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  • 24.11.2011 · IWW-Abrufnummer 113863

    Kammergericht Berlin: Beschluss vom 30.09.2011 – 1 Ws 66/09

    Es wird daran festgehalten, dass die anwaltliche Mitwirkung für die Beendigung des Verfahrens ursächlich oder jedenfalls mitursächlich gewesen sein muss.



    Die Mitwirkungstätigkeit des Rechtsanwalts muss aber nicht "intensiv und zeitaufwändig" gewesen sein (Aufgabe der früheren Rechtsprechung KG AG 2009, 324).



    Bei der Gebühr Nr. 4141 handelt es sich um eine Festgebühr, die immer in Höhe der jeweiligen Rahmenmitte entsteht.


    1 Ws 66/09

    In der Strafsache ... hat der 1. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 30. September 2011 beschlossen:

    Tenor:
    Auf die sofortige Beschwerde des früheren Angeschuldigten wird der Beschluss der Rechtspflegerin des Landgerichts Berlin vom 11. Mai 2009 dahin abgeändert, dass die dem früheren Angeschuldigten zu erstattenden notwendigen Auslagen auf weitere 36,89 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozent über dem Basiszinssatz seit dem 8. März 2009 festgesetzt werden.

    Der Beschwerdeführer hat 16,5% der Gebühr und der gerichtlichen Auslagen seines Rechtsmittels zu tragen. Von den ihm im Beschwerdeverfahren erwachsenen notwendigen Auslagen fallen der Landeskasse 83,5% zur Last.

    Der Wert des Beschwerdeverfahrens beträgt 221,34 EUR.

    Gründe
    Die Staatsanwaltschaft hat gegen den Beschwerdeführer Anklage wegen des. Vorwurfs des schweren Raubes erhoben. Im Ermittlungsverfahren hatte sein Verteidiger die den Tatvorwurf bestreitende Einlassung des Angeklagten zu den Akten gereicht; des weiteren hat er in einem Antrag auf mündliche Haftprüfung unter Bezugnahme auf diese Einlassung den dringenden Tatverdacht bestritten. Das Landgericht hat nach Vernehmung einer Zeugin im Zwischenverfahren, die mich der Überprüfung der Einlassung des Angeschuldigten gedient hat, rechtskräftig die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers der Landeskasse auferlegt. Mit dem angefochtenen Beschluss hat die RechtspfIegerin im Kostenfestsetzungsverfahren (§ 464b StPO) die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers auf einen Betrag von 370,69 EUR festgesetzt. Die darüber hinaus geltend gemachte Gebühr nach Nr. 4141 VV RVG, die der Verteidiger auf 186,00 EUR zuzüglich anteiliger Umsatzsteuer (35,34 EUR) bemessen hat, hat die Rechtspflegerin abgesetzt.

    Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des früheren Angeschuldigten hat weitgehend Erfolg.

    1.

    Das als "Erinnerung" bezeichnete Rechtsmittel ist als sofortige Beschwerde zu behandeln (§ , 11 Abs. 1 RPflG, § 300 StPO). Es ist zulässig, da es fristgerecht eingelegt ,worden ist und der Beschwerdewert in Höhe von 221,34 EUR die Wertgrenze des § 304.Abs..3 StPO übersteigt.

    2.

    Das Rechtsmittel ist auch zum überwiegenden Teil begründet. Der Verteidiger hat die Gebühr nach Nr. 4141 RVG (sog. Erledigungsgebühr) verdient, allerdings nicht in dem von ihm geltend gemachten Umfang, sondern nur in Höhe der Rahmenmitte.

    a)

    Die Erledigungsgebühr gemäß Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG entsteht, wenn durch die anwaltliche Mitwirkung die Hauptverhandlung entbehrlich wird und das Gericht beschließt, das Hauptverfahren nicht zu eröffnen.

    Nach der Rechtsprechung des Kammergerichts muss die anwaltliche Mitwirkung für die Beendigung des Verfahrens ursächlich oder jedenfalls mitursächlich gewesen sein, wobei keine kleinliche Kausalitätsprüfung vorzunehmen ist (vgl. Beschlüsse vom 24. Oktober 2006 - 4 Ws 131/06 - und 28. April 1999 - 4 Ws 47/99 - [zu § 84 Abs.' 2 Satz 1 Nr. 1 BRAGO], beide bei [...]). Die Beweislast, dass die Tätigkeit des Verteidigers für die Verfahrenserledigung nicht förderlich war, trägt als Gebührenschuldner die Staatskasse (vgl. Senat AGS 2009, 324). Der Senat hält an dieser Auffassung fest. Das Erfordernis der (Mit-)Ursächlichkeit ergibt sich aus dem Gesetzeswortlaut, wonach die Hauptverhandlung "durch" die anwaltliche Mitwirkung entbehrlich werden muss. Abs. 2 der Nr. 4141 VV RVG stellt diesen in Abs. .1 normierten Grundsatz nicht in Frage, sondern gibt hierzu lediglich eine Beweisregel an die Hand. In den praktischen Konsequenzen sind indes die Unterschiede zur herrschenden Meinung, die auf das Erfordernis der (Mit-)Kausalität verzichtet und .jede Tätigkeit genügen lässt, die auf die Förderung des Verfahrens gerichtet und zur Verfahrensbeendigung "objektiv geeignet" ist (vgl. etwa. OLG Stuttgart AGS 2010, 292; BGH (9. Zivilsenat) AGS 2008, 491 [zu Nr. 5115 VV RVG]; jew. m.w.Nachw.), gering.

    Soweit in der früheren Rechtsprechung des Kammergerichts für die Erfüllung des Gebührentatbestands unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 15/1971, S. 227 f.) darüber hinaus verlangt worden ist, dass die Tätigkeit des Rechtsanwalts "intensiv und zeitaufwändig" gewesen sein muss (vgl. Beschluss vom 24. Oktober 2006 aa0), hält der seit 2007 für Anträge und Rechtsmittel nach dem RVG allein zuständige Senat hieran nicht fest. Die Gesetzesmaterialien belegen,- aus welchen Motiven der Gesetzgeber den Gebührentatbestand geschaffen hat, weil er nämlich intensive und zeitaufwändige Tätigkeiten honorieren wollte. Dass er ausschließlich solche Tätigkeiten vergütet wissen wollte, hat jedoch im Wortlaut des Gesetzes keinen Niederschlagsgefunden. Zudem ist die Bestimmung, was intensiv und zeitaufwändig ist, im Einzelfall schwierig. Derartige Streitigkeiten in das Kostenfestsetzungsverfahren zu verlagern, hieße, den gebührenrechtlichen Anreiz zu mindern, der gerade mit der Regelung der Nr. 4141 VV RVG geschaffen werden sollte.

    An diesen Maßstäben gemessen ist die hier geltend gemachte Erledigungsgebühr entstanden. Die Begründung in dem angefochtenen Beschluss, dies sei nicht der Fall, weil der Schriftsatz, mit dem der Verteidiger die Einlassung des damaligen Beschuldigten zu den Akten gereicht hat, nicht dazu geführt habe, dass die Anklageerhebung verhindert wurde, liegt neben der Sache. Voraussetzung für die Gebühr ist nicht die Verhinderung der Anklageerhebung, sondern die Nichteröffnung des Hauptverfahrens. Der Verteidiger hat mit der Übermittlung der Einlassung und auch seinen Ausführungen im Antrag auf Anberaumung eines Haftprüfungstermins dazu beigetragen, dass das Landgericht im Zwischenverfahren durch Vernehmung einer Zeugin die Beweislage kritisch überprüft und schließlich die Nichteröffnung des Hauptverfahrens beschlossen hat. Das Verteidigungsvorbringen war somit mitursächlich, Dass der Verteidiger dieses Vorbringen im Zwischenvorfahren nicht noch einmal wiederholt hat, ist ohne Belang (vgl. BGH AGS 2008,. 491 m.w.Nachw.: "reine Förmelei", die nur zu einer unnötigen Aufblähung der Akten führte).

    b)

    Gemäß Nr. 4141 Abs. 3 Satz 2 VV GVG richtet sich für den Wahlanwalt die Gebühr nach der Rahmenmitte. Es handelt sich danach für den Wahlanwalt um eine Betragsrahmengebühr, bei der nach dem Gesetzeswortlaut und den gesetzgeberischen Motiven (BT-Drucks. 15/1971, S. 228). die Umstände des Einzelfalls, die sonst über § 14 Abs. 1 RVG zu berücksichtigen wären, ohne Bedeutung sind, mithin um eine Festgebühr (zutreffend AG Hamburg AGS 2006, 439; Burhoff in Gerold/Schmidt, RVG. 19. Aufl., VV 4141 Rdn. 38 m.w.Nachw.; a.A. ohne Begründüng OLG Stuttgart aa0).

    Die von dem Verteidiger des Beschwerdeführers vorgenommene Bestimmung der Gebühr auf die Mittelgebühr zuzüglich 20% ist daher unbeachtlich. Verdient ist als Festgebühr die Mittelgebühr in Höhe von 155,00 EUR (Nr. 4141 Abs. 3 Satz 2 VV RVG i.V.m. Nr. 4112 VV RVG) nebst anteiliger Umsatzsteuer in Höhe von 29,45 EUR, insgesamt 184,45 EUR.

    Davon in Abzug zu bringen ist die von dem Verteidiger geltend gemachte Erledigungsgebühr nebst anteiliger Umsatzsteuer, die ihm aus seiner Bestellung als Pflichtverteidiger zusteht, mithin ein Betrag von 124,00 EUR (Nr. 4141 Abs. 3 Satz.1 VV RVG i.V.m. Nr. 4112 VV RVG)+ 23,56 EUR = 147,56 EUR. Das Landgericht hat über die gemäße 56 RVG eingelegte Erinnerung des Verteidigers gegen die Absetzung der Erledigungsgebühr (auch) im Verfahren nach § 55 RVG nicht entschieden, weil es die dieselbe Rechtsfrage betreffende Beschwerdeentscheidung des Senats abgewartet und seine Entscheidung davon abhängig gemacht hat. Da dem Verteidiger die zusätzliche Gebühr nebst Umsatzsteuer zusteht und auf seine Erinnerung in jenem Verfahren festzusetzen sein wird, vermindern sich entsprechend die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers auf den Betrag von 36,89 EUR. Dies ändert aber nichts daran, dass die Beschwerde im kostenrechtlichen Sinne überwiegend (nämlich im Verhältnis von 83,5:16,5) Erfolg hat.

    3.

    Die Kosten- und Auslagenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 473 Abs. 4 StPO.

    RechtsgebietRVGVorschriftenNr. 4141 VV RVG