27.02.2024 · IWW-Abrufnummer 239978
Landgericht Osnabrück: Urteil vom 27.12.2023 – 1 Qs 70/23
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
LG Osnabrück
Beschluss vom 27.12.2023
Landgericht Osnabrück
Beschluss
1 Qs 70/23
In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.
Verteidiger:
wegen des Verdachts des Betrugs
hat das Landgericht Osnabrück durch die unterzeichnenden Richter am 27.12.2023 beschlossen:
1. Auf die sofortige Beschwerde der Beschuldigten wird der Beschluss des Amtsgerichts Osnabrück vom 19.10.2023 (Geschäftsnummer: 248 Gs 1258/23), mit dem ihr Antrag auf Bestellung von Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger zurückgewiesen worden ist, aufgehoben und wie folgt neu gefasst:
Es wird deklaratorisch festgestellt, dass sich die mit Beschluss des Amtsgerichts vom 15.08.2023 in dem Ermittlungsverfahren 320 Js 14545/23 erfolgte Pflichtverteidigerbestellung und die Wirkungen dieser Beiordnung auch auf das verbundene Ermittlungsverfahren 320 Js 16679/23 erstrecken.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin werden der Staatskasse auferlegt.
Gründe:
Die Staatsanwaltschaft Osnabrück führte gegen die Beschuldigte zunächst ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugs unter dem Aktenzeichen 320 Js 14545/23 sowie ein weiteres Ermittlungsverfahren wegen Betrugs unter dem Aktenzeichen 320 Js 16679/23.
Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 05.05.2023 meldete sich Rechtsanwalt pp. in beiden Verfahren für die Beschuldigte als Verteidiger und beantragte gleichzeitig in beiden Verfahren die Bestellung als Pflichtverteidiger.
Mit Verfügung der Staatsanwaltschaft Osnabrück vom 10.08.2023 wurden die Verfahren 320 Js 14545/23 und 320 Js 16679/23 verbunden, wobei das Verfahren 320 Js 14545/23 führt.
Mit Beschluss des Amtsgerichts Osnabrück vom 15.08.2023 wurde der Beschuldigten in dem Verfahren 320 Js 14545/23 Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger bestellt.
Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 29.09.2023 beantragte die Beschuldigte, ohne ihren ursprünglichen Beiordnungsantrag ausdrücklich zurückzunehmen, (ggfs. nur deklaratorisch feststellend) die mit Beschluss vom 15.08.2023 erfolgte Pflichtverteidigerbestellung und die Wirkungen dieser Beiordnung auch auf das verbundene Ermittlungsverfahren Az. 320 Js 16679/23 zu erstrecken.
Mit Beschluss der Amtsgerichts Osnabrück vom 19.10.2023 wurde der ursprüngliche Antrag der Beschuldigten vom 05.05.2023 auf Bestellung von Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger im Verfahren 320 Js 16679/23 zurückgewiesen, da eine nachträgliche rückwirkende Bestellung für ein mittlerweile zu einem anderen Verfahren hinzuverbundenes Verfahren unzulässig sei.
Den Antrag vom 29.09.2023 beschied das Amtsgericht hingegen nicht.
Gegen den vorgenannten Beschluss richtet sich die bei dem Amtsgericht Osnabrück am 26.10.2023 eingegangene sofortige Beschwerde der Beschuldigten vom gleichen Tag.
Das Amtsgericht habe, so die Beschwerdeführerin, fälschlicherweise den - inzwischen durch die Verbindung überholten - Beiordnungsantrag beschieden anstelle des Antrags auf nachträgliche Erstreckung der Wirkungen der Beiordnung in dem führenden Verfahren auf das verbundene Verfahren.
Das Amtsgerichts Osnabrück hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 13.11.2023 nicht abgeholfen und die Akten dem Landgericht Osnabrück zur Entscheidung übersandt.
Die gemäß §§ 304, 311 StPO zulässige, sofortige Beschwerde ist begründet.
Der beschiedene Antrag vom 05.05.2023 hat sich durch die Verbindung der Sache 320 Js 16679/23 mit dem hiesigen Ermittlungsverfahren erledigt. Einer ausdrücklichen Rücknahme bedurfte es nicht. Die Beschuldigte hat durch die Formulierung ihres Antrags in dem Schriftsatz vom 29.09.2023 hinreichend deutlich gemacht, dass sie nicht länger eine Entscheidung über ihren ursprünglichen Antrag begehrte. Sie hat vielmehr einen an die vollzogene Verbindung der beiden Ermittlungsverfahren angepassten Antrag gemäß § 48 Abs. 6 RVG gestellt.
Gemäß § 48 Abs. 6 S. 1 RVG erhält der beigeordnete Verteidiger die Vergütung auch für seine Tätigkeit vor dem Zeitpunkt seiner Bestellung. Es war lange Zeit umstritten, ob ein anwaltlicher Vergütungsanspruch für frühere Tätigkeiten in Verfahren, die vor der Beiordnung hinzuverbunden wurden, bereits unmittelbar aus § 48 Abs. 6 S. 1 RVG folgt oder es hierzu eines Gerichtsbeschlusses gemäß § 48 Abs. 6 S. 3 RVG bedurfte (vgl. BeckOK RVG/K. Sommerfeldt/M. Sommerfeldt, 62. Ed. 01.12.2023, RVG § 48 Rn. 128).
Mit der zum 01.01.2021 erfolgten Ergänzung von § 48 Abs. 6 S. 3 RVG mit dem KostRÄG vom 21.12.2020 (BGBl. 1 3229) hat der Gesetzgeber nun klargestellt, dass der Anwendungsbereich des § 48 Abs. 6 S. 3 RVG auf die Fälle der nach der Beiordnung oder Bestellung erfolgten Verfahrensverbindungen beschränkt ist. Damit ist zugleich klargestellt, dass die Anordnung einer Erstreckungswirkung bei einer anwaltlichen Beiordnung nach der Verbindung nicht erforderlich ist, weil § 48 Abs. 6 S. 1 StPO unmittelbar gilt (vgl. BeckOK RVG a. a. O. Rn. 129).
So liegt der Fall hier. Denn die Beiordnung erfolgte am 15.08.2023 und somit zeitlich nach der Verfahrensverbindung vom 10.08.2023. Aus anwaltlicher Vorsicht ist ein Antrag auf deklaratorische Feststellung der Erstreckung, wie er hier gestellt worden ist, jedoch zulässig, weil auf diese Weise ein etwaiger Streit im Kostenfestsetzungsverfahren um die Notwendigkeit eines Gerichtsbeschlusses vermieden wird.
Inwieweit dem Verteidiger eine Vergütung der Höhe nach zusteht, muss der Prüfung im Kostenfestsetzungsverfahren vorbehalten bleiben. Denn Voraussetzung dafür, dass der Anwalt neben den Gebühren im führenden Verfahren auch weitere Gebühren für seine Tätigkeiten in dem hinzuverbundenen Verfahren erhalten kann, ist, dass er in dem hinzuverbundenen Verfahren vor der Verbindung tatsächlich tätig geworden ist (vgl. OLG Hamm Beschl. v. 16.05.2017 — 1 Ws 95/17, BeckRS 2017, 122061 Rn. 20, beck-online).
Die Kostenentscheidung folgt in entsprechender Anwendung aus § 467 Abs. 1 StPO.
RechtsgebieteGebührenrecht, PflichtverteidigungVorschriften§ 48 Abs. 6 S. 1, S. 3 RVG