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  • 22.07.2024 · IWW-Abrufnummer 242803

    Landgericht Wiesbaden: Urteil vom 07.06.2024 – 2 Qs 47/24

    Erfolgt eine Einstellung, wie z.B. nach § 47 Abs. 2 OWiG, nach einer dem Gericht Ermessen einräumenden Vorschrift, räumt § 467 Abs. 4 StPO i. v. m. § 46 Abs. 1 OWiG dem Gericht Ermessen indes auch hinsichtlich der Entscheidung über die notwendigen Auslagen des Betroffenen ein. Dabei ist als Ausgangspunkt zu beachten, dass in solchen Fällen hinsichtlich der notwendigen Auslagen des Betroffenen grundsätzlich § 467 Abs. 1 StPO gilt. Wenn dass Gericht in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens von diesem Grundsatz abweichen möchte, muss erkennbar sein, dass Ermessen tatsächlich ausgeübt wurde. Ist das nicht der Fall, ist die Entscheidung auf eine „einfache Beschwerde“ hin aufzuheben, auch wenn ein Rechtsmittel an sich nicht gegeben ist.


    Landgericht Wiesbaden    

    07.06.2024


    In der Bußgeldsache
    gegen
    deutscher Staatsangehöriger; Familienstand nicht bekannt,
    Verteidiger:xxx

    wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

    hat das Landgericht Wiesbaden — 2. große Strafkammer — am 07.06.2024 beschlossen:

    Die Kostengrundentscheidung im Beschluss des Amtsgerichts Wiesbaden — Strafrichter — vom 24.05.2024 (Az.: 90 OWi 5711 Js 18174/23) wird auf die Beschwerde des Betroffenen wie folgt ergänzt:

    „Auch die notwendigen Auslagen des Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last."

    Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der dem Betroffenen insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
     
    Gründe:

    Gegen den Betroffenen erließ das Regierungspräsidium Kassel (Az. 404.224045.7) unter dem 27.01.2023 einen Bußgeldbescheid. Dem Betroffenen wurde darin zur Last gelegt, am 12.10.2022 um 20:07 Uhr in Wiesbaden, OT Breckenheim, A3, bei km 151,980, FR Frankfurt am Main, als Führer des Pkw mit dem Kfz-Kennzeichen xxx die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschossener Ortschaften um 22 km/h überschritten zu haben (Ordnungswidrigkeit nach § 41 Abs. 1 i. V. m. Anlage 2, § 49 StVO, § 24 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 5 StVG; Nr. 11.3.4 BKat). Gegen den Betroffenen wurde eine Geldbuße von 100,- € festgesetzt.

    Gegen diesen dem Betroffenen am..01.02.2023 zugestellten Bußgeldbescheid legte dieser mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 03.02.2023 form- und fristgerecht Einspruch ein. Das Verfahren wurde sodann an das Amtsgericht Wiesbaden abgegeben. Mit Schriftsatz vom 10.04.2024 bestritt der Verteidiger für den Betroffenen dessen Fahrereigenschaft und beantragte die Einholung eines morphologischen Gutachtens. Nach Aufforderung durch das Amtsgericht Wiesbaden nannte der Verteidiger sodann mit Schriftsatz vom 18.04.2024 den angeblichen tatsächlichen Fahrer. Der Betroffene reichte wiederrum seinerseits mit Schreiben vom 13.05.2024 eine Erklärung des tatsächlichen Fahrers, nach welcher dieser das Tatfahrzeug zur Tatzeit geführt haben will, sowie Lichtbilder des tatsächlichen Fahrers und seiner Person zur Akte.

    Das Amtsgericht Wiesbaden hörte daraufhin den Betroffenen mit Schreiben vom 21.05.2024 zu einer Einstellung nach § 47 Abs. 2 OWiG — bei Erstattung auch der notwendigen Auslagen des Betroffenen — an, zu welcher der Betroffene sein Einverständnis erklärte.

    Mit Beschluss des Amtsgerichts Wiesbaden vom 24.05.2024 wurde das gegen den Betroffenen geführte Bußgeldverfahren gemäß § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt. Hinsichtlich der Kosten wurde tenoriert: „Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse". Eine ausdrückliche Auferlegung der notwendigen Auslagen erfolgte nicht.

    Mit Schriftsatz vom 27.05.2024 hat der Verteidiger für den Betroffenen Rechtsmittel gegen den Einstellungsbeschluss eingelegt. Zur Begründung führt er an, dass das Gericht entgegen der Ankündigung der Staatskasse nicht auch die notwendigen Auslagen des Betroffen auferlegt habe.

    Das Amtsgericht hat das Rechtsmittel als sofortige Beschwerde ausgelegt und die Akte dem Landgericht Wiesbaden zur Entscheidung vorgelegt.
     
    Der mit anwaltlichem Schriftsatz vom 27.05.2024 eingelegte Rechtsbehelf ist als außerordentliche Beschwerde auszulegen.

    Würde man das Rechtsmittel als sofortige Beschwerde („Kostenbeschwerde") gegen die Kostengrundentscheidung bzgl. der notwendigen Auslagen des Betroffenen auslegen, wäre die sofortige Beschwerde unstatthaft. Nach § 47 Abs. 2 S. 3 OWiG ist ein nach § 47 Abs. 2 S. 1 OWiG ergangener Beschluss nicht anfechtbar, sodass auch die Anfechtbarkeit der Kostenentscheidung ausgeschlossen ist, § 464 Abs. 3 S. 1 Hs. 2. StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG.

    Der Rechtsbehelf kann auch nicht als Gegenvorstellung ausgelegt werden, da damit das primäre Ziel des Betroffenen, eine Änderung der Kosten- und Auslagenentscheidung herbeizuführen, nicht erreicht werden kann (vgl. A. Bücher!, in Graf (Hrsg.), BeckOK OWiG, 41. Edition, Stand: 01.01.2024, § 47 Rn. 54 m. w. N.).

    Schließlich scheidet auch eine Auslegung des Rechtsbehelfs als Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Nichtgewährung rechtlichen Gehörs nach § 33a StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG aus, da dies voraussetzt, dass dem Amtsgericht Wiesbaden ein Fehler im Anhörungsverfahren unterlaufen wäre und es infolgedessen zu einer fehlerhaften Hauptsacheentscheidung gekommen wäre, die im Wege des Verfahrens nach § 33a StPO zu korrigieren wäre und mit der eine Abänderung der an sich unanfechtbaren Kosten- und Auslagenentscheidung einhergehen könnte. So liegt der Fall hier aber nicht.

    Indes ist nach verfassungsrechtlicher und höchstrichterlicher Rechtsprechung in Fällen groben prozessualen Unrechts dem Betroffenen ein außerordentlicher Rechtsbehelf in Form einer einfachen Beschwerde zuzugestehen. Das Bundesverfassungsgericht führt dazu in seinem Kammerbeschluss vom 15.08.1996 (Az.: 2 BA 662/95 — bei juris, Rn. 14) aus: „Bereits in der Rechtsprechung des Reichsgerichts war anerkannt, dass gerichtliche Entscheidungen, gegen die ein ordentlicher Rechtsbehelf nicht mehr statthaft ist, ausnahmsweise zurückgenommen werden können, wenn sie auf einer unrichtigen tatsächlichen Grundlage ergangen waren; diese Rechtsprechung galt selbst für der vollen Rechtskraft fähige Beschlüsse, etwa im Revisionsverfahren (vgl. RGSt 59, 420). Diese Rechtsprechung ist vom Bundesgerichtshof (vgl. BGH MDR 1951, S. 771) und ihm folgend von der obergerichtlichen Rechtsprechung übernommen und fortgesetzt worden (vgl. nur OLG Stuttgart, MDR 1982, S. 341, 342; OLG Celle, NStZ 1983, S. 328, 329; OLG Rostock, NZV 1994, S. 287, 288 jeweils m.w.N.). Geht es um die Beseitigung groben prozessualen Unrechts, ist es danach grundsätzlich zumutbar,
     
    Abhilfe zunächst durch Einlegung auch eines außerordentlichen Rechtsbehelfs im fachgerichtlichen Verfahren zu suchen." So liegt der Fall hier: Die mit der Verfahrenseinstellung nach § 47 Abs. 2 OWiG verbundene Kosten- und Auslagenentscheidung stellt sich vorliegend hinsichtlich der Entscheidung über die notwendigen Auslagen des Betroffenen nicht bloß als fehlerhafte Rechtsanwendung dar. Sie beruht auf letztlich willkürlichen Erwägungen und stellt danach grobes prozessuales Unrecht dar.

    Erfolgt eine Einstellung — wie hier nach § 47 Abs. 2 OWiG — nach einer dem Gericht Ermessen einräumenden Vorschrift, räumt § 467 Abs. 4 StPO i. v. m. § 46 Abs. 1 OWiG dem Gericht Ermessen indes auch hinsichtlich der Entscheidung über die notwendigen Auslagen des Betroffenen ein. Dabei ist als Ausgangspunkt zu beachten, dass in solchen Fällen hinsichtlich der notwendigen Auslagen des Betroffenen grundsätzlich § 467 Abs. 1 StPO gilt. Wenn ein Gericht in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens von diesem Grundsatz abweichen möchte, muss erkennbar sein, dass Ermessen tatsächlich ausgeübt wurde; dies ist bei einer bloßen Wiedergabe des Gesetzeswortlauts — trotz des Umstands, dass vor dem Hintergrund der §§ 34,464 Abs. 3 StPO, 47 OWiG in der vorliegenden Fallkonstellation eine (schriftliche) Begründung nicht zwingend gesetzlich vorgeschrieben war — nicht der Fall. Unabhängig davon, dass in dem angefochtenen Beschluss die zu treffende Ermessensentscheidung inhaltlich nicht dargelegt wurde, ist aus dem Akteninhalt zwanglos nachvollziehbar, dass der Betroffenen mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit vorliegend nicht wegen der ihm vorgeworfenen Verkehrsordnungswidrigkeit hätte belangt werden dürfen. Bei einer derartigen Sach- und Rechtslage wie der vorliegenden kann das Ermessen willkürfrei nur dahingehend ausgeübt werden, dass es bei der grundsätzlichen Regelung des § 467 Abs. 1 StPO i. v. m. § 46 Abs. 1 OWiG zu verbleiben hat. Mithin hat die Staatskasse die dem Betroffenen im Bußgeldverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

    Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren findet ihre Grundlage in einer analogen Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OVVIG.
     
    Gegen diese Entscheidung ist die weitere Beschwerde nicht statthaft (§ 310 Abs. 2 StPO).