12.07.2022 · IWW-Abrufnummer 230192
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen: Urteil vom 02.06.2022 – 1 E 372/22
Diese Entscheidung enhält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
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G r ü n d e
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Die im Namen des Antragstellers erhobene Beschwerde, über die der Senat in der Besetzung mit drei Richtern entscheidet,
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vgl. die Senatsbeschlüsse vom 25. Januar 2011‒ 1 E 32/11 ‒, juris, Rn. 1 ff., m. w. N., vom 10. Oktober 2011 ‒ 1 E 300/11 ‒, juris, Rn. 1, vom 4. September 2013 ‒ 1 E 876/13 ‒, juris, Rn. 1, und vom 8. Oktober 2014 ‒ 1 E 197/14 ‒, juris, Rn. 1,
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ist zwar gemäß §§ 146 Abs. 1 und 3, 147 Abs. 1 VwGO zulässig, aber unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass vorliegend weder eine Erledigungsgebühr gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes in der aktuellen Fassung (RVG) i. V. m. Nr. 1002 Anmerkung Satz 2, Nr. 1003 der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG (Vergütungsverzeichnis ‒ VV RVG) ‒ dazu nachfolgend2. ‒ noch eine Einigungsgebühr nach § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG i. V. m. Nr. 1000 Nr. 1, 1003 VV RVG (dazu nachfolgend 1.), jeweils nebst anteiliger Umsatzsteuer (Nr. 7008 VV RVG), entstanden ist.
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1. Die von dem Antragsteller beanspruchte Gebühr ist zunächst nicht als Einigungsgebühr i. S. d. Nr. 1000 Nr. 1 VV RVG entstanden. Eine solche könnte vorliegend angesichts der Anhängigkeit eines gerichtlichen, kein selbständiges Beweisverfahren darstellenden Verfahrens (VG Köln, 23 L 93/22) nur in Verbindung mit der Nr. 1003 VV RVG gelten, die den Gebührensatz auf 1,0 herabsetzt.
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Dazu, dass auch ein gerichtliches Eilverfahren ein gerichtliches Verfahren im Sinne dieser Vorschrift ist, vgl. etwa Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 25. Aufl. 2021, RVG VV 1003, 1004 Rn. 16 ‒
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Nach Nr. 1000 Nr. 1 VV RVG entsteht eine Einigungsgebühr für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrags, durch den der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird. Dabei stellt die Anmerkung 4 Satz 1 zu Nr. 1000 Nr. 1 VV RVG speziell für Rechtsverhältnisse des öffentlichen Rechts, wie sie hier vorliegen, klar, dass die Gebühr (nur) entsteht, soweit über die Ansprüche vertraglich verfügt werden kann. Diese Voraussetzungen sind vorliegend ersichtlich nicht erfüllt. Die Antragsgegnerin und der Antragsteller haben schon keinen Vertrag abgeschlossen, weshalb auch eine von dem Gebührentatbestand verlangte Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrages nicht vorliegen kann. Unabhängig davon hätte einem‒ erforderlichen ‒ wirksamen Vertragsabschluss auch entgegengestanden, dass Soldat und Dienstherr hinsichtlich der Freihaltung einer Übernahmestelle zum Berufssoldaten nicht dispositionsbefugt sind.
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Zu Fällen, in denen eine Dispositionsbefugnis im Verwaltungs- und Sozialrecht bejaht worden ist, vgl. etwa Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 25. Aufl. 2021, RVG VV 1000 Rn. 76.
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2. Es ist hier auch keine Erledigungsgebühr nach Nr. 1003, 1002 VV RVG entstanden.
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Da die Einigungsgebühr ‒ wie gesehen ‒ bei Rechtsverhältnissen des öffentlichen Rechts nicht anfallen kann, soweit über sie vertraglich nicht verfügt werden kann, aber auch in solchen Angelegenheiten eine anwaltliche Mitwirkung an einer außergerichtlichen Erledigung der Rechtssache (bzw. im Fall nach Nr. 1003, 1000 VV RVG eine anwaltliche Mitwirkung an einer unstreitigen Erledigung des Rechtsstreits im gerichtlichen Verfahren) für den Auftraggeber von besonderem Nutzen sein kann und zugleich die Gerichte entlastet, honoriert das Gesetz eine solche anwaltliche Mitwirkung bei einer Erledigung durch die (gegenüber Nr. 1000 VV RVG insoweit speziellere) Erfolgsgebühr nach Nr. 1002 VV RVG.
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Vgl. etwa Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 25. Aufl. 2021, RVG VV 1002 Rn. 3; ferner Sefrin, in: v. Seltmann, BeckOK RVG, Stand: 1. März 2022, RVG VV 1002 Rn. 4: "Gebühr speziell für den verwaltungsrechtlichen Bereich" (bei fehlender Dispositionsbefugnis, Rn. 6); ausführlich VG Würzburg, Beschluss vom 24. August 2021 ‒ W 8 M 21.954 ‒, juris, Rn. 16 f., m. w. N.
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Nach der hier nur in Betracht kommenden Regelung der Nr. 1002 Anmerkung Satz 2 VV RVG entsteht (vorbehaltlich der hier nicht einschlägigen Regelung der Nr. 1005 VV RVG) eine Erledigungsgebühr, wenn sich eine Rechtssache ‒ hier das gerichtliche Eilverfahren, vgl. Nr. 1003 VVRVG) ‒ ganz oder teilweise durch Erlass eines bisher abgelehnten Verwaltungsakts durch die anwaltliche Mitwirkung erledigt.
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Die für das Entstehen der Erledigungsgebühr dem Grunde nach zunächst verlangte "Mitwirkung" muss in einer besonderen Tätigkeit des Rechtsanwalts bestehen, die auf die Beilegung des Rechtsstreits ohne streitige Entscheidung gerichtet ist. Erforderlich sind in diesem Zusammenhang solche Mitwirkungshandlungen, die über die bereits mit der Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV RVG) abgegoltenen Tätigkeiten hinausgehen, also namentlich nicht nur in der Einlegung und Begründung des Rechtsbehelfs unter möglichst überzeugendem und umfassenden Vortrag der für den Mandanten sprechenden Argumente bestehen dürfen. Die Mitwirkung des Rechtsanwalts muss ferner, wie der Wortlaut der Nr. 1002 VV RVG verdeutlicht (Satz 1: "durch … erledigt"; Satz 2: "Das Gleiche gilt"), kausal für die vollständige oder teilweise Erledigung der Rechtssache gewesen sein.
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Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 4. September 2013 ‒ 1 E 876/13 ‒, juris, Rn. 6 bis 13, m. w. N., und vom 8. Oktober 2014 ‒ 1 E 197/14 ‒, juris, Rn. 5.
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Dabei darf sich die Mitwirkung des Rechtanwalts nicht auf die formale Erledigung des Verfahrens durch Abgabe entsprechender prozessualer Erklärungen beschränken, sondern muss (schon) die materiell-rechtliche Erledigung zum Inhalt und Ziel gehabt haben. In der hier gegebenen Verpflichtungssituation bedeutet dies, dass eine anwaltliche Mitwirkung dann, wenn die Behörde dem zuletzt anhängig gewesenen Klageanspruch in vollem Umfang entsprochen hat, schon aus Gründen der Logik zeitlich nur vor der (verbindlichen Zusage der) Klaglosstellung liegen kann. Lediglich dann, wenn die Behörde dem Klagebegehren nicht in vollem Umfang oder nicht mit dem beantragten Inhalt, sondern nur teilweise oder in ähnlicher Weise entsprochen oder dies verbindlich zugesagt hat, bleibt noch Raum für eine anwaltliche Mitwirkung i. S. v. Nr. 1002 VV RVG (i. V. m. Nr. 1003 VV RVG), etwa durch ein erledigungsorientiertes Einwirken auf den Mandanten, aufgrund dessen dieser sich mit dem erreichten Teilerfolg zufrieden gibt und das nur teilweise materiell-rechtlich erledigte Verfahren in Übereinstimmung mit der Behörde insgesamt für erledigt erklärt.
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Zum Ganzen ausführlich: OVG NRW, Beschluss vom 8. Oktober 2014 ‒ 1 E 197/14 ‒, juris, Rn. 6 bis 15, m. w. N.; vgl. auch Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 25. Aufl. 2021, RVG VV 1002 Rn. 35 bis 38 (Zeitpunkt der Mitwirkung), 52 f. (Einwirken nach Teilerledigung) und 58 bis 61 (Kausalität).
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Gemessen an diesen Grundsätzen hat das Verwaltungsgericht zutreffend entschieden, dass die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers hier keine Erledigungsgebühr verdient hat.
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Nach der Beschwerdebegründung vom 6. Mai 2022 stellt sich die konkrete Mitwirkung der Prozessbevollmächtigten des Antragstellers an der Erledigung wie folgt dar: Nachdem die Antragsgegnerin dem Antragssteller mit Schriftsatz vom 9. März 2022 ihre schriftliche Zusicherung vom gleichen Tage, für ihn bestehe im Falle einer positiv ausfallenden Prüfung im Beschwerde- und eventuellen Klageverfahren eine Übernahmemöglichkeit für die Übernahme in das Dienstverhältnis eines Berufssoldaten, übermittelt und sich bereits vorab einer Erledigungserklärung des Antragstellers angeschlossen hatte, habe die Prozessbevollmächtigte den Antragsteller "hinsichtlich einer außergerichtlichen Erledigung zielführend beraten", eine Erledigungserklärung abzugeben, weil die Zusicherung die Schriftform gewahrt habe und daher formwirksam gewesen sei. Das Einwirken auf den Antragsteller habe darin bestanden, diesem die Rechtslage umfassend zu erläutern und insbesondere darauf hinzuweisen, dass die erklärte Zusicherung rechtssicher sei und daher das Rechtschutzbedürfnis entfallen lasse.
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Mit diesem Vortrag dürfte der Antragsteller, wie zunächst festzuhalten ist, seine (den Fallbezug allerdings im Unklaren lassende) Behauptung aus der auf gerichtliche Entscheidung gerichteten Antragsschrift vom 13. April 2022 fallen gelassen haben, seine Prozessbevollmächtigte habe "auf die Erteilung einer formwirksamen Zusicherung hingewirkt". Ein solcher Vortrag, sollte er noch aufrechterhalten werden, wäre jedenfalls nicht glaubhaft. Aus dem Text der Zusicherung und auch aus der das Eilverfahren einleitenden Antragsschrift vom 25. Januar 2022 (S. 3, dritter Absatz) ergibt sich zunächst, dass der Antragsteller mit seiner Beschwerde vom 14. Januar 2022, die er persönlich formuliert und eingereicht hatte (vgl. die Eingangsbestätigung vom 20. Januar 2022 an den Antragsteller und dessen Eidesstattliche Versicherung vom 2. März 2022), bereits selbst unter Fristsetzung bis zum 24. Januar 2022 um die Zusicherung gebeten hatte, ihm für den Erfolgsfall im Beschwerde- und ggf. Klageverfahren eine Übernahmestelle freizuhalten. Es ist auch nicht erkennbar, dass die ausweislich der vorgelegten Prozessvollmacht erst seit dem 24. Januar 2022 mandatierte Prozessbevollmächtigte des Antragstellers während des gerichtlichen Eilverfahrens auf die Erklärung einer (schriftlichen) Zusicherung gegenüber der Antragsgegnerin hingewirkt hat. Anhaltspunkte hierfür ergeben sich insbesondere nicht aus den von den Beteiligten vor dem 9. März 2022 vorgelegten Schriftsätzen, mit denen diese lediglich ihre gegensätzlichen Rechtspositionen dargelegt haben (vgl. die Schriftsätze des Antragstellers vom 25. Januar 2022, vom 18. Februar 2022 und vom 3. März 2022 sowie die Schriftsätze der Antragsgegnerin vom 8. Februar 2022, vom 14. Februar 2022 und vom 21. Februar 2022). Das gilt umso mehr, als die Antragsgegnerin bereits mit ihrer ersten Antragserwiderung vom 8. Februar 2022 erklärt hatte, nicht der Anregung des Verwaltungsgerichts aus der Eingangsverfügung zu folgen, eine verfahrenserledigende Zusicherung abzugeben. Schließlich und vor allem aber hat der Antragsteller mit seinem Schriftsatz vom 20. Mai 2022 nicht dem Vortrag der Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 12. Mai 2022 widersprochen, die ‒ für die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers wohl unerwartete ‒ Abgabe der Zusicherung sei allein aus internen Erwägungen und "völlig ohne Zutun der Verfahrensbevollmächtigten unter Einhaltung der von ihr geforderten Formanforderungen" erfolgt. Die Angabe, die Antragsgegnerin habe die "von ihr", d. h. von der Prozessbevollmächtigten des Antragstellers geforderten Formanforderungen beachtet, kann dabei angesichts des Vorstehenden nur dahin verstanden werden, dass die Rechtsanwältin bereits in vergleichbaren Fällen auf der Schriftlichkeit abzugebender Zusicherungen bestanden hatte, nicht aber auch im Fall des Antragstellers.
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Die nach alledem allein noch (glaubhaft) geltend gemachte anwaltliche, auf die Abgabe einer Erledigungserklärung abzielende Beratung nach erfolgter‒ vollständiger ‒ Klaglosstellung durch die Zusicherung vom 9. März 2022 stellt ersichtlich keine anwaltliche Mitwirkung i. S. v. Nr. 1002 VV RVG dar. Das gilt schon deshalb, weil die Prozessbevollmächtigte diese Tätigkeit erst nach der vollständigen Klaglosstellung des Antragstellers durch die gegebene Zusicherung entfaltet hat. Aus diesem Grund ist es nach den o. g. Grundsätzen nämlich von vornherein ausgeschlossen, dass noch eine besondere, auf das "Ob" oder "Wie" einer materiell-rechtlichen Erledigung des Rechtsstreits abzielende Mitwirkung vorliegen kann. Die geltend gemachte Beratungstätigkeit stellt vielmehr nur eine Mitwirkung an der formellen Beendigung eines Verfahrens dar, das sich bereits ohne das Zutun der Prozessbevollmächtigten erledigt hatte. Eine solche anwaltliche Leistung ist aber bereits mit der Verfahrensgebühr abgegolten.
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Eine abweichende Bewertung ergibt sich nicht aus den von dem Antragsteller herangezogenen Entscheidungen anderer Gerichte. Das gilt zunächst für den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 3. Januar 2017‒ 10 E 11382/16 ‒, juris, der eine hier nicht einschlägige Fallgestaltung betrifft. Die anwaltliche Einwirkung auf den dortigen Kläger hatte nämlich vor dem teilerledigenden Ereignis stattgefunden und zudem den Kläger dazu bewogen, sich bei einem nachfolgenden Einigungsgespräch mit einem Teilerfolg zufrieden zu geben (juris, Rn. 3). Auch der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 11. Januar 1999 ‒ 3 E 808/98 ‒, juris, ist für den vorliegenden Fall ohne Bedeutung. Auch dort hatte der Prozessbevollmächtigte nach einer Teilaufhebung des angefochtenen Bescheides auf die Klägerin mit dem Erfolg eingewirkt, dass diese trotz nur gegebener Teilerledigung den Rechtsstreit insgesamt für in der Hauptsache erledigt erklärt hat (juris, Rn. 12). Unergiebig ist schließlich auch der Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 24. August 2021 ‒ W 8 M 21.954 ‒, juris, mit dem das Gericht einen Anspruch der dortigen Klägerin auf Festsetzung einer Erledigungsgebühr nach Nr. 1002 VV RVG verneint hat (juris, Rn. 14 ff.). Das Gericht hat seiner Entscheidung ‒ nicht anders als der vorliegende Senatsbeschluss ‒ zugrunde gelegt, dass die Mitwirkung i. S. d. Nr. 1002 VV RVG auf die materiell-rechtliche Erledigung des Rechtsstreits gerichtet sein müsse, dass dabei ein Einwirken auf den Mandanten ausreichen könne, wenn dieser sich mit einer (erfolgten) Teilaufhebung zufrieden gebe, und dass die bloße Abgabe einer Erledigungserklärung keine Mitwirkung in diesem Sinne sei (juris, Rn. 20 f.). Einzelfallbezogen hat es sodann angenommen, es sei weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass es besonderer anwaltlicher Mühe bedurft hätte, die Klägerin angesichts der abgesehen von der Zinsforderung vollständigen Abhilfe durch die Behörde zu einer umfassenden Erledigungserklärung zu bewegen (juris, Rn. 28).
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Wertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil für das Verfahren eine Festgebühr vorgesehen ist (vgl. Kostenverzeichnis Nr. 5502 der Anlage zu § 3 Abs. 2 GKG).
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Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
RechtsgebietGebührenrechtVorschriftenNr. 1002 VV RVG