26.08.2011 · IWW-Abrufnummer 112859
Oberlandesgericht Braunschweig: Beschluss vom 22.03.2011 – 2 W 18/11
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Braunschweig
2 W 18/11
8 O 884/08 (078) Landgericht Braunschweig
Beschluss
In dem Beschwerdeverfahren
XXX
hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig durch …
am 22.03.2011 beschlossen:
Die Beschwerde der Bezirksrevisorin bei dem Landgericht Braunschweig gegen den Beschluss des Landgerichts Braunschweig vom 14.02.2011 wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe:
I.
Der Antragsteller Rechtsanwalt Z ist Frau X mit Beschluss des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 21.08.2008 (Geschäftsnummer 3 W 80/08) unter Bewilligung von Prozesskostenhilfe zur Vertretung in dem vor dem Landgericht Braunschweig zur Geschäftsnummer 8 O 884/08 geführten Rechtsstreit als Rechtsanwalt beigeordnet worden.
Der Antragsteller begehrt die Festsetzung seiner Gebühren nach § 45 RVG; der Gegenstandswert beträgt 143.072,00 Euro. Er macht u. a. eine Gebühr nach Nr. 3100 VV RVG in Höhe von 508,30 Euro zuzüglich Umsatzsteuer geltend und hat für außergerichtliche Vertretung bereits eine 1,3-fache Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG in Höhe von 2.475,80 Euro erhalten.
Gegen die antragsgemäße Festsetzung seiner Rechtsanwaltsvergütung in Höhe von 1.654,70 Euro, die auch die geltend gemachte Verfahrensgebühr berücksichtigt, hat die Bezirksrevisorin bei dem Landgericht Braunschweig mit dem Antrag, die Vergütung anderweitig auf 1.049,82 Euro festzusetzen, Erinnerung eingelegt. Sie ist der Meinung, die erhaltene 1,3-fache Geschäftsgebühr sei zur Hälfte auf die Verfahrensgebühr anzurechnen, so dass kein gegen die Staatskasse gerichteter Vergütungsanspruch für die Verfahrensgebühr bestehe.
Der Antragsteller hat beantragt, die Erinnerung zurückzuweisen.
Mit Beschluss vom 14.02.2011, der Bezirksrevisorin am 23.02.2011 zugestellt, hat das Landgericht Braunschweig die Erinnerung zur ückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Bezirksrevisorin vom 23.02.2011, mit der sie ihre Auffassung wiederholt, eine Anrechnung habe immer dann zu erfolgen, wenn vorgerichtlich eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG angefallen sei und in einem nachfolgenden Verfahren eine (gegenstandsgleiche) Verfahrensgebühr, wenn auch ggf. in verminderter Höhe nach § 49 RVG, entstehe.
Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache mit Beschluss vom 03.03.2011 dem Oberlandesgericht Braunschweig als Beschwerdegericht vorgelegt. Der Einzelrichter hat die Sache mit Beschluss vom 21.03.2011 auf den Senat übertragen.
II.
1.) Die Beschwerde ist zulässig (§§ 33 Abs. 2, 56 Abs. 2 S. 1 RVG), in der Sache selbst aber unbegründet.
Der Anspruch des Antragstellers auf Vergütung (auch) in Höhe einer 1,3-fachen Verfahrensgebühr gemäß §§ 45 Abs. 1, 49 RVG, Nr. 3100 VV RVG ist nicht durch Anrechnung der für außergerichtliche Vertretung erhaltenen hälftigen Geschäftsgebühr erloschen. Zwar bestimmt Teil 3, Vorbemerkung 3, Abs. 4 VV RVG, dass dann, wenn wegen desselben Gegenstands eine Geschäftsgebühr nach den Nr. 2300 - 2303 entsteht, diese Gebühr zur Hälfte, jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75 auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet wird. Hierauf kann sich ein Dritter gemäß § 15a Abs. 2 RVG, wozu auch die Staatskasse gehört (vgl. Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 19. Auflage, § 15a Rn. 15), aber nur berufen, soweit er den Anspruch auf eine der beiden Gebühren erfüllt hat, wegen eines dieser Ansprüche gegen ihn ein Vollstreckungstitel besteht oder beide Gebühren in demselben Verfahren gegen ihn geltend gemacht werden. Keine dieser drei Voraussetzungen trifft auf die Staatskasse zu. Ziel der genannten Bestimmung ist es, eine doppelte Inanspruchnahme des Gebührenschuldners zu verhindern, die hier mit Blick auf die Staatskasse nicht im Raum steht.
Indes folgt aus § 15a Abs. 1 RVG, dass der Rechtsanwalt in den Anrechnungsfällen zwar beide Gebühren fordern kann, jedoch nicht mehr, als den um den Anrechnungsbetrag verminderten Gesamtbetrag der beiden Gebühren. Dies gilt auch im Rahmen der Gebühren des beigeordneten PKH-Anwalts, wie sich aus den Motiven zu § 55 Abs. 5 S. 2 RVG ergibt. Dort heißt es: "Die allgemeinen Vorschriften zur Anrechnung gelten auch für die Vergütung des Rechtsanwalts, der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnet oder als Prozesspfleger bestellt ist. Im Antrag auf Festsetzung der aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung ist deshalb auch die Angabe erforderlich, welche Zahlungen auf etwaige anzurechnende Gebühren geleistet worden sind, wie hoch diese Gebühren sind und aus welchem Wert diese Gebühren entstanden sind. Damit stehen dem Urkundsbeamten für die Festsetzung der Vergütung alle Daten zur Verfügung, die er benötigt, um zu ermitteln, in welchem Umfang die Zahlungen nach § 58 Abs. 1 und 2 RVG auf die anzurechnende Gebühr als Zahlung auf die festzusetzende Gebühr zu behandeln sind" (BT-Drucks. 16/12717 Seite 59). Hiernach ist also nicht nur die gezahlte Geschäftsgebühr gemäß § 55 Abs. 5 S. 2 - 4 RVG mitzuteilen, sondern diese auch nach § 58 Abs. 2 RVG zunächst auf die Wahlanwaltsvergütung anzurechnen.
Allerdings ist streitig, ob die Anrechnung auf die Vergütung nach der Wahlanwaltstabelle oder auf die nach der Tabelle für beigeordnete Anwälte zu erfolgen hat. Teilweise wird die Auffassung vertreten, die Anrechnung der Geschäftsgebühr sei nicht vorrangig auf die Differenz zwischen Wahlanwaltsvergütung und Prozesskostenhilfevergütung vorzunehmen, weil das Gesetz in Teil 3, Vorbemerkung 3, Abs. 4 VV RVG nicht danach unterscheide, ob im nachfolgenden Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werde oder nicht. § 58 Abs. 2 RVG regele lediglich, in welcher Weise eine nicht durch die Staatskasse erfolgte Zahlung an den beigeordneten Rechtsanwalt zu berücksichtigen sei, sie verändere aber weder die Tatbestände zu Entstehung und Höhe der Rechtsanwaltsgebühren noch regele sie den Umfang des a priori von der Staatskasse dem beigeordneten Rechtsanwalt Geschuldeten (so OLG Frankfurt, Beschl. v. 12.02.2010 - 18 W 3/10, zitiert nach juris). Nach anderer Auffassung wird die Zahlung nur insoweit auf den Vergütungsanspruch gegenüber der Staatskasse angerechnet, als sie die Differenz zwischen der Wahlanwaltsvergütung und der Prozesskostenhilfevergütung für das konkrete Verfahren übersteigt. Hiernach kommt ein Abzug von dem gegen die Staatskasse bestehenden Anspruch nur dann in Betracht, wenn die Anrechnung dazu führt, dass die Differenz völlig beglichen ist (vgl. OLG München, Beschl. v. 10.12.2009 - 11 W 2649/09, FamRZ 2010, 923; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 11.05.2010 - 2 WF 33/10, NJOZ 2010, 1880; schon nach bisherigem Recht KG, Beschl. v. 13.01.2009 - 1 W 496/08, NJOZ 2009, 1255, Müller-Rabe, NJW 2009, 2913; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, a. a. O., § 58 Rn. 43 f.).
Der Senat folgt der letztgenannten Ansicht. Dafür sprechen neben dem Wortlaut des § 58 Abs. 2 RVG, der Zahlungen auf die Geschäftsgebühr nicht ausnimmt, auch die oben zitierten gesetzgeberischen Motive. Zudem lässt sich das entscheidende Argument, welches gegen eine Anwendung des § 58 Abs. 2 RVG sprach und auf das sich auch der Senat in seinem Beschluss vom 12.09.2008 gestützt hat (2 W 358/08, NJW-RR 2009, 558), nicht mehr aufrechterhalten. Die Auffassung, dass die Verfahrensgebühr aufgrund der Anrechnungsvorschriften von vornherein nur in gekürzter Höhe entstehe, und die insbesondere auf der hierzu vor Einführung des § 15a RVG ergangenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beruht, ist mit der vom Gesetzgeber in § 15a Abs. 1 RVG vorgenommenen Klarstellung nicht (mehr) zu vereinbaren. So ergibt sich aus den Motiven zu § 15a RVG (BT-Drucks. 16/12717 Seite 58) ausdrücklich, dass beide Gebührenansprüche von den Anrechnungsregelungen grundsätzlich unangetastet bleiben, der Rechtsanwalt also beide Gebühren jeweils in voller Höhe geltend machen kann. Es sei ihm lediglich verwehrt, insgesamt mehr zu verlangen, als sich aus der Summe der beiden Gebühren nach Abzug des anzurechnenden Betrages ergebe.
Da die Differenz der Wahlanwaltsvergütung zu dem nach § 49 RVG bestehenden Anspruch hier trotz Anrechnung auf die Wahlanwaltsvergütung nicht vollständig ausgeglichen ist, kommt eine Kürzung der PKH-Vergütung des Antragstellers nicht in Betracht.
2.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 S. 2 und 3 RVG.