30.07.2024 · IWW-Abrufnummer 242949
Kammergericht Berlin: Beschluss vom 04.04.2024 – 2 UH 11/24
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Kammergericht Berlin
Beschluss vom 04.04.2024
Tenor:
Das Landgericht Berlin II wird als das sachlich zuständige Gericht bestimmt.
Gründe
1
Der Kläger macht im Wege einer Stufenklage nach dem Tod seiner Mutter den Pflichtteilsanspruch gegen den testamentarischen Erben geltend. Den vorläufigen Streitwert der zunächst bei dem Amtsgericht Lichtenberg anhängig gemachten Klage hat er mit 5.000 Euro angegeben. Das angerufene Amtsgericht hat mit einer Verfügung vom 26. Oktober 2023 die Zustellung der Klage veranlasst, die Durchführung eines schriftlichen Vorverfahrens angeordnet und auf Bedenken gegen seine sachliche Zuständigkeit hingewiesen. Zwar werde bei einer Stufenklage gemäß § 44 GKG für den Gebührenstreitwert nur der Wert des höheren der geltend gemachten Ansprüche angesetzt. Dies gelte jedoch nicht für den Zuständigkeitsstreitwert, der nach den §§ 2 ff. ZPO zu bestimmen sei. Danach sei dem in letzter Stufe derzeit mit 5.000 Euro zu bemessenden Hauptanspruch der Wert der Auskunftsstufe, die mit 1/5 des Hauptanspruchs zu bemessen sei (§ 3 ZPO), nach § 5 ZPO hinzuzurechnen, womit der Zuständigkeitsstreitwert die maßgebliche Grenze von 5.000 Euro übersteige.2
Der Beklagte hat aufgrund dieses Hinweises die sachliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts gerügt. Der Kläger hat nach einem weiteren Hinweis des Gerichts auf seine fehlende Zuständigkeit eine Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht beantragt. Das Amtsgericht hat sich hierauf mit einem Beschluss vom 21. Dezember 2023 für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Berlin (seit dem 1. Januar 2024: Landgericht Berlin II) verwiesen. Zur Begründung des Verweisungsbeschlusses hat es auf seine Verfügung vom 26. Oktober 2023 Bezug genommen.
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Das Landgericht sieht sich durch die Verweisung in seiner Zuständigkeit nicht gebunden und hat sich nach Anhörung der Parteien mit einem Beschluss vom 21. März 2024 ebenfalls für sachlich unzuständig erklärt. Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Lichtenberg sei objektiv willkürlich und damit nicht bindend, weil sich das verweisende Gericht nicht mit der einhelligen Meinung in Schrifttum und Rechtsprechung zur Höhe des Zuständigkeitsstreitwerts einer Stufenklage auseinandergesetzt habe.
II.
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1. Das Kammergericht ist gemäß § 36 Abs. 1 ZPO als das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreits berufen, weil die an dem negativen Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte jeweils zu seinem Bezirk gehören.
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2. Die Voraussetzungen für die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO sind ferner auch der Sache nach gegeben, nachdem sich die an dem negativen Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte mit ihren Beschlüssen vom 21. Dezember 2023 bzw. vom 21. März 2024 jeweils rechtskräftig im Sinne der Vorschrift (vgl. zum Begriff BGH, Beschluss vom 4. Juni 1997 - XII ARZ 13/97, NJW-RR 1997, 1161) für unzuständig erklärt haben.
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3. Das Landgericht Berlin II ist aufgrund des Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Lichtenberg, an dessen Bindungswirkung (§ 281 Abs. 2 S. 4 ZPO) keine im Ergebnis durchgreifenden Zweifel bestehen, sachlich zuständig geworden.
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Im Falle eines negativen Kompetenzkonflikts innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist grundsätzlich das Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache in dem zuerst ergangenen Verweisungsbeschluss verwiesen worden ist. Dies folgt aus der Regelung in § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO, wonach ein auf der Grundlage von § 281 ZPO ergangener Verweisungsbeschluss für das Gericht, an das die Sache verwiesen wird, bindend ist. Die Bindungswirkung entfällt nur dann, wenn der Verweisungsbeschluss schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen anzusehen ist, etwa weil er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss. Hierfür genügt nicht, dass der Beschluss inhaltlich unrichtig oder fehlerhaft ist. Willkür liegt nur vor, wenn der Verweisungsbeschluss bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (BGH, Beschluss vom 9. Juni 2015 - X ARZ 115/15, NJW-RR 2015, 1016; Beschluss vom 19. Februar 2013 - X ARZ 507/12, NJW-RR 2013, 764 Rn. 7; Beschluss vom 17. Mai 2011 - X ARZ 109/11, NJW-RR 2011, 1364 Rn. 9).
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Gemessen an diesem Maßstab bestehen an der Bindungswirkung des durch das Amtsgericht Lichtenberg erlassenen Verweisungsbeschlusses keine durchgreifenden Zweifel. Entgegen dem Vorlagebeschluss des Landgerichts existiert zu der Frage, ob die einzelnen Anträge einer Stufenklage entsprechend § 5 ZPO zu addieren sind oder ob im Hinblick auf ihre wirtschaftliche Identität eine Zusammenrechnung - ebenso wie nach § 44 GKG beim Gebührenstreitwert - zu unterbleiben hat, keineswegs eine einhellige Meinung in Schrifttum und Rechtsprechung. Zwar hat der Senat tatsächlich bereits vor einiger Zeit entschieden, dass es auch für den Zuständigkeitsstreitwert allein auf die mit der dritten Stufe begehrte Zahlung ankommt, weil die in der ersten und zweiten Stufe verfolgten Ansprüche auf Auskunftserteilung, Wertermittlung oder eidesstaatliche Versicherung lediglich vorbereitenden Charakter haben und mit dem Zahlungsanspruch wirtschaftlich identisch sind (Senat, Beschluss vom 25. April 2019 - 2 AR 12/19, MDR 2019, 957; ebenso Anders/Gehle/Gehle, ZPO, 82. Aufl. 2024, Anh. § 3 Rn. 109; Musielak/Voit/Heinrich, ZPO, 20. Aufl. 2023, § 5 Rn. 9; MüKo-ZPO/Wöstmann, 6. Aufl. 2020, § 5 Rn. 21; Stein/Jonas/Roth, 23. Aufl. 2014, § 5 Rn. 20; Schneider/Kurpat/Kurpat, Streitwert-Kommentar, 15. Aufl. 2021, Rn. 2.4604 ff.). Ungeachtet dieser Entscheidung, die der Senat aus den dort im Einzelnen dargelegten Gründen weiterhin für zutreffend hält, wird insbesondere im Schrifttum aber auch nach wie vor die gegenteilige Auffassung vertreten, wonach der Wert der Ansprüche trotz ihrer wirtschaftlichen Identität zu addieren sein soll (Zöller/Herget, 35. Aufl. 2024, § 3 Rn. 16.160; Thomas/Putzo/Hüßtege, 44. Aufl. 2023, § 5 Rn. 4; Binz/Dörndorfer/Zimmermann/Dörndorfer, 5. Aufl. 2021, GKG § 44 Rn. 1; vgl. ebenso bereits früher OLG Hamm, Beschluss vom 6. September 2016 - 32 SA 49/16, juris Rn. 21; OLG Brandenburg, Beschluss vom 15. November 2001 - 1 AR 44/01, MDR 2002, 536).
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Bei dieser Sachlage erscheint der von dem Amtsgericht Lichtenberg erlassene Verweisungsbeschluss nicht bereits objektiv willkürlich, auch wenn sich das verweisende Gericht nicht mit der mittlerweile wohl herrschenden Auffassung auseinandergesetzt hat, wonach auch beim Zuständigkeitsstreitwert eine Zusammenrechnung der einzelnen Anträge einer Stufenklage unterbleibt. Hierfür spricht nicht zuletzt, dass die gegenteilige Auffassung u. a. noch in dem in der Praxis wohl gebräuchlichsten ZPO-Kommentar von Zöller vertreten wird, wobei dort allerdings sehr wohl auch auf die abweichende herrschende Meinung hingewiesen wird.