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  • 09.07.2024 · IWW-Abrufnummer 242530

    Landgericht Limburg: Beschluss vom 29.02.2024 – 5 KLs 5 Js 10388/21

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    LG Limburg 5. Große Strafkammer

    29.02.2024


    Tenor

    Die als Erinnerung nach § 56 Abs. 1 Satz 1 RVG auszulegende „Beschwerde“ des Verteidigers … gegen die Festsetzung der Pflichtverteidigergebühren vom 13. April 2023 wird als unbegründet zurückgewiesen.

    Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.

    Gründe

    I.

    Die Vergütung des Verteidigers wurde unter dem 13. April 2023 unter Absetzung der Gebührennummer 4101, 4113 und 4115 VV RVG i.H.v. 1.433,95 € festgesetzt.

    Die Angeklagte wurde vorläufig festgenommen, der zu Grunde liegende Haftbefehl des Amtsgerichts … vom 3. November 2020 wurde später durch das Amtsgericht … am 16. Dezember 2020 mit der Auflage außer Vollzug gesetzt, dass sich die Angeklagte in das Zeugenschutzprogramm des BKA begibt. Eine Kontaktaufnahme war dem mit Beschluss vom 31.08.2021 bestellten Pflichtverteidiger … in der Folge nur über einen Beamten des BKA möglich, eine andere Adresse der Angeklagten wurde ihm nicht bekannt gegeben.

    In den Verhandlungen wurde die Angeklagte von den übrigen Angeklagten unter Polizeischutz ferngehalten. Aus Angst, erkannt und zukünftig erinnert zu werden, betrat sie den Gerichtssaal in hochgeschlossener Jacke mit aufgeschlagenem Kragen und mit Sonnenbrille. Es war eine umfassende psychologische Betreuung durch den Verteidiger notwendig.

    II.

    Zuschläge für die entstandenen Verfahrensgebühren gemäß Nr. 4101, 4113 und 4115 VV RVG kommen nicht in Betracht, weil sich die Angeklagte durch ihre Aufnahme im Zeugenschutzprogramm nicht unfreiwillig „nicht auf freiem Fuß“ i. S. d. Vorbemerkung 4 Abs. 4 VV RVG befand.

    Die Zuschläge gemäß Abs. 4 der Vorbemerkung 4 entstehen ausschließlich dann, wenn sich der Angeklagte nicht „auf freiem Fuß“ befindet.

    Der Haftzuschlag wird unabhängig von konkreten Erschwernissen der Tätigkeit des Rechtsanwalts etwa dann gewährt, wenn sich der Angeklagte in Untersuchungshaft oder Strafhaft befindet, vorläufig untergebracht oder sich in einem anderen Verfahren in Unterbringung, Sicherungsverwahrung oder Zwangshaft nach §§ 888, 901 ZPO befindet. Entsprechendes gilt für Auslieferungs- oder Abschiebehaft, Polizeigewahrsam und auch, wenn sich der Mandant im offenen Vollzug befindet. Nicht aber, wenn der Aufenthalt in einer stationären Therapieeinrichtung freiwillig erfolgt (vgl. HK-RVG/Ludwig Kroiß, 8. Aufl. 2021, RVG VV 4100 Rn. 14, 15 m. w. N.).

    Nach diesen Maßstäben ist der Zuschlag hier nicht festzusetzen.

    Eine Inhaftierung oder Unterbringung liegt nicht vor.

    Die Aufnahme das Zeugenschutzprogramm stellt sich auch nicht als vergleichbar im Sinne der Vorbemerkung 4 dar.

    Der Haftzuschlag beinhaltet eine generelle, nicht auf den Einzelfall bezogene, zwingende Regelung, die ohne Ausnahmen oder Einschränkungen ihrer Anwendung gilt. Nach der Gesetzesbegründung geht der Gesetzgeber davon aus, dass der Rechtsanwalt als Verteidiger eines inhaftierten Beschuldigten die jeweilige Gebühr mit Zuschlag erhalten soll, weil er gerade bei inhaftierten Mandanten einen erheblich größeren Zeitaufwand zu erbringen hat als für die Verteidigung nicht inhaftierter Mandanten. Dieser entstehe in der Regel allein schon durch die erschwerte Kontaktaufnahme mit dem in der Justizvollzugsanstalt einsitzenden Beschuldigten. Als gleich zu behandelnden Fall nennt die Gesetzesbegründung auch die Unterbringung des Mandanten, da eine solche Unterbringung für den Rechtsanwalt auch auf jeden Fall zu einem Mehraufwand führe (BT-Drs. 15/1971, Seite 221). Daraus folgt, dass es für die Entstehung des Anspruchs auf die Gebühr mit Zuschlag nicht darauf ankommt, ob im Einzelfall aufgrund der Inhaftierung Umstände gegeben sind, die zu konkreten Erschwernissen der Tätigkeit des Rechtsanwalts geführt haben. Aufgrund dieser typisierenden Betrachtung durch das Gesetz kommt nach hiesiger Auffassung eine Anwendung auf sonstige Konstellationen nicht in Betracht, bei denen auch nach einer weiten Auslegung keine haft- oder unterbringungsähnliche Situation vorliegt (d. h. freie Aufenthaltsbestimmung nicht aufgehoben oder eingeschränkt). Denn auch wenn im Einzelfall die Möglichkeit einer konkreten Erschwernis der Tätigkeit des Rechtsanwalts in anderen Konstellationen bestehen mag, fehlt es jedenfalls an den von dem Gesetzgeber zugrunde gelegten Umständen, aus denen sich für den Gesetzgeber die unwiderlegliche Vermutung eines erheblich größeren Zeitaufwands ergibt.

    Zwar verbietet sich eine Bewertung der Aufnahme in das Zeugenschutzprogramm als freiwillig, weil sie sich als Auflage im Rahmen der Außervollzugsetzung des Haftbefehls darstellt. Allerdings kann aus der Aufnahme in ein Zeugenschutzprogramm ‒ anders als bei einer Inhaftierung oder unfreiwilligen Unterbringung ‒ nicht zwangsläufig und typisch auf einen Mehraufwand für den Verteidiger geschlossen werden. Ob ein solcher Mehraufwand entsteht obliegt der konkreten Handhabung durch die Angeklagte. Diese war in ihrer Bewegungsfreiheit durch die Aufnahme das Zeugenschutzprogramm nicht vergleichbar einer Inhaftierung oder Unterbringung eingeschränkt.

    Auch fehlt es bei der Aufnahme in das Zeugenschutzprogramm an den typischerweise mit einer Haft oder Unterbringung verbundenen zusätzlichen Arbeiten des Verteidigers, wie z. B. Haftbeschwerden, Beschwerden gegen die Unterbringung oder Einwänden gegen die Bedingungen der Untersuchungshaft bzw. der Unterbringung , welche ebenfalls durch die Zuschläge abgegolten werden sollen.

    Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Beschluss des VerfGH Berlin vom 22.4.2020. Das dortige Gericht hat sich zu dieser Frage gar nicht geäußert, da die Festsetzung der Haftzuschläge im dort zu entscheidenden Verfahren nicht im Streit standen (vgl. VerfGH Berlin, Beschluss vom 22.4.2020 ‒ VerfGH 177/19, NStZ-RR 2020, 190).

    Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (§ 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG).

    RechtsgebieteStrafprozess, Zeugenschutz, HaftzuschlagVorschriftenVorbem. 4 Abs. 4 VV RVG