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  • 10.10.2022 · IWW-Abrufnummer 231689

    Oberlandesgericht Frankfurt a. M.: Beschluss vom 13.05.2022 – 18 W 67/22

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    OLG Frankfurt 18. Zivilsenat

    13.05.2022


    Tenor

    Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten vom 02.08.2021 gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Gießen vom 23.07.2021 werden dieser und der Nichtabhilfebeschluss des Landgerichts Gießen vom 27.04.2022 aufgehoben und wird die Sache

    zur erneuten Entscheidung über den Kostenfestsetzungsantrag der Beklagten vom 27.11.2020 unter Beachtung der in diesem Beschluss niedergelegten Rechtsauffassung des Beschwerdegerichts

    und

    zur Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens

    an das Landgericht Gießen zurückverwiesen.

    Beschwerdewert: bis zu 500 EUR

    Gründe

    1. Die gemäß § 11 Abs. 1 RPflG, § 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO statthafte sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt (§ 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

    2. Die Beschwerde ist insoweit begründet, als das Landgericht die Kosten in Höhe von insgesamt 226,10 EUR, die auf der Seite der Beschwerdeführer durch die Tätigkeit von Rechtsanwalt A entstanden sind (Bl. 104 d.A.), nicht gegen die Klägerin festgesetzt hat.

    Das Landgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass es sich bei diesem Betrag nicht um nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO erstattungsfähige Kosten des Rechtsstreits handelt.

    Nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat die unterliegende Partei die dem Gegner entstandenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Erstattungsfähigkeit der im Streit befindlichen Anwaltskosten hängt, auch wenn es jedem Streitgenossen unter kostenrechtlichen Gesichtspunkten grundsätzlich freisteht, einen eigenen Rechtsanwalt zu beauftragen, in Fallkonstellationen der vorliegenden Art davon ab, ob es für den Beklagten zu 1 notwendig war, sich durch einen weiteren, gesondert beauftragten Rechtsanwalt vertreten zu lassen, obwohl der mitverklagte Haftpflichtversicherer einen gemeinsamen Prozessbevollmächtigten bestellt hat; denn nach § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO sind die Kosten mehrerer Anwälte einer Partei vom unterlegenen Gegner nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Anwalts nicht übersteigen oder in der Person des Anwalts ein Wechsel erforderlich war. Eine solche Ausnahme ist gegeben, wenn ein konkreter sachlicher Grund die Inanspruchnahme von mehreren Prozessbevollmächtigten gebietet (grundlegend: BGH, Beschluss vom 20. Januar 2004, VI ZB 76/03, juris m.w.N.).

    Dabei ist in Fällen, in denen nach einem Unfall der Versicherungsnehmer des unfallbeteiligten Fahrzeugs gemeinsam mit seinem Haftpflichtversicherer verklagt wird, der Umstand, dass nach den im Innenverhältnis zwischen dem Versicherungsnehmer und seiner Haftpflichtversicherung geltenden Versicherungsbedingungen der Versicherungsnehmer im Falle eines Rechtsstreits dessen Führung dem Versicherer zu überlassen und dem Rechtsanwalt, den der Versicherer bestellt, Vollmacht zu erteilen hat, sich damit also grundsätzlich jeder Einflussnahme auf die Prozessführung zu enthalten und auch von sich aus keinen Anwalt zu bestellen hat, zu beachten. Diese Regelung spricht dagegen, dem prozessualen Gegner die durch die gleichwohl erfolgte individuelle Beauftragung eines Rechtsanwalts durch den Versicherungsnehmer entstehenden Mehrkosten aufzuerlegen. Vielmehr spricht diese Regelung gerade für eine Begrenzung der Kostenerstattungspflicht (OLG Saarbrücken, Beschluss vom 23.12.2011 - 9 W 269/11, juris Rn. 7 mwN). Beim Versicherer handelt es sich nämlich regelmäßig um ein gewerbliches Unternehmen, das oft über eine eigene, die Sache bearbeitende Rechtsabteilung verfügt. In diesen Fällen ist davon auszugehen, dass sachkundige Mitarbeiter der Rechtsabteilung den Rechtsstreit in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vorbereiten und ihren Prozessbevollmächtigten entsprechend unterrichten. Aber auch dann, wenn der Haftpflichtversicherer keine eigene Rechtsabteilung unterhält, sondern bei rechtlichen Schwierigkeiten einen Rechtsanwalt an seinem Geschäftsort beauftragt, ist die Beauftragung eines eigenen Rechtsanwalts für den Versicherungsnehmer, wenn er ersichtlich kein über die Interessen des Versicherers hinausgehendes oder ihnen entgegen gerichtetes Prozessziel verfolgt, nicht bzw. nicht mehr erforderlich, sobald der Versicherer den Rechtsstreit aufnimmt (BGH, Beschluss vom 20. Januar 2004, VI ZB 76/03, juris Rn. 10).

    Von diesen Grundsätzen gehen auch der Beschwerdeführer und die Beschwerdeerwiderung aus.

    Der vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich von dem im Rahmen obiger Ausführungen zugrunde gelegten aber insoweit, als bei der vorliegenden Fallgestaltung der Klage gegen den Fahrzeugführer und dem mitverklagten Haftpflichtversicherer des durch einen Dritten gehaltenen Fahrzeugs keine unmittelbare vertragliche Beziehung besteht. Es kann dahinstehen, ob die aufgezeigten Grundsätze auch auf diese Fallgestaltung (uneingeschränkt) übertragbar sind, da auch bei Bejahung der Übertragbarkeit die grundsätzlichen Voraussetzungen der Erstattungsfähigkeit der Kosten des durch den Beklagten zu 1 eigenständig beauftragten Rechtsanwalts gegeben sind.

    Der Beklagte zu 1 ist nämlich durch die gegen ihn und den Haftpflichtversicherer des durch den Beklagten zu 1 geführten Fahrzeugs als Beklagte zu 2 erhobene und ihm am 02.01.2020 zugestellte Klage - entsprechend dem im schriftlichen Vorverfahren vor dem Landgericht üblichen Vorgehen - aufgefordert worden, sich für den Fall, dass er sich gegen die Klage verteidigen wolle, einen Rechtsanwalt zu bestellen und seine Verteidigungsbereitschaft innerhalb von zwei Wochen mitzuteilen, anderenfalls ein Versäumnisurteil gegen ihn ergehen könne. Auch den hierfür erforderlichen Antrag hatte die Klägerin bereits gestellt. Zu diesem Zeitpunkt hatte der mitverklagte Haftpflichtversicherer den Rechtsstreit aber noch nicht aufgenommen.

    Soweit die Klägerin in Betracht zieht, der Beklagte zu 1 hätte sich nach Klagezustellung bei dem mitverklagten Haftpflichtversicherer hinsichtlich der prozessualen Vertretung kundig machen können, hätte eine solche Verpflichtung unter Zugrundelegung der aufgezeigten Grundsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung schon bei unmittelbarer Vertragsbeziehung zu dem mitverklagten Haftpflichtversicherer nicht bestanden. Auch in diesem Fall wäre die anwaltliche Beratung und Vertretung des klageweise in Anspruch genommenen Versicherungsnehmer erforderlich gewesen, solange nicht der Haftpflichtversicherer den Prozess aufgenommen hatte. Anlass, erhöhte Anforderungen an die Erstattungsfähigkeit der Anwaltskosten des nicht in eigener vertraglicher Beziehung zu dem mitverklagten Haftpflichtversicherer stehenden Fahrzeugführers zu stellen, besteht nicht. Überdies war dem Beklagten zu 1 in der konkreten Situation ein weiteres Zuwarten bereits aufgrund des für den Fall seiner Säumnis angedrohten - von der Klägerin schon beantragten - Versäumnisurteils auch nicht zumutbar.

    Entsprach es damit seinem wohlverstandenen Interesse, sich einen Rechtsanwalt zu bestellen, kann dahinstehen, ob dieses auch noch erforderlich war, nachdem die Beklagte zu 2 den Rechtsstreit aufgenommen und der durch die Beklagte zu 2 beauftragte Rechtsanwalt die Vertretung beider Beklagter angezeigt hatte. Nach diesem Zeitpunkt ist der ursprünglich für den Beklagten zu 1 tätige Rechtsanwalt jedenfalls nicht mehr kostengenerierend für den Beklagten zu 1 tätig geworden. Vielmehr hat er nach Erhalt der am 20.01.2020 (Bl. 18 d.A.) beim Landgericht eingegangenen und am 29.01.2020 abverfügten Vertretungsanzeige der durch die Beklagte zu 2 eingeschalteten Prozessbevollmächtigten umgehend mit Schriftsatz vom 31.01.2020 (Bl. 28 d.A.) reagiert und mitgeteilt, den Beklagten zu 1 nicht mehr zu vertreten.

    Dem Zeitpunkt der Beauftragung nach Klagezustellung und dem Ende der anwaltlichen Tätigkeit für den Beschwerdeführer entspricht schließlich auch der auf der Rechnung ausgewiesene Zeitraum vom 08.01.2020 bis 31.01.2020 (Bl. 104 d.A.).

    Der in Rechnung gestellte Betrag ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden. Zwar stellt der in § 34 Abs. 1 RVG genannte Betrag von 190 EUR die Kappungsgrenze dar, ohne dass die Voraussetzungen einer Höchstgebühr insoweit dargetan wären. Dies kann aber deshalb keine Berücksichtigung finden, da bereits durch die - erforderliche - Anzeige der Verteidigungsbereitschaft für den Beschwerdeführer zu 1 alternativ zumindest eine 0,8-fache Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 Nr. 1 VV-RVG in Betracht gekommen wäre (vgl. hierzu Schneider, NJW-Spezial 2014, 731 mwN) - auf welche die in Rechnung gestellte Gebühr nach § 34 RVG hätte angerechnet werden müssen, wofür insgesamt ein höherer Betrag als 190 EUR angefallen wären.

    Einer Anrechnung der hinsichtlich des Beklagten zu 1 entstandenen Verfahrens - oder Beratungsgebühr auf die durch die Tätigkeit der gemeinsamen Prozessbevollmächtigten entstandenen Kosten steht bereits entgegen, das die Inanspruchnahme des weiteren Rechtsanwalts durch den Beklagten zu 1 in geschehenem Umfang gerechtfertigt war. Eine Kürzung des Vergütungsanspruchs der späteren gemeinsamen Prozessbevollmächtigten kommt nicht in Betracht.

    3. Das Beschwerdegericht macht von der ihm durch § 572 Abs. 3 ZPO eingeräumten Möglichkeit Gebrauch, die Sache zur erneuten Entscheidung über den Kostenfestsetzungsantrag der Beklagten vom 27.11.2020 (Bl. 102 f. d.A.) unter Beachtung der vorstehend niedergelegten Rechtsauffassung zurückzuverweisen, weil hinsichtlich des Kostenfestsetzungsverfahrens ein wesentlicher, behebbarer Verfahrensfehler vorliegt, weshalb eine Entscheidung des Beschwerdegerichts über den Kostenfestsetzungsantrag derzeit noch nicht möglich ist.

    a) Der Kostenfestsetzungsantrag der Beklagten ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats unzulässig, da er nicht hinreichend bestimmt ist (vgl. Beschl. v. 05.03.2012 - 18 W 48/12; Beschl. v. 16.12.2013 - 18 W 168/13; Beschl. v. 09.03.2015 - 18 W 236/14; Beschl. v. 30.06.2017 - 18 W 111/17; Beschl. v. 24.03.2020 - 18 W 32/20). Die Beklagten haben als Streitgenossen einen gemeinsamen Kostenfestsetzungsantrag gestellt, der nicht erkennen lässt, zugunsten welches Beklagten welcher Erstattungsbetrag verlangt wird. Auch wenn ein einheitlicher Festsetzungsantrag nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist, so muss daraus doch zumindest deutlich werden, in welchen Beteiligungsverhältnissen oder - bei gleicher Beteiligung am Rechtsstreit - in welcher Gläubigerstellung die Streitgenossen die Festsetzung begehren (BeckOK-ZPO/Jaspersen, 35. Ed., § 103 Rn. 31). Dabei mag bei gleicher Beteiligung am Rechtsstreit im Verhältnis zum Prozessgegner oftmals eine Teilgläubigerschaft naheliegen, die nach der Auslegungsregel des § 420 BGB die Streitgenossen dann im Zweifel auch zu gleichen Anteilen berechtigt (vgl. BGH, NJW 2013, 2826 f.; BeckOK-BGB/Gehrlein, 53. Ed., § 420 Rn. 3; MüKo-ZPO/Schulz, 5. Aufl., § 100 Rn. 29). Zwingend ist dies jedoch nicht. Denn bei Stellung eines gemeinsamen Kostenfestsetzungsantrages kann - unbeschadet der Fälle einer Bruchteils- oder Gesamthandsgemeinschaft nach § 432 BGB - auch die Geltendmachung des Kostenerstattungsanspruchs als Gesamtgläubiger gemäß § 428 BGB gewollt sein (zur entsprechenden Auslegung eines hierauf ergangenen Kostenfestsetzungsbeschlusses BGH, Rpfleger 1985, 321 = BeckRS 1985, 31078544; OLG Hamm, NZM 2006, 632, 633).

    b) Das Landgericht hätte daher schon bei der Entscheidung über den Festsetzungsantrag der Beklagten, spätestens aber bei der Entscheidung über die Abhilfe die Unzulässigkeit des Antrags erkennen und die Parteien gemäß § 139 Abs. 3 ZPO hierauf aufmerksam machen müssen, um den Beklagten Gelegenheit zur Einreichung eines zulässigen Festsetzungsantrages zu geben. Dieses hat nunmehr im erneut durchzuführenden Verfahren zur Entscheidung über den Kostenfestsetzungsantrag zu geschehen. Sollten die Beklagten einen zulässigen Antrag stellen, wird das Landgericht diesen zunächst der Klägerin zur Stellungnahme zuzuleiten haben, um deren Anspruch auf rechtliches Gehör zu wahren. Sodann wird das Landgericht unter Beachtung der oben dargelegten Rechtsauffassung des Beschwerdegerichts sowohl über den Antrag als auch über die Kosten dieses Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

    Hierbei wird es das Verschlechterungsverbot (Verbot der Reformatio in peius) zu beachten haben, da die die Aufhebung des Kostenfestsetzungsbeschlusses und den Nichtabhilfebeschlusses insgesamt dazu dient, den Prozess in die richtige Lage zu bringen und den Mangel im Ganzen zu beheben (BGH, Urteil vom 30.11.2012 - V ZR 245/11, NJW 2013, 1009 Rn. 11), die neue sachliche Entscheidung aber nicht zu Ungunsten des Rechtsmittelführers von der aufgehobenen Entscheidung abweichen darf (BGH, Beschluss vom 25.04.2018 - XII ZB 414/16, juris Rn. 24; Urteil vom 30.11.2012 - V ZR 245/11, NJW 2013, 1009 Rn. 11).

    4. Im Rahmen der Zurückverweisung wird das Landgericht auch über die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben. Gerichtliche Kosten werden nicht erhoben.

    5. Der Beschwerdewert bemisst sich nach dem Betrag der Kosten, dessen Zusetzung der Beschwerdeführer begehrt hat (§ 47 Abs. 1 GKG).

    6. Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind. Die Sache ist weder von grundsätzlicher Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts.

    RechtsgebieteHaftpflichtversicherung, VerkehrsunfallVorschriften§ 91 Abs. 2 S. 2 ZPO, Nr. 3101 Nr. 1 VV RVG