30.07.2024 · IWW-Abrufnummer 242944
Oberlandesgericht Stuttgart: Beschluss vom 11.04.2024 – 3 W 76/23
1. Das selbständige Beweisverfahren ist mit Blick auf den Beginn der Abänderungssperrfrist des § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG und die Rechtsmittelfrist nach § 68 Abs. 1 S. 3 GKG isoliert von einer etwaigen späteren Hauptsache zu betrachten.
2. Da ein selbständiges Beweisverfahren nicht rechtskräftig abgeschlossen werden kann, kommt es im Sinne von § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG auf seine anderweitige Erledigung an.
Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss vom 11.04.2024
In Sachen
WEG
- Antragstellerin -
Prozessbevollmächtigter:
- Beschwerdeführer -
Verwalter der Wohnungseigentümergemeinschaft:
gegen
Baugenossenschaft- Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin -
Prozessbevollmächtigte:
Streithelfer:
Prozessbevollmächtigte:
wegen Beweissicherung
hier: Streitwertbeschwerdehat das Oberlandesgericht Stuttgart - 3. Zivilsenat - durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht xxx, den Richter am Oberlandesgericht xxx und die Richterin am Oberlandesgericht xxx am 11.04.2024 beschlossen:
Tenor:
Gründe
Im vorliegenden selbständigen Beweisverfahren wurde der Streitwert mit Beschluss vom 20.09.2017 auf bis 290.000 EUR festgesetzt.
Im Rahmen der Kostenfestsetzung im späteren Klageverfahren (Az.: 17 O 996/14), dessen Streitwert in der Berufungsinstanz vom erkennenden Senat auf 364.160,30 EUR festgesetzt wurde (Az.: 3 U 271/21), vertrat der Vertreter der Antragstellerin mit Schriftsatz vom 17.03.2023 die Auffassung, dass der Streitwert des selbständigen Beweisverfahrens mit dem Hauptsachewert anzusetzen sei (Bl. 9 d. eA). Zum Zeitpunkt des Beschlusses vom 22.09.2017 im Beweissicherungsverfahren sei der tatsächliche Hauptsachewert noch nicht abzusehen gewesen. Das Landgericht habe den Wert in seinem Urteil zutreffend abändernd auf 431.425,04 EUR festgesetzt; dieser sei daher für das selbständige Beweisverfahren zu übernehmen und entsprechend festzusetzen.
Das Landgericht hat den Schriftsatz als Streitwertbeschwerde gegen den Beschluss vom 20.09.2017 ausgelegt. Es hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Streitwertbeschwerde sei wegen Ablaufs der in § 63 Abs. 3 S. 2 GKG, auf den § 68 Abs. 1 S. 3 Hs. 1 GKG verweist, bestimmten Frist unzulässig. Bei selbständigen Beweisverfahren beginne diese Frist mit Beendigung dieses Verfahrens, ohne dass es auf die Rechtshängigkeit eines späteren Hauptsacheverfahrens und dessen Beendigung ankomme.
Die Akten des selbständigen Beweisverfahrens wurden übersandt. Trotz mehrfacher Nachfrage konnten die Akten des erstinstanzlichen Hauptsacheverfahrens 17 O 996/14 nicht vom Landgericht erlangt werden. Die elektronisch geführte Berufungsakte lag vor. Der Schriftsatz vom 17.03.2023 wurde dem Senat auf Anfrage vom Beschwerdeführer übermittelt. Eine Entscheidung des Senats ist aufgrund dieser Unterlagen möglich.
II.
1.
Die Beschwerde ist nach §§ 68, 63 GKG i.V.m. § 32 Abs. 2 S. 1 GKG statthaft. Dem Antragstellervertreter, der eine Heraufsetzung des Streitwerts anstrebt, steht diese Möglichkeit aus eigenem Recht nach § 32 Abs. 2 S. 1 GKG zu.
Das Landgericht hat den Schriftsatz auch zutreffend als Beschwerde gegen die Streitwertfestsetzung im selbständigen Beweisverfahren ausgelegt, nachdem die Streitwertfestsetzung im Urteil des Hauptsacheverfahrens keine Abänderung bezüglich jenes vorangegangenen Verfahrens enthielt.
2.
Zu Recht und mit zutreffender Begründung, der sich der Senat anschließt, hat das Landgericht jedoch entschieden, dass die Streitwertbeschwerde verfristet und damit unzulässig ist.
Gemäß §§ 68 Abs. 1 S. 3 Hs. 1 i.V.m. 63 Abs. 3 S. 2 GKG ist eine Änderung des Streitwerts von Amts wegen nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.
Ob in diesem Zusammenhang bei einem selbständigen Beweisverfahren für den Fristbeginn stets auf dessen Beendigung abzustellen ist, ist in der Rechtsprechung und im Schrifttum sehr umstritten. Eine in jüngerer Zeit im Vordringen befindliche Auffassung vertritt inzwischen diesen Ansatz, vgl. OLG Köln, Beschluss vom 4. März 2013 - 16 W 41/12 -, juris; OLG München, Beschluss vom 27. Januar 2021 - 9 W 100/21 -, juris; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 3. Februar 2023 - 4 W 4/23 -, juris; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 17. Oktober 2018 - 11 W 24/18 -, juris; BeckOK KostR/Jäckel, 44. Ed. 1.1.2024, GKG § 63 Rn. 31; Binz/Dörndorfer/Zimmermann/Dörndorfer, 5. Aufl. 2021, GKG § 63 Rn. 10; OLG Frankfurt, Beschluss vom 30. Januar 1997 - 21 W 4/97 -, juris. Nach der Gegenansicht soll es auf den (in der Regel rechtskräftigen) Abschluss eines parallel laufenden beziehungsweise nachfolgenden Klageverfahrens ankommen, selbst wenn daran lediglich ein Antragsteller und ein Streithelfer beteiligt sind (so KG Berlin, Beschluss vom 23. August 2002 - 4 W 219/01 -, juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 4. Februar 2015 - 10 W 3/15 -, juris; Toussaint/Toussaint, 53. Aufl. 2023, GKG § 63 Rn. 81), während eine vermittelnde Auffassung darauf abstellt, ob ein solches Streitverfahren tatsächlich durchgeführt bzw. angestrengt wird (so früher Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 17. Januar 2005 - 13 W 77/04 -, juris; wohl auch Zöller/Herget, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 492 Rn. 4).
Der Senat schließt sich der - inzwischen wohl überwiegenden - Auffassung an, nach welcher es die vom Gesetzgeber vorgesehene Eigenständigkeit des selbständigen Beweisverfahrens rechtfertigt und insbesondere der Gesichtspunkt der Rechts- und Kostensicherheit sogar erfordert, das selbständige Beweisverfahren mit Blick auf den Beginn der Abänderungssperrfrist des § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG isoliert zu betrachten (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 17. Oktober 2018 - 11 W 24/18 -, juris Rn.4; ausführl. OLG Köln a.a.O., juris Rn. 7). Den Streitwert für ein selbständiges Beweisverfahren von der Zufälligkeit eines sich möglicherweise anschließenden Klageverfahrens abhängig zu machen, erscheint nicht überzeugend. Der Antragsteller eines selbständigen Beweisverfahrens muss sein Kostenrisiko wenigstens ungefähr einschätzen können, beispielsweise um zu entscheiden, ob er es fortführen oder beenden will. Würde man auf den Zeitpunkt der Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens abstellen, wäre das Kostenrisiko kaum ex ante einzuschätzen (OLG München, Beschluss vom 27. Januar 2021, a.a.O.). Die Anknüpfung an den Streitwert des Klageverfahrens ermöglicht auch entgegen der Gegenauffassung keine zuverlässigere Bestimmung des Kostenstreitwerts, da die Streitwerte des selbständigen Beweisverfahrens und eines Klageverfahrens etwa durch Teilvergleiche aufgrund des selbständigen Beweisverfahrens oder Erhöhung bzw. Ermäßigung einer Klage keineswegs identisch sein müssen. Im Hauptsacheverfahren können auch - wie vorliegend - weitere Gutachten und sogar weitere Mängelkomplexe hinzutreten. Das selbständige Beweisverfahren ist auch nicht kraft Gesetzes ein bloßes Nebenverfahren des Erkenntnisverfahrens, sondern ein - wie der Name schon sagt - selbständiges Verfahren, das den Parteien ein Verwertungsrecht der gesicherten Beweise gewährt, was wiederum deutlich macht, dass es sich im Hinblick auf den Streitwert um ein eigenständiges Verfahren handelt (OLG Köln a.a.O., juris Rn. 7). Der Umstand, dass erst mit der Kostengrundentscheidung auch eine Entscheidung über die Kostenverteilung des selbständigen Beweisverfahrens herbeigeführt wird, erfordert es nicht, zu Lasten der Rechtssicherheit den Fristbeginn auf den rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahren zu verlagern.
Bei der Entscheidung des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 4. Februar 2015 - 10 W 3/15 - handelt es sich um eine nicht mehr ganz aktuelle Entscheidung, die einen Sachverhalt zum Gegenstand hatte, in welchem die Streitwertfestsetzung des Landgerichts noch während des laufenden selbständigen Beweisverfahrens ergangen war; infolge späterer Ergänzungsanträge und -gutachten kam es zu einer erheblichen Erhöhung der voraussichtlichen Mängelbeseitigungskosten. Die Streitwertfestsetzung des Landgerichts war deshalb der Sache nach nur vorläufig; einen förmlichen Abschluss fand das selbständige Beweisverfahren im Folgenden wegen des sogleich angestrengten Hauptsacheverfahrens nicht, so dass das Landgericht mangels "rechtskräftigen Abschlusses" des selbständigen Beweisverfahrens ohnehin noch zur Abänderung nach § 63 Abs. 3 S. 2 GKG befugt gewesen wäre.
Da selbständige Beweisverfahren nicht rechtskräftig abgeschlossen werden können, kommt es im Sinne von § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG auf die anderweitige Erledigung an. Diese ist vorliegend zwar bereits in dem "Einstellungsbeschluss" vom 27.07.2015 zu sehen, die Streitwertfestsetzung erfolgte jedoch erst auf Antrag durch den separaten Streitwertbeschluss des Landgerichts vom 20.09.2017. Damit ist die Frist des § 68 Abs. 1 S. 3 Hs. 2 GKG von einem Monat ab Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses maßgeblich. Am 17.03.2023 war diese Frist lange abgelaufen.
III.
Eine Kostenentscheidung war nicht veranlasst. Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet (§ 68 Abs. 3 GKG).
Die weitere Beschwerde kann durch den Senat - trotz Entscheidungserheblichkeit der in Rechtsprechung und Schrifttum streitigen Rechtsfragen betreffend den Lauf der Beschwerdefrist - nicht zugelassen werden, weil der Instanzenzug in Streitwertbeschwerdesachen beim Oberlandesgericht endet; nach § 66 Abs. 4 S. 1 i.V.m. § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG findet keine Beschwerde an die obersten Gerichtshöfe des Bundes statt.