11.04.2023 · IWW-Abrufnummer 234627
Landgericht Augsburg: Beschluss vom 28.09.2022 – 3 Qs 285/22
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
LG Augsburg
Beschluss vom 28.09.2022
Tenor
- Die Beschwerde des Bezirksrevisors bei dem Landgericht Augsburg gegen den Beschluss des Amtsgerichts Dillingen a.d. Donau vom 03.08.2022 wird als unbegründet verworfen.
- Die weitere Beschwerde wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zugelassen.
- Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
1
Gegen den Betroffenen war ein Auslieferungsverfahren beim Amtsgericht Dillingen anhängig, in dessen Rahmen die Pflichtverteidigerin, Rechtsanwältin H., mit Schreiben vom 02.06.2021 beantragte, festzustellen, dass eine Übersetzung von 259 Blatt von Aktenteilen aus dem in Serbien gegen den Betroffenen geführten Strafverfahren nebst anwaltlichem Schriftverkehr und einem Social-Media-Chat für eine sachgerechte Verteidigung erforderlich ist. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Betroffene habe erhebliche Zweifel am rechtsstaatlichen Zustandekommen der serbischen Verurteilung geäußert. Dies ergebe sich unter anderem aus den Anmerkungen des serbischen Rechtsanwalts, welche sich bei den Unterlagen befinden würden.
2
Mit Beschluss vom 15.06.2021 (Bl. 72) stellte das Amtsgericht Dillingen fest, dass „die beantragte Übersetzung für die Verteidigung erforderlich ist“.3
Mit Rechnung vom 30.07.2021 (Bl. 115/119), welche durch die Verteidigerin am 04.08.2021 an das Amtsgericht Dillingen zur direkten Auszahlung weitergeleitet wurde, machte die Übersetzerin Kosten in Höhe von insgesamt 25.200,63 € geltend.4
Am 07.04.2022 ergingen Festsetzungsbeschlüsse (Bl. 150/167; 169/171), in welchen die Übersetzungskosten auf 14.615,25 € nebst Umsatzsteuer i.H.v. 2.776,90 € festgesetzt wurden.5
Hinsichtlich der ausführlichen Begründung der Ablehnung der restlichen Auszahlung wird auf die Beschlüsse Bezug genommen.6
Gegen die Kostenfestsetzungsbeschlüsse wurde am 26.04.2022 sofortige Erinnerung eingelegt (Bl. 173/175), welcher mit Beschluss vom 30.06.2022 (Bl. 196/200) nicht abgeholfen wurde. Die Akte wurde sodann der zuständigen Richterin zur Entscheidung vorgelegt.7
Mit Beschluss des Amtsgerichts Dillingen vom 03.08.2022 (Bl. 203/204) wurde der sofortigen Erinnerung der Verteidigerin in vollem Umfang stattgegeben, und die Festsetzungsbeschlüsse dahingehend abgeändert, dass der volle Rechnungsbetrag auszuzahlen ist.8
Zur Begründung wurde aufgeführt, das Gericht sehe sich an den Beschluss vom 15.06.2021 gebunden. Wegen der Eilbedürftigkeit der Angelegenheit habe das Gericht die Beauftragung der Übersetzung durch die Verteidigerin für erforderlich gehalten. Der Verteidigerin habe im Übrigen nicht zugemutet werden können, im Voraus über die Notwendigkeit der Übersetzung der einzelnen Unterlagen zu entscheiden, weshalb es unumgänglich gewesen sei, die gesamten Unterlagen zu übersetzen.9
Mit Schreiben vom 23.08.2022 legte der Bezirksrevisor beim Landgericht Augsburg gegen den Beschluss Beschwerde gemäß §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 RVG ein.10
Das Amtsgerichts Augsburg hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Beschluss vom 01.09.2022, Bl. 213).II.
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Die Beschwerde des Bezirksrevisors ist zulässig, aber unbegründet.12
1. Die Feststellung der Erforderlichkeit durch das Gericht ist nach § 46 Abs. 2 S. 1 RVG für das Festsetzungsverfahren nach § 55 bindend. Der Urkundsbeamte darf also die Festsetzung der Kosten auch dann nicht ablehnen, wenn nach der gerichtlichen Entscheidung etwa neue Gesichtspunkte hervorgetreten sein sollten, die ein anderes Ergebnis zuließen. Von einem (zeitlich unbegrenzten) außerordentlichen Beschwerderecht gegen den Feststellungsbeschluss und damit einem Wegfall der Bindungswirkung wäre lediglich in Fällen einer Willkürentscheidung auszugehen, für welche hohe Anforderungen zu gelten haben (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.09.2014, III-1 Ws 247/14, III-1 Ws 293/14). Bei den Übersetzerkosten handelt es sich um grundsätzlich erstattungsfähige Aufwendungen i.S.d. § 46 Abs. 2 S. 3 RVG. Grundsätzlich erscheint es auch vertretbar, im Rahmen des Auslieferungsverfahrens Übersetzungen von solchen Dokumenten anfertigen zu lassen, welche geeignet sind, Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit des Ausgangsverfahrens zu wecken. Dies entspricht jedenfalls nicht einem willkürlichen Verständnis des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Erforderlichkeit“.13
Der Beschwerdeführer führt zu Recht an, dass die Übersetzung von insgesamt 259 Seiten, welche lediglich äußerst pauschal als „Aktenteile aus dem in Serbien gegen den Betroffenen geführten Strafverfahren nebst anwaltlichem Schriftverkehr und einen Social-Media-Chat“ bezeichnet wurden, nicht zwingend ‒ wie seitens des Amtsgerichts geschehen ‒ vollumfänglich als erforderliche Aufwendung angesehen werden hätten müssen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Verteidigerin mithilfe ihres Mandanten ‒ welcher ja offensichtlich auch imstande war, eine aus seiner Sicht nicht rechtsstaatliche Vorgehensweise zu schildern (vgl. Anlage zum Protokoll auf Bl. 85 ff.) ‒ durchaus zugemutet hätte werden können, die einzelnen Schriftstücke zumindest grob vorzusichten bzw. sich schrittweise vorzuarbeiten (zunächst Übersetzung der Anmerkungen des Verteidigers oder der Urteile der höheren Gerichte, dann Übersetzung der sich daraus ergebenden Dokumente).14
Dies hat jedoch wegen der grundsätzlichen Bindungswirkung des Feststellungsbeschlusses des Amtsgerichts Dillingen keinen Belang.15
2. Angesichts dieser Bindungswirkung unterliegt nur noch die Höhe der geltend gemachten Übersetzungskosten einer Überprüfung, wobei diese anhand einer an Treu und Glauben orientierten Auslegung des Festsetzungsbeschlusses begrenzt werden kann (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O.).16
Eine solche Auslegung ergibt zwar, dass seitens der Verteidigerin kein Vertrauensschutz dahingehend bestehen kann, dass diese bis zur Obergrenze von 259 Blatt sämtliche von ihrem Mandanten übergebenen Schriftstücke übersetzen lassen kann. Auch muss die grundsätzliche Verpflichtung zur sparsamen Mandatsausübung berücksichtigt werden.17
Jedoch ergibt sich aus den übersetzten Schriftstücken, dass diese sämtlich jedenfalls einen Bezug zum Verfahren aufweisen ‒ wenn auch die Kammer deren äußerst beschränkten Nutzen für das Auslieferungsverfahren erkennt.18
Das Amtsgericht hat in seinem Feststellungsbeschluss jedoch keinerlei Einschränkungen hinsichtlich einer zu treffenden Vorauswahl (beispielsweise zunächst eine Sichtung gemeinsam mit der Dolmetscherin, wobei diese auch auf Stundenbasis hätte bezahlt werden können) getroffen. Auch die Intention des Feststellungsbeschlusses, nämlich die effektive Verteidigung gegen die Auslieferung bzw. das Vorbringen von Gründen, die gegen die Durchführung eines rechtsstaatlichen Verfahrens in Serbien sprechen, wurde durch die in Auftrag gegebenen Übersetzungen zumindest im weitesten Sinne gewahrt. Auch ein Missbrauch des Feststellungsbeschlusses durch die Verteidigung, zum Beispiel um sich ein verstecktes Entgelt zu verschaffen, ist hier gerade nicht gegeben, die Übersetzungen liegen vor und die Kosten werden direkt durch die Dolmetscherin geltend gemacht.19
Somit kann hier keine einschränkende Auslegung dergestalt, dass einzelne Positionen auf der Dolmetscherrechnung nicht anzuerkennen sind, vorgenommen werden. Dies würde die grundsätzliche Bindungswirkung des (wenn auch äußerst exzessiv gefassten und nicht auf die erheblichen Kostenfolgen bedachten) Feststellungsbeschlusses unterlaufen.20
Daran, dass die von der Dolmetscherin in ihrer Rechnung benannten Schriftstücke tatsächlich übersetzt wurden und auch an der Richtigkeit der konkreten Höhe der geltend gemachten Kosten (Anschläge), äußert keiner der Verfahrensbeteiligten Zweifel.21
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 33 Abs. 9 RVG.
RechtsgebietKostenrechtVorschriften§ 46 ABs. 2 S. 1 RVG; § 55 RVG