kosten des sachverständigen Beirats J. wandte sich die Beklagtenpartei mit Schriftsatz vom 06.05.2021 mit dem Antrag, diese nicht zu erheben bzw. niederzuschlagen. Auch nach den Ausführungen des Oberlandesgerichts München im Hinweisbeschluss vom 01.03.2021 sei dessen Hinzuziehung als Gehilfe der gerichtlich bestellten Sachverständigen Z. gemessen an den Anforderungen des § 407a Abs.3 ZPO fehlerhaft gewesen. Die Sachverständige Z. habe wiederholt erklärt, dass sie die Verantwortung für die Erkenntnisse des Beirats nicht übernehmen könne; ein Beweisbeschluss, in dem Herr J. J. als Gerichtssachverständiger bestellt worden sei, fehle. Zudem sei die Beweisaufnahme zur Schadenshöhe wegen der vorab zu klärenden Frage der Kausalität noch gar nicht zulässig gewesen. Sowohl als Beirat als auch als Hauptgutachter sei Herr J. erkennbar ungeeignet, worauf die Beklagtenpartei bereits mehrfach hingewiesen habe. Vor dem Hintergrund dieser schwerwiegenden Verfahrensfehler infolge unrichtiger Sachbehandlung seien die durch den Beirat J. entstandenen Kosten gemäß § 21 GKG niederzuschlagen.
Durch Beschluss vom 09.07.2021 wies die 24. Zivilkammer des Landgerichts München I in der Besetzung mit drei Berufsrichtern den Antrag der Beklagten ab: Eine unrichtige Sachbehandlung des Gerichts im Sinne des § 21 GKG sei nicht erfolgt. Die Beauftragung des Beirats Jens J. sei angemessen und erforderlich gewesen. Das OLG München habe im Übrigen offen gelassen, ob das Gutachten verwertbar sei. Der Beirat J. verfüge auch über die entsprechende Sachkunde. Die Bestellung als Gerichtssachverständiger hätte zu keiner Kostenersparnis geführt.
Mit Schriftsatz vom 22.07.2021, eingegangen beim Landgericht München I am selben Tag, legte die Beklagte gegen den Beschluss vom 09.07.2021 Beschwerde ein.
Durch Beschluss vom 13.08.2021 half die 24. Zivilkammer des Landgerichts München I in der Besetzung mit drei Berufsrichtern der Beschwerde nicht ab und legte die Akten zur Entscheidung dem Oberlandesgericht München vor.
II.
Die zulässige Beschwerde der Beklagten führt zur Aufhebung des Kammerbeschlusses vom 09.07.2021 sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht München I zur Entscheidung über die Kostenerinnerung der Beklagten.
1. Das Rechtsmittel der Beschwerde ist statthaft.
Bei dem Kammerbeschluss vom 09.07.2021 handelt es sich um eine Entscheidung des Erstgerichts gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 GKG über die Frage der Nichterhebung der (Sachverständigen)Kosten wegen unrichtiger Sachbehandlung. Gegen eine solche Entscheidung des Erstgerichts findet gemäß § 66 Abs. 2 GKG die - einfache - Beschwerde statt (Toussaint, Kostengesetze, 51. Auflage, § 21 GKG, Rn. 48; Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG, 4. Aufl., § 21 Rn. 13; BeckOK-Dörndorfer, 34. Edition, Stand: 01.07.2021, zu § 21 Rn. 9).
2. Der angefochtene Beschluss leidet an einem wesentlichen Verfahrensmangel, da die Entscheidung nicht durch den zuständigen gesetzlichen Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ergangen ist.
a) Das Landgericht München I hat in unzulässiger Weise als Erstgericht - in der Besetzung mit drei Berufsrichtern - über die Frage der Nichterhebung von Gerichtskosten gemäß § 21 GKG entschieden.
Nachdem mit der Kostenrechnung vom 09.04.2021 ein entsprechender Ansatz über die Sachverständigenkosten bereits vorgelegen hatte, war eine Entscheidungsbefugnis des Erstgerichts über die Frage der Nichterhebung von Kosten wegen unrichtiger Sachbehandlung gemäß § 21 GKG nicht mehr gegeben. Mit Erlass der Kostenrechnung ist vielmehr über die Frage der Nichterhebung von Verfahrenskosten ausschließlich im Rahmen des Erinnerungsverfahrens gegen den Kostenansatz zu entscheiden, wofür gemäß § 66 Abs. 6 Satz 1 GKG eine originäre Zuständigkeit des Einzelrichters gegeben ist (vgl. Senatsbeschluss vom 26.02.2020 - 11 W 215/20).
aa) Der - teilweise - Wegfall des staatlichen Kostenanspruchs im Sinne des § 21 GKG setzt grundsätzlich eine gerichtliche Entscheidung voraus. Die Entscheidung über die Nichterhebung entstandener Gerichtskosten trifft dabei das Gericht, d. h. der Richter bzw. in übertragenen Geschäften der Rechtspfleger, bei dem die unrichtige Sachbehandlung zu Mehrkosten geführt hat (§ 21 Abs. 2 Satz 1 GKG). Die gerichtliche Entscheidung über die Nichterhebung kann dabei bereits in die Kostengrundentscheidung des Endurteils über die Hauptsache aufgenommen werden; ansonsten entscheidet das Gericht durch gesonderten Beschluss (B/D/Z, a.a.O., Rn. 13; BeckOK-Dörndorfer, a.a.O., § 21 Rn. 9). Das Gericht entscheidet dabei auf Antrag des Kostenschuldners oder von Amts wegen.
bb) Diese Entscheidungsbefugnis des erkennenden Erstgerichts über die Frage der Nichterhebung von Gerichtskosten endet jedoch mit dem Erstellen des Gerichtskostenansatzes durch den Kostenbeamten.
aaa) Die Annahme eines Fortbestehens der Zuständigkeit des Erstgerichts für die Entscheidung über die Nichterhebung von Kosten neben bzw. zusätzlich zu dem Angriff auf die bereits festgesetzten Sachverständigenkosten im Rahmen des Erinnerungsverfahrens gegen den Kostenansatz würde zu einer - zu vermeidenden - Parallelzuständigkeit des erkennenden Erstgerichts einerseits sowie des Kostenbeamten bzw. Kostenrichters andererseits führen; damit würde nämlich über dieselbe Frage im Rahmen zweier unterschiedlicher Verfahren durch unterschiedliche Entscheidungsbefugte befunden. Die dabei entstehende Gefahr widerstreitender Entscheidungen ist offensichtlich.
bbb) Es entspricht daher bereits bisher der h.M. und Senatsrechtsprechung, dass ein nach Zugang der Kostenrechnung an den Kostenschuldner eingereichter Antrag auf Nichterhebung von Gerichtskosten gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG sich der Sache nach gegen den vom Kostenbeamten in der Kostenrechnung vorgenommenen Kostenansatz, also gegen die Anforderung der angefallenen Gebühren und zu erstattenden Auslagen, richtet und daher als Erinnerung zu behandeln ist (Senatsbeschluss vom 26.02.2020 - 11 W 215/20; BGH, Beschluss vom 15.08.2002, I ZA 1/01; VGH Kassel, Beschluss vom 13.09.2012, 4 F 1443/12; Toussaint, a.a.O., Rn. 34; B/D/Z, a.a.O., Rn. 14; BeckOK-Dörndorfer, a.a.O., Rn. 9).
ccc) Dies muss aber auch dann gelten, wenn die Kostenschuldnerin in ihrem Antrag auf Kostenniederschlagung - wie hier - nicht ausdrücklich auf den Kostenansatz des Kostenbeamten Bezug nimmt und ihr Ersuchen nicht ausdrücklich als Gerichtskostenerinnerung bezeichnet. Es kann angesichts der Tatsache, dass eine Schlusskostenrechnung des Kostenbeamten im Falle des Vorhandenseins ausreichender Vorauszahlungen und entsprechender Verrechnungen nicht zwangsläufig den Kostenschuldnern mitgeteilt wird, auch aus Gründen der Rechtssicherheit, nicht auf den Zugang des Gerichtskostenansatzes beim Kostenschuldner ankommen; es ist vielmehr zutreffenderweise auf die Existenz des Gerichtskostenansatzes abzustellen, zumal auch Regelungen über eine förmliche Bekanntgabe des Gerichtskostenansatzes fehlen. Unabhängig von der Frage, wann der antragstellende Kostenschuldner Kenntnis von dem Gerichtskostenansatz erlangt hat, ist der Antrag auf Kostenniederschlagung ab dem Zeitpunkt, in dem die Kosten im Rahmen eines Gerichtskostenansatzes festgesetzt wurden, als Gerichtskostenerinnerung zu behandeln (vgl. Mayer/GKG/2020, 17. Auflage, zu § 21 Rn.15).
b) Nach § 66 Abs. 6 Satz 1, 1. Halbsatz GKG entscheidet das Gericht über die Erinnerung durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter. Somit hat die 24. Kammer des Landgerichts München I - nach etwaiger Nichtabhilfeentscheidung der zuständigen Kostenbeamtin - über die Erinnerung der Beklagten gegen den Kostenansatz durch den Einzelrichter zu befinden.
Eine Zuständigkeit der Kammer in ihrer Besetzung mit drei Berufsrichtern im Rahmen des verfahrensgegenständlichen Erinnerungsverfahrens ist demgegenüber nicht gegeben, insbesondere ist nicht erkennbar, dass der originär zuständige Einzelrichter das Verfahren der Kammer nach § 66 Abs. 6 Satz 2 GKG übertragen hat oder auch nur die Voraussetzungen hierfür erfüllt waren. Insoweit liegt weder ein förmlicher Übertragungsbeschluss vor noch sind Anhaltspunkte für eine stillschweigende Übertragung durch konkludentes Handeln ersichtlich. Nach Aktenlage bestand hierfür aus Sicht der Kammer auch keine Veranlassung, da die Kammer - rechtsirrtümlich - als Erstgericht im Sinne von § 21 Abs. 2 Satz 1 GKG und damit nicht als Erinnerungsgericht im Sinne von § 66 Abs. 6 GKG tätig wurde.
c) Der Umstand, dass die Kammer des Landgerichts München I in ihrer Besetzung mit drei Berufsrichtern statt im Rahmen des Erinnerungsverfahrens durch den Einzelrichter entschieden hat, stellt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einen Verstoß gegen den gesetzlichen Richter im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG dar. Denn gesetzliche Richter im Sinne dieser Vorschrift sind nicht nur das Gericht als organisatorische Einheit und das erkennende Gericht als Spruchkörper, sondern auch die im Einzelfall zur Mitwirkung berufenen Richter. Das Verhältnis von Kollegium und Einzelrichter unterliegt denselben Grundsätzen des gesetzlichen Richters. Das Kollegium, welches anstelle eines zuständigen Einzelrichters entscheidet, kann somit nicht als gewissermaßen "besseres" Gericht angesehen werden (BVerfG, Beschluss vom 02.06.2009, 1 BvR 2295/08).
Dem festgestellten Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG steht § 66 Abs. 6 Satz 4 GKG nicht entgegen, da die Überprüfung der Verletzung des Verfahrensgrundrechts auf den gesetzlichen Richter nicht durch eine einfach-gesetzliche Regelung wie z.B. § 66 Abs. 6 Satz 4 GKG ausgeschlossen werden kann (vgl. auch BGHZ 154, 200; BeckOK-Laube, 34. Edition, Stand: 01.07.2021, zu § 66 GKG, Rn. 164).
3. Einer eigenen Sachentscheidung des Beschwerdegerichts, wie sie grundsätzlich auch bei wesentlichen Verfahrensfehlern nach § 572 ZPO möglich wäre, steht hier entgegen, dass die Unzuständigkeit der Kammer zugleich Auswirkungen auf die Zuständigkeit des Senats im Beschwerdeverfahren und damit auf den gesetzlichen Richter des Beschwerdeverfahrens hat (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 27.09.2002, 6 W 118/02). Insoweit hatte vorliegend durch den Senat zwingend eine Aufhebung der Erinnerungsentscheidung und Zurückverweisung zur Entscheidung durch den Einzelrichter zu erfolgen (siehe auch Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, 42. Auflage, § 572 Rn. 20).
Über die Erinnerung gegen den Kostenansatz ist daher - nach Beteiligung des Bezirksrevisors als Vertreter der Staatskasse - durch den Einzelrichter zu entscheiden.
4. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, da das Verfahren gerichtsgebührenfrei ist und Kosten nicht erstattet werden (§ 66 Abs. 8 GKG).