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  • 12.05.2023 · IWW-Abrufnummer 235258

    Kammergericht Berlin: Beschluss vom 01.09.2022 – 1 Ws 26/22

    1. Die Kosten für eine Bahncard kann ein Zeuge ausnahmsweise dann geltend machen, wenn diese aus Anlass der Heranziehung erworben worden ist und die gesamten Reisekosten mit der Bahn die in § 5 Abs. 1 JVEG genannten Kosten nicht überschreiten.

    2. Ein Zeuge ist nicht (mehr) verpflichtet, im Falle einer Anreise mit der Bahn das preisgünstigste Ticket zu erwerben.


    Kammergericht Berlin

    Beschluss vom 01.09.2022


    Tenor:

    1. Die Beschwerde der Bezirksrevisorin des Landgerichts Berlin gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 1. April 2022 wird zurückgewiesen.
    2. Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
    Gründe

    I.

    Der Zeuge AK war von der 44. Kammer des Landgerichts Berlin für den Hauptverhandlungstag am 17. Februar 2022 als Zeuge geladen und buchte am 15. Februar 2022 bei der Deutschen Bahn AG im Tarif Flex-Preis Plus zwei ICE-Fahrkarten (1. Klasse) für die Strecke Mainz-Berlin und zurück. Weil der Gesamtpreis für die beiden Fahrkarten bei gleichzeitigem Erwerb einer Bahncard 25 (1. Klasse) inklusive der Anschaffungskosten für die Bahncard um 22,85 EUR günstiger war als beim regulären Erwerb der Fahrkarten ohne die Bahncard, buchte der Zeuge mit dem Erwerb der Fahrkarten eine Bahncard 25 (1. Klasse) für 115 EUR dazu. Diese war ab dem 16. Februar 2022, dem Tag, für den die Hinfahrt von Mainz nach Berlin gebucht war, gültig. Der Preis für die ICE Fahrkarte der Deutschen Bahn AG betrug mit der Einsparung durch Einsatz der Bahncard für die Hinfahrt 204 EUR und für die Rückfahrt 209,45 EUR. Der Gesamtpreis für die beiden Fahrkarten und die Bahncard betrug somit 528,45 EUR. Ohne den Erwerb und Einsatz der Bahncard 25 (1. Klasse) hätten die beiden ICE-Tickets dagegen 551,30 EUR gekostet.

    Auf seinen Antrag auf Zeugenentschädigung in Höhe von 568,75 EUR wurden dem Zeugen lediglich 453,75 EUR ausgezahlt. Der Betrag setzt sich zusammen aus einem Tagegeld in Höhe von 28 EUR, den Kosten der Tickets für den Nahverkehr von insgesamt 12,30 EUR und für die beiden ICE-Fahrkarten (204 EUR und 209,45 EUR). Die vom Zeugen darüber hinaus geltend gemachten Auslagen für die Bahncard in Höhe von 115 EUR wurden dagegen nicht erstattet.

    Unter dem 1. März 2022 erhob der Zeuge Einwendungen gegen die Nichterstattung der Kosten für die Bahncard. Die Berechnungsstelle des Amtsgerichts Tiergarten half diesen nicht ab und legte die Sache der zuständigen Strafkammer zur Entscheidung nach § 4 Abs. 1 Satz 1 JVEG vor.

    Im Rahmen der ihr durch die Strafkammer eingeräumten Stellungnahmemöglichkeit stellte die Bezirksrevisorin des Landgerichts Berlin den Antrag, die Entschädigung des Zeugen für seine Heranziehung am 17. Februar 2022 auf die bereits ausgezahlten 453,75 EUR festzusetzen. Die Kosten für die Bahncard seien nicht zu erstatten, denn der Erwerb der für ein Jahr gültigen Bahncard, die nur der Zeuge selbst nutzen könne, diene nahezu ausschließlich dessen privatem Interesse. Wäre es dem Zeugen darum gegangen, für dieses Verfahren Kosten zu sparen, hätte er die deutlich kostengünstigere, für einen Zeitraum von drei Monaten gültige sogenannte Probe Bahncard erwerben können. Die Bezirksrevisorin rügte weiterhin die kurzfristige Buchung der Fahrkarten, wodurch sich deren Preis im Vergleich zu einer frühzeitigeren Buchung deutlich erhöht habe.

    Der Zeuge ist dem entgegengetreten und hat erläutert, weshalb eine frühere Buchung nicht habe erfolgen können. Er werde als IT-Forensiker beim BKA sehr häufig als Zeuge vor Gericht geladen und müsse die hierdurch erforderlichen Reisen im gesamten Bundesgebiet so gut wie möglich miteinander kombinieren. Darüber hinaus komme es - auch aufgrund der pandemischen Lage - häufig zu kurzfristigen Terminsverschiebungen. Die private Nutzbarkeit der Bahncard dürfe, so der Zeuge, der Erstattung ihrer Anschaffungskosten nicht entgegenstehen, weil er durch ihren Erwerb Kosten eingespart habe und sie zudem in Zukunft anlässlich seiner Heranziehung für weitere Verfahren des Landgerichts Berlin jeweils kostenreduzierend einsetzen könne.

    Mit Beschluss vom 1. April 2022 setzte die Strafkammer die Entschädigung des Zeugen auf 568,75 EUR fest. Das Landgericht hielt neben der bereits ausgezahlten Entschädigung für die Fahrkarten des Fern- und Nahverkehrs und dem gemäß § 6 Abs. 1 JVEG gewährten Tagegeld auch die Kosten für die Anschaffung der Bahncard für erstattungsfähig.

    Gegen diesen Beschluss richtet sich die Bezirksrevisorin des Landgerichts Berlin mit ihrer Beschwerde vom 8. April 2022. Sie ist weiterhin der Auffassung, dass die Kosten für die vom Zeugen erworbene Bahncard nicht erstattungsfähig seien. Neben den bereits im Rahmen ihrer Stellungnahme vorgetragenen Erwägungen legte sie weiter dar, dass die Kostenersparnis durch Einsatz der Bahncard bei künftigen Heranziehungen des Zeugen nicht zu berücksichtigen sei, weil bereits keine Garantie für einen tatsächlichen Einsatz der Bahncard in diesen Verfahren bestehe. Es sei zudem unbillig, den hiesigen Kostenschuldner mit den Anschaffungskosten einer Bahncard zu belasten, nur um (möglicherweise) anderen Kostenschuldnern Auslagen zu ersparen.

    II.

    1. Die Beschwerde der Bezirksrevisorin ist trotz eines Beschwerdewerts von lediglich 115 EUR zulässig, weil das Landgericht das Rechtsmittel wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zugelassen hat (§ 4 Abs. 3 JVEG). Der Senat entscheidet hierüber in der Besetzung mit drei Berufsrichtern, weil bereits die Strafkammer in der Besetzung mit drei Berufsrichtern über den Antrag entschieden hat (vgl. § 4 Abs. 7 Satz 1 JVEG).

    2. Das Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat die Entschädigung des Zeugen AK zu Recht auf insgesamt 568,75 EUR festgesetzt. Neben den bereits ausgezahlten Auslagen für die beiden Fahrkarten für die Strecke Mainz-Berlin und retour, den Auslagen für den öffentlichen Personennahverkehr und dem gewährten Tagegeld sind in der hier gegebenen Konstellation auch die vom Zeugen geltend gemachten Aufwendungen für die erworbene Bahncard in Höhe von 115 EUR erstattungsfähig.

    Ein Zeuge hat gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 5 Abs. 1 JVEG Anspruch auf die Ersetzung der ihm bei Benutzung von öffentlichen, regelmäßig verkehrenden Beförderungsmitteln bis zur Höhe der entsprechenden Kosten für die Benutzung der ersten Wagenklasse der Bahn tatsächlich entstandenen Auslagen. Voraussetzung ist, dass die Kosten aus Anlass seiner Heranziehung als Zeuge durch ein Gericht oder einer anderen im Gesetz genannten Stelle entstanden sind, § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 3 JVEG. Die im Kostenrecht ungeschriebene Obliegenheit, die Kosten minimal zu halten, ist dabei zwar zu beachten, § 5 Abs. 1 JVEG begrenzt die erstattungsfähigen tatsächlichen Kosten aber nur auf die entsprechenden Kosten für die Benutzung der ersten Wagenklasse der Bahn und enthält keine Verpflichtung, die preiswerteste Beförderungsmöglichkeit zu nutzen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Juni 2019 - 2 KSt 1/19 -, in juris; Weber in Touissant, Kostenrecht, 52. Auflage, § 5 JVEG Rn. 11; Bleutge in BeckOK Kostenrecht, Dörndorfer/Wendtland/Gerlach/Diehn, 37. Edition, § 5 Rn. 1, jeweils m.w.N.).

    An diesem Maßstab gemessen sind die Aufwendungen für die Anschaffung einer Bahncard gemäß § 5 JVEG ausnahmsweise erstattungsfähig, wenn sie - wie hier - aus Anlass der gerichtlichen Heranziehung tatsächlich entstanden sind, sich innerhalb der Grenzen des § 5 Abs. 1 Satz 1 JVEG bewegen und darüber hinaus zu einer konkreten Verringerung der insgesamt anfallenden Fahrtkosten im Vergleich zu den bei Verzicht ihres Erwerbs anderenfalls entstandenen Fahrkosten geführt haben.

    Die Erstattungsfähigkeit von Kosten für die Anschaffung einer Bahncard nach § 5 JVEG ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Während teilweise die (anteilige) Erstattung der Kosten für den Erwerb einer Bahncard befürwortet wird (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 25. März 1993 - 14 W 73/93 - in juris), geht die überwiegende Ansicht davon aus, dass jedenfalls im Regelfall eine Erstattung nicht in Betracht kommt (vgl. zum Streitstand Weber in Touissant, a.a.O., ab Rn. 16; Bleutge in BeckOK Kostenrecht, a.a.O., Rn. 15a, 16; Schneider, JVEG, 4. Auflage, § 5 Rn. 12; Jahnke/Pflüger, JVEG, 28. Auflage, § 5 Rn. 8; Binz in Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG, FamGKG, JVEG, 5. Auflage, § 5 Rn. 2; Simon/Pannen in Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 3. Auflage, § 5 JVEG Rn. 18, jeweils m.w.N.). In der Regel kommt eine Erstattung der Anschaffungskosten für eine Bahncard schon deshalb nicht in Betracht, weil der Nachweis nicht erbracht werden kann, dass sie aus Anlass der Heranziehung entstanden sind. Dies ist zum einen dann nicht der Fall, wenn der Antragsteller eine bereits zuvor erworbene Bahncard einsetzt und deren Anschaffungskosten nunmehr (anteilig) absetzen möchte. Die Bahncard wurde in diesem Fall zwar anlässlich der Heranziehung eingesetzt, nicht aber deshalb erworben. Aber auch wenn eine Bahncard erst mit der Fahrkarte für die Wahrnehmung der Terminsladung erworben wird, dürfte es regelmäßig an der erforderlichen Konnexität zwischen Anschaffung der Bahncard und gerichtlicher Heranziehung oder zumindest an der Beachtung der (innerhalb der Grenzen des § 5 Abs. 1 Satz 1 JVEG) zu beachtenden Kostenminimierungspflicht fehlen.

    Hier hat der Zeuge die Bahncard gemeinsam mit der Buchung der Fahrscheine für die ICE-Strecke Mainz-Berlin und zurück erworben und nachgewiesen, dass aufgrund der Anschaffung der Bahncard die Gesamtkosten für die Fahrt mit der Deutschen Bahn AG niedriger ausgefallen sind, als wenn er vom Erwerb der Bahncard abgesehen hätte. Dieser Umstand spricht - neben dem zeitlichen Moment - bereits dafür, dass der Zeuge die Bahncard aus Anlass seiner Heranziehung erworben hat. Mit der Anschaffung der Bahncard hat der Zeuge zudem die Kosten minimiert. Vor diesem Hintergrund hat daher (ausnahmsweise) außer Betracht zu bleiben, dass der Zeuge die Bahncard während ihrer Gültigkeitsdauer auch für private Zwecke einsetzen kann (vgl. Weber in Touissant, a.a.O., Rn. 17; Bleutge in BeckOK Kostenrecht, a.a.O., Rn. 16; Schneider, a.a.O., Rn. 13, m.w.N.). Denn es erschiene widersinnig, dem hiesigen Kostenschuldner Mehrkosten aufzubürden, nur um zu vermeiden, dass auch der Zeuge - möglicherweise - später von der Bahncard profitiert. Anders als in der erwähnten, in Literatur und Rechtsprechung in der Regel ablehnend behandelten Fallgestaltung der anteiligen Anrechnung von Anschaffungskosten einer Bahncard auf die erstattbaren Fahrtkosten entsteht in hiesiger Konstellation bereits dem aktuellen Kostenschuldner ein unmittelbarer Vorteil durch die Anschaffung der Bahncard, weil die (inklusive Bahncard) entstandenen Kosten für die Fahrt geringer ausgefallen sind, als sie bei Buchung der Fahrscheine ohne Erwerb der Bahncard ausgefallen wären.

    Soweit die Bezirksrevisorin des Landgerichts meint, der Zeuge hätte durch den Erwerb einer Probe Bahncard eine noch höhere Kostenersparnis erreichen können, trifft das zwar rechnerisch zu. Da der Gesetzgeber die noch in § 9 Abs.1 ZSEG enthaltene Regelung, dass das preisgünstigste öffentliche Beförderungsmittel zu wählen ist, nicht mit der Neuregelung des Entschädigungsrechts im JVEG übernommen hat, liegt die Grenze allerdings allein bei dem regulären Preis für die erste Wagenklasse. Eine weitere Einsparungspflicht des Zeugen besteht nicht.

    Soweit die Bezirksrevisorin des Landgerichts Berlin die späte Buchung der Fahrscheine durch den Zeugen mit der Konsequenz erfahrungsgemäß hoher Fahrpreise beanstandet, kann dem nicht gefolgt werden. Der Zeuge hat zu Recht vorgebracht, dass er aufgrund der vielen Terminsladungen und der auch pandemiebedingten häufigen Umladungen lediglich kurzfristig Fahrkarten buchen konnte. Dass der Zeuge ein sogenanntes Flex-Preis-Ticket der Deutschen Bahn AG erworben hat mit der Möglichkeit dieses zu stornieren oder umzutauschen, ist ebenfalls nicht zu beanstanden (vgl. hierzu BVerwG, a.a.O., Weber in Touissant, a.a.O., Rn 12; Bleutge in BeckOK Kostenrecht, a.a.O. Rn. 15; Schneider, a.a.O., Rn. 10; Jahnke/Pflüger, a.a.O., Rn. 7, jeweils m.w.N.).

    3. Die Nebenentscheidung beruht auf § 4 Abs. 8 JVEG.

    RechtsgebietKostenrechtVorschriften§ 5 Abs. 1, § 19 Abs. 1 Nr. 1 JVEG