26.08.2011 · IWW-Abrufnummer 112847
Landgericht Braunschweig: Beschluss vom 06.05.2011 – 7 Qs 83/11
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
7 Qs 83/11
In der Strafsache
...
hat die 7. Strafkammer des Landgerichts in Braunschweig
am 06.05.2011
durch
die unterzeichnenden Richter
beschlossen:
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde des Freigesprochenen vom 10.12.2010 wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Braunschweig vom 03.12.2010 (Aktenzeichen: 8 Ls 114 Js 38199/05) wie folgt abgeändert:
In der Strafsache gegen xxx werden die aufgrund des vollstreckbaren Urteils des Landgerichts Braunschweig vom 21.01.2010 (Geschäftsnummer: 4 Ns 57/09) von der Landeskasse dem Freigesprochenen zu erstattenden notwendigen Auslagen auf
11729,73 EUR
nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.04.2010 festgesetzt.
Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Freigesprochene. Jedoch wird die Beschwerdegebühr um 60% ermäßigt; die dem Freigesprochenen in diesem Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse zu 60% auferlegt.
Gründe
I.
Dem Freigesprochenen waren durch Anklage der Staatsanwaltschaft Braunschweig vom 31.03.2006 zwei vors ätzliche gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr, ein vollendeter und ein versuchter Versicherungsbetrug durch zwei fingierte Verkehrsunfälle und Abrechnung der dadurch entstandenen Schäden gegenüber seiner Versicherung zur Last gelegt worden,
Durch Urteil des Amtsgerichts Braunschweig vom 28.03.2007 wurde der Freigesprochene erstinstanzlich zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 4 Monaten mit Bewährung verurteilt.
Gegen das Urteil des Amtsgerichts Braunschweig vom 28.03.2007 legten sowohl der Freigesprochene als auch die Staatsanwaltschaft Berufung ein. Durch Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 09.07.2008 wurde die Berufung des Angeklagten verworfen. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft wurde dem Verurteilten zusätzlich zur erstinstanzlich verhängten Strafe die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperre für die Neuerteilung derselben von 9 Monaten verhängt.
Auf die Revision des Freigesprochenen hob das Oberlandesgericht Braunschweig das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 09.07.2008 durch Beschluss vom 28.01.2009 auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Landgerichts Braunschweig zurück.
Durch Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 21.01.2010 wurde der Freigesprochene sodann freigesprochen und die Verfahrenskosten aller Instanzen und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt. Dieses Urteil ist seit dem 25.03.2010 rechtskräftig.
Mit dem angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss vom 03.12.2010, der dem Verteidiger des Freigesprochenen am 08.12.2010 zugestellt worden ist, hat das Amtsgericht Braunschweig die dem Freigesprochenen zu erstattenden notwendigen Auslagen auf 8.412,71 EUR nebst Zinsen festgesetzt. Beantragt hatte der Freigesprochene die Erstattung von 14.023,45 EUR. Mit Schriftsatz vom 10.12.2010, der am 14.12.2010 beim Amtsgericht Braunschweig eingegangen ist, legt er deshalb Erinnerung und sofortige Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss ein.
Der Bezirksrevisor bei dem Landgericht Braunschweig beantragt,
die Beschwerde des Freigesprochenen als unbegründet zu verwerfen.
II.
1.
Der Schriftsatz vom 10.12.2010 ist als sofortige Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Braunschweig vom 03.12.2010 auszulegen, Hierbei handelt es sich gemäß §§ 464b S. 3 StPO, 104 Abs. 3 ZPO, 11 Abs. 1 RPflG um den statthaften Rechtsbehelf, den der Freigesprochene erkennbar einlegen wollte.
Diese sofortige Beschwerde ist zulässig. Insbesondere wurde sie innerhalb der Frist des § 311 Abs. 2 StPO eingelegt.
2.
Sie ist auch teilweise begründet.
a)
Entgegen den Ausführungen im Kostenfestsetzungsbescheid kann der Verteidiger des Freigesprochenen für einen im zweiten Berufungsverfahren wahrgenommenen, von einem gerichtlich bestellten Sachverständigen anberaumten Ortstermin eine Terminsgebühr von 250,00 EUR nebst MwSt. gemä ß Nr. 4102 VV RVG verlangen. Zwar sieht Nr. 4102 VV RVG eine Terminsgebühr für die Wahrnehmung eines von einem gerichtlich bestellten Sachverständigen anberaumten Termins nicht vor. Vergütet werden nach dem Wortlaut dieser Vorschrift nur die Teilnahme an richterlichen Vernehmungen und Augenscheinseinnahmen, Vernehmungen durch die Staatsanwaltschaft oder eine andere Strafverfolgungsbehörde, Terminen außerhalb der Hauptverhandlung, in denen über die Anordnung oder Fortdauer der Untersuchungshaft oder der einstweiligen Unterbringung verhandelt wird, Verhandlungen im Rahmen des Täter-Opfer-Ausgleichs sowie Sühneterminen nach § 380 StPO. Auf die Wahrnehmung anderer außergerichtlicher Termine ist diese Vorschrift entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung (vgl. Burhoff, RVQ Straf- und Bußgeldsachen, 2. Aufl. 2007, Nr. 4102 VV Rn. 45) aber analog anwendbar (vgl. LG Offenburg, Beschluss vom 31.05.2006 - 1 KLs 16 Js 10008/05, NStZ-RR 2006, 358 ff. [LG Offenburg 31.05.2006 - 1 KLs 16 Js 10008/05 - 1 AK 12/05]; AG Freiburg (Breisgau), Beschluss vom 21.12.2010 - 20 Ls 620 Js 8165/08, zit. nach [...]). Der Gesetzesbegründung zu Nr. 4102 VV RVG (BT-Drucksache 15/1971, S. 222 f.) ist zu entnehmen, dass die Wahrnehmung aller Termine außerhalb der Hauptverhandlung gesondert vergütet werden soll und auf diese Weise u.a. die Bewilligung von Pauschgebühren nach § 51 RVG aufgrund der Teilnahme an Terminen außerhalb der Hauptverhandlung reduziert werden soll. Aus diesem Grunde müssen auch in Nr. 4102 VV RVG nicht genannte, aber diesen vergleichbare Termine mit einer Terminsgebühr nach dieser Vorschrift vergütet werden, so auch die Teilnahme an einem von einem Sachverständigen anberaumten Beweistermin.
Die Festsetzung der in Nr. 4102 VV RVG vorgesehenen Höchstgebühr von 250,00 EUR nebst MwSt. ist ebenfalls angemessen. In dem Termin erfolgten Crash-Versuche zur Frage der Übereinstimmung der festgestellten Unfallschäden mit den beschriebenen Unfallhergängen. Vor dem Hintergrund dieser schwierigen Materie war zur sachgerechten Wahrnehmung dieses Termins eine umfangreiche Vorbereitung des Verteidigers notwendig.
b)
Darüber hinaus kann der Freigesprochene entgegen den Ausführungen im Kostenfestsetzungsbeschluss seine Auslagen für Privatgutachten in Höhe von 3.019,52 EUR ersetzt verlangen. Zwar gehören Kosten für Privatgutachten grundsätzlich nicht zu den notwendigen Auslagen eines Freigesprochenen im Sinne des § 464a Abs. 2 StPO, da er seine Rechte im Strafverfahren aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes in der Regel in ausreichendem Maße durch Beweisanträge wahrnehmen kann und hierfür keine Privatgutachten einholen muss. Etwas anderes gilt aber dann, wenn der Freigesprochene aus seiner Sicht die Einholung von Privatgutachten für unbedingt erforderlich halten musste, um den Anklagevorwurf abzuwehren (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 05.01.2005 - 2 Ss 318/04, zit. nach [...]; Meyer-Goßner, 53. Aufl. 2010, § 464a Rn. 16). Vorliegend beruhten die Verurteilungen in den ersten beiden Instanzen auf einem Gutachten des Sachverständigen, der zuvor bereits für die Versicherung des Freigesprochenen tätig gewesen war. Beweisanträge auf Einholung eines ergänzenden Sachverständigengutachtens waren in beiden Instanzen abgelehnt worden. Der vom Freigesprochenen beauftragte Privatgutachter wurde in der Berufungsinstanz allerdings als sistierter Zeuge vernommen. Darauf beruhte u.a. die Aufhebung des ersten Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache in der Revisionsinstanz. In der zweiten Berufungsverhandlung wurde der vom Freigesprochenen beauftragte Privatgutachter sodann zum gerichtlichen Sachverständigen bestellt, auf dessen Gutachten hin der Freigesprochene schließlich freigesprochen wurde. Vor diesem Hintergrund, insbesondere aufgrund der Ablehnung seiner Beweisanträge in den ersten beiden Instanzen, musste der Freigesprochene die Einholung eines Privatgutachtens für unbedingt erforderlich halten.
Hinsichtlich der Höhe der Gutachterkosten sind die tatsächlich angefallenen Kosten zu ersetzen. Eine Beschränkung auf die im JVEG vorgesehenen Kosten ist nicht vorzunehmen. Auf dem privaten Markt sind Gutachten nach den Sätzen des JVEG auch nach Einschätzung des Bezirksrevisors kaum zu erlangen.
3.
Die darüber hinausgehende sofortige Beschwerde ist allerdings unbegründet.
a)
Der Kostenfestsetzungsbescheid geht zu Recht davon aus, dass dem Verteidiger für die Wahrnehmung des Termins am 15.03.2007 vor dem Amtsgericht nach Nr. 4108 VV RVG lediglich eine Gebühr von 200,00 EUR zu erstatten ist. Die vom Verteidiger verlangte Höchstgebühr von 400,00 EUR ist unbillig im Sinne des § 14 S. 4 RVG, da sie den dem Verteidiger zustehenden Ermessenspielraum um 20% überschreitet. Sie ist daher neu auf die angemessene Gebühr von 200,00 EUR festzusetzen (vgl. Burhoff, a.a.O., § 14 Rn. 48 - 50). Bei der Bestimmung der Terminsgebühr der Nr. 4108 VV RVG ist grundsätzlich von der Mittelgebühr von 230,00 EUR auszugehen. Die zeitliche Dauer des wahrgenommenen Termins gewinnt sodann entscheidende Bedeutung, wobei bei Wahrnehmung eines Termins vor dem Amtsgericht von einer durchschnittlichen Dauer einer Verhandlung von ein bis drei Stunden auszugehen ist (vgl. Burhoff, a.a.O., Vorb 4 VV Rn. 60, 63). Daneben ist die Vorbereitung der konkreten Verhandlung zu berücksichtigen, nicht aber die allgemeine Vorbereitung der Hauptverhandlung als solche, da diese von der Verfahrensgebühr der Nr. 4106 VV RVG abgedeckt ist. Der Termin vor dem Amtsgericht am 15.03.2007 hat lediglich 20 Minuten gedauert, so dass die Dauer des Termins als deutlich unterdurchschnittlich bezeichnet werden kann. Zuvor hatte bereits ein Termin stattgefunden. In dem Termin am 15.03.2007 wurde ein Zeuge 2u einem überschaubaren Beweisthema vernommen, so dass auch der Aufwand für die Vorbereitung des konkreten Termins überschaubar gewesen sein dürfte. Die vom Verteidiger angeführten Vorbereitungstätigkeiten (umfangreiche Tätigkeit im Vorverfahren, durch Ortsbesichtigungen und Besprechungen mit dem Sachverständigen, vertiefte Auseinandersetzung mit Unfallrekonstruktion) betreffen nicht die Vorbereitung des konkreten Termins. Auch unter Berücksichtigung der Bedeutung der Angelegenheit für den nicht vorbestraften Freigesprochenen und seiner guten finanziellen Lage ist die Festsetzung der Höchstgebühr für die Wahrnehmung eines 20-minütigen Termins deshalb unbillig. Die im Kostenfestsetzungsbescheid veranschlagten 200,00 EUR sind unter Berücksichtigung der genannten Kriterien dagegen angemessen.
b)
Auch hat der Kostenfestsetzungsbescheid die vom Verteidiger geltend gemachten zwei Terminsgebühren à 587,50 EUR gemäß Nr. 4126 VV RVG für das erste Berufungsverfahren zu Recht auf eine Terminsgebühr à 470,00 EUR reduziert. Es hat lediglich eine Berufungsverhandlung stattgefunden. Bei der festgesetzten Gebühr von 470,00 EUR handelt es sich bereits um die Höchstgebühr. Soweit der Verteidiger im Rahmen der Beschwerde vorträgt, er habe bei der Abrechnung die Auslagenpauschale vergessen, ist dies im Beschwerdeverfahren unbeachtlich. In diesem wird nur die getroffene Entscheidung des Rechtspflegers überprüft. Zusätzliche Ansprüche können nicht geltend gemacht werden (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 464b Rn. 9).
c)
Auch die Terminsgebühren für das zweite Berufungsverfahren hat der Kostenfestsetzungsbeschluss zu Recht von sieben Gebühren à 587,50 EUR auf sechs Gebühren à 470,00 EUR und eine Gebühr à 270,00 EUR reduziert. Bei den sechs Gebühren à 470,00 EUR handelt es sich wiederum um die Höchstgebühr der Nr. 4126 VV RVG. Die Reduzierung dieser Gebühr auf die Mittelgebühr von 270,00 EUR für die Wahrnehmung des Termins am 01.12.2009 ist nach den obigen Grundsätzen ebenfalls angemessen. Dieser Termin hat nur 15 Minuten gedauert. Es wurden absehbarer weise lediglich einige Urkunden verlesen, Dass hierfür umfangreichere Vorbereitungen des Verteidigers erforderlich gewesen wären, ist nicht ersichtlich und vom Verteidiger auch nicht vorgetragen. Soweit der Verteidiger im Beschwerdeverfahren zusätzlich eine bisher nicht berechnete Verfahrensgebühr und Auslagenpauschale geltend macht, ist dies wiederum nicht mehr möglich.
4.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 4 StPO.