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  • 10.04.2008 · IWW-Abrufnummer 081097

    Oberlandesgericht Nürnberg: Beschluss vom 22.10.2007 – 1 Ws 541/07

    Bei üblichen Mittagspausen bis zu etwa einer Stunde sind diese nicht als Teilnahme an der Hauptverhandlung anzusehen. Hierbei ist es unerheblich, ob der Rechtsanwalt die Pause für anderweitige anwaltliche Tätigkeiten nutzen kann oder nicht. Soweit eine Mittagspause über diesen zeitlichen Rahmen hinaus geht, kommt für die eine Stunde überschreitende Zeit eine Behandlung als Teilnahme an der Hauptverhandlung in Betracht. Dabei sind die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere wie lange die Unterbrechung war und ob der Rechtsanwalt die Möglichkeit hatte, diese sinnvoll zu nutzen.


    OLG Nürnberg
    1 Ws 541/07

    Beschl. v. 22. 10. 2007

    In dem Strafverfahren
    gegen pp.

    wegen sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen u.a.;
    hier: weitere Beschwerde des Pflichtverteidigers gegen eine Beschwerdeentscheidung des Landgerichts Nürnberg-Fürth, mit welcher eine Berücksichtigung der Mittagspause bei der Berechnung der Verhandlungsdauer für die Gewährung einer Zuschlagsgebühr nach Nr. 4110 W RVG abgelehnt worden ist, erlässt der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg durch die unterzeichneten Richter folgenden

    Beschluss:

    Die weitere Beschwerde des Rechtsanwalts X gegen den Beschluss der 10. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 06.08.2007 wird als unbegründet zurückgewiesen.

    Gründe

    Das Amtsgericht Erlangen hat dem Angeklagten dem mit der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth vom 05.04.2006 sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen in Tateinheit mit Freiheitsberaubung zur Last gelegt wurde, Rechtsanwalt X als Pflichtverteidiger beigeordnet.

    Termin zur Durchführung der Hauptverhandlung war für 26.10.2006, 9.00 Uhr, bestimmt. Bei Aufruf der Sache um 9.00 Uhr war der Angeklagte mit seinem Pflichtverteidiger Rechtsanwalt LIM erschienen. Die Sitzung endete um 14.30 Uhr nach Verkündung eines Urteils, des Bewährungsbeschlusses und der Erteilung der Rechtsmittelbelehrungen. Ausweislich des Sitzungsprotokolls war die Sitzung zwischen 12.00 Uhr und 13.15 Uhr (wegen einer Mittagspause) unterbrochen.

    Mit Schreiben vom 26.10.2006 hat der Pflichtverteidiger die Festsetzung,der Gebühren beantragt. Dabei hat er auch die Zusatzgebühr zur Terminsgebühr für die Teilnahme an der Hauptverhandlung von mehr als 5 und bis 8 Stunden gemäß Nr. 4110 W RVG in Höhe von 92 Euro geltend gemacht. Bei der Festsetzung der Vergütung hat das Amtsgericht Erlangen diese mit der Begründung abgezogen, dass die Unterbrechung von 1 ¼ Stunden im Gegensatz zu kurzen Pausen von der Gesamtdauer der Hauptverhandlung vergütungsrechtlich abzuziehen sei. Im Übrigen hat es die Vergütung antragsgemäß festgesetzt.

    Dagegen hat der Pflichtverteidiger mit Schreiben vom 10.01.2007 Beschwerde eingelegt. Er hat vorgetragen, Sinn und Zweck der zusätzlichen Terminsgebühr sei es, den Zeitaufwand des gerichtlich bestellten Verteidigers für die anwaltliche Tätigkeit angemessen zu honorieren und diesen nicht auf die Bewilligung einer Pauschvergütung zu verweisen. Dabei sei die Verhandlungsdauer der Zeitspanne zwischen dem gerichtlich verfügten Beginn und der in der Verhandlung angeordneten Schließung der Sitzung gleichzusetzen. Verhandlungspausen seien grundsätzlich nicht abzuziehen. Der Verteidiger müsse sich während der Terminszeiten zur Verfügung halten und sei deswegen an einer anderweitigen Ausübung seines Berufs gehindert. Bei längeren Sitzungspausen sei darauf abzustellen, ob der Verteidiger sie anderweitig für seine Berufsausübung sinnvoll hätte nutzen können, wobei allerdings bei Sitzungsunterbrechungen während der Mittagszeit dem Verteidiger eine Mittagspause in der üblichen Länge von etwa einer Stunde grundsätzlich zuzugestehen sei. Diese diene gewöhnlich der Erholung, so dass der Verteidiger auch nicht auf-eine Nutzbarkeit dieser Zeit zu beruflicher Tätigkeit verwiesen werden könne.

    Der angehörte Bezirksrevisor beim Landgericht Nürnberg-Fürth hat ausgeführt, der Kanzleisitz des Verteidigers befinde sich lediglich 429 Meter vom Gericht entfernt
    und er hätte die Unterbrechung daher sinnvoll für eine andere berufliche Tätigkeit nutzen können.

    Mit Beschluss vom 16.05.2007 hat das Amtsgericht Erlangen auf die Erinnerung des Pflichtverteidigers die Vergütungsfestsetzung dahingehend abgeändert, dass dem Pflichtverteidiger weitere 106,72 Euro aus der Staatskasse zu erstatten seien. Die Mittagspause von einer Stunde sei bei der Berechnung der Dauer der Hauptverhandlung einzubeziehen. Grundsätzlich sei die Zeitspanne zu berücksichtigen, die zwischen dem gerichtlich verfügten Beginn und der in der Verhandlung angeordneten Schließung der Sitzung liege. Während einer einstündigen Mittagspause könne von dem Verteidiger nicht verlangt werden, dass er in dieser Zeit andere Verfahren bearbeitet. Es stehe zu befürchten, dass von der Dauer der Hauptverhandlung auch kurze Unterbrechungen und die Wartezeiten des Verteidigers während einer Urteilsberatung in Abzug gebracht würden.

    Auf die hiergegen gerichtete Beschwerde des Bezirksrevisors bei dem Landgericht Nürnberg-Fürth hat das Landgericht Nürnberg-Fürth mit Beschluss vom 09.07.2007 den Beschluss des Amtsgerichts Erlangen vom 16:05.2007 aufgehoben und die Erinnerung des Pflichtverteidigers gegen die Vergütungsfestsetzung des Amtsgerichts Erlangen vom 05.01.2007 als unbegründet verworfen. Weiter hat es die weitere Beschwerde zugelassen.

    Mit Beschluss vom 07.09.2007 hat der gemäß §§ 56 Abs. 3 Satz 1, 33 Abs. 8 Satz 1 RVG zuständige Einzelrichter das Verfahren nach Satz 2 der genannten Vorschrift dem Senat übertragen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.

    Die weitere Beschwerde ist zulässig, weil das Landgericht als Beschwerdegericht entschieden und sie wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage in dem Beschluss zugelassen hat (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 6 RVG).

    In der Sache selbst erweist sich die weitere Beschwerde als unbegründet. Die 10. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth hat dem Beschwerdeführer im Ergebnis zu Recht die zusätzliche Gebühr nach Nr. 4110 W RVG versagt und deshalb ,
    die Erinnerung des Pflichtverteidigers zurückgewiesen.

    Der gerichtlich bestellte oder beigeordnete Rechtsanwalt erhält die zusätzliche Gebühr nach Nr. 4110 W RVG, wenn er mehr als 5 und bis 8 Stunden an der Hauptverhandlung teilnimmt. Was eine Hauptverhandlung ist, wann sie beginnt und wann
    sie endet regeln in erster Linie die Vorschriften der StPO, soweit die Gebühren- und Kostenordnungen hierfür keine eigenen Bestimmungen enthalten.

    Schon der Wortlaut der Vorschrift der Nr. 4110 W RVG legt die vom Landgericht gewählte Auslegung nahe. Denn während einer Mittagspause nimmt der Verteidiger nicht e„an der Hauptverhandlung teil" (so auch OLG Bamberg, Beschluss vom 13.09.2005, Ws 676/05 und vom 30.05.2006, 1 Ws 255/06; OLG Hamm Beschluss vom 07.03.2006, 3 Ws 583/05). Diese Zeit dient, wie auch der beschwerdeführende Rechtsanwalt vorträgt, seiner Erholung. Warum diese Zeit aus der Staatskasse vergütet werden soll, ist nicht nachvollziehbar (vgl. hierzu auch OLG Bamberg, Beschluss vorn 30.05.2006, 1 Ws 255/06). Auch wenn der Rechtsanwalt seiner sonstigen beruflichen Tätigkeit nachgeht, bedarf er der Erholung, die ihm von Niemandem gebührenrechtlich vergütet wird. Nicht anders ist es bei der Tätigkeit eines Verteidigers im Rahmen einer strafgerichtlichen Hauptverhandlung.

    Auch der vom Gesetzgeber gesteckte Rahmen mit einer Obergrenze von 8 Stunden legt eine Anlehnung des Gesetzgebers an die übliche Arbeitszeit eines nicht selbständig Tätigen nahe. Auch diesem wird aber die Mittagspause durch den Arbeitgeber nicht vergütet. Der vom Rechtsanwalt gezogene Vergleich im Schriftsatz vom 28.06.2007, auch Richter und Staatsanwälte würden gerichtlicherseits bestimmte Pausen. ebenso regelmäßig für ihre Erholung nutzen, ohne dass, selbst bei einer im Einzelfall einmal längere Mittagspause, jemand auf die Idee kommen würde, ihnen ihre Gehaltsansprüche für diese Dauer zu kürzen, liegt schon deshalb neben der Sache, weil auch diesen die Mittagspause vom Dienstherrn nicht vergütet wird.

    Bei üblichen Mittagspausen bis zu etwa einer Stunde sind diese daher nicht als Teilnahme an der Hauptverhandlung anzusehen. Hierbei ist es unerheblich, ob der Rechtsanwalt die Pause für anderweitige anwaltliche Tätigkeiten nutzen kann oder nicht.

    Soweit eine Mittagspause über diesen zeitlichen Rahmen hinaus geht, kommt für die eine Stunde überschreitende Zeit eine Behandlung als Teilnahme an der Hauptverhandlung in Betracht. Dabei sind die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere wie lange die Unterbrechung war und ob der Rechtsanwalt die Möglichkeit hatte, diese sinnvoll zu nutzen. Er muss es nämlich nicht hinnehmen, dass die Hauptverhandlung ohne verfahrensbezogenen Grund längere Zeit unterbrochen wird, ohne dass er diese Zeit für seine Tätigkeit einsetzen kann, andererseits hierfür aber keinen gebührenrechtlichen Ausgleich erhält.

    Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegen Fall gilt: Die Sitzung dauerte von 9.00 bis 14.30 Uhr und war von 12.00 bis 13.15 Uhr unterbrochen. Von der Gesamtdauer von 5 Stunden 30 Minuten ist eine Stunde für die--Mittagspause abzuziehen, die tatsächlich M1 Stunde 15, Minuten gedauert, hat. Die. Dauer der Teilnahme an der Hauptverhandlung beträgt damit gebührenrechtlich 4 Stunden 30 Minuten. Damit ist die Gebühr nach Nr. 4110 W-RVG nicht verdient, weil dieser Gebührentatbestand eine Teilnahme von mehr als fünf Stunden voraussetzt.

    Der hier entwickelte Grundsatz bedeutet entgegen den Befürchtungen des Beschwerdeführers nicht, dass die nach Nr. 4110 W RVG zu berücksichtigende Dauer der Hauptverhandlung um eintretende Verzögerungen beim Beginn, etwa durch Verspätungen von Verfahrensbeteiligten, übliche sonstige Verhandlungspausen oder durch das Nichterscheinen von Zeugen, Sachverständigen u. a. eintretende zeitliche Lücken sowie die Unterbrechung der Hauptverhandlung zur Urteilsberatung unberücksichtigt bleiben würden. Dies wäre eine kleinliche Betrachtungsweise und würde zu unfruchtbaren Streitereien führen. Im übrigen muss sich der Rechtsanwalt in solchen Pausen regelmäßig für das Verfahren verfügbar halten.

    RechtsgebietRVGVorschriftenNr. 4110 VV RVG